Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne, 75 Jahre Philip Glass, fast 75 Jahre Steve Reich, mit Adams und Nixon nach China, mit Einstein an den Strand, Bratkartoffeln mit Glass, Koyaanisqatsi am Lago Maggiore und Zar, Zimmermann und Glass

Philip Glass

Heute vor exakt einem 3/4 Jahrhundert wand sich Philip Glass aus einem weiblichen Schoß, in Baltimore (Maryland). Fast exakt acht Monate später entschied sich Steve Reich zur gleichen Aktion, allerdings in New York, nur dreihundertundzwanzig Kilometer entfernt. Eine gute Zeit, eine gute Landschaft.
In Baltimore nutzten z.B. auch Zappa und Billie Holiday die Möglichkeit, sich aus der mütterlichen Bauchhöhle zu trollen, um einige Jahre später die Welt musikalisch zu entflammen. Eine feine Stadt.
Glass und Reich, Komponisten, die u.a. mit Terry Riley, später John Adams und dem Briten Michael Nyman der globalen Musikkultur nicht nur ein vertrocknetes Häppchen mit Noten-Design beifügten, beide neunzehnhundertsiebenunddreißig geboren, wirklich ein gutes Jahr.
Sicherlich hält der Verbrauch dieser Musik mitunter inflationäre Entgleisungen bereit
Und wenn in irgendwelchen blöden Kochsendungen zwischen den Geräuschen bratender Kartoffeln und blubberndem Glühwein diese Klänge erniedrigt werden, würde ich mich einer kraftvollen Übelkeit nicht entziehen können, sicher weniger wegen der Bratkartoffeln.

CD, Musik von P.Glass

Über Glass ist grenzenlos gelabert wurden, meine dilettantische Meinung will ich deshalb nicht gleichfalls noch dranhängen.
Jedenfalls ist es möglich, dass Glass sich seit einigen Jahren einer Banalisierung seiner eigenen Musik nähert. Dieses Urteil ist tatsächlich fern von jeder Laberei
Doch bleiben eben seine Noten davor. Die Arbeiten für ein reduziertes Ensemble, mit denen er unverkennbare Konturen in die Musikgeschichte schlug.
Und es bleiben eben seine Opern „Einstein on the Beach“ oder auch „Akhnaten“ und „Satyagraha.“ Bühnenwerke denen man natürlich mit anderen Erwartungen als an Lortzings „Zar und…“ oder Nicolais „Lustigen Weiber…“ begegnen sollte. Klingt irgendwie doch etwas anders.

Ich habe Philip Glass 2010 in Stresa (Lago Maggiore) bei einem Musikfestival erlebt. Er (Klavier) und seine Truppe spielten live
die Musik zum Film „Koyaanisqatsi“, der gleichzeitig im Hintergrund abgespult wurde. Unvergesslich.
Beste Wünsche für Philipp Glass und ein paar Noten kann er schon noch rausknallen.

Gewandhaus Leipzig, Mendelssohnsaal, 5. Februar, 18 Uhr, Konzert mit Musik vom Steve Reich, Philip Glass, Samuel Barber, John Adams.

Zur akustischen Vorbereitung wäre „Shaker Loops“ von Adams eine vorzügliche Wahl.

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Januar 31, 2012 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, vier Flöten für Richard Strauss, ein flötender Puck, Verdis Flöte, Estradenmusik, preußische Friedrich-Rohre, Mahlers Akkordeon und der 100. Geburtstag von Jackson Pollock


Geflügelte Jahresendfigur (Offizielle Bezeichnung in der DDR).
Mit Querflöte

Ich habe ja durchaus ein erfrischendes Verhältnis zu Überraschungen.
Die Konzert-Ankündigung für ein Querflötenquartett im Gewandhauses verhieß mir u.a. Werke von Debussy, Ravel und R. Strauss (mein Blog v.22.Januar)
Mir ist das Oevre dieses deutsch-französischen Terzetts einigermaßen vertraut, natürlich mit Wissenslücken markiert.
Ich kenne Flötenstücke von Debussy, Solo und im Kammermusikensemble, auch von Ravel und Strauss war diesen Musikröhren in einigen Werkteilen durchaus aufgeschlossen.
Arbeiten für vier Querflöten sind mir aber bei diesen Herren unbekannt. Doch habe ich ja eben ein erfrischendes Verhältnis zu Überraschungen.
Doch hörte ich dann den „Tanz des Puck“ aus dem ersten Buch von Debussys „Les Préludes“ für Klavier, in unmittelbarer Nachbarschaft zu der versunkenen Kathedrale. Also Musik, die mich seit früher Jugend fesselt. Und am vergangenen Mittwoch nun hörte ich sie mit vier Flöten, mein Verhälnis zu Überraschungen war in diesen Momenten merklich ausgetrocknet.

Zum Abschluss des Konzerts wurde Ravel angestimmt, mit dem „Morgenständchen des Narren“, aus „Miroirs“. Eigentlich ein fünfteiliges Klavierstück, sicher nicht von höchstem Anspruch, doch ungemein wirkungsvoll. Und am Mittwoch scharrten nun vier Flöten an diesen Noten.

Ein Minusorgasmus quälte mich aber dann in den mittleren Bereichen dieser flötistischen Sonderaktion. Till Eulenspiegel für großes Orchester von Strauss. Ich bin ja nun befähigt, bei diesem Teil jede Note von jedem Instrument abzugröhlen und etwas ungehobelter Schmerz blieb deshalb bei dieser Cover-Version nicht aus. Denn bei einer Aufführung mit vier Flöten bin ich unterfordert.

Gleichfalls vier Flöten bei Franz Doppler und einem Rigoletto- Medley. Da war die Grenze zur Estradenmusik bewältigt.

Ich habe ja nichts gegen Estradenmusik und musikalische Bearbeitungen. Mussorgski und Ravel haben sich z.B durchaus kultiviert geeinigt.Auch Nice (Sibelius) und Emerson, Lake und Palmer (Copland, Janácek) gelangen anständige Versionen.

Doch hatte ich mir eine Erweiterung meines Wissens über die drei Komponisten erhofft. Stattdessen malträtierten mich vier Flöten.
Obwohl mir die Virtuosität der Solisten natürlich nicht entgangen ist.

Ein Hinweis bei der Ankündigung hätte ich als faire Maßnahme begriffen. Doch las ich nur Debussy, Ravel, Strauss, kein Wort von Bearbeitungen für vier preußische Friedrich-Rohre. Volkstümlich muss man diese Aktion wohl in die Kategorie Etikettenschwindel einordnen.

Außerdem lagen wir nach fünfzig Minuten wieder auf der Straße, beeindruckend kurz. Und das Geflöte lag mir immer noch in den Ohren.

Vielleicht in Zukunft eine Bearbeitung der vierten Sinfonie Mahlers für Akkordeon. Auf der Konzertprogramm steht dann „Kompositionen von Gustav Mahler.“
Doch wiederum keine Klagen gegen dieses Instrument. Man verbindet es gewöhnlich als Unterhaltungsorgan bei familiären Saufereien, mit seemännischer Sehnsucht und etwas Paris.
Ein Konzert mit zeitgenössischen Kompositionen für Akkordeon belehrte mich aber vor einigen Monaten, welch großartige, experimentell aufgeladene Musik man aus dieser Quietschbüchse ziehen kann.

Mit erhrfurchtsvoller Geste gedenke ich Jackson Pollocks, geboren vor 100 Jahren.

Januar 28, 2012 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und Kulturtipps für Stunden ohne Schöngeist Dirk am Dschungelcamp-Pissoir, ohne Christian, der Junge Pionier, der seine Statuten nicht kennt und in Portionen auf sein Halstuch würgt, ohne journalistische Ejakulationen auf ein Kreuzfahrtschiff, ohne mediale Sportgafferei rund um die Uhr.


Querflöte, links
Philip Glass, rechts
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Leipziger Gewandhaus, Barlachebene Querflötenensemble, 25.Januar, Musik von Claude Debussy, Maurice Ravel, Richard Strauss.

Die Konzentration auf konzertantes Herumgeflöte gehört eigentlich nicht zu meinen bevorzugten Verrichtungen nach dem Abendbrot. Doch das Komponistenterzett dieser Veranstaltung treibt mich zu dieser Entscheidung.

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Philip Glass

Musik von P.Glass und S.Reich im Mendelssohnsaal (Gewandhaus Leipzig), 5.Februar.

Im Programm auch Reichs „Different Train“(1988), in der Regel die ersten Noten, die einem Unkundigen als Lasso an die Gehörgänge gebunden werden.
Daneben gibt es Musik von John Adams und Samuel Barber, wobei dieses „daneben“ eine unredliche Anmaßung und ein Akt der Unterbewertung wäre. Trotz ambivalenter Beurteilungen der Fachorgane bleibt Adams`s Oper „Nixon in China“ ein bemerkenswertes Musikstück. Zumindest im Versuch, Elemente des Minimal in dieser traditionsreichen Gattung zu verstreuen.
Wobei natürlich schon Glass mit „Einstein on the beach“(1978) auf diesem Terrain wuchtige Furchen gezogen hat, denen nur wenige Komponisten ohne Schwankungen folgen können.

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Hagen Rether

Opernhaus Leipzig, 9. Februar

Ich bin nicht gerade der ausgewiesene Fanatiker für Comedy und Kabarett.
Doch Hagen Rethers zunächst akustisch wohlwollender Vortrag, dieses legere „Nebenbei“, das unaufdringliche Klaviergeklimpere und dann die eingeschobenen, geflüsterten Bösartigkeiten heben ihn auf eine Ebene, die nur wenige Mitstreiter seines Fachs erklimmen können.
Sicherlich wären Georg Schramm und Volker Pispers, aber auch Priol und Pelzig für ein Gipfeltreffen geeignet. Polizeimeister Holm, ewig nichts von ihm gehört, ein Herr mit Arkkordeon, dessen Name mir entfallen ist und Frau Jasckke könnte ich mit Freude in dieser Truppe gleichfalls ertragen.


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Wolfgang Rihm

Leipziger Gewandhaus, Mendelssohnsaal, Reihe „musica nova“, 7. März

Rihm wird im März sechzig, man sollte sich einmal sein bisheriges Oevre ansehen! Da werden meine senilen Schwindelanfälle auffällig aktiviert und man fühlt sich überflüssig wie ein Iltis am Cembalo. Sicherlich ist auch Schrott dabei. Doch bei meinen Kenntnissen über dessen Musik bin ich bereit, den Kelch des Lobes bis zum Rande zu füllen.

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Sawrassow, „Die Saatkrähen kommen“

Chemnitz, Kunstsammlungen, Peredwischniki, 26. Februar bis 28. Mai

Vorwiegend Maler, denen der akademische Müll an der Petersburger Kunstschule gnadenlos auf den Pinsel ging und um 1870 auch öffentlich so richtig loslegten.
Darunter natürlich Kramskoi, Perow, Schischkin, der Maler mit den gefühlt zwei Millionen Waldbildern. Überwiegend Arbeiten von höchster Malkultur.
Und selbstredend drehen unangefochten Repin und der großartige Lewitan ihre Kreise.
Auch Wereschtschagin wird in diese Truppe eingeordnet, doch eher gesinnungstechnisch, weniger wegen der handwerklich-stilistischen Anbindung. Er löste sich nur ungern von akademischen Leitlinien.
Einen recht umfangreichen Text zu Wereschtschagin, für eine Zeitung geschrieben, doch nie veröffentlicht, habe ich in meinen Blog gestellt (16.Oktober 2007). Natürlich gekürzt, denn sonst liest das doch keine Sau.

Logo von Tom Petty

Konzert am 10. Juni, Hamburg, o2 World.

Sicherlich nicht die Musik, die mich auf die Dauer ekstatisch in den Staubsauger beißen lässt, da müssten schon Led Zeppelin oder Eric Burdon vor meiner Tür stehen. Doch für zwei bis drei Stunden unstreitig ein großes Vergnügen.
Nach zwanzig Jahren erstmalig wieder in Deutschland, nur in Köln, Hamburg und Mannheim. Auch die aktuelle CD „Mojo“ (2010) bietet ein akustisches Resultat von erhöhtem Gebrauchswert.
„You´re gonna get it“ (1978) von Tom Petty war die erste Scheibe, die ich mit qualvoll zusammengeklaubten Westmünzen im Leipziger Intershop am Hauptbahnhof erwarb, Ende der siebziger Jahre.
Es folgten dann z.B. Pink Floyd und Chicago aus den guten frühen Jahren, nicht mit den bald folgenden Unerträglichkeiten wie „If you leave me now.“

Kunstsammlung Jena im Stadthaus, Von Renoir bis Picasso, Künstler der Ècole de Paris bis 4. März.

Camoin (rechts) ist auch dabei. Er wird in der Regel unter die Fauves geramscht. Kennt aber kein Schwein.
Matisse, Derain und dann ist Pumpe. Oh, Jammer

Ècole de Paris ist ein recht dehnbarer und manchmal auch chronologisch irritierender Begriff. Denn die Pariser Schule ist mitnichten eine Einmaligkeit (auch im Mittelalter).
Doch der Pariser Verein, der in Jena ausstellt, wird z.B. durch Max Ernst und Miro, durch Mondrian und Rouault…….vertreten. Also munter durch die jüngere Kunstgeschichte. Da findet jeder seine Spezialisten.
Bei derartigen Übersichten entwickelt sich bei mir mitunter etwas Skepsis.
Ich hoffe auf eine Überraschung.

Kunstverein Apolda, Aquarelle und Mezzotintoradierungen v. William Turner, Januar-April.

Weitere Hinweise unnötig.
Kennt jeder.
Nicht übel, der William.

Januar 22, 2012 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, Kaija Saariaho, Dame mit Einhorn, Herr mit Klarinette, ohne Wolfgang Mozart und Alfred Schnittke, eine Prä-Erstaufführung, Staubmagneten im Musée de Cluny, Ciurlionis in Leipzig, Sekunden einer Celesta, von Elch zu Elch, die Magd von Sillanpää und Hören, Sehen, Riechen, Schmecken, Tasten

Einhorn mit Dame, Paris

Kari Kriikku, Finnland, mit Klarinette, ohne Einhorn

Karija Saariaho, Finnland. ohne Einhorn und Klarinette, doch als schöne Erscheinung einer reifen Frau und als Komponistin eines Klarinettenkonzerts, geschrieben für Kari Kriikku

Bild von Ciurlionis

(von oben nach unten)

Während der vergangenen Tage dreifach in Leipzig angeboten: Das Klarinettenkonzert von Kaija Saariaho, mit Klarinettist Kari Kriikku und dem Gewandhausorchester unter Vladimir Jurowski.

Ich gönnte mir schon am Mittwoch die erste Veranstaltung, eine konzertante Soloaktion, ohne Mozart und Alfred Schnittke, vor überschaubarem Publikum, im Großem Saal.
Denn in den beiden anschließenden „Großen Concerten“(Donnerstag, Freitag) folgten der Klarinette noch KV 318 (Recht hübsch und recht kurz) und Schnittkes 3. Sinfonie (ein gewaltiges Werk). Doch fehlte mir dafür an diesen Tagen die Begierde.
Mir genügte die Klarinette.
In meiner Anwesenheit wurde also die Prä-Erstaufführung für Deutschland zelebriert. Die Erstaufführung ohne „Prä“ dann am Donnerstag.
Die Inspirationsquelle für Kaija Saariahos klarinettistische Gewogenheit tröpfelt an den Wänden des Pariser Musée national du Moyen Age (Musée de Cluny).
Ich muss mich jetzt natürlich hüten, nicht gnadenlosen Ausschweifungen zu erliegen, in das Mittelalter des 10.-12. Jahrhunderts. In die Fänge des von Cluny abgeleiteten Reformordens, zu dessen Kultur und Kunst (Cluny II+III).
Bei einem Besuch der burgundischen Stadt konnte ich vor den steinernen Rudimenten der einst gewaltigsten Sakralarchitektur des Christentums auf die Knie sinken.
Jedenfalls zog Kaija Saariaho ihre Noten aus sechs Teppichen im Museum Cluny.
Die kunsthistorische Bearbeitung dieser Stoffdinger ist noch nicht beendet und einzelne ikonographische Details noch nicht geklärt.
Und mich interessiert dieser mittelalterliche Tapisserien-Fummel nur am Rande.
Sie wurden Ende des 15.Jahrhunderts in den Niederlanden gefertigt, Gesamttitel: „La dame à la Licorno“
Irgendwie steht auf jedem dieser Staubmagneten ein Einhorn im Weg und in gemeinsamen Aktionen mit der Dame verbildlicht es die fünf Sinne.

Hören, Sehen, Schmecken, Riechen, Tasten.
Doch vermeidet Kaija Saariaho Versuche, bei den Hörern synästhetische Verrenkungen zu aktivieren, z.B. Hören-Sehen/Ton-Farbe.
Kandinsky und Schönberg wurden z.B. mit dieser Sensibilität beschenkt.
Gleichfalls Ciurlionis, ein litauischer Maler und Komponist (1875-1911), dessen Bilder ich vor Jahrzehnten sehr liebte (diese Zuneigung hat sich aber inzwischen bedrohlich verringert).
Er studierte am Beginn des 20. Jahrhunderts in Leipzig. Doch das weiß natürlich keine Sau, immer nur Leipzig und Bach, Mendelssohn, Schumann, irgendwie öde. Dabei lernte er sogar bei Carl Reinecke, der immerhin auch Janácek und Grieg unterrichtete.
Aber wenigstens wurde Heinrich Marschner vor einigen Wochen mit mittelmäßigen Interesse erwähnt(150. Todestag).
Die gegenseitigen Reaktionen von Hören und Sehen (und umgedreht) kann ich natürlich locker nachvollziehen.
Bei Musik und Riechen, Musik und Schmecken…werden die Abläufe etwas diffiziler. Doch warum nicht, ich bin da aufgeschlossen und empfängnisbereit.
Kaija Saariaho nähert sich also nur vage diesen möglichen Phänomenen und läßt eher Klarinette und Orchester bei der praktischen Musikausübung entsprechend agieren.
So lärmt mitunter Kriikku recht kontaktbeseelt durch Besucher-u. Orchesterreihen (Tastsinn), er flötet außerhalb des Saals einige Urtöne (Hörsinn) und verlässt im Verlauf des 6.Satzes das Restensemble während die Celesta mit 500 Klangsekunden wundervoll nervt.
Das mag alles etwas plakativ erscheinen, doch hörte ich eine erstaunliche Musik.
Sechs Teppiche, sechs Sätze, aber fünf Sinne. Der Sinn des sechsten Sinnes bleibt ungeklärt. Dieser Teppich trägt den Titel „A mon seul désir“ ( Mein einziger Wunsch, Verlangen…).

Kaija Saarihaho wurstelt daraus ein Anagramm, eine alberne Beschäftigung, erhält „D´om le vrais sens“ und betitelt damit das Gesamtkonzert (Nicht einmal ein reines Anagramm).
„A mon seul desir“, ich könnte mir schon einen Wunsch vorstellen, vielleicht nicht an das Einhorn, aber an die Dame….

Vladimir Jurowski dirigierte souverän, ohne Hampelei.

Bemerkenswerte Musik aus Finnland, ein finnischer Klarinettist von aufregender Virtuosität und überhaupt Finnland….
Vor einigen Jahren befuhren, beliefen, beschwammen wir das östliche Skandinavien.
Wir zelteten uns von See zu See, von Pilzregion zu Pilzregion, von Elch zu Elch, von Helsinki zum Nordkap, und dazwischen ein Schloss, eine Kirche. Und ich las natürlich „Silja die Magd“ von F.E. Sillanpää.
Keine schlechte Zeit.
Kaija Saariaho war mir bislang unbekannt.
Das wird sich ändern.

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Januar 14, 2012 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, David Bowie, meine Großmutter mit Zappa im Gepäck, Grenzdeppen und Peking-Menschen, Sheik Yerbouti, Heroes und Ziggy Stardust, Saint-Exupérys kleiner David im Strahlenkleid und Pixies Cactus für David Bowie

Happy Birthday, David Bowie

David Bowie „Heroes“(1977)

Meine tapfere Großmutter kämpfte sich ständig nach „Westbesuchen“ (70/80er Jahre) über die Grenze, mit einer Schallplatte für ihren genialen Enkel im Kofferboden.
Dadurch gelangten z.B Scheiben der Rolling Stones, von Flock, Led Zeppelin, Little Feat, Van Morrison, Frank Zappa und eben auch David Bowie auf meinen Mono-Plattenspieler.
Also weitgehend Musik, bei deren Kenntnisnahme das Grauhaar meiner geliebten Oma sich sicherlich vor Schreck mit Signalfarben angereichert hätte.
Meine siebzig-bis achtzigährige Oma mit Zappa im Gepäck. Eine wundervolle Vorstellung. Zumal mit der Schwarzrille „Sheik Yerbouti“, auf deren Cover sich Zappa selbst eine Raucherpose gönnt und man nicht Petersilie oder Kamille im Tabak vermuten sollte.
Eher ein Material mit erhöhten Umdrehungen.

Und das hätte diese Grenzdeppen natürlich vollends verstört.
Ich kenne einen Fall aus Zeiten, als China und die Deutsche Demokratische Republik sich nicht gerade zu einer engen Brüderschaft entschlossen (Die Abtastung der erweiterten Version von DDR verursacht an meinen Fingerkuppen dermatologische Probleme.)

Uniformierte Grenztölpel fanden zwischen der Unterwäsche eines rückkehrenden Rentners ein Buch mit dem Wort „Peking-Mensch“ im Titel. Sie erstarrten, ordneten messerscharf Peking zu China und alamierten andere Uniformträger.
Das Buch ward nie wieder gesehen.
Dabei handelt es sich bei dem „Peking-Menschen“ um eine paläoanthropologische Einheit, benannt nach einem Fund unweit von Chinas Hauptstadt, ein Relikt, das etwa 700 000 Jahre beharrlich unter der Erde standhielt.

David Bowies „Heroes“ überwanden jedenfalls diese bizarren Grenzkontrollen und sie werden heute und morgen wieder auf meinem Plattengerät rotieren.
Denn Bowie wurde am 8.Januar 1947 geboren.
Und etwas Wertschätzung sollte schon sein.

David Bowie „The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spider from Mars“ (1972).

Seit „Hunky Dory“ (1971), eine vorzügliche Scheibe mit einem musikalischen Beitrag zu Andy Warhol, habe ich Bowies Arbei mit Wohlwollen verfolgt. Außerhalb der grauenhaften Phase, die mit Notengurken wie „Let`s dance“ und „China Girl“ festgezurrt werden, hat er mich nie richtig genervt.
Und eben „Hunky Dory“, „The Rise and Fall….“,“Heroes“, aber auch „Low“ (1977), „Station to Station“ (1976) und „Lodger“ von 1979 möchte ich in meiner kleinen Sammlung nicht missen.
An manchen Stellen dieser Alben berührt Bowie musikalische Bereiche und wagt experimentelle Zwischenakzente, welche die Grenzen der „populären“ Tonkunst des siebten Jahrzehnts zerstören.

Ich habe David Bowie in der Berliner Max-Schmeling-Halle gesehen. Eigentlich schließen sich Schmeling und Bowie gegenseitig aus.
Gunther Gabriel und Deutschlands Edelboxer oder Max und Stefan Raab könnte man in diesem Umfeld akzeptieren. Aber David Bowie, den sich Saint-Exupéry sicher als optische Vorlage für seinen kleinen Prinzen gewählt hätte?
Natürlich hat das Alter auch zu Bowie die Strahlen der Weisheit ausgesendet, ähnlich Robert Plants Auftritt bei einem Konzert vor einigen Monaten in Berlins Zitadelle.
Weitgehend schnörkellos, ohne Mätzchen und ohne die schrägen Abläufe vor Jahrzehnten zelebrierte Bowie seine Musik, die er natürlich aus einem tiefen Fundus schöpfen kann.
Man mag das bedauern, doch vortrefflich war dieses Konzert dennoch.

Durch meine Hallen dröhnt gerade „Surfer Rosa“, eine CD der herausragenden Pixies, deren Song „Cactus“ von David Bowie auf „Heathen“ gecovert wurde.
Eine feine und musikalisch absolut nachvollziehbare Verknüpfung.

Außerdem gibt es ja noch Verknüpfungen zu Mott the Hoople, Mick Jagger, Lou Reed, Iggy Pop, Queen….
Keine misslungene Wahl.

Januar 7, 2012 Posted by | Leipzig, Musik, Neben Leipzig, Verstreutes | Hinterlasse einen Kommentar