Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne und die begehrte Serie: „Jürgen Hennes Empfehlungen für eine kultivierte Freizeitgestaltung.“ Heute: Ausstellungen in Leipzig, Halle und Altenburg/Thür,

I. Ausstellung

Kunstverein Talstraße e.V Halle/S. und Kunstmuseum Moritzburg, Halle/S.
„Die Realität des Lebens“ und „Sehen mit geschlossenen Augen.“

Malerei und Grafik von Alexej v.Jawlensky und Georges Rouault.

Ich werde mich nicht um tiefschürfende Ausstellungskritiken bemühen, die mir sicherlich vorzüglich gelingen würden.
Ist mir aber momentan zu beschwerlich, deshalb nur erweiterte Empfehlungen.
Ich verweise auf meinen Text vom 4.Februar 2011 in diesem Blog (über George Rouault).

Moritzburg, Halle/S.

Kunstverein Talstraße e.V., Halle/S.
Über dem Eingang das Ausstellungsplakat mit „“Qui ne se grine pas?“ („Wer schminkt sich nicht?“), Aquatinta aus der Grafikserie „Misere“, ab ca. 1920.

Georges Rouault
„Misere“, Tafel 1
„Herr, erbarme Dich meiner in Deiner großen Barmherzigkeit.“W
Aquatinta, 1923

Schon Mitte der 50er Jahre wurde dieser Grafik-Zyklus in Halle ausgestellt und gilt als einer der bedeutendsten Hauptwerke Rouaults.
Irritiert mich heftig.
Denn Rouault war ein Maler, der mit den Händen vehement in die Farben griff, um danach das Material auf der Fläche zu verteilen.
Und dieses Bedürfnis, diese herausragende Fähigkeit, farbige Strukturen zu formen, Kanäle und Furchen bis zur Reliefartigkeit, auch mit Tendenzen zur fortgeschrittenen Abstraktion und ohne entbehrliche Überflüssigkeiten, in einem Gefüge von höchster Ästhetik und humanen Ansprüchen zusammenzuführen, konnte er nur innerhalb der Malerei ausleben.
Die grafischen Techniken boten ihm dazu naturgemäß keine Grundlage.
Wobei sich natürlich die farbigen Blätter qualitativ von der Schwarz-Weiß-Grafik beträchtlich abheben.

Georges Rouault
„Schlafe, mein Liebling“
Farbige Aquatinta, 1935

Während im „Kunstverein Talstraße e.V.“ ausschließlich Malerei, Mischtechniken und Grafik von Rouault ausgestellt werden, wagt man im Museum der Moritzburg einen Vergleich und die Gegenüberstellung Georges Rouaults mit dem deutsch-russischen Maler Alexej v. Jawlensky, er erhielt 1934 die deutsche Staatsbürgerschaft.

Die Kuratoren dieser Übersicht bevorzugten bei der Auswahl deren Figurenbilder, sprechen von „auffallenden Parallelen“, von serieller Arbeitsweise, von Verinnerlichung und Vergeistigung auf der Grundlage tiefer Religiosität.

Mich bedrängt bei diesen Ausstellungen mit thematisch derartig festgezurrten Themen doch recht häufig etwas Unverständnis.
„Figurenbilder“ z.B. Selbstdarstellungen, verlottern ja nicht gerade in Randbereichen der Kunstgeschichte.
Man könnte dabei auch z.B. Rembrandt mit Beckmann vergleichen, oder van Gogh mit Horst Janssen oder Beckmann mit Horst Janssen oder Rembrandt mit van Gogh und Dürer hat sich ja auch nicht ganz selten selbst abgebildet.
Es gäbe viel zu vergleichen.
Und Religiosität tritt auch nicht nur gelegentlich auf.
Im Grunde gibt es bei Rouault und Jawlensky nichts zu vergleichen.
Sie gestalten Figuren, nicht selten motiviert durch Religion.

Auch Äpfel und Birnen können verglichen werden.

Oder Frettchen und Straßenbahnen
Übereinstimmung – beide können Entfernungen überwinden.
Unterschied – die Straßenbahn beißt nicht.

Oder Litfasssäulen und Hydranten
Übereinstimmung – beide stehen auf der Straße.
Unterschied – An Litfasssäulen wird die Wasserentnahme problematisch.

Diese Vergleichswucht erscheint mir also etwas beliebig.

Doch überwiegt natürlich die Freude über die beiden Ausstellungen in Halle, mit oder ohne Vergleiche.

Mein Vorschlag für eine angemessene Besuchsdauer (Beide Vorstellungen):
3 Stunden



II. Ausstellung

„Nolde und die Brücke“
Leipzig, Bildermuseum.

Hans-Werner Schmidt als Museums-Chef hat das Haus während der vergangenen dreizehn Jahre keineswegs aus einem trüben Provinzialismus herausgeführt.
Auch z.B. im Vergleich zu Mössingers Chemnitz oder aktuell zu Halle (Auf diesen Ebenen kann man natürlich vergleichen).
Doch dieser letzen Ausstellung der Schmidt-Ära muss als bemerkenswerter Ausklang uneingeschränkt gehuldigt werden.
Man hätte ja auch wieder einmal Max Klinger oder irgendein Häppchen Leipziger Schule präsentieren können.
Mitteldeutschland wurde ja mit expressionistischer Kunst ordentlich beladen.
Dresden, Halle (auch bis vor einigen Wochen mit der Gerlinger-Sammlung), Gunzenhauser in Chemnitz, Pechstein in Zwickau….
Aber diese Leipziger Übersicht zelebriert einen Sonderstatus.
Eine lange Reihe qualitativ erstrangiger Bilder überzieht die Wände.
Vorrangig Arbeiten des ersten Jahrzehnts des 20.Jahrhundert (Im Frühsommer 1905 gründete sich die „Brücke“), eindeutig die ertragreichsten und erlesendsten Jahre für Kirchner, Pechstein, Heckel, Schmidt-Rottluff, Bleyl.

Und dennoch muss ich mäkeln, dieses Ausstellungskonzept nervt.
Denn eine Bezugnahme auf die gegenseitigen Einflüsse Noldes und der „Brücke“-Künstler ist überflüssig
Ich sehe diese Einflüsse nur im untersten Minimalbereich.
Also in der Normalität der Einflüsse, wie sie sich täglich milliardenfach auf dieser Welt anbieten.
Als Nolde sich für knapp zwei Jahre dieser Vereinigung anschloss, nähert er sich seinem 40. Lebensjahr, fast eine Generation älter als der Truppenrest.

Und mir ist mitnichten ersichtlich, dass sich nach der Verabschiedung aus der „Brücke“ sich bei Noldes künstlerischer Arbeit wesentliche Veränderungen ergaben.
Wie immer organisierte er mit fahrigem, nervösen Duktus seine aufgeregten Szenerien, wogegen, gleichfalls wie immer, die „Brücke“-Künstler, stabilere, robustere Formen bevorzugten.
Nolde blieb immer in Maßen auch impressionistischen Vorstellungen verbunden und zu formalen Bildexzessen, wie er sie besonders bei biblischen Szenen feierte, konnten sich Heckel, Kirchner… nicht entschließen.

An den Wänden hängen dann drei Hafenansichten von Brücke-Künstlern neben einer Hafenansicht Noldes oder vier Akte der Brücke-Künstler neben einem Akt Noldes oder fünf Gartenszenen der Brücke-Künstler neben einer Gartenszene von Nolde oder zwei Stillleben der Brückekünstler neben einem Stillleben Noldes…..
Wenn nun durch die Ähnlichkeit der Sujets auf eine gegenseitige Einflussnahme hingewiesen wird, müsste ich mich entschließen, von einer etwas schlichten Denkungsart zu sprechen.
Denn diese Motive sind Selbstverständlichkeiten innerhalb der ikonografischen Kunstgeschichte.
Und irgendetwas muss man ja malen.
Könnte natürlich sein, dass Nolde danach etwas häufiger Holzschnitte angefertigt hat.
Entzieht sich aber meiner Kenntnis.
Doch änhlich meiner Freude über die Hallenser Ausstellungen dominiert natürlich das Wohlbehagen bei einem aktuellen Besuch des Bildermuseums.

Vorschlag für eine angemessene Besuchsdauer:
2-3 Stunden


III. Ausstellung

Altenburg, Lindenau Museum

„Im Chaos der Zeit“
Conrad Felixmüller,
Altenburg/Thür., Lindenaumuseum

Max Liebermann, Holzschnitt, 1926

Max John, Holzschnitt, 1920

Raoul Hausmann, Öl/Lw.,1920

Mich verblüfften schon immer die frühen Beschäftigungsstrukturen von Conrad Felixmüller (geb.1897).
1909 Schüler am Konservatorium (Klavier, Violine), ab 1912 lernt er Malerei bei Carl Bantzer, bald Meisterschüler an der Kunstakademie Dresden.

1913 illustriert er Girauds Gedicht „Pierrot Lunaire“, vertont von Schönberg, im Jahr darau fertigt er Holzschnitte zu Gedichten Else Lasker-Schülers.
Also in einem Alter, als ich mich um die Spielregeln von „Mensch, ärgere Dich nicht“ bemühte.
Ab 1915 freischaffend in Dresden.
Ab 1915 Mitarbeit an Herwarth Waldens expressionistischer Zeitschrift „Der Sturm“, gemeinsam mit Macke, Münter,Kandinsky….
Eine durchaus gelungene Jugend.

Felixmüller begann mit expressionistischen und kubistischen Formen, fand aber bald eine künstlerische Basis, die man mit „Expressiver Realismus“ kennzeichnen könnte und auf der er seine qualitätsvollsten Arbeiten entwickelte.

Felixmüller malt einen „Zeitungsjungen“, den „Arbeitslosen im Regen“, „Das Ruhrrevier“, ein „Proletarisches Liebespaar“, „Fabrikarbeiter im Regen“…. und wird flugs durch DDR-Kunstwissenschaftler in der Kategorie „Proletarisch-revolutionäre Kunst“ untergebracht.
Doch hat er einen höheren Anspruch.
Er beschreibt natürlich auch die Existenz des „einfachen“ Arbeiters, vermeidet aber weitgehend eine banal-plakative Systemkritik.
Ohne einfältige Heroisierung werden Menschen abgebildet, die in untauglichen Gesellschaftsverhältnissen leiden, sich ihrer Würde aber bewusst sind und Hoffnungen fest im Griff haben.

Mondnacht, Aquatinta, 1920

Bildnis H.-C. von Gabelentz mit Sohn Leopold, Öl/Lw, 1954

Beispiel für ein unerträgliches Bild aus Zeiten dieser unsäglichen Formalismus-Diskussion in der DDR.

Mein Vorschlag für eine angemessene Besuchsdauer: 60 Minuten

Alle Abbildungen mit Erlaubnis der Galerien.

Mein Lieblingsspruch des Tages, sicher nicht ganz wörtlich

„Ich mag besonders die Spatzen, diese Proletarier unter den Vögeln“ (Erich Honecker)

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April 24, 2017 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, Nina Ruges innere Gelassenheit mit heisser Suppe und ohne wochenendliche Meckereien, das künftige Martyrium von Andris Nelsons in Leipzig und „Alles wird gut“.

Ich weiß nur, dass es Nina Ruge gibt, detaillierte Informationen sind mir nicht bekannt, auch mögliche Verwandschaften zu Gerd Ruge entziehen sich meiner Kenntnis.

Doch jetzt wurde ich über ihr Buch „Der unbesiegbare Sommer in uns“ unterrichtet, über ihr Lebensmotto „Alles wird gut“, dass sie ihr Publikum mit auf „die Suche nach der inneren Gelassenheit“ nimmt (s.LVZ) und Fragen beantwortet, „wie jeder am besten Kraft aus sich selbst schöpfen kann“ (s.LVZ).
Mein Gott, diese ganze Schnuffi-Sülze haben doch schon die Mammutjäger zu ihrer Großmutter gekreischt, als sie in den Pranken des Säbelzahntigers wackelte.
Sie riefen dann: „Großmutter, schöpfe Kraft aus Dir selbst, bewahre Deine innere Gelassenheit und denke daran, alles wird gut.“
Oft nutzte es aber nicht, den Ritsch-Ratsch und der Säbelzahntiger begann, die Großmutter zu filetieren.

Und jetzt nach 100 000 Jahren schreibt Nina Ruge erneut über diese „Lebenshilfen“ und streicht dafür ordentlich Kohle von eher schlichten Gemütern ein.
Mir wird übel.
Außerdem vermute ich nach einem prüfenden Blick auf das Bild, dass die Kundschaft von Nina Ruge sich schon weitgehend jenseits der achtzig eingeordnet hat, das erleichtert natürlich die Sache.
Selbstredend harmoniert der Altersdurchschnitt vorzüglich mit dieser Vergreisungs-Postille.

In der Ausgabe am Tag darauf (gestern,1.April) wurden Nina Ruges Alltags-Evangelien noch etwas „verfeinert“
Man mag es nicht glauben, doch sie gibt den Tipp: „Versuchen sie mal ein Wochenende lang nicht zu meckern und zu gucken, wie sich das Leben dann anfühlt.“ (s.LVZ)
Abgesehen davon, dass dieser Mumpitz auch sprachlich den Brechreiz aktiviert, verweist der Vorschlag auf infantile Tendenzen.

Nina Ruge„riet den Zuschauern sich umzuprogrammieren, positive Emotionen zu nutzen und selber die innere Führung zu übernehmen. Dadurch könne einfaches Glück entstehen“ (s.(LVZ).
Ach so, daran habe ich nicht gedacht.
Mir wird erneut übel.

„Sie selber bleibe jeden Morgen noch kurz im Bett liegen und konzentriere sich auf ein bestimmtes Bild, das gebe ihr positive Energie für den Tag“ (s.LVZ).
Ach so.
Ich hoffe nur, Nina Ruge erwartet nicht von mir, dass ich ein Bild von ihr an die Wand hefte, das ich dann jeden Morgen dümmlich anstarren soll.

Da wünscht man sich doch einen Säbelzahntiger herbei, der die Großmutter der Mammutjäger inzwischen verdaut hat.

Noch etwas sagte sie, scheinbar augenzwinkernd, wie der Journalist etwas keck und verschwörerisch beobachtete: „Morgens esse ich immer heiße Suppe“ (s.LVZ).
Ach so.

Und ich verschlinge morgens stets einige Würfel vereistes Tomaten-Ketchup aus dem Tiefkühlfach mit heißem Zimt und lauwarm gedrittelten Johannisbeeren.
Mahlzeit, Nina.
Ich zwinkere keck mit den Augen.

Es ist schon bedenklich, dass die einzige Tageszeitung Leipzigs ein derartiges Blech, eine hochgradig intellektuelle Zumutung durch erhöhte Aufmerksamkeit honoriert.

Doch im Grunde ist es die Alltäglichkeit.
Gestern gab es in der Zeitung eine erweiterte Mitteilung, dass der Komponist des Sandmännchen-Liedes vor einhundert Jahren geboren wurde.
Eine derartige Text-Ausdehnung wurde z.B. der Besprechung eines Abends bei Musica Nova noch nie genehmigt.
Das vergangene Konzert ignorierte man vollständig.
Dafür aber zweimalig ausufernde Beiträge über die Aufführung einer Operette von Nico Dostal und eine seitenfüllende Abarbeitung eines Auftritts des unsäglichen Hannes Wader.
Ich leide schon heute mit Andris Nelsons.

Musik des Tages

Anton Bruckner, 6.Sinfonie

Literatur des Tages

Josef Winkler, „Friedhof der bitteren Orangen“

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April 2, 2017 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar