Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne, Bernardo Bertolucci, Rigolettos Ouvertüre und ein Gespräch über „1900“

Das Cover von „1900“ ist natürlich von bestechender Dümmlichkeit und eine ästhetische Körperverletzung
Man würde auf eine Biografie Barkhorns oder Erich Hartmanns tippen.

Eine Gedenkminute für Bernardo Bertolucci

Zu einem uneingeschränkt tätigen Propagandisten für Bernado Bertolucci würde ich mich auf Grund meines ambivalenten Verhältnisses zu dessen Filmen nur bedingt eignen.

Eigentlich gibt es nur zwei Filme des gebürtigen Pamigiani (Einwohner Parmas), der sich aber schon während seiner Kindheit mit der Familie in Rom ansiedelte, die ich in die Top 139 meiner bevorzugten Filme aufnehmen würde und die folgerichtig meine DVD-Sammlung bereichern, „Der letzte Tango von Paris“ und „1900“.

Doch wer kann schon erwarten, dass zwei der selbst geschaffenen Filme, Gedichte, Novellen, Gemälde, Kompositionen, Kochrezepte, Rettich-Züchtungen….den kommenden Urknall überstehen werden.
Ich vermute, dass Nora Gomringer und Julia Engelmann es z.B. nicht erwarten sollten
Bertolucci durchaus.
Und ich bin überzeugt, dass schon zahlreiche Texte mit meiner Handschrift den Weg in ferne Galaxien angetreten sind.

Erstmalig sah ich „1900“, als sich mein Ekel vor linken Dogmen, vor linker Geschichtsfälschung, in der DDR bis zum Brechreiz zelebriert, vor schleimig-verlogenen Parteikadern befriedigend festigte.
Deshalb nervten mich auch durchaus die mitunter plakativ gesetzten Regie-Einfälle klassenkämpferischen Zuschnitts und die missionarischen Behelligungen in diesem Film von 1976.
Ich sah „1900“ in einem Leipziger Kino.

Doch schon die erste Szene (nach einem Vorgriff auf den Abschluss des fünfstündigen Streifens) aktivierte meine Gänsehautbildung bis in die Kniekehlen.
Ein als Rigoletto verkleideter Trunkenbold strauchelt in der Finsternis durch das Bild mit: „Giuseppe Verdi ist tot, Giuseppe Verdi ist tot…“
Und darüber dröhnen die unvergesslichen Orchester-Einschläge der Ouvertüre Rigolettos.

Und diese unvergleichliche Bildregie, diese Farben-Ästhetik und der regelrechte Kolorierungs-Exzess mit der Farbe Rot, allerdings wiederum mitunter grenzwertig.

Und natürlich die Schauspieler, trotz aller technischer und digitaler Dröhnungen auch heute noch das wichtigste Filmmaterial.
Robert de Niro und Gérard Depardieu als Söhne des Gutsbesitzers, bzw. des Landarbeiters, Burt Lancaster als vergreister Vertreter der alten Gutsherren-Generation und der diabolische Donald Sutherland als Verkörperung der „Neuen“ Zeit, des faschistischen Italiens.
Fünf Stunden eine Hymne auf die Schauspielkunst.

Mich treibt es nicht zu einer tiefschürfenden Analyse der Filme Bertoluccis, zu der ich zweifelsfrei fähig wäre, auch zu seinen Arbeiten, von denen mein DVD-Player wegen ihrer ungenießbaren Kunstgewerblichkeit verschont bleibt, z.B. „Little Buddha“.

Aber infolge jahrezeitlich geschuldeter Gesundheits-Defizite läuft bei mir momentan nichts, abgesehen von der grünen Grütze aus meiner Nase und dem Darm-Material mit der Konsistenz aufgelöster Brühwürfel aus dem Anus.

Bei einer Rotwein-Runde vor einigen Jahren dozierte ein Teilnehmer über die Ungenauigkeit des Filmtitels, denn wir müssten doch eigentlich wissen, dass Verdi 1901 verstarb und die Handlung beginnt mit Verdis Tod. „Warum also „1900“, legte er knackig nach.
Er starrte mir triumphierend in die Augen und wartete auf eine Huldigung.
Ich starrte zurück und überzeugte ihn davon, dass ich über wesentliche Daten von Leben und Werk Verdis informiert sei.
„Na und?“ engegnete er dann.
Ich versuchte anschließend etwas ängstlich, ihn zu überzeugen, dass es nicht um 1900, 1901 oder 1902…gehe, aber um ein neues Jahrhundert, um ein neues Zeitalter, welches sich ankündigte, um eine Zeitenwende.
Wenn Verdi sich 1898 verabschiedet hätte, der Filmtitel „1900“ wäre gleichfalls angemessen gewählt.
Hätte sich Bertolucci z.B. für den Filmtitel „1401“ entschieden, würde man eine gewisse Skepsis akzeptieren müssen, denn 1401 wurde Störtebekers Kopf ohne Restkörper dem Meer übergeben.
Er lachte hölzern, beharrte auf seiner Analyse und reduzierte seine intellektuelle Durchdringung des Films weiterhin auf diese Jahreszahl.
Bald gelang es mir aber, das Thema zu wechseln und wir debattieren nur noch über Autos, Fußball, Saufen, Ficken…


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November 28, 2018 Posted by | Film | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, Egon Schiele und was geschah auf einer Saalfelder Toilette?

LVZ, am vergangenen Freitag.

Endlich ein Beitrag, der mich über das Wochenende zu einer kreativen Stellungnahme herausforderte, der jeden Leser dazu zwang, Position zu beziehen, um dann mit effizienter Beharrlichkeit für sich selbst, aber auch im interessierten Kollektiv um die Ecke, eine humanistische und versöhnliche Erlösung zu finden.

Schiele-Denkmal in Tulln (2013)

Es bleibt natürlich eine Nuance Unzufriedenheit.

Denn die Abort-Flucht in Saalfeld erschien der Redaktion bedeutender als ein Hinweis auf Egon Schiele, der am 31. Oktober 1918 starb, also vor 100 Jahren.
Kein Wort über den österreichischen Maler, Zeichner, Opfer der spanischen Grippe mit 28 Jahren, nur wenige Tage nach seiner schwangeren Frau.
Kein Hinweis, geschweige eine Würdigung, weder vor noch nach dem Tag der gebackenen Luther-Rosen.

Und die Nuance Unzufriedenheit erweitert sich beträchtlich, wenn man zur Kenntnis nehmen musste, dass in diesem Blatt an herausragender Stelle z.B. über das Buch von Hartmut König berichtet wurde, eine der kulturpolitisch unappetitlichsten Figuren der DDR-Geschichte.

Oder über den 50. Jahrestag der Premiere von „Heisser Sommer“, gleichfalls unübersehbar in die Zeitung eingeordnet, diese einfältige Kino-Gurke im pubertären Spannungsfeld dampfender und sozialistisch aufgeheizter Testikel und Klitorides.

Bei diesem Anspruch braucht man natürlich keinen Egon Schiele.

Aber es hätte mich sicher interessiert, ob der Frau es gelang, die Aborttür zu verschließen oder sie sich mit ihrem Freund auf der Klobrille weiterkloppte und sich vielleicht gegenseitig die Abortbürste in den Rachen drückten.

Man wird einfach nicht mehr zuverlässig informiert.


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November 6, 2018 Posted by | Film, Kunst, Medien, Neben Leipzig | 1 Kommentar