Juergen Henne Kunstkritik

Alte Filme-neu gesehen I Jürgen Henne alter Film“Höhenfeuer“ 1985 von Fredi M. Murer 2011 gesehen Text von 2011 alter Film „Höhenfeuer“ von Fredi M. Murer 1985 neu gesehen 2023 Neuauflage des Textes 2023 unverändert zwischen 2011 und 2023 unverändert zwischen Text von 2011 nach erstmaliger Sicht auf „Höhenfeuer“ von Fredi M. Murer und zweitmaliger Sicht auf „Höhenfeuer“ von Fredi M. Murer 2023. Alte Filme-neu gesehen II folgt.

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Wenn man locker und unbeschwert bei aktueller Literatur Parallelen zur griechischen Tragödie beschwört, wäre es möglich, dass die Zuhörer ihrem Gesprächspartner eine gewichtige Weisheit bescheinigen und beachtliche Wertschätzung zollen.
Ich benötige derartige Strategien nicht mehr, komme aber bei Fredi M. Murers Film „Höhenfeuer“ nicht an der Gewissheit vorbei, eben diese Traditionslinien in das antike Griechenland ziehen zu dürfen.

Der Handlungsort wurde irgendwo in der zentralen Schweiz angesiedelt, ist aber nicht bedeutend, könnte auch in Grönland oder Wanne Eickel liegen.
Auf einer abgelegenen Alp agieren der Vater, nicht gerade ein Toleranz-Tornado, die Mutter, sowie Tochter und Sohn, seit der Geburt taubstumm, der schon mal gern Kofferradios in Jauchengruben schmettert und Kühe mit aufgespannten Regenschirmen belästigt.

Isoliert suchen die Pubertierenden die Bewältigung dieser Beschwernisse, finden in der Einsamkeit als Lösung nur die geschwisterliche Extremannäherung, die in einer Schwangerschaft kulminiert.
Der Vater rastet aus und die Geschichte endet in einem Fiasko griechisch-antiken Zuschnitts um 400-500 v.Z., zumindest in Ansätzen.

Das Spiel beginnt mit der Nahaufnahme von zwei Maulwurffallen und den entsprechenden Inhalten. Die Opferzahl wird sich am Ende des Films wiederholen, allerdings keine Maulwürfe. Ich neige eher nicht dazu, bei jedem farbigen Schnürsenkel eine unverzichtbare Symbolik zu vermuten.

Doch ist „Höhenfeuer“ reich gesegnet mit allegorischen Bildern, Symbolen und Riten, die außerhalb der Schweizer Bergwelt mitunter nicht leicht zu entschlüsseln sind.
Trotz mancher regionaler Besonderheiten verblüfft die Story aber dennoch durch den hohen Grad von Allgemeingültigkeit.
In langen Einstellungen und einer fast schmerzhaften Genauigkeit werden die täglichen Verrichtungen auf der Alp zelebriert, wobei der Nahrungszubereitung und dem Verzehr dieser Ergebnisse ein erhöhter Stellenwert zugemessen wird. Das Interieur ist weitgehend abgedunkelt und wird von einer kargen, präzisen Kommunikation ausgefüllt, die in ihrer Schlichtheit aber auch existenzielle Fragen bereithält.

Für den Vater ist körperliche Arbeit die einzige Möglichkeit, das Leben zu bewältigen. .
„Die fressen alle mehr, als was sie schaffen, da unten“ (Filmzitat). Außerhalb seines überschaubaren Alp-Terrains scheinen nur noch Sodoms und Gomorrhas vor sich hin zu sumpfen.
Und so wird auch der Sohn das „Steinespalten“ als wichtige Aufgabe innerhalb seines Pubertätskampfes empfinden.

Dabei wird die familiäre Bindung durch solide Emotionen und gehobene Zuneigung gezeichnet und es ergeben sich innig ausgelebte Episoden (z.B die erste Rasur des Knaben mit Vaters Unterstützung).
Immer wieder wird das verschlossene und geöffnete Fenster als künstlerisches Bild eingesetzt und erhält in den letzten Filmszenen eine verstörende, poetische, aber konsequent abgeschlossene Bedeutung.

Murer verzichtet weitgehend auf die Vorführung monumentaler Gebirgspanoramen und verlässt sich auf die Wirkung des Details, auf eine sparsame, dennoch durchaus bedrohliche Filmakustik und eine edle Farbigkeit, die auch durch krasse Akzente bereichert wird.

Mitunter entwickelt er skurrile Abläufe.
So übernachten Tochter und Sohn auf der Alp, entfernt vom Elternhaus, bedeckt mit einem voluminösen Federbett und bald nackten Hintern unter sternigem Himmel und auf gleichfalls nacktem Boden.
Nach dem Finale überfliegt ein Hubschrauber mit Kuh im Gepäck die Alp.

Aber auch die erotischen Overtüren und sexuellen Irritationen werden von Murer ohne Geschwätzigkeit, Voyeurismus und ohne skandalträchtige Szenerien abgedreht. Man möchte es den Geschwistern gönnen.
Eine Verbindung von tiefer Zärtlichkeit, in einer ignoranten Welt, die keine Auswege anbietet.

Im Film wird Schwizerdütsch gesprochen.
„Höhenfeuer“ erhielt 1985 den Goldenen Leoparden auf dem Filmfestival in Locarno. Viel zu wenig.

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Februar 18, 2023 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, Benjamin Britten und eine journalistische Erbarmungslosigkeit

Mein bebilderter Winterwunsch und mein mögliches Fluchtziel vor dem alltäglichen Journalismus

Da fluten Zwischenspiele das Gewandhaus und mit der Dämmerung schweben schwelgend Geigennebel, während die Harfe verwunschen in den Dunst haucht. Ein Klang glüht am Sonntagmorgen und verzaubert den Mondschein, Melodiewellen rauschen im Puls des Schlagwerkes, besonders im finalen Sturm.

Urks, ich gönne mir etwas Erholung.

Da kündigen aufgebrachte Pauken die Bedrohung an, vom dunklen Streicherflirren geht Spannung aus, von Bläsern wehmütige Rufe. Musik bringt Raum und Publikum zum Zittern. Es gibt fließende, zermürbende Introspektionen. Der Dirigent bleibt bei seinem großen gespannten, hitzigen Schlag und es gibt das Auf und Ab in der Liebe des Komponisten.

Urks, ich benötige erneut eine Pause.

In der düsteren Hektik der Streicher rühren und schwelgen warm die Kontrabässe und dramatisieren die Pauken. Es strahlen auch Holz- und Blechbläser, wenn sie zänkisch konturieren oder enttäuscht raunen. Und dabei flirrtet die Klarinette warmherzig, das Fagott träumt melancholisch, während die Hörner erregt glühen.

Nach diesem Presse-Text glüht mein Horn mitnichten erregt. Mir ist eher übel und nicht nur mein Horn erwartet jetzt einen heftigen Schluck aus der Wein-Pulle.

Nein, das sind keine Versuche der dreizehnjährigen Annerose, während der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ihre Leidenschaft für Musik zu einem Eintrag in das Poesie-Album ihrer guten Freundin Angelika zu nutzen.

Es ist die Zusammenfassung des Textes zu der Besprechung eines Konzerts, welcher am 12. Februar 2023 in Leipzigs Volkszeitung geklebt wurde, also vor drei Tagen.

Auf der überschaubaren Fläche von etwa einem Viertel der normalen Zeitungsausdehnung gelingt es der Verfasserin tatsächlich, diese überbordende Dosis journalistischer Erbarmungslosigkeiten zu entwickeln. Doch nicht etwa im Zusammenhang mit Musik zu irgendwelchen schlüpfrigen Filmen oder zu nervend dünnen Estraden-Klängen.

Musik von Benjamin Britten und William Walton sind das Ziel dieser journalistischen Zumutung.

Benjamin Britten ist sicherlich keine revolutionär agierende Dampf-Maschine innerhalb der Tonkunst des 20. Jahrhunderts, er zelebrierte eher konservativ gesetzte Noten. Die Musik ist dennoch herausragend. Er komponierte z.B. mit „Peter Grimes“ eine der wesentlichen Opern der Nachkriegszeit.

Die Musik Benjamin Brittens sollte man ernst nehmen, die Schreiberin dieser Konzert-Kritik wählte die Erniedrigung. Weil die Kompetenz fehlte, musste der Text mit verschlierter, hochgradig unbekömmlicher Sülze angereichert werden. Keine gute Entscheidung. Und sicher auch kein guter Weg die allgegenwärtige Distanz des Konzert-Publikums zur Musik des 20./21. Jahrhunderts zu verringern.

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Februar 15, 2023 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne als Besucher, Roy Lichtenstein und Robert Rauschenberg als Aussteller im Kunstverein Apolda. Plakate der amerikanischen Pop Art. Bis 18. Juni 2023, Dienstag-Sonntag 10-17 Uhr

Kunstverein Apolda

Wenn sich meine Sinnesorgane, sei es optisch oder akustisch, mit der kunsthistorischen Kategorie „Pop Art“ kreuzen, denke ich spontan an Andy Warhol. Doch eher weniger an seine Marilyn-Monroe-Serie, gleichfalls weniger an Mao oder an Campbells Suppendosen.

Meine Erinnerungen treffen auf Schnabels Film „Basquiat“ und dann wiederum weniger auf Warhol, aber auf David Bowie, der Warhol cineastisch verkörpert. Sicherlich hat dieser Streifen nicht die Versuche revolutioniert, Künstlerbiographien tiefschürfend anzubieten. Und ich habe ohnehin spürbare Sorgen, diese oft einfältigen, emotional unerträglichen Film-Gurken zu ertragen.

Ich erinnere mich an einen Film vor vielen Jahrzehnten, in dem Verdi an seinem Lebensende hungernd, einsam, frierend, von der Welt vergessen, in einem rattigen Nebengelass abgestellt wurde.

Damalige Informationsquellen berichten von 300 000 Zeitgenossen, die dem Sarg Verdis folgten, vielleicht waren es auch nur 200 000, vielleicht auch nur Zehntausende. Ich vermute, das Traueraufgebot für mich wird erheblich reduzierter ausfallen. Aber vielleicht schreibe ich auch noch eine Oper.

Aber trotz meiner Skepsis gegenüber diesem Film-Genre erfreue ich mich bei „Basquiat“ eben an David Bowie, an Dennis Hopper, Gary Oldman, Courtney Love, Benicio del Toro, Willem Dafoe, Christopher Walken, begleitet von der Musik u.a. Van Morrisons, der Rolling Stones („Beast of Burden“), von Iggy Pop, Tom Waits, Charlie Parker, John Cale, Miles Davis ….,auch Góreckis 3. Sinfonie ist dabei. Da kommt man über zwei Stunden gut durch die Zeit.

Und in diesem musikalischen Zusammenhang empfehle ich streng Bette Midlers öffentliche Bühnen-Version von „Beast of Burden“), in der 3.42 Minuten-Ausgabe. Gibt es bei YouTube.

Und ich denke natürlich an New York, wo ich mit Pop Art zufriedenstellend gesättig wurde. Auch erinnere ich mich z.B. an Berlin während der 90er Jahre, als in der damaligen Dependance Guggenheim flächenmäßig ausufende Bilder von James Rosenquist gezeigt wurden. Leider rangiert Rosenquist aktuell eher in der zweiten Reihe der Pop Art.

Und nun Pop-Art-Plakate von Roy Lichtenstein und Robert Rauschenberg im Kunstverein Apolda.

Ich werde mich auf einige Arbeiten Roy Lichtensteins als Antriebsmaterial für den Besuch dieser Ausstellung beschränken.

Bei Rauschenbergs Kunst haben sich bei mir schon jeher Spuren von Distanz ergeben.

Sicherlich sind sie das Ergebnis meiner grundsätzlich reduzierten Freude an der Collage oder an Ergebnissen mit collagehaften Tendenzen, verstärkt durch die Verwendung und die Verschränkung von z.B. Fotos mit aktueller Zeitkritik und politischen Stellungnahmen, die mich in der bildenden Kunst durch ihre Plakativität und ihren Klassenkampfgestus mitunter recht heftig nerven. Sie aktivieren nicht selten meinen Rückblick auf die kindlich/jugendliche Wandzeitungsgestaltung, die in der DDR von Funktionären mit psychopatischen Agitationsbedürfnissen für jedes Klassenzimmer durchgesetzt wurde.

Ich kann dabei stramm meinen Beitrag als Zeitzeuge leisten, denn ich agierte 1964/65 an der größten Schule Leipzigs als Wandzeitungsredakteur.

Aber es wäre natürlich unredlich, Rauschenbergs überragende Bedeutung für die Kunst der zweiten Hälfte des vergangenenen Jahrhunderts zu leugen, diese etwas gebremste Zuneigung bleibt mein privates Problem.

Nur noch ein paar Notizen zu Lichtenstein, Literatur zur Pop Art wird reichlich angeboten.

Von 1943/46 wurde er in Europa zu militärischer Anwesenheit in Europa verpflichtet, nachdem er 1923 in eine Wiege Manhattans befördert wurde. Wie so üblich zelebrierte er zunächst Historien/Genre-Malerei, werkelte in Maßen expressionistisch, kubistisch und futuristisch, hatte 1951 in Cleveland seine erste Ausstellung, die keine Sau interessierte und wurde am Beginn der 60er Jahre der Lichtenstein, den man bis heute mit Roy Lichtenstein verbindet.

Es ergaben sich Kontake z.B. zu Allan Kaprow, einem frühen Frettchen für Happenings und Environments und zu John Cage und er vereinigte sich bald mit Andy Warhol, Claes Oldenburg und James Rosenquist zur Elite der New Yorker Pop-Art.

Lichtenstein verarbeitete nun ziemlich radikal die amerikanische Populärkultur, ihre Philosophie des Konsums und der kommerziellen Waren – Hysterie.

Er wühlte in Zeitungsinseraten, in Branchenbüchern, in Versandhauskatalogen, Comic-Strips und Cartoons, vermeidet jegliche Individualisierungen seiner Darsteller, nutzt fast ausschließlich Primärfarben, setzt die Rasterpunkttechnik in Malerei um und malt sich damit in die erste Reihe der Kunstgeschichte des vergangenen Jahrhunderts.

Er beschreibt in den Bildern seinen Widerwillen gegenüber der Arroganz einer elitären Kunst zu den Geschäften der unteren Ebenen, ironisiert den damals allgegenwärtigen Abstrakten Expressionismus, verarbeitet die Kunstgeschichte, z.B mit Motiven von Monet, Matisse, Léger, Carrà und beschenkt die amerikanische Pop Art mit einem unverwechselbaen Oeuvre.

Das umfangreichste Angebot von Arbeiten Lichtensteins in Deutschland, vielleicht auch im europäischen Maßstab, wird in der Sammlung Ludwig in Köln gelagert.

Die abgebildeten Plakate von Roy Lichtenstein ( Offsetlithographie, Siebdruck, 60er/70er Jahre ) beinhalten Ankündigungen und Werbung eigener Ausstellungen sowie Hinweise auf unterschiedliche Kulturveranstaltungen (Film Theater).

Letzter Hinweis

Eigentlich begann die Pop Art in Großbritannien, doch das ist eine andere Geschichte

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Februar 7, 2023 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar