Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne, David Crosby, CSN&Y und Cergio Prudencio

„Déjá vu“, 1970, aus meinem überschaubaren Crosby, Stills, Nash & Young – Angebot.

Nach dem Vergleich der Gesichtsfrisuren der sechs Herren wird man wohl zu der Ansicht gelangen, dass David Crosby sich rechts unten abgelagert hat, Neil Young sicher oben links

Musik, die wegen notwendiger, allerdings oft beknackter Einordnugs-Kategorien dem Folk-Rock zufällt, kann ich in der Regel akustisch nur eine begrenzte Zeit einigermaßen aufmerksam folgen. Bei „Déjà vu“ von Crosby, Stills, Nash & Young wird diese Konzentrationsschwäche aber aufgehoben.

Denn dieses Studioalbum bietet mit sängerisch-stimmlicher Sorgfalt und instrumentaler Vollendung innerhalb von zehn Songs eine Palette musikalischer Möglichkeiten von erlesenem Standart, wodurch es, das Album, zu Recht als Elite-Produkt der Tonkunst um 1970 herum und der Rockmusik überhaupt gekrönt wurde.

Das Quartett wurde unterstützt durch John Sebastian (Lovin`Spoonful) und Jerry Garcia (Grateful Dead), gleichfalls keine musikalischen Feldhamster in diesen Zeiten vor über zweiundfünfzig Jahren.

Doch als zentraler Aufreißer bei „Déjá vu“ agierte David Crosby, der auch im Gründungs-Gremium von CSN&Y saß und dem am am 18. Januar des aktuellen Jahres, ähnlich wie Jeff Beck einige Tage zuvor, die Gitarre aus der Hand fiel. Ich hoffe, diese Gitarristenverbleichung wird jetzt nicht zur allwöchentlichen Selbstverständlichkeit.

Vielleicht ist keine mehrstündige Gedenkminute empfehlenswert, wie für Jeff Beck (s. Text 13. Januar), aber eine Stunde sollte für David Crosby schon möglich sein.

Und ob er sorglos in das göttliche Engelsgitarren-Terzett mit Hendrix, Gallagher, Beck aufgenommen werden sollte (s. Text 13. Januar) kann nur der himmliche Leithammel entscheiden. Aber eine ansprechende Nebenrolle sollte man ihm unbedingt gewähren.

Und sein erhöhtes Quantum am Wohlergehen und an der Leistungsfähigkeit der Byrds sollte gleichfalls beachtet werden.

Nach der Würdigung einer Musik aus gefühlt prähistorischen, aber durchaus glanzvollen Zeiten, ein Tipp für Klavierklänge einigermaßen aktuellen Zuschnitts

„Figuraciones“, „Ambitos“, „Taqpacha“ u.a. von Cergio Prudencio mit Daniel Anez am Klavier. Herausragend.

Prudencio wurde 1955 in La Paz geboren, die obigen Klavierstücke schrieb er zwischen 1994 und 2021

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Januar 22, 2023 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und Jeff Beck

Aus meiner kleinen Yardbirds-Sammlung in Vinyl, als westliche Geschenkpackung und als Ergebnis des Erwerbs mit DDR- Währung in Höhe eines halben Monatslohnes (70er Jahre).

Was verband Eric Clapton (später Cream, Derek and the Dominos), Jimmy Page (Led Zeppelin) und Jeff Beck (Solo) während der Jahre 1965/1966 ?

Sie spielten Gitarre bei den Yardbirds, neben Animals, Cream, Rolling Stones, Small Faces, Blind Faith, Canned Heat, Traffic, Spencer Davis Group die bedeutendste Rock (Blues) – Formation der sechziger Jahre.

Leider wird diese Musik aktuell in den dafür eigentlich geeigneten Medien nur noch selten angeboten, abgesehen von Jaggers Truppe.

Nach der politischen Neuregelung vor über dreißig Jahren hatte ich die Freude, während außerordentlicher Konzerte mit Eric Clapton und Jimmy Page (auch gemeinsam mit Robert Plant) in deren Musik abzutauchen.

Bei Jeff Beck muss ich nun ausschließlich auf meine Tonträger-Sammlung zurückgreifen, denn er legte gestern die Gitarre aus der Hand.

Aber irgendwo oben warten ja schon Jimi Hendrix und Rory Gallagher mit gespannten Saiten, der liebe Gott wird sicherlich schon die Kabel für die Verstärkerboxen und die lieben Engel ihre Flöten, Harfen und Lauten kurzfristig verpackt haben.

Ich plädiere für eine mehrstündige, geräuschvolle Gedenkminute für Jeff Beck, mit seiner Musik bis zum oberen Anschlag des Lautstärke-Reglers.

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Januar 13, 2023 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und eine Ausstellung im Potsdamer Museum Barberini

„Ich glaube an die künftige Auflösung dieser scheinbar so gegensätzlichen Zustände von Traum und Wirklichkeit in einer Art absoluter Realität, wenn man so sagen kann: Surrealität

André Breton, Manifest des Surrealismus, 1924

Zitat am Beginn des Katalogtextes zur Ausstellung „Surrealismus und Magie. Verzauberte Moderne“ im Museum Barberini (Potsdam, bis 29. Januar, gegenüber von Schinkels Nikolai-Kirche am alten Markt.

Dieses Zitat verdeutlicht in prägnanter Zuspitzung und Verkürzung das Bekenntnis surrealistischer Künstler, Schriftsteller und Filmemacher. Schlagworte wie Psychoanalyse, S. Freud, Halluzination, Traum und Rausch, Überwirklichkeit, Irrationalität, Unterbewusstsein, psychischer Automatismus, Aufhebung der Grenzen zwischen Realität und Phantastik, Anarchismus können dazu dienen, surrealistische Kunst tiefschürfend zu erfassen.

Und auch die Verarbeitung des literarisch beschriebenen Stilllebens am Arbeitsplatz eines Pathologen von Comte de Lautréamont (1846/1870) wäre dazu hilfreich:

Er ist schön wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“

Comte de Lautréamonts “ Die Gesänge des Maldoror“ reiften zu einem wesentlichen Ratgeber an der surrealistischen Front.

Und angesichts der schier endlosen Fülle von Texten über diese kunsthistorischen Tendenzen seit den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts werde ich hier darauf verzichten, meinen Senf beizusteuern und nur einige Beispiele der Potsdamer Ausstellung anbieten.

Die Reife des Alters hat meine damalige Hysterie für diese Kunst natürlich relativiert. Dennoch bleibt ein kunsthistoriches Interesse und eine nostalgische Nuance, die ich nicht abweisen möchte.

Yves Tanguy (1900-1955), „Angst“ 1949, Öl auf Leinwand

Für dieses Bild wäre ich vor fünfzig Jahren bis nach Madagaskar geschwommen, zumindest in meinen spätpubertären Träumen.

Doch sind damals diese Träume ohnehin in der Kloake DDR abgesoffen, denn schon zwischen Leipzig und Eisenach wurde man penetrant von irgendwelchen dümmlichen Deppen mit Fragen nach dem Reiseziel behelligt. Bis nach Madagaskar wäre es dann doch noch ein ganz schön langwieriger Weg gewesen.

Bei den Bildern Tanguys faszinierte mich damals diese Uneindeutigkeit des Horizonts, dieser labile, diffuse Übergang von Landmasse und Atmosphäre

Salvator Dali (1904-1989)

Ich vermute, es war 1968, als wir in unserer höheren Bildungsanstalt, „Erweiterte Oberschule“ (Die Bezeichnung Gymnasium kam im DDR- Sozialismus nicht in die Tüte), von einem bemerkenswerten Vorgang überrascht wurden.

Unser Kunsterzieher ließ zwischen diesem ganzen Sozialistischen-Realismus-Tinnef Dalis „Die brennende Giraffe“ durch die Bänke wandern. Bis heute unvergesslich und bei entsprechenden Veteranen-Treffen immer wieder mal ein Erinnerungsthema, egal ob mit oder ohne Feuerzangenbowle.

Wir hatten damals natürlich noch keine Ahnung und wussten nicht, dass z.B. auch Dali die Menschenverachtung feiert und er als Instrument imperialistischer Kriegshetze agiert. Auf diesem erbärmlichen Niveau nölte sich tatsächlich die DDR-Propaganda über die Runden des „Klassenkampfes“

Unser Kunsterzieher, so erinnere ich mich, gab zu diesem Bild keine Kommentare und wir fragten auch nicht. Auf irgendeiner, uns sicher noch nicht bewussten Ebene, hatten wir uns vielleicht verstanden. Denn so richtig bekloppt waren wir ja alle nicht.

Und trotz der penetranten Ablehhnug westeuropäischer, zeitgenössicher Kunst aller Bereiche gelang es im Casino, damals Leipzigs einziges einigermaßen kultiviertes Kino, Bunuels und Dalis „Ein andalusische Hund“ und „Das goldene Zeitalter“ auf die Leinwand zu bringen.

Als mitunter privilegierter Empfänger der Wellen des „Buschfunks“ erhielt ich auch Hinweise über Abläufe, die öffentlich zwar nicht vollständig versumpften, doch eher spärlich angeboten wurden.

Deshalb ergab sich z.B., daß ich eben zum Bunuel/Dali-Film „Ein andalusischer Hund“, zu Disneys „Schneewittchen“ oder zu der Tarzan-Version mit Johnny Weissmüller zur rechten Zeit am rechten Ort war, in diesen Fällen auf dem rechten Platz saß.

Ebenso bei der einmaligen Aufführung von Dänikens Film „Erinnerung an die Zukunft“, der umgehend von DDR-Kultur-Kunos verboten wurde, „um unsere Kinos nicht zu imperialistischen Bethallen zu degradieren“. Das Zitat ist sprachlich sicher nicht vollständig korrekt wiedergegeben, doch inhaltlich durchaus.

Wilfredo Lam (1902-1982) „Zambezia Zambezia“, 1950.

Gebürtiger Kubaner, sichtbare Verarbeitung der Kunst Picassos. Zelebriert eine totemistische, mythologische Bilderwelt, auch Darstellungen von Mensch und Tier in hybriden Abhängigkeiten

Paul Delvaux, (1897-1994), „Anbruch des Tages“, 1937

Weibliche Körper wachsen aus Baumstämmen hervor. Das freie Spiel von Interpretationen und Assoziationen kann beginnen. Auch für dieses Bild hätte ich vor fünfzig Jahren die schwimmende Bewältigung der Wasserroute nach Madagaskar riskiert.

Die intellektuelle Schärfe in seinen Bildern erschien mir bald etwas dürftig strukturiert, doch die Malerei an sich empfand ich grandios, vor allem der Titten und der adolfzieglerhaften Bearbeitung des weiblichen Schamhaares wegen.

Ich hoffe, ich kann jetzt trotzdem einer Einkerkerung wegen Sexismus entgehen. Und wegen der kunsthistorischen Erwähnung von Adolf Ziegler bin ich mitnichten ein Nazi, im Gegenteil.

Giorgio de Chirico (1888-1974 ) „Der beängstigende Vormittag“, 1912

Kunsthistorisch exakt wird de Chirico, gemeinsam mit Carlo Carrá, der Pittura metafisica zugeordnet.

Max Ernst ( 1881-1976) ) „Der König, der mit der Königin spielt“, 1944

Über dreißig Jahre teilten Max Ernst und Dorothea Tanning nicht nur das Frühstücksei und den Schlafsack, sie huldigten gemeinsam dem königlichsten Brettspiel mit steter Leidenschaft. D. Tanning musste erst nach 102 Jahren die Figuren aus der Hand legen. Auch von ihr wurden einige Bilder in die Potsdamer Ausstellung aufgenommen.

Remedios Varo (1908-1963 ), „Der Uhrmacher (Offenbarung)“, 1955. Spanische Malerin, in Mexiko geboren.

Weitere Teilnehmer der Ausstellung: z.B. Renè Magritte, Roberto Matta, Oscar Dominguez, André Masson, Leonor Fini…..

Zuvor wurde die Ausstellung, mit zusätzlichen Arbeiten angereichert, in Venedig gezeigt (Peggy Guggenheim Collection).

Fazit: Sehenswert

Natürlich verließ ich dieses Museum im Sommer des vergangenen Jahres nach der Ausstellung „Die Form der Freiheit. Internationale Abstraktion nach 1945″ durchaus beseelter und enthusiastischer (s.auch mein Text vom 29. August). Doch wie sagte schon unser großer Friedrich: „Jeder soll…“

Und außerdem entwickelte sich bei diesem abstrakten Ereignis der Besucherstrom eher zu einem gebändigten, überschaubaren Flüsschen. Sicherlich nicht die Wunschvorstellung der Museumsbetreiber, für mich aber eine Gnade.

Keine Körperberührungen, kein Schweißgeruch, kein Mensch steht vor einem Bild, vor dem ich gerade stehen will, kein dummes Gesülze vor einem Bild, vor dem ich gerade stehen wollte. Ich allein vor einem Bild, das ist wiederum eine Gnade.

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Januar 10, 2023 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar