Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne und József Rippl-Rónai, ein ungarischer Maler und Vertreter der angewandten Kunst, den keine Sau kennt, außer Jürgen

József Rippl-Rónai (1861-1927): „Die Straße von Kaposvár wird gepflastert II“, 1905, Pastell auf Papier, Ungarische Nationalgalerie Budapest.

Das dreihundertneunundzwanzigste Blatt meines kleinen Tagesschreibtischkunstkalenders 2022 vom fünfundzwanzigsten November. Sternbild: Schütze. Sonnenaufgang: 7.55, Sonnenuntergang: 16.22, Mondaufgang: 10.07, Monduntergang: 17.10. Namenstage: Egbert, Karin, Katharina, Katinka.

Als Egbert ist bei mir nur der Leipziger Einwohner Egbert Herfurth überliefert, vorrangig als Illustrator von DDR-Kinderbüchern. Bei Karin denke ich an Karin Baal in Edgar – Wallace -Verfilmungen und an Karin Dor in Edgar – Wallace – u. Karl – May -Verfilmungen. Bei Katharina denke ich weniger an Edgar – Wallace – u. Karl – May – Verfilmungen, eher an Frauen um Heinrich VIII. und Luther und bei Katinka denke ich an gar nichts, nicht einmal an Edgar – Wallace – u. Karl – May – Verfilmungen.

Der Bildtitel „Die Straße von Kaposvár wird gepflastert“ treibt meinen Spannungsbogen zunächst eher weniger an die Grenzen zur Unerträglichkeit.

Doch nicht erst auf den zweiten, schon auf den ersten Blick wird die bemerkenswerte Qualität dieser doch recht skizzenhaften Pastellarbeit sichtbar. Eine feinsinnig kultivierte Farbigkeit, die blauen und rotbraunen Akzentuierungen, eingegefügt in eine hell-sandige Straßengrundierung und vollendet durch die hintergründige Luftigkeit eines Stadtparks (?) ergeben dann, trotz der nicht unanstrengenden Arbeit mit den Pflastersteinen, eine eher entspannte Kleinstadtszene.

Man sollte natürlich nicht die körperliche Beanspruchung einer Straßenbepflasterung bagatellisieren, doch Vergleiche z.B. mit Courbets Steinklopfern und den Steinbrechern Sterls, deren physische Höchstbelastungen aus dem Bild herausdröhnen, ergeben sich nicht. Irgendwie denkt man an „Schöner unsere Städte und Gemeinden.“ – Mach mit!“ (Eine Aktion aus ranzigen DDR-Zeiten).

Kaposvár ist eine Kleinstadt im Südwesten Ungarns, so um die sechzigtausend Einwohner, das Bevölkerungsvolumen des Jahres 1905 ist mir unbekannt, Geburtsort von Rippl-Rónai und Imre Nagy, dem Hauptakteur des ungarischen Jahres in Europa (1956), dem dann 1958 der Strick um den Hals gelegt wurde.

Als Rippl-Rónai diese Bild fertigte (1905) verabschiedete sich das Land allmählich aus der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie (1918), es folgte der Kommunist Bela Kun mit den entsprechenden Zielen, dem dann aber nach verschiedenen Zwischenstadionen Ende der 30er Jahre in der Sowjetunion Stalins freundliche Horden den Garaus machten.

Eine wundervoll beknacktes Beschreibungs-Detail von mir kann ich dann noch anbieten. Die drei Straßenbepflasterungsherren im rechten Vordergrund scheinen in Startlöchern zu verharren. Die zweiten Olympischen Spiele wurden 1900 in Paris erledigt, z. B. im 60-u.100- Meter-Lauf. Auch Rippl-Rónai trieb sich einige Jahre an der Seine herum. Vielleicht ließ er sich inspirieren. Doch weiß ich nicht, ob die Startpositionen für den Sprint damals vielleicht doch noch stehend eingenommen wurden.

Jedenfalls wurde Rippl-Rónai in Paris in die Künstlertruppe der Nabis aufgenommen und hatte einen besonders engen Kontakt zu Edouard Vuillard (s.auch meinen Beitrag vom 4.11. zu einer Ausstellung in Apolda). Für längere Zeit lebte er mit Aristide Maillol, einem der wesentlichen Wegbereiter für die Bildhauerei des 20. Jahrhunderts, an der französischen Mittelmeerküste.

Und Maillol war der Meinung: „Wenn er geblieben wäre, würde sein Name jetzt weltbekannt sein.“

Ob Maillol dabei an die Anwesenheit Rippl-Rónais in Paris oder am Mittelmeer dachte, entzieht sich meiner Kenntnis. Doch vermute ich eher Paris, dem damaligen Zentrum der Künste im globalen Zusammenhang.

Aber recht hat er, der Maillol, auf alle Fälle, denn Rippl-Rónai ging zurück nach Ungarn, agierte als Transporteur der Moderne in seine Heimat, den aber bis heute keine Sau kennt, außer Jürgen.

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November 30, 2022 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, die Kunsthalle Talstrasse in der Hallenser Talstraße. Wieder.Sehen in der Talstraße, zehn Malerinnen und Maler, Graphikerinnen und Graphiker, Bildhauerinnen und Bildhauer in der Kunsthalle Talstrasse des Kunstvereins Talstrasse in der Talstraße

Eingangsbereich der Kunsthalle Talstrasse vom Kunstverein Talstrasse in Halle/Saale

Es ist ja nicht so, dass ich wegen dieser Ausstellung bis nach Spitzbergen schwimmen würde.

Doch mein kulturhistorisches Interesse, auch an entsprechenden DDR-Geschichten, trieb mich in positiver Grundstimmung an die Saale, nur reichlich dreißig Kilometer entfent von meiner Heimatstadt.

Im Blickfeld der Burg Giebichenstein gründete sich am Beginn der 90er Jahre in Halle/Saale der Kunstverein Talstrasse, der sich inzwischen als bemerkenswert dominierendes Areal für zeitgenössische Kunst und Kunst des 20. Jahrhunderts in der Stadt Händels, Genschers, Thomasius`…. etabliert hat.

Aus meiner kleinen Sammlung von Katalogen des Kunstvereins Talstrasse, „Wahn-Sinn. Jean Dubuffet & Art brut“, 2015

Ausstellungen mit Arbeiten von meinem hochgeschätzten Antoni Tàpies, von Lüpertz, Giacometti und Nay, von Morandi, Fritz Winter, Beuys, Marcks, Dubuffet & Art brut, (s. Foto oben)…..und dem herausragenden Einzelgänger des vergangenen Jahrhunderts (Georges Rouault) grundieren diesen Status. Wer am Tag dessen Bildnisse von Clowns und Prostituierten sieht, wird des Nachts nur schleppend in den Schlaf kommen.

Die aktuelle Ausstellung zeigt unter dem Slogan „Wieder . Sehen. Berliner Künstlerinnen und Künstler treffen Helga Paris“ die Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern aus Berlin, die Helga Paris mal hier sahen, mal dort sahen und ziemlich oft in Berlin sahen und jetzt wiedersehen, zumindest symbolisch mit Kunstwerken und weniger in Berlin, aber in Halle/Saale ( Erfrischend empfinde ich den Verzicht auf dieses dämliche Sternchen).

Zehn Malerinnen und Maler, Graphikerinnen und Graphiker, Bildhauerinnen und Bildhauer wurden von Helga Paris fotografisch porträtiert, zumeißt in deren Ateliers der 60er/70er Jahre.

Neben diesen Fotografien hängen, stehen oder liegen in der Talstraße künstlerische Ergebnisse dieser zehn Malerinnen und Maler, Graphikerinnen und Graphiker, Bildhauerinnen und Bildhauer, auch Arbeiten der unmittelbaren Gegenwart. Auf der Liste hat sich ein anständiger Gleichstand zwischen lebendigen und weniger lebendigen Teilnehmern ergeben, 5:5.

Harald Metzkes, Ronald Paris und Nuria Quevedo hatten vor 1989 weitgehend keine Beschwernisse zu erleiden, ihre Kunst bei Solo-Darbietungen oder innerhalb der Massenveranstaltungen in den großen Museen der Bezirke oder im 5-Jahres-Rhythmus während der staatlichen Happenings der Arbeiter-u. Bauernklasse zu präsentieren. Bei den anderen Teilnehmern gab es schon, gestaffelt nach unterschiedlicher Intensität, doch einige Verwicklungen mit z.T beleidigend dümmlichen Kulturfunktionären.

Auch eine Fotoaustellung mit Arbeiten von Helga Paris wurde Mitte der 80er Jahre in Halle/Saale kurzfristig abgesagt.

Wobei ich Metzkes als qualitativ hochwertigsten Spitzenreiter in diesem Terzett bewerten möchte, zumindest was sein gesamtes Lebens-Ouevre betrifft. Die aktuell in Halle gezeigten Bilder sind nicht die großen Euphorie-Anheizer.

Auch bei Dieter Goltzsche ist die Auswahl eher misslungen, denn es gibt von ihm vortreffliche Schöpfungen.

Die Bilder von Manfred Böttcher sind sehenswert, bei Wolfgang Leber sind sie es eher weniger.

Sabina Grzimek

Pferd, 2018, Gips bemalt

Sabina Grzimek

Weintrauben essender Knabe (oder so ähnlich), ich vermute ebenfalls bemalten Gips

Und ich preise in den mir zur Verfügung stehenden höchsten Tonlagen die Bildhauerei und die Radierungen von Sabine Grzimek (oben und unten). Schon allein für sie wäre ich doch nach Spitzbergen geschwommen.

Sabina Grzimek, Radierungen, koloriert

Sabina Grzimek, Radierung, koloriert

Sabina Grzimek, Radierung, koloriert

Ich verspüre wenig Motivation, schlichten Gemütern zu erläutern, dass es sich hier mitnichten um Gekritzele, Gekleckse und Gipszusammengeklatsche handelt. Sondern um bemerkenswerte Kunst. Jawohl.

Kunsthalle Talstrasse, Treppenhaus, Fotografien von Helga Paris

Neben den Malerinnen und Malern, Graphikerinnen und Graphikern, Bildhauerinnen und Bildhauern die auf der ersten Etage ihre Kunst aufreihen, fotografierte Helga Paris (geb.1938, sie wohnt seit Jahrzehnten am Prenzlauer Berg.) auch andere große und kleine, wichtige und unwichtige, gutartige und bösartige Darsteller innerhalb der DDR-Kulturszene in den 70er/80er Jahren.

So lichtete sie z.B. Sarah Kirsch, Christa Wolf, Erich Arendt. Uwe Kolbe, Elke Erb…von der literarischen Liga ab, die bildenden Künster werden z.B. durch Max Uhlig und Theodor Rosenhauer vertreten.

Helga Paris, Atelier Hans Scheib, Berlin 1981

Und es drängte sich auch eine Gestalt vor das Fotografen-Werkzeug von Helga Paris, die Wolf Biermann in seiner Darmstädter Büchner-Preis-Rede 1991 als Sascha Arschloch abrüpelte. Recht hatte der Wolf, denn Sascha gehörte eindeutig zu den ausufernd bösartigen Darstellern (Foto oben, untere Reihe, ganz rechts).

Trotz fehlender Notwendigkeiten und gegen sinnvolle Normen der Sprachkultur zelebriert der Kunstverein Talstrasse in der Kunsthalle Talstrasse mit heiterer Ignoranz seinen Standort in der Talstraße.

Ehrlich, so richtig Spasss macht mir das nicht.

Kunsthalle Talstrasse, Halle/Saale, Talstraße 23 , bis 5.Februar 2023, Mi-Fr 13-18 Uhr, Sa u.So 13-17 Uhr

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November 17, 2022 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und eine eher zögerlich vorgetragene Empfehlung zu einem Besuch der Ausstellung „Cezanne, Degas, Matisse – Hokusai, Hiroshige, Utamaro. Künstler der französischen Avantgarde und des japanischen Holzschnittes aus der Sammlung Scharf-Gerstenberg“ im Kunsthaus Apolda

Kunsthaus Apolda

Schon der Ausstellungstitel irritiert mich doch etwas, auch auf Grund der Zuordnung von Cezanne, Degas sowie Bonnard und Vuillard, gleichfalls mit Arbeiten vertreten, in die kunsthistorische Kategorie der französischen Avantgarde. Sicher sicherlich kann man den Begriff auch sehr frei auslegen und anwenden, wobei dann eine Beliebigkeit eingeplant werden sollte.

Japanische Holzschnitte bewegen sich an der Peripherie meines kunsthistorischen Interesses. Aber natürlich erkenne ich ihre Qualitäten und die Unterschiede und Besonderheiten zur damaligen Kunst in Europa und besonders in Frankreich, z.B. der diagonale Bildaufbau, die Flächigkeit, die Zelebrierung ornamentaler Details, die expressive Eindeutigkeit linearer Formen…..

Diese Ausstellung wurde scheinbar erstmalig 2009 in Kaufbeuren eingerichtet und dreizehn Jahre später vom Kunsthaus Apolda aufgenommen, zumindest in ähnlicher Zusammenstellung. Einige Exponate vermisste ich aber.

Doch steigert sich meine Irritation, wenn im Katalog „Einzigartige Kunstwerke der französichen Avantgarde“ angekündigt werden. Aber nicht doch, das sind sie keineswegs, weder in Kaufbeuren noch in Apolda. Es ist selbstverständlich und jeder Besucher wird es akzeptieren, das regionale Museen/Galerien nicht diese hohen Ansprüche erfüllen können, welche von Kunstmetropolen erwartet werden (Berlin, München, Köln, Hamburg, auch Dresden).

Eine sachliche, intelligente Beschreibung, auch in den entsprechenden Katalogen, Flyern…., sollte der angemessene Weg sein. Denn eine negative Verschiebung der Fähigkeiten, Kunstqualität zu bewerten und der Verlust, sich dabei selbst hohe individuelle Maßstäbe bei der Beurteilung setzen zu können, wäre sonst z.B für den „einfachen“, kunstinteressierten Besucher das unerquickliche Ergebnis.

Und durch den Hinweis auf „Einzigartige Kunstwerke der französischen Avantgarde“ werden eben diese Maßstäbe gebrochen. Denn „Einzigartige Kunstwerke der französischen Avantgarde“ gab und gibt es weder in Kaufbeuren noch in Apolda zu sehen.

Sicherlich kann keine Galerie, kein Museum dafür werben, dass nur zweitklassige Kunst angeboten wird, doch etwas Ausgewogenheit bei der Anpreisung sollte man schon anstreben. Denn „Einzigartige Kunstwerke……“ .sind schon ein großes Versprechen.

Diese kleine Anmerkung soll mitnichten meinen Respekt vor Apoldas Kunsthaus und ähnlichen Kultureinrichtungen schmälern.Von Liebermann und Corinth (Sommer 1995) bis Erich Heckel (Sommer 2022) gab es nicht immer spektakuläre Kunst, wozu auch, doch bereute man nie den Weg ins mittlere Thüringen.

Und für Liebhaber japanischer Holzschnitte sollte sich das Kunsthaus Apolda bis 18. 12 als anspruchsvoller Zielort unbedingt eignen.

Isoda Koryusai, tätig 1765-1788. Erotische Darstellung/Frühlingsbild, um 1790

Katsushika Hokusai, 1760-1849. Myojin Schrein, um 1800

Utagawa Kunisada, 1786-1865. 53 Stationen des Tokaido

Utagawa Hiroshige, 1797-1858. Der Fischdieb—–Der Titelgeber ist der Hund links unten

Utagawa Kunisada, 1786-1865. Schönheiten und berühmte Stätten in Edo, um 1858

Henri Matisse, 1896-1954. Sitzender Rückenakt, 1914, Lithographie auf Japanpapier (Ein feines Blatt)

Pierre Bonnard, 1867-1947. Aus „Einige Aspekte Pariser Lebens“, 1889, Lithograhie

Neben Maurice Denis, Felix Vallaton, Aristide Maillol, u.a. formierten sich P. Bonnard und E. Vuillard (oben u. unten) am Ausgang des 19.Jahrh. zur Künstlergruppe „Nabis“ („Propheten“, hebr). Auffällig ihr flächiger, dekorativer Stil, Tendenzen zum Symbolismus, wesentliche Auswirkungen auf den Jugendstil, wurden selbst durch japanische Holzschnitte beeinflusst, auch durch Gauguin.

Ich verfüge noch über eine schmalen Band über die Nabis, herausgegeben 1967 durch den Verlag der Kunst (DDR) innerhalb der Reihe „Fundusbücher“. Die aktuelle Ausstellung in Apolda hat mich immerhin motiviert, ein paar Minuten nachzulesen, wie die DDR-diktatorische Kunsttheorie diesen französischen Beitrag zur europäischen Kultur bewertete. Aber ich kann momentan den Band in meinem Saustall nicht finden, vielleicht ist er auch einfach zu schmal.

Edouard Vuillard, 1868-1940. Konditorei, um 1888/89, Lithographie

Meine fotografischen Talente konnten sich durch die Repräsentation in den Galerie-Räumen, die natürlich in dieser Form notwendig war, z.B. Bilder hinter Glas, nur mäßig bis gar nicht entfalten.

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November 4, 2022 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar