Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne und die unregelmäßig bearbeitete Serie:“ Geschichten, die das Jürgen schreibt“ und zwanzig Spargelmahlzeiten, die Werkhalle von Rubens, Ensor in Ostende, Kinder auf Kühlern, Wurstfinger am Telefon, Belastungsbläschen am Handgelenk-Knorpel, Bimbo-Milchschnitten von Herrn Purzig-Stößel, Kuros von Tenea, am Grab August Leubelfings, Seume in Syrakus, Gustav Adolf II. im deutschen Gras, Klopstock in Schulpforte und die Pediküre südmadagassischer Schnür-Iltisse

Endlich…..
Ich denke, fünfzehn bis zwanzig Mahlzeiten sollten es in dieser Saison schon werden.

Spargel wurde in der Kunstgeschichte vor des Künstlers Imbiss nicht selten als Gemüse-Abbild auf Leinwände modelliert.
Ich denke dabei an Manet, doch vor allem an James Ensor, den grandiosen Belgier, zur Zeit leider nicht angemessen gewürdigt.

Wer an den Meeren Nordeuropas und deren Stränden nicht nur Rüssel, Titten oder Nüsse rösten möchte, sollte die Empfehlung eines Besuchs im Ensor-Museum Ostende (Nordsee) zur Kenntnis nehmen.
Nicht so der ganz große Knaller, es hängen nur Reproduktionen, doch immerhin.

Außerdem wurde Spargel auch als Zugabe zwischen die unzähligen Fresserei-Stillleben des 17./18. Jahrhunderts vermischt.
Mir fällt dabei der Rubens-Knecht Frans Snyders ein, der außerdem für Peter Paul nicht selten die tierischen Motive auf die Bilder malte.
Auch Jordeans soll ja in der Werkhalle von Rubens dessen halbfertige Bilder gefüllt haben.

Bei dieser Art grauenvoll inszenierter Foto-Aktionen denke ich fröstelnd an Bilder mit Kleinkindern, die ängstlich auf Dächern, Kühlern oder an Lenkrädern blassblöder Trabants thronen. Als Anschauungsmaterial für die Verwandschaft und die gesamte Straße, es geschafft zu haben und als Versprechen, Kind und Auto gleichberechtigt in der Garage zu umsorgen.
Auch Aufnahmen von Kindern, die mit ihren kleinen Wurstfingern Telefonhörer gelangweilt bis gequält umkrampfen, finde ich nicht originell oder süß oder niedlich, sondern einfach nur bekloppt.

Leipzigs größte Tageszeitung bleibt radikal auf dieser Linie.
Erwachsene Menschen werden in Situationen festgezurrt, bei denen sie dann wie dressierte Magerfrettchen agieren müssen, scheinbar nicht so recht wissen, worum es eigentlich geht, während im Handgelenk-Knorpel die Belastungsbläschen platzen und die Ambosse die Weiterleitung des Schalls verweigern.
Wie eine Therapie für etwas begriffsstutzige Zeitgenossen.

„Und jetzt nehmen wir den Hörer in die feine Hand (also die rechte), führen ihn an unser rechtes Ohr und sagen: Vielen Dank, Frau Klöden-Kaktus, für den Teddy. Und jetzt nehmen wir die linke Hand und führen den Hörer an das linke Ohr und sagen: Vielen Dank, Herr Purzig-Stößel für die Bimbo-Milchschnitte…..“

Und immer drollig grinsen, wie das berühmte „archaische Lächeln“ in der frühen Zeit griechischer Bildhauerei (Kouros von Tenea).

Das Thema ist da weitgehend gleichgültig.
Antworten von Nahkampfexperten zu Tarifreformen werden mit diesen einfältigen Posen, mit transpirierenden, schmalztriefenden Ohrlappen ebenso angekündigt (s.o.) wie eine akustische Wissensvermittlung über die Pediküre südmadagassischer Schnür-Iltisse.

Eine Erweiterung der Gestik, der Thematik angemessen, böte sich doch an.
Nicht immer diese töricht-lausigen Telefonhörer-Versteifungen.

So könnte z.B. bei der Ankündigung eines Telefonforums über gesunde Nahrung ein kotzendes Quintett abgebildet werden. Das wäre lustig.

Oder bei Fragen der Hals-Nasen-Ohren-Medizin sollte man Kollegen bei der Reinigung ihrer Nasenhöhlen ins Bild setzen. Und dabei kraftvoll mit den Fingern bis in die Randzonen des Gehirns vorpreschen.
Als raffinierte Variante könnte wechselnd das linke und rechte Nasenloch und gleichfalls alternativ mit Daumen oder Zeigefinger geputzt werden.
Das hätte zusätzlich eine ästhetische Brisanz und wäre auch sehr lustig.
Oder orgiastische und orgastische Gesichtsentgleisungen der Fernsprechbrigade bei der gedruckten Ankündigung von Fragestunden zu Themen wie Frühlingsgefühle, Genitalhygiene oder weibliche Lubrikation.
Allerdings müssten sich dann Hilfsredakteure der Zeitung entschließen, am Frenulum des Experten zu züngeln und an den Labien minora der Expertin zu nagen. Und dann kann fotografiert werden.
Das wäre natürlich gleichfalls lustig.

Nur nicht immer diese unerquickliche und ranzige Telefonhörer-Tristess.

Die Beschäftigung der Woche

Blick auf Naumburg

In den Weinbergen Naumburgs fläzen und auf der Terasse den viertürmigen, zweichörigen, spätromanischen Dom bzw. die eintürmige, spätgotische Wenzelskirche in den fernen Ebenenen suchen (links und rechts von dieser Spitz-Palme). Mit dem Grab August Leubelfings, der Page Gustav Adolfs II., des Schweden, der bei Lützen, wenige Kilometer vor Leipzig, im Figth mit Wallenstein in deutsches Gras biss.

Etwa drei Kilometer nach Lützen folgt dann Röcken, Geburtsort von Nietzsche.
In Lützen gibt es dann noch ein Seume-Museum. das ist der mit dem „Spaziergang nach Syrakus.“

Nach weiteren fünfzig Kilometern steht dann Grimma neben der Mulde, mit dem Göschenhaus, gleichfalls einer Seume-Gedenkstädte und mit Erinnerungen an Göschen, Verleger u.a.von Goethe und Schiller.
Aber auch Herausgeber der Bücher Klopstocks, dessen „Messias“ ich noch nicht vollständig gelesen habe (ich denke, das bleibt auch so).
Und Klopstock besuchte die Lehranstalt Schulpforte, unweit von Naumburg. Vor der Klosterkirche sollte man niederknien.
Neben Fichte und v.Ranke lernte dort auch Nietzsche, wodurch wieder der Weg zurück nach Lützen und Röcken bewältigt wurde.

So einfach ist das und so schön könnte die Beschäftigung an einem Samstag sein.

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April 28, 2012 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, eine Lanze für Aram Chatschaturian oder Chatschaturjan oder Chatschatrjan oder Khachaturian oder Xac´atryan, Gayaneh, Säbeltanz und Jägerchor, Love Sculpture, Synkopen und Ostinati, Weltraum-Odyssee mit Chatschaturjan, Giko, der Brandstifter, ein Tanz der Saporoscher (Saporoger), Robert Morley als Marginalie, Max Bruch und riechende Angehörige und Led Zeppelins Sargmusik

Chatschaturian oder Chatschaturjan oder Chatschatrjan oder Khachaturian oder Xac´ atryan in meiner Plattensammlung (links u. unten)

Es gibt auch Narine Khachatryan oder Chatschatrjan, Jahrgang 1979, gleichfalls aus Armenien. Vor einigen Jahren hörte ich von ihr ein Stück in Halle, aber ohne wesentlichen Eindruck.

Aram Chatschaturian oder Chatschaturjan oder Chatschatrjan oder Khachaturian oder Xac´atryan, 1903 in Tiflis (Tbilissi) geboren, verschieden 1978 in Moskau, wird ja ausschließlich mit diesem Säbelgehüpfe aus „Gayaneh“ verbunden. Auch wenn der Name Chatschaturian oder Chatschaturjan oder Chatschatrjan oder Khachaturian oder Xac´atryan nicht bekannt ist, diesen Hieb-u.- Stichwaffentanz von reichlich zwei Minuten kennt jeder. In musikalischen Wunschsendungen für schlichtere Zeitgenosen nudelt sich neben Freiheitsschor und Jägerchor (Verdi,Weber) auch der Säbeltanz regelmäßig in die guten Stuben.
So richtig saftig und gitarrenlastig dröhte der Titel dann aber als „Sabre Dance“ am Ausgang der sechziger Jahre durch die Röhren, von den Love Sculpture, in mindestens doppelter Länge. Das entsprach dann etwa unserer pubertären Schwellung im mittleren Körperbereich, als wir diesen Titel 25x hintereinander auflegten.

Und ich breche keinen Säbel, doch eine Lanze für Chatschaturjan und denke, dass es noch eine Reihe anderer Stücke aus seiner armenischen Feder gibt, die man ohne Bedenken und ohne sich anschließende Trommelfell-Fäulnis hören kann.
Natürlich wird es ihm musikhistorisch nicht gelingen, dass unbezwingbare russische, bzw. sowjetische Komponistenterzett aus Prokofjew, Strawinski und Schostakowitsch zu einem Quartett zu erweitern.
Dazu grub er zu eisern seine folkloristischen Wurzeln Armeniens aus, pflanzte sie zwischen seine Noten und wagte nur flüchtige Blicke kosmopolitischen Zuschnitts, die für Schostakowitsch und vor allem für Strawinski als wichtige Katalysatoren für deren Entwicklungen zu Komponisten mit Weltgeltung unverzichtbar waren.
Doch sollte die Freude an Chatschaturjans musikalischer Phantasie und den Reichtümern an Melodien, an den bunten Strauß von Synkopen und Ostinati nicht durch den gängigen Schmähruf „Provinzmusiker“ und „Estradenmusik“ gemindert werden.

Klavier-u.Violinenkonzert wurden immerhin in die zweite Garnitur regelmäßig gespielter Werke an den Musikhäusern aufgenommen.
Auch die Wiener Philharmoniker mussten nicht in ihre Posaunen und Trompeten kotzen und intonierten seine Stücke, unter der Aufsicht des Komponisten als Dirigent.
Gerhard Taschner und Heifetz geigten, Oistrach, Rostropowitsch, das grandiose Melos Quartett, Neeme Järvi und Roschdestwenski fidelten und dirigierten sich an diese Musik heran, Wilder und Kubrick vermischten sie in ihren Filmen, immerhin zwischen R.Strauss und Ligeti („2001:Odyssee im Weltraum“).
Und selbst André Rieu und das Johann Strauß Orchester haben ein Adagio Chatschaturjans einstudiert.

Sicherlich ist der Inhalt von „Gayaneh“ von strapazierender Schlichtheit.

Baumwollkolchose, 1941 in Armenien. Gajaneh arbeitet wie eine Blöde auf dem Feld, um ihr Land gegen die deutschen Henker zu verteidigen. Giko, ihr Mann füllt sich da lieber seine Rübe mit Wodka ab, kassiert böses Geld von bösen Spießgesellen und fackelt die Scheune der Kolchose ab. Gayaneh verrät ihn, Giko will sich mit dem gemeinsamen Kind im Feuer rösten. Mit Kasakow, dem Kolchosvorsitzenden naht die Rettung. Giko kommt in den Gulag, Gayaneh und Kasakow reiben sich ab sofort den Unterleib.
Bei der Feier zum Wiederaufbau der Scheune wird dann kollektiv gesoffen, gesungen und u.a.der Säbeltanz abgezuckt.
Kasakow zieht in den Krieg und Gayaneh arbeitet weiterhin wie eine Blöde auf dem Feld.
Und dazu gibt es eben Musik, z.B. einen Tanz der rosigen Jungfrauen oder die Volkstänze Lesginka und Gopak(Hopak)
Chatschaturjan unterstützt auch das Ballett „Spartacus“ u.a. mit einem Adagio für die Titelfigur und Phrygia. Klänge, nach denen auch Tschaikowskis Schwanenhälse hemmungslos rotieren würden.
Und die Schauspielmusik zur „Maskerade“ nach Lermontow vereinigt gleichfalls einige hörenswerte Stücke.
Die Pein mit Chatschaturjan besteht in dem durchaus hohen Bekanntheitsgrad eines Teils seiner Musik und der Unfähigkeit der Hörer für eine vorschriftsmäßige Zuordnung.
Ähnlich des Schicksals von Robert Morley, dessen kompakte Statur und einzigartige Mimik aus einem einzigartigen Gesicht jeder kennt, wobei der Name im öffentlichen Wissenspeicher aber nur als Marginalie gespeichert ist.
Ich werde vermutlich nicht anordnen, zum Volkstrauertag, anlässlich meines Kisten-Einstiegs, Musik von Chatschaturjan aufzulegen.
Ich glaube nicht, dass ich dadurch die Wanderung zu meinen ewigen Jagdgründen uneingeschränkt stimmungsvoll beginnen würde.

Auch keine Einwände gegen Mendelssohns Violinenkonzert als Trauertango oder gegen den Dauerkracher, mit dem das deutsche Volk besonders hingebungsvoll um ihre, inzwischen riechenden Anghörigen herumschnüffelt, Max Bruchs zweiter Satz des ersten Violinenkonzerts. Alles durchaus hörenswert.

Ich entscheide mich aber vielleicht für „In my time of drying“ von Led Zeppelin, Titel drei der Doppel-CD „Physical Graffiti“.
Länge etwa zwölf Minuten. Danach kann mein Fett im Feuer schmelzen.

Aber auch Chatschaturian sollte nicht vollständig vergessen werden.
Die musikalische Bindung an seine armenische Heimat könnte mit Grieg und Sibelius verglichen werden und deren norwegische, bzw. finnische Wurzelverarbeitung, zumindest etwas vergleichbar.

Zugabe
Gopak(Hopak) ist ein Tanz der Saporoscher (Saporoger). Deshalb unbedingt nochmals der Hinweis auf die Chemnitzer Kunstsammlungen und die Ausstellung der „Peredwischniki“, u.a. mit Repins Bild der Brief schreibenden Saporoscher (Saporoger) Kosaken.

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April 20, 2012 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und Grass und Gras, Kras und krass, Gruss und Gruß, Breter und Bretter, das singende, klingende Bäumchen, dünne Bretter und faulende Fichten, Sprachdurchfall, Originalitäts-Kobolde, cholerische Gene und „da muss nun Grass darüber wachsen.“

„Da muss nun Grass darüber wachsen“
Wenn ich diese sprachliche Witzsülze in irgendwelchen Witzsülzmedien lese oder höre, könnte ich, wie das hässliche Männlein im DEFA-Film „Das singende, klingende Bäumchen“, um das Feuer tänzeln und meine Missstimmung abbrüllen.

Osterfeuer 2012, Ahrenshoop, mit etwas infernalischen Akzenten.

Ich liebe die deutsche Sprache und habe selbst versucht, in Lexika, Katalogen, Zeitschriften, Zeitungen, bis zum Faltblatt, ihre Schönheit zu nutzen, zu würdigen und zu mehren.

Ein feinsinniger Einsatz von Metaphern und Allegorien, von Ironie, Satire und meinetwegen auch Zynismus veredelt meinen schreibenden, lesenden und hörenden Alltag.
Doch müssen diese Abläufe in ihren sprachlichen und inhaltlichen Abhängigkeiten schlüssige Strukturen bewahren und nicht, der plakativen Wirkung wegen, misshandelt werden.

Doch wenn ich lese und höre: „Da muss nun Grass darüber wachsen“, beginnen meine cholerischen Gene, zuständig für unkontrollierte Kreischorgien, wuchtig zu vibrieren.

„Da muss nun Grass darüber wachsen“. Ich lese dann auch: „Da muss nun Grass darüber wachsen“ und lese nicht „Da muss nun Gras darüber wachsen“. Ich denke auch nicht daran, diesen intellektuell unwürdigen Schritt von Grass zu Gras einzuschlagen.
Das verlangen zwar diese Originalitäts-Kobolde.
Ich lasse mich aber nicht zwingen, „Grass wachsen“ zu lesen und „Gras wachsen“ zu denken.
Es wäre ähnlich bekloppt, wenn Günter Grass versehentlich einmal Günter Kras hieße und es würde geschrieben, dass sein letztes Gedicht wieder „ganz schön krass“ daherkam.
Oder: „Da muss nun Kras darüber wachsen“ wenn Günter Grass zufällig als Künter Krass die „Krasharfe“ geschrieben hätte
Oder Günter Grass würde sich versehentlich Günter Gruss benennen und ein Gedicht wäre dann sein „letzter Gruß“.
Und Bodo Breter würde man mit dem Hinweis erniedrigen, dass in seinem Holzverarbeitungswerk „Faulende Fichte“ scheinbar nur noch „dünne Bretter“ gebohrt werden.
Dieser Sprachdurchfall ist einfach unter aller Sau.
Die wahre Bösartigkeit ergibt sich dann aber aus der ständigen Wiederholung von Grass und Gras in allen Medien, ähnlich wie der „Blechtrommler“. Und nicht nur in Blättern mit ohnehin gewöhnungsbedürftigen Verhältnis zur Sprache, auch von „seriösen“ Medien werden diese Auswürfe zelebriert.
Ich hoffe, diese Dummhüte haben wenigstens das Buch zu ihren Witzchen gelesen.
Es heißt „Die Blechtrommel“.

Zur Beruhigung

Ahrenshoop, Ostern 2012, Baum an der Steilküste mit Vogel, mittig

Eine Lerche wäre möglich, vielleicht eine Bergkalenderlerche, womöglich auch eine Transvaalspornlerche.
Aber sicher nur eine Sand-Stein-Heide-oder Feldlerche.
Auf alle Fälle ist dieses Flattertier kein Pinguin.
Und ein unvergleichlich positiv vitalisierenderer Anblick als die Kenntnisnahme der sprachlichen Kaspereien von irgenwelchen Faxenmachern.

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April 18, 2012 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, ein Gedicht von Günter Grass, alltägliche Stigmatisierungen, jüdische Diaspora seit 2500 Jahren, Holocaust in der Sonne, Loser im Nahen Osten, nationalsozialistische Runen, Grass und Hitler und Mielke, dicke Nüsse, eine Blechtrommel im Elite-Regal, ein Freundschaftszelt in Israel und die germanische Hodenschleiferei

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Günter Grass erachtete es als notwendig, Dinge zu verkünden, die verkündet werden müssen. Meint er. Abläufe, denen er bislang schweigend misstraute und deren Offenbarung er scheute, seiner Biografie und der Geschichte Deutschlands wegen.
Dieses „Gedicht“ ist natürlich handwerklich unterirdisch.
Doch weshalb diese hysterische Ablehnungs-u.Beipflichtungspenetranz beider Fan-Clubs, pro und contra Israel?

Grass hat Mechanismen im Nahen Osten beschrieben, die weitgehend zur informativen Grundausstattung gehören sollten.
Nur die Interpretation ist unterschiedlich. Man könnte Grass natürlich mit intellektueller Schwerfälligkeit widerspruchslos folgen.
Werde ich aber nicht.
Natürlich wurden bis heute mit Hilfe der Stigmatisierung „Antisemit“ und „Antizionist“ diffizile Zusammenhänge nicht selten gefährlich banalisiert.
Vertreter von Toleranz und Versöhnung, welche die legendären zwei Seiten einer Medaille beachten, schickt man in die Wüste oder sie werden mit rhetorisch groben Werkzeug gepfählt.

Doch will ich natürlich auch nicht mein Verständnis für die israelische Außenpolitik verhehlen, ohne gleich als „Judenfreund“ mit Weltherrschafts-Ambitionen klassifiziert zu werden.
Dabei genügt ein Inhaltsverzeichnis jüdischer Geschichte, die Kenntnis der Diaspora seit 2500 Jahren und ein Blick auf Israels geografisches Umfeld, um dieses Verständnis zu kultivieren.

Und ich bin nicht gewillt, den Holocaust als Schnee von gestern in der Sonne abzuladen.
Diese deutsche Schuld muss bleiben, für ewig.

Israel zelebriert die Notwendigkeit einer Verteidigung der eigenen Existenz mitunter bis zum Exzess.
Doch die Androhung präventiver Vernichtungsmöglichkeiten und die Aufhebung elementarer Menschenrechte können natürlich nicht akzeptiert werden.
Eine bittere Konstellation in dieser Erdregion.

Doch sollte man nicht einen fast fünfundachtzigjährigen Schriftsteller in die germanische Hodenschleiferei zerren. Dann eher die entsprechenden Politiker, die ewigen Loser im Nahen Osten.
Einreiseverbot, Forderungen nach der Aberkennung des Nobelpreises,
Hitlervergleiche, die Darbietung des seperaten SS bei Grass als nationalsozialistische Rune treiben mich zu einem schwer beherrschbaren Brechreiz.
Auch erschreckend einfältige Sprachspielchen wie: „Grass will ein Dichter sein, ist aber nicht mehr dicht“ erniedrigen schmählichst meinen intellektuellen Anspruch.
Grass und Hitler, Grass „analysiert“ Ähnlichkeiten in Israel mit Mechanismen der DDR-Staatssicherheit, einschließlich Dumm-Huf Mielke und Kamiuk labert: „Wer Schriftsteller boykottiert, wird am Ende Bücher verbrennen.“
Irgendwie ist das alles zu blöd.
Und heute nervt mich „Die Zeit“ mit dem Titel „Will Israel wirklich Krieg?“
Außerdem kann dieses Thema auch in privaten Gesprächen scheinbar nicht mehr geordnet werden. Mittlere Akzente werden mit rhetorischen Kettensägen vernichtet, Worte hacken wie Äxte, gleichgültig, ob pro oder contra.
Ich bin aber nicht gewillt, Gesprächspartnern zu folgen, die mit dicken Nüssen oder entzündeter Klitoris ihren halsstarrig vorgetragenen Quark abeitern.

Es muss künftig in das deutsche Vokabular die Möglichkeit aufgenommen werden, auch Israel Schuld zusprechen zu dürfen, ohne gleich als Antisemit auf die Streckbank magerer Gedankenzwerge geschnallt zu werden.
Aber ebenso sollte man Israels Reaktionen auf die Schuld anderer mit weiten Überblick beurteilen, ohne flugs eine zügige Vernichtungs-Expansion zu vermuten.
Leicht gesagt und fast unlösbar.

Ich werde „Die Blechtrommel“ nicht aus meinem Eliteregal für auserlesene Literatur entfernen und in das belletristische Hinterland verbannen.
Und ich hoffe, in Israel bald für einige Wochen mein Freundschaftszelt errichten zu können.

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April 12, 2012 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und die unregelmäßig bearbeitete Serie: „Geschichten, die das Jürgen schreibt“ und ein Jubel-Wochenende, May-Hysterie, Heinrich Manns und Kai Pflaumes Ejakulationen, Jürgen und Darwin auf der Beagle, Donizettis Opern, die Kinder des Kapitän Grant, eine Murmel auf einhundertundachtzig Seiten, Maskenball in Meppen, Carmen in Wanne Eickel, Moses zwischen Stühlen, Buschheuers „Verrücktheit“, ein Stachelschwein beim Biathlon und Dieter Roth am Rosa-Luxemburg-Platz

Vor einigen Wochen wagte ich den Versuch, bei einem nicht ganz unpopulären Versand-Schuppen ein Fleckchen Stoff zu erwerben, das mir meine gelegentliche Existenz in halb stehender, halb liegender und halb sitzender, also in fläzender Grundhaltung, noch lebenswerter macht.
Das sind dann die körperlichen Stellungen, welche meine Gedanken zu besonderer Tiefgründigkeit animieren.
Obwohl im hässlichen Katalog verzeichnet, konnte dieser Versand-Albtraum meinen Fläzlappen nicht liefern.
Sie entschuldigten sich schleimig und fragten, ob ich dennoch zufrieden bin.
Ich erstarrte, versuchte noch eine Analyse der Frage und löschte diesen schriftlichen Versand-Tinnef.
Seit Wochen erhalte ich nun Mails mit blöden Angeboten, obwohl ich meine Tastatur nie wieder mit der Anschrift dieser Versand-Ulfs behelligt habe.
Es blieb bei einer einzigen Kontaktaufnahme mit negativen Ausgang.
Und dennoch rüpeln mir diese Kretins täglich mit tausenden E-Mails die Nerven zu.
Obwohl mein einziger Wunsch-Artikel, im grottenhässlichen Katalog verzeichnet, nicht erfüllt wurde, aber scheinbar diese Versand-Tollpatsche trotzdem von meiner überbordenden Zufriedenheit ausgehen.
Es gibt Abläufe, die verstehe ich nicht.
Ein Höhepunkt ist dann das Sparangebot von zehn EURO, welches in ein Jubel-Wochenende münden soll (s.o.).
Ich stelle mir also vor, Familie Jürgen in jubelnden Umarmungen, vom Glück euphorisiert, zwei Tage ein Jubel, der nie enden sollte.
Und das für zehn blöde EURO, welche uns von dieser Rumpelbude aufgedrängt wurden.
Ich könnte mir ja ein Schnupftuch für zehn EURO erwerben, oder einen preiswerten Schuhanzieher für Schuhe mit Godzilla-Größe.
Doch das darf ich ja nicht. Ich muss einen weitaus teueren Artikel kaufen und dann werden mir zehn EURO abgezogen.
Und dann beginne ich zu jubeln, das gesamte Wochenende, ein Jubel-Wochenende.
Wenn ich also ein Schnupftuch für sechsundachtzig EURO plus neunundneunzig CENT wählte und nur sechsundsiebzig EURO plus neunundneunzig CENT in dieser Abfallhütte für Versandwesen bezahlen bräuchte, wir könnten jubeln, ein ganzes Jubel-Wochenende.
Dann würden wir jubeln und jubeln. Und wenn der Nasensekret-Lappen für sechsundachtzig EURO plus neunundneunzig CENT minus zehn EURO tropfnass zugerotzt ist, könnte ich mir während einer kleinen Jubelpause erneut bei dieser Versand-Halde ein Schnupftuch bestellen und wieder jubelnd zurotzen, für zehn EURO weniger.
Und ich würde jubeln und jubeln…..ein gesamtes Jubel-Wochenende, ein so genannter 10-EURO-Jubel…so schön und billig kann Leben sein.

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Karl May im Arbeitszimmer

Ich bekenne, bislang kein Wort von Karl May gelesen zu haben. Bei der gegenwärtigen May-Hysterie könnte dieses Versäumnis zu garstigen Fehleinschätzungen der Mitbürger über die Qualität meiner pubertären Entwicklungsstadien führen. Da werden dann Hesse, H. Mann, Seehofer, Kai Pflaume und andere Schnarchnasen zitiert, die bei einer Lektüre Mays scheinbar mit der ersten Ejakulation beschenkt wurden. May ignoriert zu haben, bedeutet heftige Defizite im damaligen pädagogischen Umfeld, eine Jugend in Ketten und überhaupt ist man dann ein Blödarsch.

Ich las damals Cooper, Gerstäcker, London, Defoes „Robinson Crusoe“ (mit den wundervollen Illustrationen von Gerhard Goßmann, der gleichfalls meine geliebten Märchenbücher „Die Wunderblume“ und „Die Zauberkappe“ filigran veredelte), außerdem London, Scott, Jules Verne, Poe, Bierce.
Ich war Reisebegleiter von Caillié nach Timbuktu, von Marco Polo, Livingstone, Amundsen, von Darwin auf der Beagle, fröstelte bei den prähistorischen Thrillern des tschechischen Paläontolgen Josef Augusta („Verwehtes Leben“, „Versteinerte Zeit“, „Große Entdeckungen“) und las fast täglich in einem Opernbuch, dessen Inhaltsbeschreibungen von Werken Verdis, Puccinis, Wagners, Donizettis, Bellinis,…. mich immer wieder faszinierten, ein Band vom Ende der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.

Aber Old Schätterhänd und Winnätu blieben mir bis heute unbekannt.
Ich denke aber, dass wird so bleiben. Also einmal Blödarsch, immer Blödarsch.
Um den Spott zu entgehen, werde ich dann doch eher mich den Kindern des Kapitäns Grant anschließen oder mich auf der Beagle verdingen, als Schiffsjunge.

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Murmel und Gabel

In der Berliner Volksbühne wird es im April noch vier bis fünf Vorstellungen geben, in denen nur das Wort „Murmel“ vorgetragen wird.
Neunzig Minuten nur „Murmel Murmel Murmel…..“. Das Stück schrieb Chaot Dieter Roth.
Eine Berliner Zeitung urteilte: „Eine Wohltat der Leere“ und schwärmte von dem Wort „Murmel“, welches „gesungen, geflötet, gebrüllt, ausgespuckt, runtergeschluckt, skandiert, rezitiert, buchstabiert, getanzt, angesagt, zwischengerufen wird, von einem Mann mit Tourette-Syndrom.“ Ich wurde selten derartig motiviert, Berliner Theater zu besuchen.
Roths literarische Vorlage besteht in etwa 180 Seiten. Und immer nur „Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel….“
Man muss dieses Wort einmal genussvoll formen, dann nochmals und nochmals und nochmals…..
Welch eine sprachliche Reinigung.
Sicher wäre es dazu notwendig, erhöhte Aufnahmebereitschaft und Toleranz anzustreben, um sich nicht ständig vor den alten, traditionellen Müll verneigen zu müssen.
Einen befreundeten Opernfanatiker wollte ich überzeugen, dass Verdis „Maskenball“ auch in der Umkleidekabine des Fußballstadions des 1.FC Meppen, 2. Mannschaft, ablaufen könnte. Seitdem dominiert eine stabile Kommunikations-Askese.
Ich bin immer wieder über die Engpässe und über das Unverständnis meiner Mitbürger für zeitgenössisch interpretierte Darbietungen irritiert und bezweifle die Notwendigkeit, z.B. bei „Aida“ trompetende Rüsselträger über die Bühne zu treiben. Oder bei „Carmen“ traditionell mösennasse Zigarettenarbeiterinnen zwischen der Architektur von Sevilla um Männer mit streng geformten Schrittinhalt kreisen zu lassen.
Warum nicht in der Personalabteilung von Karstadt oder in einer Kleingartensiedlung von Wanne-Eickel?

Ich sah vor einigen Jahren Schönbergs „Moses und Aron“(bei Schönberg nicht „Aaron“), in Leipzig, inszeniert von Tabori.
Auf der Bühne standen nur Stühle, nur Stühle, nur alberne, weitgehend unansehnliche Stühle. Sie wurden hin-und-her-gerückt, immer nur hin-und-her. Man setzte sich, erhob sich wieder….
Es entwickelte sich eine Aufführung von suggestiver Kraft, wie nur selten erlebt.

Alles zu seiner Zeit. Alles hat seine Berechtigung.
Aida zwischen Pyramiden und Elefanten und Aida zwischen den Fußballern von Meppen.
Moses auf dem Sinaiberg und Moses zwischen Stühlen.
Soviel Toleranz muss sein.
Bei Roths „Murmel“ könnte man sich prüfen.

Heute genügt ja schon der Stempel „Chaot“, um auf irgendwelchen Bestsellerlisten zu stehen, bei Talkrunden weitergereicht zu werden.
Keine Frage nach Anspruch, nach geistiger und handwerklicher Leistung. Hauptsache Chaot, ein lächerliches Kriterium.

Auch Else Buschheuer wird z.B. wieder gehuldigt, mit ihrer verletzend schlichten Broschüre „Verrückt bleiben“, oder so ähnlich.
Eine „Autorin“, die lärmend und grob Andersartigkeit proklamiert, doch sich als fleischiges Synonym für Opportunismus durch den Alltag windet. Und eine sprachlich ähnliche Befähigung anbietet, wie das Stachelschwein für Biathlon.

Die Glaubwürdigkeit und „Verrücktheit“ Roths lastet dabei auf unvergleichlich stabilerer Grundlage, obwohl ich seine Ergebnisse nicht immer als originäre Beiträge in die europäische Kulturgeschichte einordnen kann.
Zu leichtfüßig hat er, schon abgesteckte Wege, nur etwas vertieft.
Doch besser eine Murmel von Roth als das Oevre von Else Buschheuer.

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Die Unsäglichkeiten der Woche

—Das Philosophische Quartett mit Safranski und Sloterdijk wird beendet. Populist Precht wird als Ersatzlösung erwogen.

—Harald Schmidt geht, vielleicht kommt dafür der Bottich aus Marzahn.

—Ich vernahm gerade, ein Buch Daniela Katzenbergers belegt in der Verkaufsliste den vordersten Platz.
Wer ist Daniela Katzenberger?

—Es gibt Rundfunksender, die unablässig den Hörer beeindrucken wollen, mit: „Nur wir spielen ihre Lieblingsoldies“

Dann werden „Yes Sir, I Can Boogie (Baccara), „Mandy“( Manilow) oder die unerträgliche „Jugendliebe“ (Freudenberg) abgeschleimt.
( schauder…würg…spei…spritz…spül )

Woher nehmen diese Pfeifen eigentlich die Gewissheit, welche Oldies ich bevorzuge?

April 3, 2012 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar