Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne, James Brown, Luciano Pavarotti und drei schöne Frauen

DDR-Tonträger von 1972

Ich würde nun nicht gerade die Ergebnisse einer Symbiose von sogenannter „Klassischer Musik“ mit Pop/Rock/Soul….auf meiner musikästhetischen Skala in den oberen Regionen ablegen.

Ich denke mit ordentlich ausgeprägtem Grauen z.B. an die Anmache der Tochter Elysiums durch Miguel Rios irgendwann am Beginn der 70er Jahre. Allerdings kann ich auch das Original nur noch unter großen Anstrengungen verfolgen

Oder die Verwurstung von Tschaikowskis „Capriccio Italien“ (s.o.) zu einer unsäglichen, deutschsprachigen Schlager-Gurke. Auch die Entscheidung Zarathustras, vor Sonnenaufgang die Menschen zu behelligen, von Richard Strauss in Noten gesetzt, wird in den Hitparaden im Verlauf der 70er Jahre aktuell interpretiert.

Emerson , Lake und Palmer flanieren mit Mussorgski durch eine Ausstellung und die DDR-Truppe Stern Meißen schindet sich mit unserem Modest auf einen kahlen Berg (Nach Mussorgskis Kisteneinstieg erlaubte sich Rimski-Korsakow eine doch recht rüde Veränderung).

Nichts gegen E+L+P, schon gar nichts gegen meinen hochverehrten Ravel, doch bevorzuge ich das Original Mussorgskis für Klavier.

Auch Jethro Tull nutzte das alte Zeug und flötete sich mit Ian Anderson durch eine Bourrée von Bach, ein höfischer Tanz des 16./17. Jahrh., der bis heute in einigen Regionen Frankreichs immer noch abgetänzelt wird.

Abgekniet bin ich aber vor der Säbeltanz-Variation (Chatschaturjan) durch Love Sculpture am Ende der 60er Jahre. Allerdings sollte man dabei den Lautstärkeregler über den Anschlag hinaus dreschen, bei dieser Musik muss das Parkett schmelzen und die Türklinken sich zu Korkenziehern verformen.

Bei Luciano Pavarotti und James Brown lief das etwas anders. Bei ihrem gemeinsamen Auftritt gab der wunderbare Schreihals nicht etwa den Cavaradossi und der wunderbare Tenor ächzte keinen Soul-Titel gegen die Wände. Beide sangen ihr eigenes Zeug, James Brown sein unvergleichliches „It`s A Man`s Man`s World“ und Pavarotti schob sich immer wieder einmal mit einer Musik dazwischen, die ich vielleicht kenne, vielleicht aber auch nicht und die vielleicht aus der italienischen Folklore stammt.

Also Luciano Pavarotti und James Brown für knapp fünf Minuten unter der Parole „Its A Man`s Man`s World“, diese textliche Mischung zwischen maskuliner Hybris und deren Einsicht in die Notwendigkeit femininer Anwesenheit auf einer Bühne im Parco Novi Sad von Modena.

Und ich konnte einer stabilen Faszination nicht entgehen, obwohl ich „nun nicht gerade die Ergebnisse einer Symbiose…..“ (s.o.). Die Gleichwertigkeit der gesanglichen Qualitäten und beider Charisma fügten sich zu fünf Minuten keineswegs entbehrlicher Unterhaltung.

Sicher werden durch dieses Arrangement keine neuen Maßstäbe für musikalische Darbietungen angekündigt, doch gelang es zumindest, mich zu einer zweimaligen Wiederholung zu bewegen.

Supremes, vor vielen Jahren erworben. Ich vermute, Diana Ross wurde mittig aufgestellt, bin aber nicht sicher

Zumal mich dieser Titel von James Brown seit 1966 freundlich begleitet, nicht täglich, auch nicht wöchentlich, doch immer wieder einmal legte und lege ich ihn in den entsprechenden Tonträger ein oder suchte in prähistorischen Zeiten auf quiekenden Rundfunkempfängern entsprechende Frequenzen. Schon wenige Monate zuvor hatte mich „I Got You. I Feel Good“, gleichfalls von James Brown, in die angemessene Soul/Blues-Euphorie gestürzt (1965).

Begonnen hat aber meine Zuneigung zur schwarzen Pop-Musik (sicher eine gewöhnungsbedürftige Beschreibung, doch fallen mir keine Alternativen ein) mit „Stop! In the Name of Love“ der Supremes (s.o., 1965) und „I Can`t Help Myself“ der Four Tops (1965). Natürlich verband ich als pubertierender Knabe die Musik mit der Schönheit dieser drei Frauen.

Ich hoffe, man bezichtigt mich nun nicht sexistischer und frauenverachtender Entgleisungen und ordnet mich nachträglich in die Rubrik „Frauenverachtende, sexistisch orientierte, jugendliche Drecksau der sechziger Jahre“ ein.

Während der folgenden Jahre standen nun auf meinen Radiowellen endlose Reihen schwarzer Komponisten und Interpreten, die sich die Klinken zu meinen Gehörgängen in die Hände gaben, die mir halfen, die Existenz in dieser kotzigen DDR zumindest etwas erträglicher zu machen und deren Musik ich gegenüber dem britischen Repertoire durchaus eine Gleichrangigkeit bescheinigte.

Spontan denke ich natürlich an James Brown, auch an Martha Reeves & the Vandellas, Ray Charles, Otis Redding, Arthur Conley, Aretha Franklin, Gladys Knigth & the Pips, Same & Dave, Wilson Pickett, Ike & Tina Turner, Eddie Floyd, Ben E. King, Temptation, Sly & the Family Stone, Marvin Gaye……damit konnte ich mich damals musikalisch doch recht lange über Wasser halten.

Aber danach mussten natürlich wieder die britischen Rillen glühen, zumindest aus den quiekenden, quietschenden, schwankenden, röchelnden Rundfunksendern der damaligen Zeit, z.B. mit Musik von Eric Burdon und Van Morrison, die souligsten und bluesigsten Stimmen im früheren Europa (Morrison ist Ire).

Womit sich der Kreis schließt.

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Juli 27, 2022 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und der Sinn des Lebens

Ich, nach vielen Stunden völlig entkräftet etwas links und etwas unterhalb des Zentrums im Vorhof zum Paradies, New York, Museum of Modern Art

Hin und wieder werde ich in diesen Tagen in geschriebener oder gesprochener Form nach meinen kulturellen Abläufen gefragt. Etwa so: „Na, Du warst doch bestimmt schon bei Wagner“ Gemeint ist ein Besuch bei einer Wagner-Oper innerhalb der aktuellen Darbietung aller Bühnenwerke des Leipziger Komponisten. Ich glaube, es sind dreizehn Opern (oder 14 oder 12, ich zähle nachher einmal durch) und das in reichlich drei Wochen…..stöhn, schlotter, schlotter…

Meine Antwort ist genormt: „Na, ich war noch nicht bei Wagner und das wird so bleiben, na“. Darauf folgt in der Regel, wiederum genormt: „Na, aber ich denke, Du hörst gern Wagner, na“. Darauf wieder ich, erneut genormt: „Na, eben deshalb war ich noch nicht in diesen Tagen bei Wagner, na“. Jetzt werden meine Kommunikationspartner häufig genormt stutzig und das Thema wird gewechselt.

Ich höre Wagner tatsächlich nicht ungern, er ist nicht meine Nummer 1, auch nicht 2 oder 3, doch die Aufnahme in die Top 10 bewältigt er locker. Und nachdem ich mich durch die neunhundert Seiten von Alex Ross gewütet habe, hat sich mein Wagner-Bild erheblich differenziert und ein Opernbesuch wird zu einem tiefschürfendem Erlebnis. Ich musste etwa dreihundert Namen nachschlagen, die mir unbekannt waren. Das Gespenst der Überforderung schwebte nicht am Horizont, es trat gegen meine Wohnungstür.

Aber mitnichten werde ich meine erweiterte Wagner-Kompetenz in diesem Leipziger Opern-Terror überprüfen. Ich will da nicht weiter herumnölen und den 450 Besuchern, die sich scheinbar alle 13 (oder 14 oder 12) Opern in etwa 25 Tagen in die Gehörgänge klatschen, wünsche ich ergiebige Wochen. Doch für mich kommen derartig voluminöse Zelebrierungen nicht in Frage. Ich kann diese gigantischen Zusammenballungen nur schwer ertragen. Und dieser merkwürdige Zwang, dabei sein zu müssen und dieser gleichfalls merkwürdige Zwang nach der Teilnahme an einer etwas elitären Gruppen-Euphorie.

Dreizehn Opern Wagners in reichlich drei Wochen (Ich habe nachgezählt, aber es gibt auch noch etwas unvollendeten Opernkram, soweit ich mich erinnere). Dreizehn Opern Wagners in reichlich drei Wochen. Mitunter scheint es mir, Musik spielt dabei keine Rolle mehr.

Und irgendwie habe ich auch das Gefühl, dass der Teufel der Banalisierung über der Bühne schwebt.

Innerhalb meiner bislang ausuferndsten Teilnahme an einem Musikereignis wurde ein Stück Kammermusik von Morton Feldman über fast sechs Stunden angeboten. Unvergesslich, schön lang und schön grandios. Aber dreizehn Stücke Feldmans in reichlich drei Wochen mit derartigen Ausdehnungen ? Und Wagner-Opern enden ja auch nicht gerade nach fünfundzwanzig Minuten.

Ich bin also dieser Leipziger Wagner-Aktion entwichen.

Ich werde mich auch niemals auf die Wiese im Rosental stellen, um Gewandhaus-Musik zu hören, während mein Hintermann mir seinen mitgebrachten, inzwischen halbverdauten Kartoffelsalat in die Nackenhaare rülpst.

Ich habe auch die Bach-Tage gemieden und werde die Mahler-Tage im kommenden Jahr meiden. Ich werde auch an der Leipziger Buchmesse vorbeischreiten und in dieser Zeit es bevorzugen, ein Buch zu lesen. Ich denke nicht daran, mir innerhalb eines Street Food Festivals den Magen zu verkleistern oder mit siebentausend anderen Radfahrern durch die Stadt zu ziehen und dabei beharrlich auf die Klingel zu dreschen. Und schon gar nicht folge ich vierzehntausend Laufschuhen, die unter dem Schrei „Leipzig läuft“ sich durch Architektur und Parks drängen und womöglich meine Achillessehne beschädigen. Bei Museumsnächten ziehe ich mich in den Keller zurück und bei Markttagen verstecke ich mich in meinem U-Boot.

Und auch von dieser unerträglichen Kollektiv-Hysterie im Zusammenhang mit der Berliner MoMA- Ausstellung 2004 hatte ich mich z.B. zügig entfernt und an den originalen Aufbewahrungsplätzen vorbeigeschaut (Foto oben).

„Na, aber was ist denn nun eigentlich Dein Sinn des Lebens, na“, höre ich jetzt schon sagen.

Und ich werde antworten: „Na, mein Sinn des Lebens besteht darin, derartige Ereignisse zu meiden, um Wagner zu hören, um Mahler zu hören, um Bücher zu lesen, um Museen zu besuchen……..,na.

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Juli 9, 2022 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und ein architektonisches Intermezzo unweit von Gohrisch

Gohrisch, Konzertscheune, auch diesmal Standort der Schostakowitsch-Tage (30.6-3.7 2022), während einer Konzertpause.

Ich werde nicht mäkeln, nicht murren, nörgeln, herummaulen und schiebe alles auf die Seuche, den Krieg, auf die Energie-Kosten und das Klima ohnehin. Denn das Programm war z.B. gewöhnungsbedürftig. So gab es am Sonnabend 19.30 Uhr sechs Klavierstücke, 1x Schostakowitsch, 1x Gubaidulina und 4x J.S.Bach. Das muss man mögen, für die Musik Bachs ist man in Leipzig gut aufgehoben. Auch bei der kompositorischen Qualität des diesjährigen Schostakowitsch-Preisträgers würde ich eine besorgte Kritik wagen. Desgleichen andere Abläufe steigerten mitnichten meine Wohllaungkeit. Außerdem wurde auf die Wiedergabe des 8.Streichquartetts verzichtet, eigentlich Ausgangspunkt für die Entwicklung dieser Schostakowitsch-Tage. Er schrieb es 1960 während seines Kuraufenthaltes eben in Gohrisch. Aber wie erwähnt, die Zeiten sind nicht gut für ausufernde Erwartungen.

Gohrisches Intermezzo in Pirna

Pirna, St Marien (1.Hälfte des 16.Jahrh.), Langhaus mit Netzgewölbe im Mittelschiff und Sterngewölbe in den Seitenschiffen. Bedeutende dreischiffige Hallenkirche der Spätgotik in Sachsen, neben der Annenkirche in Annaberg-Buchholz, St.Wolfgang in Schneeberg, Dom Freiberg, S.Peter und Paul in Görlitz….und einigen anderen, auch Leipzigs Nikolai- u. Thomaskirche wurden als spätgotische Hallenkirche in die Landschaft gestellt, nach entsprechenden Vorgängerbauten, zumeißt romanischen Zuschnitts.

Anders als bei basilikalen Strukturen haben die Schiffe des Langhauses einer Hallenkirche gleiche Höhenmaße, keinen Obergaden, doch eine gemeinsame Überdachung, diese Hinweise gelten nur als grobschlächtige Beschreibung. Über Basilika, Hallenkirche, Zentralbau, Saalkirche, Querkirche, die fünf wichtigsten Typen der Kirchenarchitektur, gibt es Bildungsmöglichkeiten in durchaus befriedigender Auswahl.

Pirna, St Marien, Mittelschiffgewölbe, Detail

Pirna, St. Marien, Chor, Fischblasengewölbe

Pirna, St. Marien, Gewölbedetail. Wundervoll groteske Gewölberippen haben sich in diesem Bau erhalten. Architekturteile ohne Sinn und Funktion, die sich herrlich albern in den Raum drehen oder schmiegen (Astrippen, Hobelspanrippen, Schleifenrippen). Die Beleuchtung war leider hochgradig grottig.

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Juli 6, 2022 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar