Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne und die besten Sinfonien Beethovens, die besten Einspielungen der Sinfonien Beethovens und Jürgen Hennes Tonträger mit den Einspielungen der Sinfonien Beethovens

Leipziger Volkszeitung, 21./22. November, Titelblatt

Nachdem ich auf der Titelseite der einzigen Leipziger Tageszeitung diese Überschrift zur Kenntnis genommen hatte, fiel mir der erste Bissen meines halb zerkauten Frühstücks-Croissants aus der Mundhöhle. Ich dachte sofort an eine Beethoven-Hitparade, moderiert von Andy Borg. Oder an die Stiftung Warentest, Fachgebiet B wie Beethoven, angesiedelt zwischen Badewannen-Qualitäts-Kontrollen und Bermuda-Shorts-Vergleichen.

Die besten Beethoven-Sinfonien, mir grauste. Zumal ich zu diesen neun Geräten seit Jahrzehnten einen eher distanziert-verschlossenen Umgang bevorzuge.

Und ich erinnerte mich gleichfalls an die unerträgliche Zumutung durch einen monumental angelegten Fernsehklamauk auf einem öffentlich-rechtlichen Kanal, vor etwa zwanzig Jahren. Es wurde gefragt nach dem größten Deutschen oder nach dem besten Deutschen. Oder ähnlich einfältig. Küblböck, Bohlen, Patrick Lindner, Heino…… platzierten sich dabei z.B. deutlich günstiger als Robert Koch, Richard Wagner, Thomas Mann, Dürer, Beuys…..

Und mir fiel der zweite Bissen meines halb zerkauten Frühstücks-Croissants aus der Mundhöhle.

Angeregt durch den scheinbaren Zuspruch für diesen spätpubertären Abstimmungslärm erstarkte der Willen, weitere Lärmereien zu organisieren.

Man wurde nun genötigt, unter höchster intellektueller Anspannung sich für die besten Sportler Deutschlands zu entscheiden, für die besten Musiktitel, die besten Erfindungen, die besten Bücher, die besten Komiker, die besten Musikstars, die besten Lieblingsorte in Deutschland…., ich hoffe, mein Wohnort (Leipzig/Gohlis) erreichte die Aufnahme in die Liste.

Allerdings gelingt es mir vorzüglich, gegenüber diesen Zudringlichkeiten eine feine, aber stabile Ignoranz zu errichten.

Trotzdem könnte ich mir z.B. auch durchaus eine deutsche Charts der besten mehligkochenden Kartoffeln und der besten festkochenden Kartoffeln vorstellen.

Ganz im Stillen bedaure ich ebenso, dass bislang nicht die schönsten und klügsten Männer Deutschlands gekürt wurden, moderiert vielleicht von den „Amigos“. Oder von Silbereisen. Eine respektable Teilnahme hätte ich durchaus erwarten können.

Ich wagte dann doch einen Blick auf die entsprechende Seite mit den „besten Sinfonien“ Beethovens, biss aber zuvor nicht in mein Frühstücks-Croissant. Einen dritten Mundhöhlen-Auswurf wollte ich nicht riskieren. Doch ich konnte mich versöhnen. Denn nicht die besten Sinfonien wurden mir aufdringlich erläutert, sondern die besten Einspielungen dieser Teile. Kann man in einer Zeitung ertragen.

Allerdings erschließt sich mir nicht der Grund für diese Diskrepanz zwischen Ankündigung und Textinhalt, duchaus nicht einmalig in diesem Blatt.

Gewandhausorchester Leipzig, Franz Konwitschny. Beethoven, Sinfonie. Nr.3

Und ich wurde von Leipzigs prädominantem Beethovenssinfonieneinspielungslistenführer ebenfalls in eine elitäre Tabelle aufgenommen, als Besitzer einer Einspielung der Sinfonien von außerordentlichem Wert. Allerdings an letzter Stelle im Zeitungs-Text. Denn nach Blomstedt, Chailly, Gardiner, Bernstein, Karajan und Leibowitz gelingt Konwitschny noch Platz sieben in der Top Sieben. Aber immerhin. Ich erwarb die Scheiben um das Ende der 60er Jahre, s.o. Die Plattenhüllen wurden mit Details der Sixtinischen Kapelle Michelangelos dekoriert (oben, Prophet Daniel), wie auch die fünf Klavierkonzerte.

Doch haben sich diese neun Rundlinge mit Beethovens Sinfonien in der hinteren Abteiling meiner Musik-Kammer einen staubigen Trauerflor angelegt. Denn seit Jahrzehnten wurden sie nicht mehr berührt und ich vermute, es wird so bleiben.

Ganz anders als z.B. die Tonträger mit Schuberts Sinfonien, die stets in vorderen Aufbewahrungs-Bereichen abgelegt werden.

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November 24, 2020 Posted by | Leipzig | 1 Kommentar

Jürgen Henne, Sofia Gubaidulina und ein Ankündigungs-Däumelinchen im Leipziger Gewandhaus

Die Abbildung ist natürlich dramatisch misslungen, ähnelt einem Kräuterweiblein im märchenhaften Schwarzwald

Nachdem ich durch diese Notiz (s.o.) aus dem Haus Sikorski an die persönliche und musikalische Anwesenheit Sofia Gubaidulinas im Leipziger Gewandhaus während der kommenden Monate erinnert wurde, gönnte ich mir ein zweimaliges Wohlbehagen.

Denn mir wurde auch erneut bewusst, dass durch die Notenblätter der Musiker im Konzertkasten auf dem Augustusplatz nicht mehr die abgestandenen, dumpf zelebrierten Ewigkeitsnebel wabern, sondern ein belebender, nicht nur säuselnder Wind die Geigen und Oboen, die Celli und Flöten zu neuen, bislang nicht selbstverständlichen Tönen anspornt.

Und das Andris Nelsons mit Toleranz und einem rege registrierenden Sensorium für alle Bereiche der Tonkunst die Partituren auf dem bis dahin doch recht archaisch verwitterten Dirigentenpult belebend geordnet hat.
Abweichend von den Ambitionen der gesamten Schar seiner Vorgänger.

Herbert Kegel müsste man natürlich innerhalb der Leipziger Musikgeschichte der vergangenen siebzig Jahre einen Sonderstatus zuteilen. Denn seine Hinwendung zu zeitgenössischen Kompositionen war beachtlich. Er dirigerte allerdings das Leipziger Rundfunk-Sinfonieorchester, später die Dresdner Philharmonie.

Als Nelsons vor einiger Zeit öffentlich seine Vorstellungen von einem zivilisierten Konzertprogramm unterbreitete und dabei sein Bedürfnis nach der Beachtung von aktueller Musik betonte, erschien in Leipzigs Zeitung eine Leserreaktion, die im folgenden Finale endete: „Das lässt sich Leipzig nicht bieten“ .
Abgesehen von meiner Mißstimmung über die Anmaßung, dass dieses Ankündigungs-Däumelinchen sich erkühnt, für die gesamte Stadt sprechen zu dürfen, lasse ich mir von Nelsons mit höchster Freude weitere Ansagen dieses Zuschnitts bieten.

Zwischen Anfang Januar und Ende Juni 2021 werden nun innerhalb von etwa zehn Konzerten im Großen Saal und im Mendelssohn-Saal des Gewandhauses einzelne Kompositionen von Sofia Gubaidulina auf den musikalischen Spielplan gesetzt, flankiert von Werken anderer Tonsetzer.

So z.B. Olivier Messiaens „Quatuor pour la fin du Temps“. Der französische Komponist schrieb das Kammerstück für Violine, Cello, Karinette und Klavier in einem Görlitzer Internierungslager 1940/41.

Mit Wehmut befürchte ich, dass die alljährlichen Messiaen-Tage am Beginn des kommenden Januars in dieser Stadt an der deutsch-polnischen Grenze dem globalen Seuchen-Pfuhl geopfert werden müssen.
Ich hasse Viren.
Schostakowitsch-Tage, Gohrisch 2014, links Sofia Gubaidulina.

Im Rahmen weiterer Konzerte von Januar bis Juni in Leipzigs Gewandhaus gibt es neben Gubaidulinas Musik z.B. Töne von Bach, Schnittke, Mendelssohn, Mozart, Vierne und Tschaikowskis 6.Sinfonie, ein herausragendes Stück an der Schwelle zum 20. Jahrhundert.

Und in einem Kinderprogramm folgen S.Gubaidulinas „Musikalisches Spielzeug“ die „Zehn leichten Klavierstücke“ Bartoks sowie die „Pittoresken Kindereien“ und das „Kindliche Geplauder“ von Eric Satie.
Vielleicht könnte bei diesen Programm selbst das Ankündigungs-Däumelinchen (s.o.) auf markige Ankündigungen verzichten. Denn die Musik von Satie hat ja nun doch schon den Einlass in die Bereiche des Mainstreams bewältigt, zumindest die „Gymnopédies“.

Die abschließenden drei Konzerte ( 24./25.//26. Juni) werden dann von Nelsons selbst betrieben.
Nach S. Gubaidulinas „Zorn der Götter“, eine aktuelle Arbeit, die 2020 von Abbado in Wien erstmalig aufgeführt wurde, im fast unbevölkertem Saal, also im Grunde noch ohne öffentliche Uraufführung, gibt es reichlich Richard Strauss.

Meine Strauss-Exzesse habe ich zwar schon vor fünfzig Jahren zelebriert, doch eine enge Bindung hat sich bis heute erhalten.
Ich hoffe, der Ankündigungs-Däumling verwechselt nicht Richard Strauss mit Johann Strauß.
Jedenfalls hat sich Nelsons mit seiner Truppe für die Tondichtung „Macbeth“, für das Intermezzo aus dem „Rosenkavalier“ und für den Tanz der sieben Schleier aus „Salome“ entschieden, eine der außerordendlichsten Opern des 20. Jahrh.

Hans Eisler, der gebürtige Leipziger Komponist, beschrieb einmal seine Körperreaktion beim Hören des Rosenkavalierwalzers: „Wenn ich diesen Walzer höre, kommt mir die Galle hoch“. Oder so ähnlich. Bei mir bleibt sie unten.
Der Walzer ist sicherlich nicht die originellste Musiknummer dieser Oper, doch passt er ebenso zwingend zu dem gesamten Stück wie Hans Eisler zur DDR-Nationalhymne.
Die Fairness erfordert es aber, sein Lieder-Oeuvre zu preisen.

Fazit I
Man sollte sich an einen Ritus gewöhnen, neben den paläolithischen B´s wie Bach, Beethoven, Brahms auch zeitgenössischen B´s wie Boulez, Berio, Birtwistle eine Aufführungsmöglichkeit zu genehmigen, innerhalb eines Konzerts.
Auch unter der Berücksichtigung der Gefahr, daß unser Ankündigungs-Däumelinchen noch däumelinicher wird.

Fazit II
Die Antwort auf die berechtigte Frage, ob diese Konzerte ihre Schönheit tatsächlich öffentlich entfalten können, weiß ganz allein das Virus.

Ich entschuldige mich ausdrücklich bei Herrn Zimmermann für meine betont dämliche Variation seines Textes.

Ich erfuhr erstmalig den „wahren“ Namen von BD durch David Bowies LP „Hunky Dory“, die meine selige Großmutter Mitte der 70er Jahre über die deutsch-deutsche Grenze schmuggelte. (s.u.)

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November 19, 2020 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar