Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne und die Longlist zum Deutschen Bücherpreis. Heute: „89/90“ von Peter Richter ( Verlag Luchterhand)

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Irgendein papierner Propaganda-Lappen zur Organisierung der X.Weltfestspiele 1973 in Berlin.

Mir wird hochgradig übel. Ich war zweiundzwanzig und hätte gern ein Led Zeppelin-Konzert gehört. Als Alternative wurde der Oktober-Klub mit seinem Musik-Kehricht und dem unsäglichen Hartmut König angeboten.

Diese Veranstaltung diente als Namensgeber eines Deutschen Demokratischen FDJ-Jugendklubs in Dresden, über den Peter Richter in seinem Buch „89/90“ schreibt und dessen Darlegung ich mir reinekeln soll.
Mitnichten.

Das Lebensgefühl einer rebellischen Generation am Ende der DDR

Sie sind der letzte Jahrgang, der noch alles mitmachen darf – damals in Dresden vom Sommer vor der Wende bis zur Wiedervereinigung: die lauen Freibadnächte und die Ausweiskontrollen durch die »Flics« auf der »Rue«, die Konzerte im FDJ-Jugendklub »X. Weltfestspiele« oder in der Kirche vom Plattenbaugebiet, wo ein Hippie, den sie »Kiste« nennen, weil er so dick ist, mit wachsamem Blick Suppe kocht für die Punks und ihre Pfarrerstöchter.

Sie sind die Letzten, die noch »vormilitärischen Unterricht« haben. Und sie sind die Ersten, die das dort Erlernte dann im Herbst 89 erst gegen die Staatsmacht anwenden. Und schließlich gegeneinander. Denn was bleibt dir denn, wenn du zum Fall der Mauer beiträgst, aber am nächsten Tag trotzdem eine Mathe-Arbeit schreiben musst, wenn deine Freundin eine gläubige Kommunistin ist und die Kumpels aus dem Freibad zu Neonazis werden?

Von der Unschuld des letzten Sommers im »Tal der Ahnungslosen« bis zu den Straßenschlachten rund um die deutsche Einheit: Peter Richter beschreibt in seinem autobiografischen Roman das chaotische Ende der DDR aus der Sicht eines damals Sechzehnjährigen – pointiert, authentisch und sprachlich brillant. Coming of Age im Schatten von Weltgeschichte.“

Anpreisung von Peter Richters Buch „89/90“ auf der Homepage des Luchterhand-Verlags.

Der Band wurde in die Longlist zum Deutschen Bücherpreis aufgenommen.

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Ich will keine Storys von Konzerten im FDJ-Klub „X.Weltfestspiele“ lesen oder über Konzerte in der Kirche vom Plattenbaugebiet, auch nicht vom Hippie, den sie „Kiste“ nannten.
Mich widert dieser ganze populistisch-kalkulierte Kram wuchtig an.

Diese banale Sülzerei über eigene „Erlebnisse“ um 89/90 als Sechzehnjähriger sind schwer erträglich.
Richter spricht während eines Interviews von seinem „Bildungsroman.“ Eine Anmaßung, wenn man mit dieser literarischen Gattung Autoren wie Hesse, Goethe, Keller oder Handke verbindet.
Von Wende-Apokalypsen berichtet er und sortiert das damalige Begrüßungsgeld in die Nähe der Apfelübergabe durch Eva an Adam ein, bezeichnet sich selbst forsch als Anarchisten und vergleicht das Ergebnis des Stroms der Ausreisenden mit der Wirkung einer Neutronenbombe.
Das ist alles so beleidigend dürftig.

Richter schreibt über den letzten 1.Mai und das letzte Wehrlager, in dem sie Nahkampf probten, durch die Botanik robbten und schossen. Abläufe, die sie dann 1990 gegen ihre ehemaligen Lehrmeister anwendeten und findet diese Verbindung derartig originell, dass er sie doppelt beschreibt.
Auch vertritt er, wiederum forsch, die Meinung, dass bei den Einheitsfeiern 1990 schon die aktuellen Pegida-Abläufe vorgeformt wurden und alle ohnehin nur Westgeld und Bananen gewählt haben.

Richter dehnt seine gedankliche Dürftigkeit in schmerzhafte Regionen aus, das einfältige Klischee wird zelebriert.

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Humble Pie und Blind Faith, statt Bananen….

Ich weiß nicht, in welchem Bunker Peter Richter die Wendezeit erlebt hat, ich habe mit meinem Begrüßungsgeld das Brücke-Museum in West-Berlin besucht und in der Kantstraße LP’s von Lou Reed, Blind Faith, Cream, Humble Pie….gekauft, mitnichten Bananen, auch kein Kukident, Klo-Papier oder Jever Pilsner.
Und im erweiterten Umfeld meiner zwischenmenschlichen Beziehungen erlebte ich keine andere Wende-Reaktion.

Richter „analysiert“ den Fachkräftemangel durch den Bevölkerungsverlust, die Existenz von Punks und Skinheads und ist der Meinung, dass neben dem Mauerfall auch noch Physikarbeiten in DDR-Schulen geschrieben wurden.
Er sprach von der Existenz eines Alltags neben den Aktivitäten der Montagsdemonstrationen.
Das war mir damals nicht aufgefallen.
Ich empfand mich selbst beim Alltag der Stuhlgangpressungen an vorderster Front unserer Bürgerrechtsbewegung.

Das war eine kurze Zusammenfassung eines Geprächs mit Peter Richter über das Anliegen seines Buches „89/90“ auf dem „Blauen Sofa“ während der diesjährigen Buchmesse.

Peter Richter ist ein Meister der Anspruchslosigkeit

Wieder ein Buch über den alltäglichen, tausendfach abgenudelten DDR-Quark, ohne jegliche literarische Geltung, ohne Verallgemeinerungen und Verfremdungen, welche die Bereitschaft nach Erkenntniserweiterung beträchtlich aktivieren könnten.
Ich möchte Literatur lesen und keine platt-realistischen Dokumentationen über einen FDJ-Klub, über eine sozialistische Hippie-Kiste als Koch und über Straßenschlachten rund um die deutsche Einheit.

Ich will feinsinnige Metaphern bewundern, Sprachbilder, die meinen Geist strapazieren, eine intelligente Verknüpfung fiktiver und realer Abläufe, die mich noch mehr beanspruchen, einfach nur Literatur will ich lesen.
Und wenn ich von einem erwachsenen Menschen mit derartigem Tinnef behelligt werde wie: „Der August haucht seine letzten Tage aus“, verändert sich meine Gesichtsfarbe, faltet sich meine Vorhaut und ich denke an die Schweriner Poetenseminare der DDR-FDJ.
Dieses Bild ist, schon rein jahreszeitlich betrachtet, ziemlich bekloppt (Es geht um den August 1989).

Denn „Hauch“ und „hauchen“ ist mit Nuancen der Melancholie, mit Romantik, Abschied, auch etwas Pessimismus besetzt.
Und der Monat August, die Zeit der Hitze, des Urlaubs, der Ernte, der Grill-Schwaden, der Kopulationen auf Sommerwiesen, haucht mitnichten. Es wird rangeklotzt, in allen Bereichen. Der August dampft und schwadet.
Natürlich wird auf der Sommerwiese im August mitunter ein „Je t’aime“ gehaucht, doch danach wird gleichfalls rangeklotzt.
Einen hauchenden Oktober oder November könnte ich mir dagegen gut vorstellen.
Doch soll Peter Richter herumhauchen, wo er mag.

Vielleicht meint er aber auch August Bebel oder August, den Starken, ihre letzten Tage aushauchend. Oder Auguste Rodin. Sicher ist dabei das „e“ nicht korrekt. Chronologische Zusammenhänge sollten gleichfalls überprüft werden. Doch bei solcherart Literatur wäre das ohnehin nicht auffällig.

Ähnliche Sorgen hatte ich bei Erich Loests Prosa. Seinem beharrlich durchgezogenen Leben gehört natürlich meine Hochachtung. Doch von einem Dichter oder Schriftsteller namens Loest kann ich nicht sprechen.
Sicher von einem verdienstvollen Chronisten, Dokumentaristen und Völkerrechtler. Aber Dichter geht gar nicht.

Mich überrascht ohnehin die fast tägliche und leichtfüßig organisierte Einordnung aktueller Autoren in die deutsche Literaturgeschichte.
Tellkamp wird dabei ganz locker Thomas Mann zur Seite gestellt. Und Ingo Schulze, ich hoffe, meine Erinnerungen sind korrekt, bringt scheinbar ähnliche Fähigkeiten zur Geltung, die Fontane in die Unvergleichlichkeit manövrierten.
Da lachen nicht nur die Hühner, da wiehert auch die Henne (Jürgen).

Und weshalb beklebt man Herta Müller 2015 mit dem Hölderlin-Preis der Universität und der Universitätsstadt Tübingen, ein internationaler Nachwuchs-Förderpreis.

Ich stelle dabei die außerordentliche Qualität ihrer Arbeiten keinesfalls in Frage. Die Verleihung des Nobelpreises war angemessen.
Doch H. Müller ist Jahrgang 1956, ein merkwürdiges Nachwuchsverständnis.
Der Komponist und Pianist György Kurtág erhielt die Auszeichnung im Alter von fünfundsiebzig Jahren.

Ich fühle mich überfordert, besonders im Angesicht zahlreicher Dichter jüngerer Jahrgänge , die als Nachwuchs ohne öffentliche Beachtung ziemlich chancenlos verdorren.
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Schnäppchen der Woche

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Diese CD bot mir Amazon für 22.96 statt 22.99 EURO an.
Eine noble Geste.

Zugabe

Vor einhundertfünfundzwanzig Jahren wurde Man Ray geboren. In einem späten Radio-Gespräch sagte er: „Ich glaube, ich bin zu einer Legende geworden…“

Gefällt mir recht gut,

In der deutschen Krautrock-Szene der 70er Jahre formierte sich eine Truppe mit Namen „Bohrmaschinen Bornholm“

Gefällt mir gleichfalls recht gut.

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August 27, 2015 Posted by | Geschichte, Leipzig, Literatur, Neben Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und ein Leserbrief an „Die Zeit“ (14.8.2015) zu einem Gespräch mit Juli Zeh, letzte Seite des Magazins. Außerdem die Weiterführung der außerordentlich begehrten Serie: Wo ist der Jürgen?

Sehr geehrte Damen und Herren,

Juli Zeh zog vor einigen Jahren von Leipzig in ein Dorf Brandenburgs, in der Hoffnung,dem „Polizeistaat“ Leipzig entfliehen zu können. Sie konnte Verbote, bzw. Einschränkungen in öffentlichen Arealen nicht mehr ertragen.
Sie sprach von Regelwut und Sicherheitswahn

Sie nervte das Verbot einer Radtour auf Bürgersteigen, einer Anleinung von Hunden in bevölkerten Bereichen und der Lärmreduzierung, gleichfalls in Zonen mit gehobener Homo-sapiens-Dichte.

Sie akzeptiert dabei abgefahrene Kleinkind-Beine und vom Fahrradlenker zerstörte Rentner-Nieren, sie verharmlost gleichfalls zerfleischte Säuglingsgesichter, hündisch organisierte Risswunden in breiter Palette und billigt den lärmenden Einfluss auf die nächtliche Schlafnotwendigkeit für Kinder und Mitmenschen mit entsprechenden Arbeitsrhythmen.

Aber dann freut sich Juli Zeh über ihren brandenburgischen Nachbarn, der seine Kreissäge erst ab 14 Uhr zum Einsatz bringt, die Stunde der Bettflucht von „Nachteule“ Zeh.

Sie folgert aus dieser freundlichen Geste, „….dass die Grundlage aller Freiheit Rücksichtsnahme ist.“

Ich erstarrte bei dieser vielleicht wahren, doch unerträglich populistisch- „philosophischen“ Mundhöhlen-Blähung, verglichen mit den Gründen ihrer Leipzig-Flucht (siehe oben).

Also Rücksichtnahme auf Julie Zeh, außerhalb ihres Einzugsgebietes darf herumgehackt werden.

An die Mittelmäßigkeit ihrer Literatur habe ich mich gewöhnt, sie interessiert mich nicht mehr.

Doch die Unaufrichtigkeit, die Manie nach medialer Präsenz und eine Spießigkeit, die nur Abläufe gelten lässt, die ihren infantil strukturierten Freiheitsvorstellungen entsprechen und andere Möglichkeiten eines zivilen, freiheitlichen Lebens in die Kategorie „Polizeistaat“ einordnet, um dann, bei egozentrischem Bedarf, leichtfüßig die anfangs vorgestellten Positionen zu verbiegen, beunruhigt und erheitert mich zugleich, ihrer markanten Dürftigkeit wegen.

Liebe Juli Zeh, bleiben Sie in Brandenburg, Leipzig braucht Sie mitnichten.

Und weshalb muss ich ….„lockte mich die Stadt mit einem Freiheitsversprechen…“ lesen und kurz darauf…„Freiheit war damals im Osten ja noch ein Versprechen…“
Was für ein doppeltes Gesülze! Ein Gespräch des Grauens.

Natürlich ist Deutschland eine Republik ausufernder Verbote und Anordnungen.
Doch im Angesicht von Merckx-Fanatikern und unangeleinten Hunden aus Baskerville in belebten Stadtarealen sowie der nächtlichen, phonstarken Belästigung durch zumeißt grauenhaft schlechte Musik, die selbst Wildkanichen zur Ohrenverstopfung treibt, kann ich kein Argument gegen gewisse Maßregelungen finden.
Denn wie sagte schon Juli Zeh: Die Grundlage aller Freiheit ist Rücksichtnahme.

Jürgen Henne

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Aus der schier unglaublich begehrten Serie „Wo ist der Jürgen ?

Heute: Wo ist der Jürgen auf einer Insel ?
Kenmare, Steinkreis, Südwest-Irland.

August 17, 2015 Posted by | Leipzig, Literatur, Neben Leipzig, Presse | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne ,“Station to Station“ von David Bowie, „Station to Station“ von Doug Aitken und Tolstois „Anna Karenina“ im „Deutschlandradio Kultur“

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Aus meinem Musikfundus: David Bowie., „Station to Station“

Wer im Verlauf der 70er Jahre nicht nur bei den Rubettes, Bay City Rollers, Boney M, Pussycat… ekstatisch den Konzertboden ableckte (Bei der Erinnerung an diese Musik bekomme ich Ohrenscharlach), wird bei der Erwähnung der Wortgruppe „Station to Station“ sicherlich sofort an David Bowie denken.

Diese Scheibe erschien 1976 und fügte sich in die überwältigende Zeit Bowies zwischen 1970 und 1977 ein, in der er die Musik erforschte und die Musikszene beherrschte, neben „Station to Station“ auch „The Man Who Sold the World“(1970), „Hunky Dory“(1971), „The Rise and Fall of Ziggy Stardust…“(1972), „Aladin Sane“(1973), „Young Americans“(1975), „Low“(1977), „Hereos“(1977).

Es war die Zeit, als Bowie und Iggy Pop in Berlin als Nachbarn wohnten, sich die Kante gaben und bemerkenswerte Musik produzierten. Mitunter gesellte sich Brian Eno hinzu. Eigentlich fehlte nur noch Jürgen Henne.
Vielleicht aber auch alles nur Legende.
Wer weiß das schon?

Neben Bowies „Hunky Dory“, Zappas „Sheik Yerbouti“ und einer Scheibe von Soft-Machine war „Station to Station“ der erste Tonträger, den meine selige Oma vor Jahrzehnten im Rentnerkoffer aus dem „Westen“ in den „Osten“ schmuggelte.

USA-Karte

Doch „Station to Station“ der Gegenwart flimmert durch die deutschen Kinos, ohne David Bowie.

Der Film von Doug Aitken, eine Austellung von ihm gibt es in der Schirn-Kunsthalle Frankfurt/M. bis Ende September, beschreibt eine Zugfahrt in vierundzwanzig Tagen über viertausend Kilometer von der Osküste zur Westküste Amerikas, von New York nach San Francisco.
Er organisiert eine rollende Dauerperformance mit Teilnehmern aller Kunst-Gewerke, mit bildenden Künstlern, Tänzern, Musikern, Dichtern….
An zehn Orten wird die Bremse bis zum Anschlag gezogen und Bahnhof-Architekturen beben bald bei den nachfolgenden Happenings.
Sonst dröhnt, rumort und vibriert es innerhalb der begrenzten Kubik-Meter eines Eisenbahnwaggons, für Klaustrophoben kein sicherer Hort für ausgedehnte Entspannungs-Übungen.
Es entstanden zweiundsechzig einminütige Kurzfilme, der Streifen endet also nach einer reichlichen Stunde.

Die Installierung der Eisenbahn wurde ja in Amerika zum Synonym einer Verteilung „zivilisatorischer“ Maßstäbe aus Teilen der „Alten Welt“ in der sogenannten „Neuen Welt.“

Kategorien wie Geschwindigkeit und Stillstand, Relationen der Bewegung, der Veränderung und der Zeit werden ebenso nicht vernachlässigt wie soziologische Erkundungen, wie psychische Wirrungen bei Grenzüberschreitungen und Dimensionen der Mensch-Technik-Natur-Verwicklungen.

Der Genius loci wird akustisch, optisch beschworen, die Sonne ist ständiger Begleiter.
Man ordnete der Eisenbahn aus vergangenen Zeiten einen Status zu, welcher den gegewärtigen Netzwerken entspricht und ihr wird prophezeit, perspektivisch der einzige Ort zu sein, an dem sich Reiche und Besitzlose vermischen.
Verstehe ich nicht, werde aber nachdenken, wenn mich eine Abkühlung erfrischt.
Meine Einsicht in zahlreiche Darbietungen und deren intellektuelle Grundierung ist oft gegeben, doch bleiben Hürden.

Doch für einen erweiterten Exkurs „Philosophie im Film“ eignen sich die derzeitigen Temperaturen nicht.
Es bleibt bei einem erweiterten Filmtipp. Ich bin staatlich anerkannter Senior und kann mir diese Souveränität leisten.

Patti Smith röhrt ein Train-Song. In meinem Verständnis mit Janis Joplin, Björk, Aretha Franklin, Grace Slick, Laurie Anderson, Yoko Ono…die Klimax weiblicher Musikkultur im erweiterten Pop-Bereich.
Ich sah sie vor einigen Jahren bei einem Konzert in Jena, sie rotzte immer noch auf den Bühnenboden.

Joseph Conrad wird zitiert, Jackson Brown sinniert unspektakulär und ohne Gesang über Bahnhöfe und Thurston Moore, Gründungsmitglied von Sonic Youth, knallt eine musikalische Kiste zwischen die Gleise, die mir eine flächendeckende Gänsehaut bescherte.

In einem Happening folgt das Bahnhofs-Volk dem stolzen Peitschenschwinger, ein sprechender Bigfoot zeigt uns seinen Wald der Flaschenbäume, Farbbomben explodieren, eine Laser-Performance veredelt die Verbindung einer erbarmungslosen Technik mit der nächtlichen Landschaft.
Congos, natürlich aus Jamaika, schüttelt ihren Reggae über die Strecke, Moroder klimpert im Zugabteil,
Cat Power zelebriert ihren Minimalismus, Straßenmusiker vor Ort genießen die Öffentlichkeit.

Auch der Schweizer Urs Fischer und der Deutsche Thomas Demand sind dabei.

Die Eisenbahn, bislang Synonym für Gemütlichkeit und Instrument gemächlich betriebener Standortwechsel kann zum psychischen und physischen Inferno mutieren. Aber auch zu einem Areal von uferloser Kreativität.

Dieser Film ist sicher keine Sensation, wäre aber Teil einer absolut nützlichen Freizeitgestaltung, mit erheblicher Horizonterweiterung, außerdem nur etwas umfangreicher als „In aller Feundschaft“.


Szenen meines senilen Alltags

Bei einem Gespräch über diesen Film sprach ich von „Porfermance, statt Performance.

Szenen radio-journalistischer Zumutungen

Innerhalb der Sendung „Musikalisches Sonntagsrätsel“, auf „Deutschlandradio Kultur“ die ich mit Freude verfolge, getrieben von dem Ehrgeiz, nicht nur das Lösungswort zu erfassen, sondern jeden einzelnene Buchstaben ohne Nachschlagewerk notieren zu können, wurde Tolstois Novelle „Anna Karenina“ gefordert.
Ich kenne natürlich seine „Kreutzersonate“, „Kosaken“, „Vater Sergius“ , also Novellen, vobei die Grenzen zur Erzählung natürlich fließend sind.

Aber um „Anna Karenina“, dieses umfangreiche Roman-Epos, in die Sparte „Novelle“ einzuordnen, muss man schon ein gerüttelt Maß Selbstbewusstsein anbieten können. Oder Dussligkeit.

Und wenn man sich vorstellt, dass die Widergabe dieser Sendung als Aufzeichnung erfolgte und der gesamte Mitarbeiterstab diese Ausführungen ohne Aufmüpfigkeit zur Kenntnis nahm, schwinden mir die Sinne.
Da kann man sich vorstellen, was für Truppenteile in dieser Redaktion agieren, in einer Kulturredaktion.
Bei einer Abteilung, die sich weitgehend mit ZOO-Storys oder Formel 1-Ereignissen auseinandersetzt, würde man sicher schweigen

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Aus meinem Bücherfundus, Maupassant, Meisternovellen

Ich empfehle ein Studium der tatsächlichen Novellen von Storm, Kleist, Keller oder Schnitzler, meinetewegen auch Maupassant oder Flaubert.
Und danach sollte ein Blick in „Anna Karenina“. folgen.



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August 12, 2015 Posted by | Film, Kunst, Leipzig, Musik | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne mit Verstreungen und Verstrickungen, Freude und Flaute von 0 bis 0 oder 12 bis 12

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Jürgen Henne als Meister der Organologie…..

Violine und Klavier im Schlösschen (Gohliser Schlösschen in Leipzig/Gohlis).
Eine Konzertanzeige in der einzigen Leipziger Tageszeitung (1./2. August).

Im weiteren Text wird dann die Teilnahme des Pianisten und eines Cellisten angekündigt.
Ein Cellist bei einem Konzert mit Werken für Klavier und Violine.
Das lässt mich durchaus stutzen.
Sicher sollte man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, nicht päpstlicher sein als der Papst, nicht den Kümmel aus dem Käse pulen und überhaupt die Kirche im Dorf lassen.

Und sicher rüttelt oder streicht man mehr oder weniger gewalttätig sowohl am Cello als auch an der Violine mit einem Bogen über die Saiten.
Beide Hohlkörper wurden in die Kategorie Streichinstrumente aufgenommen.

Ich stelle mir aber nun vor, in einem Konzertprogramm werden Hendrix-Variationen für Klavier und E-Gitarre annonciert, ein Zupfinstrument.
Auf der Bühne stehen aber ein Klavier und eine Harfe, gleichfalls ein Zupfinstrument. Also dann „Purple Haze“ und „Voodoo Child“ in Debussy-Manier.
Ich liebe Debussy, aber „All Along the Watchtower“ (Eigentlich von Dylan) an der Harfe. Müsste man sich daran gewöhnen.

Oder ein Konzert für Klavier und Triangel wird empfohlen, eindeutig ein Schlagzeug.
Doch die Bühne betreten ein Pianist und ein Kesselpauker, also ein Schlagzeuger für ein Schlaginstrument.
Als Ersatz für lieblich sanfte Triangelmusik ist die Kesselpauke nur bedingt geeignet. Eher als akustische Grundierung auf Charons Fähre bei der Fahrt auf dem Styx, unterstützt durch die dusslige Bellerei von Kerberos.

Oder der feierlich majestätische Gong (bzw. Tamtam), natürlich Schlaginstrumente, bei Mussorgskis Kiew-Tor wird durch eine Kesselpauke ersetzt. Oder durch eine Triangel oder durch ein Tamburin, auch ein Schlaginstrument.

Und wenn ich ein Stück Violine hören will, würde mich der Cello-Ersatz stören.
Und wenn ich mich auf ein Cello-Konzert vorbereite, könnte eine Violine missmutige Grundstimmung bei mir erzeugen.
So einfach ist Leben.
Natürlich sind beide Instrumente Wundergaben aus dem Elysium.

Ich bitte also, zukünftig die Benennung der Streichinstrumente in Beiträgen mit auffällig geringem Umfang präziser zu handhaben.

Ich weiß es immer noch nicht. Säbelte gestern, nur wenige Meter von meiner Behausung, nun ein Geiger oder ein Cellist an seinem Instrument herum.

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….. als bedeutender Züchter der Gemeinen Pertersilie…..

Für ein eingetragenes Mitglied der Senioren-Gesellschaft „Ewig köchle der Eintopf“ muss natürlich eine regelmäßige Ernte dieses Grünzeugs gewährleistet sein.
Nahrungssoziologische Umfragen machten deutlich, dass besonders der deutsche Mann eine kontinuierlich angebotene Schüsselverpflegung bevorzugt.
An meiner ausufernden Männlichkeit sollte deshalb nicht gezweifelt werden.
Und im sächsischen Ableger der UNESCO wird gemunkelt, meine Kartoffelsuppe und meine Erbsen-bzw. Reiseintöpfe zumindest in das mitteldeutsche Kulturerbe aufzunehmen.

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…..als Fachmann serieller Kunsttheorien in der Funktion eines Meisters der seriellen Fotografie (Leipzig/Eutritsch)…..

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…..als Meister der Obstbearbeitung (Johannisbeeren)…..

Wenn ich Mitmenschen begegne, die in Kaufanlagen ihren Beerenkorb mit ein paar Gramm vom benachbarten Gefäß anreichern, um sieben Cent zu sparen und sich dabei selbst und ihre atemberaubende Coolness feiern, würde ich gern die Aufforderung entgegennehmen: „Henker von Leipzig, walte Deines Amtes.“
Oder Pfirsiche kneten, bis der Fruchtstein sichtbar wird.
Oder wenn Brot und Brötchen bearbeitet werden, bis sich der Naseninhalt oder das feuchte Schamhaar von gerade abgeschlossenen Kratzhandlungen unter den schmutzigen Fingernägeln gelöst haben und mit der Teigware eine schmierig-körnige Einheit bildet.

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…..als Meister der Entomologie

Verbunden mit einem Beitrag der eher unregelmäßigen bearbeiteten aber beispiellos begehrten Serie: „Wo ist das Tier?“
Heute: „Wo ist die lebende Dekoration auf der Balkon-Flora?“

Filmtipp

„Die große Stille“
Über die „Grande Chartreuse“, Mutterkloster der Kartäuser, ein radikaler Schweigeorden, unweit von Grenoble.
Fast drei Stunden Natur-u.Klostergeräusche, einschließlich religiöse Abläufe.
Fast ohne die „normale“ menschliche Stimme.

Musiktipp

Brahms Konzert für Violine (es gibt nur das eine)
Dvorak Konzert für Violoncello (es gibt nur das eine)

Besonders geeignet für Journalisten (siehe oben)

Literaturtipp

Lyrik und Prosa von Ulrich Zieger (gest. 23. Juli 2015)

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August 4, 2015 Posted by | Leipzig, Musik, Presse, Verstreutes | Hinterlasse einen Kommentar