Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne, Jürgen Serke und die verbrannten, unvergessenen Dichter und die verbrannten, vergessenen Dichter

Erich Kästner, Heinrich Mann, Kurt Tucholsky, LVZ, 6./7. Mai 2023

LVZ, 6./7. Mai 2023

Irmgard Keun, Walter Mehring, Ivan Goll, Claire Goll, Else Lasker-Schüler, LVZ, 6./7. Mai 2023

Ich weiß schon seit langen Zeiten um die Existenz des Buches „Die verbrannten Dichter“ von Jürgen Serke, Ende der 70er Jahre veröffentlicht, doch gelesen habe ich es mitnichten. Ich vermute, daß ich diesen Status ändern werde. Die Inspiration für diesen möglichen Vorgang erhielt ich aber keinesfalls von einem Artikel in der Wochenendausgabe einer Tageszeitung, unter der aufdringlich pathetischen Überschrift „Der Retter der verbrannten Dichter“.

Denn der erste Blick, der erste optische Eintritt zu diesen zwei Seiten hat mich doch ausreichend irritiert und ich näherte mich dem Zustand einer unerquicklichen Unterforderung (Fotos, s.o.).

Denn Serke schreibt von verbrannten Dichtern, von vergessenen Dichtern, von vergessenen Dichtern, deren Bücher u.a. am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz vernichtet wurden und die er wieder ins Bewusstsein gerückt hat. Anlässlich einer Neuauflage des Buches, ich vermute in veränderter, erweiterter Form, wurde dieser Text in die Zeitung gesetzt, gemeinsam mit den Abbildungen einzelner Dichter (s.o.)

Die Kenntnis über dieVerbrennung der Bücher von z.B. H. Mann, E. Kästner, K. Tucholsky dürfte weit verbreitetes Standartwissen sein, wurde nie vergessen und steht in jedem Schulbuch. Aber auch W. Mehring, I.Goll, C.Goll und vor allem E. Lasker-Schüler musste man keineswegs aus der Vergessenheits-Grotte ziehen. Die öffentliche Aufmerksamkeit sortierte diese Autoren zwar weitgehend in weniger üppige Schlagzeilen, doch vergessen waren sie nie.

Denn selbst der großartige Band „Expressionistische Lyrik“ (1969) aus dem Aufbau-Verlag übernahm Gedichte von I.Goll, C.Goll und Lasker-Schüler, an der Seite von Benn, Trakl, Georg Heym…..,, eine Sternstunde der DDR-Buchherstellung während dieser Jahre (s.u.)

Natürlich wurden die Bücher von H.Mann, Kästner und Tucholsky, von I. Goll, C. Goll, W. Mehring und Lasker-Schüler verbrannt oder in anderer Form geschändet, eine grandiose Leistung Jürgen Serkes, diese unerträglichen, verheerenden Aktionen zu dokumentieren.

Doch hätte ich mir gewünscht, in diesem Zusammehang nicht die Porträts von H. Mann, E. Kästner, K. Tucholsky, I. Goll, C. Goll und E. Lasker-Schüler innerhalb einer Zeitungsbesprechung zu sehen (s.o.), aber eher Autoren, deren Bücher gleichfalls brannten und die tatsächlich in den Vergessenheitsgrotten erniedrigt wurden. Und die Jürgen Serke wieder ins Bewusstsein gerückt hat.

Wenn die Zeitung großlettrig ein Buch ankündigt, das verbrannte, unvergessene Dichter und zahlreiche verbrannte, vergessene Dichter vereint, würden sich Neugier und mein Spannungsbogen spürbar straffen. Doch nach der optischen Kenntnisse der Bildnisse von z.B. H. Mann, E. Kästner, K. Tucholski…..ähnelt mein Spannungsbogen einer ausgemergelten Herrensocke nach Starkregen auf einer Pappel.

Aufbau Verlag 1969

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Mai 8, 2023 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und „Metablau und Gestautes Grün“ – Eine Ausstellung der Chemnitzer Kunstsammlungen aus dem Kollektionsbestand der Schenkung von Brigitte und Hans Robert Thomas

Günther Fruhtrunk, „Farbbewegungen“, aus einer Mappe mit sechs Farbserigrafien, 1970, Chemnitz, Kunstsammlungen, Schenkung von Brigitte und Hans Robert Thomas

Bei Ausstellungen privater Kunstsammlerinnen und privater Kunstsammler oder bei deren Teilnahme mit einzelnen Arbeiten an übergreifenden Aktionen schaltet sich bei mir zunächst ein Warnsystem ein, das ein gerüttelt Maß an Skepsis erzeugt. Denn nicht selten hängt oder steht dann doch recht reichlich Müll herum.

Natürlich gibt es auch Privatsammlungen von hochrangiger Qualität, z.B. die Solomon R. Guggenheim Sammlung im New Yorker Stadtteil Upper East Side, gleich neben dem Central-Park, deren Fundament aus der frühen Privat-Kollektion des Namensgebers besteht. Während unserer Einquartierung in der Stadt hatte sich unsere Glückssträhne aber ziemlich ausgedünnt. Denn irgendwie gab es in diesem Haus nicht viel zu sehen, Bestände waren ausgelagert oder für Ausstellungen in der Welt unterwegs, ich weiß es nicht mehr genau.

Doch meine Misslaunigkeit löste sich zügig auf, als ich tags darauf das Eingangsportal zum Museum of Modern Art durchschritten hatte. Da fällt man ja nach der Betretung jedes neuen Raumes fast in ein deftiges Euphorie-Koma.

Ähnlichen Abläufen stellte ich mich beselt im Palazzo Venier dei Leonie am venezianischen Canal Grande beim Besuch der privaten Sammlung Peggy Guggenheim, ein im Grunde makelloser Überblick über die Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Solomon R. G. (s.o) ist ihr Onkel, der Vater mietete eine Kabine auf der Titanic und erschien nicht auf der Liste der geretteten Passagiere.

Aber auch in Deutschland gibt es bemerkenswerte Privat-Sammlungen.

Ich denke spontan an die Sammlung Gerlinger (Kunst der Dresdner „Brücke“), die am Beginn des 21. Jahrh. etwa einhundertzweiundneunzig Monate im Museum der Hallenser Moritzburg aufbewahrt und gezeigt wurde, nur dreißig Kilometer von meiner Heimststadt entfernt. Zuvor wurde sie in Gottdorf und danach am Starnberger See innerhalb des Buchheim-Museums aufgebaut. Ein wesentlicher Grund für die Vertragslösung und den Abtransport der Sammlung aus Halle bestand möglicherweise in dem nebulösen Verlust eines Selbstbildnisses Karl Schmidt-Rottluffs.

Eine markante Ausstrahlung auf mein Verständnis für die unmittelbar zeitgenössische Kunst vor Ort entwickelte sich während der 90er Jahre neben den Besuchen zur documenta in Kassel (1992/1997, davor bekam ich von DDR-Kultur-Dödels keine Genehmigung) vor allem durch die Sammlung Falckenberg, von deren erstrangigem Angebot einige Teile im Winter 1999 in Leipzig ausgepackt wurden. Schwerpunkt bilden dabei amerikanische und deutsche Arbeiten ab den 80er Jahren, aber auch z.B. die Kunst der Wiener Aktionisten, die ein Jahrzehnt zuvor die österreichische Kunstszene wesentlich beeinflussten.

Und dann gibt es natürlich noch die Sammlung Gunzenhauser, die seit Weihnachten 2007 im ehemaligen Zentralgebäude der Chemnitzer Sparkasse über regionale Grenzen unübersehbar hinausfunkelt. Auch Leipzig bekam die Einladung, diese Ladung bemerkenswerter Kunst zu übernehmen, verbunden mit der verständlichen Forderung ein „Gunzenhauser-Museum“ zu errichten.

Leipzig lehnte ab, Chemnitz mitnichten, auch wiederum ein Grund weshalb Leipzig zumindest bei der Kunst des 20 Jahrh. seinen desolaten Zustand zuverlässig verteidigt hat.

Nur ein paar Namen zur Veranschaulichung der Grundierung der Sammlung Gunzenhauser.

Max Beckmann, entzieht sich einer korrekten Einordnung. Münter, Jawlensky, Expressionismus („Blauer Reiter“). Rohlfs, Impressionismus/Expressionismus. Kanoldt, Schrimpf, Neue Sachlichkeit. Dix, entzieht sich einer korrekten Einordnung. Felixmüller, entzieht sich einer korrekten Einordnung. Schumacher, Informel. Fetting, Neue Wilde. Hödicke, Leitwolf der Neuen Wilden. Baumeister, entzieht sich einer korrekten Einordnung…..usw….für jeden etwas dabei.

Und nun wieder für Chemnitz, keineswegs für Leipzig, die Schenkung der Grafiksammlung Brigitte und Hans Robert Thomas. Sicherlich kann man nicht vor jedem Blatt Begeisterungs-Hymnen anstimmen, es gibt herausragende und eher entbehrliche Arbeiten. Aber für Chemnitz unbedingt eine erstaunliche, fast spektakuläre Ergänzung.

Und Leipzig glotzt, achtzig Kilometer von Chemnitz entfernt, erneut in die Röhre.

Einige Bilder der Brigitte – und – Hans Robert Thomas Schenkung für Chemnitz

Joan Miro, aus 15 Farblithographien, 1972

Joan Miro, s.o.

Mel Ramos, „Tobacco Rose“, Farbserigrafie, 1965

George Segal, aus einer Mappe mit sechs Farblithografien, 1970

Lucio Fontana, „Concetto spaziale“, Serigrafie, 1968

Jim Dine, aus “ Das Bildnis des Dorian Gray“ von Oscar Wilde, Farblithografien, 1968

Allan D‘ Arcangelo, „Landscape II“, Farbserigrafie, 1965 (rechts) u. Gerald Laing, „Slide“, Farbserigrafie, 1965 (links)

Victor Vasarely, Mappe mit acht Farbserigrafien, 1966

Max Beckmann, „Day and dream“, Lithografie, 1946

Kunstsammlungen Chemnitz, Kunstsammlungen am Theaterplatz, bis 4.Juni 2023

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Mai 4, 2023 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar