Nachdem ich auf der Titelseite der einzigen Leipziger Tageszeitung diese Überschrift zur Kenntnis genommen hatte, fiel mir der erste Bissen meines halb zerkauten Frühstücks-Croissants aus der Mundhöhle. Ich dachte sofort an eine Beethoven-Hitparade, moderiert von Andy Borg. Oder an die Stiftung Warentest, Fachgebiet B wie Beethoven, angesiedelt zwischen Badewannen-Qualitäts-Kontrollen und Bermuda-Shorts-Vergleichen.
Die besten Beethoven-Sinfonien, mir grauste. Zumal ich zu diesen neun Geräten seit Jahrzehnten einen eher distanziert-verschlossenen Umgang bevorzuge.
Und ich erinnerte mich gleichfalls an die unerträgliche Zumutung durch einen monumental angelegten Fernsehklamauk auf einem öffentlich-rechtlichen Kanal, vor etwa zwanzig Jahren. Es wurde gefragt nach dem größten Deutschen oder nach dem besten Deutschen. Oder ähnlich einfältig. Küblböck, Bohlen, Patrick Lindner, Heino…… platzierten sich dabei z.B. deutlich günstiger als Robert Koch, Richard Wagner, Thomas Mann, Dürer, Beuys…..
Und mir fiel der zweite Bissen meines halb zerkauten Frühstücks-Croissants aus der Mundhöhle.
Angeregt durch den scheinbaren Zuspruch für diesen spätpubertären Abstimmungslärm erstarkte der Willen, weitere Lärmereien zu organisieren.
Man wurde nun genötigt, unter höchster intellektueller Anspannung sich für die besten Sportler Deutschlands zu entscheiden, für die besten Musiktitel, die besten Erfindungen, die besten Bücher, die besten Komiker, die besten Musikstars, die besten Lieblingsorte in Deutschland…., ich hoffe, mein Wohnort (Leipzig/Gohlis) erreichte die Aufnahme in die Liste.
Allerdings gelingt es mir vorzüglich, gegenüber diesen Zudringlichkeiten eine feine, aber stabile Ignoranz zu errichten.
Trotzdem könnte ich mir z.B. auch durchaus eine deutsche Charts der besten mehligkochenden Kartoffeln und der besten festkochenden Kartoffeln vorstellen.
Ganz im Stillen bedaure ich ebenso, dass bislang nicht die schönsten und klügsten Männer Deutschlands gekürt wurden, moderiert vielleicht von den „Amigos“. Oder von Silbereisen. Eine respektable Teilnahme hätte ich durchaus erwarten können.
Ich wagte dann doch einen Blick auf die entsprechende Seite mit den „besten Sinfonien“ Beethovens, biss aber zuvor nicht in mein Frühstücks-Croissant. Einen dritten Mundhöhlen-Auswurf wollte ich nicht riskieren. Doch ich konnte mich versöhnen. Denn nicht die besten Sinfonien wurden mir aufdringlich erläutert, sondern die besten Einspielungen dieser Teile. Kann man in einer Zeitung ertragen.
Allerdings erschließt sich mir nicht der Grund für diese Diskrepanz zwischen Ankündigung und Textinhalt, duchaus nicht einmalig in diesem Blatt.
Gewandhausorchester Leipzig, Franz Konwitschny. Beethoven, Sinfonie. Nr.3
Und ich wurde von Leipzigs prädominantem Beethovenssinfonieneinspielungslistenführer ebenfalls in eine elitäre Tabelle aufgenommen, als Besitzer einer Einspielung der Sinfonien von außerordentlichem Wert. Allerdings an letzter Stelle im Zeitungs-Text. Denn nach Blomstedt, Chailly, Gardiner, Bernstein, Karajan und Leibowitz gelingt Konwitschny noch Platz sieben in der Top Sieben. Aber immerhin. Ich erwarb die Scheiben um das Ende der 60er Jahre, s.o. Die Plattenhüllen wurden mit Details der Sixtinischen Kapelle Michelangelos dekoriert (oben, Prophet Daniel), wie auch die fünf Klavierkonzerte.
Doch haben sich diese neun Rundlinge mit Beethovens Sinfonien in der hinteren Abteiling meiner Musik-Kammer einen staubigen Trauerflor angelegt. Denn seit Jahrzehnten wurden sie nicht mehr berührt und ich vermute, es wird so bleiben.
Ganz anders als z.B. die Tonträger mit Schuberts Sinfonien, die stets in vorderen Aufbewahrungs-Bereichen abgelegt werden.