Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne, Marion Gräfin Dönhoff, Stefan George, Deutschlandfunk, Schimmelspuren und „Die Zeit“

Titelseite, „Die Zeit“, 26.11

Ich gelte nun doch schon als mehrjähriger Abonnent der „Zeit“ und wurde bislang weitgehend anspruchsvoll, meiner erhöhten Geisteskraft gebührend, durch die Woche begleitet, abseits von einer alltäglichen Simpelpresse.
Doch schimmelt sich eine verderbliche Spur in dieses Edelpapier, die Spur von Oberflächlickeit, von Publikums-Anbiederung und sprachlicher Zweitklassigkeit. Ich werde nicht von dem Ansporn getrieben, hier mögliche Gründe anzubieten, die man sich ohnehin unschwer erdenken kann.

Auch Kultursender, z.B. Deutschlandfunk, dem ich schon seit früher DDR-Jugend ergeben bin, damals noch mit Schlagerderby am Abend und der Top Ten von Amerikas Hitparade in tiefer Nacht, beteiligen sich inzwischen schamlos an dieser Schimmelbildung.
Mein Starrsin ist überschaubar und mein Verständnis für diese Abläufe vorhanden. Doch muss die Ehrung Marion Gräfin Dönhoffs nicht mit bombastisch-infantilem Vokabular, mit diesem dünnen Huldigungsklamauk und z.T. grenzwertigen Fotos behelligt werden.

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Die Notwendigkeit einer angemessenen Würdigung sollte nicht in Frage gestellt werden, obwohl meine Kenntnisse über ihr Leben recht lückenhaft sind. Aber warum diese peinlich undifferenzierten Monumentalkategorien wie „Jahrhundertfrau“, um ihr „schier unglaubliches“ Leben aufzuzeichnen (Bild ganz oben)? Das ist „schier“ unerträglich.

Oder „Die „Wort-Mächtige“ , schon sprachlich eine Zumutung und von einer fragwürdigen Bildauswahl. Man könnte sich mit durchschnittlicher Bösartigkeit zu der Interpretation entschließen, die weibliche Figur bereitet sehnsüchtig ihren Antrittsbesuch auf dem Obersalzberg vor.

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Und diese banalen, bei jedem Nonsens bis zum Brechreiz vorgeschwätzten Olymp-Verbindungen

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….und die ölige Pathetik mit umschlungenen Millionen und Marion Gräfin van Beethoven.
Ich werde die Texte über Marion Gräfin Dönhoff, ehemalige Chefredakteurin und Mitherausgeberin der „Zeit“, zu ihrem 100. Geburtstag nicht lesen. Sie hat diese Seiten und eine öde Vulgärvergötterung nicht verdient. Sie starb 2002.

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Außerdem verfestigt sich hartnäckig meine optische Erinnerung, Profile von Stefan George gesehen zu haben, die sich drollig der Silhouette auf der Gedenkmünze für Gräfin Dönhoff annähern. Ob sie dem verantwortlichen Kleinkunstmeister dafür die goldene Münz-Spange überreicht hätte, wäre zumindest fragwürdig.

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November 28, 2009 Posted by | Leipzig | 1 Kommentar

Jürgen Henne,“Das kalte Herz“, „Der kleine Muck“ und „Till Ulenspiegel“. Dazu Gerard Philipe, Erwin Geschonneck, Strawinskys „Frühlingsopfer“ und eine Kartoffelsuppe

Bei manchen Filmen, denen man in späten Kindheitsjahren huldigte oder in pubertären Zeiten eine Leinwandkrone verlieh, bleibt nachfolgend nur noch Müdigkeit und Unverständnis, diese Streifen jemals geliebt zu haben.
Doch gibt es auch Filme, die unabhängig einer altersgemäßen Bewertung, abseits von vorpubertärer Schwärmerei und mit eher filmhistorisch-sachlichen Blicken ihre Qualität bewahrt haben, ohne deshalb selbst in eine infantile Kategorie eigeordnet zu werden.
Ich wäre bereit, „Das kalte Herz“ von Paul Verhoeven in diese Reihe aufzunehmen, trotz der Ansätze eines bieder-faschistoiden Familienbildes und simpler Soziologievermittlung. Doch diesem für die Zeit (1950) drastischen Horror-Szenarium, den bemerkenswerten Schauspieler-Leistungen und der geradlinigen, vielleicht etwas überladenen Dramaturgie kann ich mich auch heute nicht entziehen.

Hauptdarsteller Lutz Moik starb 2002. „Das kalte Herz“, nach Wilhelm Hauff, war der erste deutsche Nachkriegsfilm in Farbe.

In ähnlichen Dimensionen, mit nachhaltigen Eindrücken strahlen Filme wie „Die Geschichte vom kleinen Muck“ (1953) von Wolfgang Staudte und „Das Feuerzeug“ (1958) von Siegfried Hartmann, mit Rolf Ludwig, dessen Grab in Benz (Usedom) ich vor einigen Monaten besuchte, unweit des Grabes Otto Niemeyer-Holsteins.
Auch „Die drei Musketiere“ mit Gerard Barray von 1961 und Robert Vernays „Der Graf von Monte Christo“ (1953) mit Jean Marais gehört in die Rubrik akzeptabler Filme, auch nach 50/60 Jahren.
Im Rahmen der französischen Filmtage in Leipzig habe ich nun „Die Abenteuer des Till Ulenspiegel“ gesehen, eine Gemeinschaftsproduktion Frankreich/DDR von 1956/57 mit Gerard Philipe, der auch Regie führt.

Ich denke, den Streifen schon 15 mal gesehen zu haben, vorrangig in den 60er Jahren, als an Wochentagen ab 13.30 Uhr im DDR-Fernsehen ein sogenannter Testfilm abgespult wurde. Der politische Standort Gerard Philipes und die Mitarbeit von Joris Ivens erleichterten die Dauer-Abspulung des Films.
Till, der Pausen-Clown, entwickelt sich nach der Röstung seines Vaters auf dem spanischen Scheiterhaufen vom Narren, der weitgehend nur nervte, zum wackeren Streiter gegen die Spanier auf flandrischem Boden des 16. Jahrhunderts, gegen Philipp II und Alba, im Dienste Wilhelms von Oranien
Ein eher sanfter Film. Es wird sanft gerungen, sanft verbrannt, sanft erstochen und geräuschlos geschossen. Die Kategorien Gut und Böse werden durch klare Richtlinien gekennzeichnet.
Eine treuherzige Umsetzung des Buches Charles de Costers. Der große Verräter stirbt im Schnee, Till bekommt seine Braut und verhindert locker einen Anschlag auf Oranien. Der gescheiterte Attentäter wirkt besonders diabolisch, Oranien eher warm, weich und väterlich und auch Till ordnet sein schönes Gesicht in den geforderten Normenkatalog ein, zwischen Heiterkeit und Trauer, zwischen Leichfertigkeit und Patriotismus. Viel Heldentum, Edelmut und Vaterlandstreue, reichlich Niedertracht und Hybris während des Achtzigjährigen Kriegs.
Das Lexikon des internationalen Films glaubt, analysieren zu müssen, dass G. Philipe seine Darstellung des Eulenspiegel im Brechtschen Sinne begriff. Muss ich mir einmal überlegen. Man kann die Interpretationswut auch übertreiben.
Erwin Geschonneck, Wilhelm Koch-Hooge und Marga Legal, alte DDR-Strategen des Films, spielen wichtige Nebenrollen, wobei Geschonneck seine Deppen-Figur des Holländermichels („Das kalte Herz“) fast fugenlos vom Schwarzwald nach Flandern verlegen konnte.
Ein Film, den man nicht unbedingt sehen muss, doch angeödet habe ich das Kino dennoch nicht verlassen.
G. Philipe spielte auch in besseren Filmen, natürlich auch auf der Theaterbühne, z.B. Camus u. Giraudoux. Der Regisseur seines letzten Streifens hieß Bunuel, das gelungene Finale eines kurzen Lebens.

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Innerstädtischer Aufruf zu einem Besuch des abschließenden Teils vom Strawinsky-Zyklus. Nach dem „Feuervogel“ (1910) und „Petruschka“ (1911) an den vergangenen Abenden wird am 28.November, 19 Uhr, in der Leipziger Oper bei Teil III „Das Frühlingsopfer“ (1913) als zentraler Programmpunkt eingesetzt.
Ballette, die Strawinsky am Beginn des vergangenen Jahrhunderts für das „Ballets Russes“ und Sergei Djagilew geschrieben hatte.

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Und jetzt werde ich mein Familiengericht vollenden. Es wird gemunkelt, dass ich die beste Kartoffelsuppe Sachsens zubereite, recht haben die Munkler.

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November 25, 2009 Posted by | Film, Leipzig, Musik, Verstreutes | 1 Kommentar

Jürgen Henne, eine kurze Nachlese auf ein deutsches Trauerspiel und Robert Enke, Trauer-Claqueure, Brutal-Trauer, Lew Jaschin, Stefan Zweig, Kirchner,Trakl, Celan…

Manchmal mag man sich nur abwenden und…
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…..auf das südchinesische Meer schauen, oder…

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…sich auf der chinesischen Brücke im vietnamnesischen Hoi An verbergen…

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….auf Long Island das deutsche Trauerspiel bei einer Plastik von Willem de Kooning vergessen, oder…

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…sich den Zorn am Niagara-Fall abspülen lassen.

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Überschrift auf einer Titelseite, Bildzeitung
„Deutschland weint mit Teresa Enke“, oder so ähnlich.

Ich wollte mir keinen zweiten Blick zumuten. Deshalb vielleicht kein fugenlos sauberes Zitat, doch die inhaltliche Widergabe ist korrekt. Als aufrechter Straßenbahnfahrer und grundsätzlich stehender Fahrgast werde ich ohnehin täglich von diesen journalistischen Kram heimgesucht und kann nur schwer den optischen Zudringlichkeiten derartiger Postillen entfliehen.

Warum nicht : „Deutschland weint mit Teresa Enke, außer Jürgen Henne“.
Denn ich habe nicht geweint, ich hatte bislang den Namen Robert Enke kaum zur Kenntnis genommen.Und die Barrieren für ein Verständnis derartiger Abläufe sind ohnehin schwer zu bewältigen, irgendwo zwischen Mysterium und erbarmungsloser Gegenwart.
Jeder Suizid birgt für den Talk-Show gehärteten Eckensteher die Unfassbarkeit einer entgültigen und letzten Entscheidung, aber auch eine streng taxierte Möglichkeit, fremdes Leid als wohlfeil vermessenes Selbstmitleid zu nutzen
Stefan Zweig, Kirchner, Fruhtrunk und Trakl gingen den abschließenden Schritt in den Freitod, auch Gorky, Celan, Rothko und Cobain.
Ich sehe ihre Bilder, lese Gedichte, Novellen und höre Musik, ahne vielleicht die Tücken ihrer Lebensentwürfe und die Frequenz der letzten Gedanken. Ich zelebriere klammheimlich meine mögliche Wesensverwandschaft und suhle mich auch etwas wohlig in der Vorstellung von Überlegenheit.
Ich zelebriere und suhle mich, vielleicht etwas eitel und mit einer Nuance Hybris, auf die Kosten von Zweig, Kirchner, Fruhtrunk…., aber mit großem Respekt.

Doch was sich in den letzten Tagen in Deutschland um den Suizid Robert Enkes abspulte, entsprach der gierig-geilen Inszenierung einer Performance mit öligen, respektlosen und exhibitionistischen Anpreisungen des eigenen Mitgefühls.
Horden von Claqueuren der Trauer ließen ihre Mitleids-Suppe aus den Augen quellen. Eine kollektive Betroffenheitshysterie bis in die letzten Erektionen, bis in den letzten Albtraum erniedrigten Robert Enke und machten die Trauer um die Selbsttötung eines jungen Mannes zu einer schwer erträgliche Farce.
Anteilnahme erbrechende Brutal-Trauer, der Kampf der Medien um den höchsten Mitleidsfaktor, deren perfide, quotenbrünstige Appelle an ein Verständnis für depressive Leiden schrillten entwürdigend um den Sarg.

Moderatoren von boshafter Unterwürfigkeit wurden interimistisch als Seelsorger eingesetzt, welche den Voyeurismus eines schlichten Publikums oder kalkulierte Selbstdarstellungen ankurbelten und kultiviert angemessene Reaktionen und Emotionen zu einem läppischen Exzess herabwürgten.

Leider floss dieser Sud auch nicht an Medien vorbei, deren kultivierte Grundtendenz ich bislang schätzte. Einzelne Stimmen der Skepsis gab es aber auch, nach Mitternacht.
Die Show ist vorbei, der Sarg unter der Erde. Das Requiem für den nächsten Selbstmörder wird schon vorbereitet. Oder für das Opfer einer Kindervergewaltigung. Etwas wird sich finden.

Ich zitiere Bernd Berke, ein kluger Mann, der seine Weisheit leider in diesem törichten „Westropolis“ verschüttet:

„Möge er im Jenseits Lew Jaschin treffen“.

Das klammert sich heftiger an meine Emotionen als jede pathetische Oberflächlichkeit

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November 18, 2009 Posted by | Leipzig, Neben Leipzig, Presse, Verstreutes | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und der Katalog zur Ausstellung „60 40 20 – Kunst in Leipzig seit 1949“ im Museum der bildenden Künste zu Leipzig, Hans Werner Schmidt, Peter Henne – Jürgen Henne und die Möglichkeit nostalgischer Körperkrümmungen

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Katalog zur Ausstellung „20 40 60 – Kunst in Leipzig seit 1949“ im Leipziger Museum der bildenden Künste, bis 10.Januar 2010. Die Unschärfe resultiert nicht aus meinem Dilettantismus bei fotografischen Aktionen, der durchaus vorhanden ist. Die Ablichtung enspricht dem tatsächlichen Titelbild.

Wenn mit nostalgisch triefender Gestik und weinerlichem Sprech-Timbre vergangene Zeiten angeschwärmt werden, in denen „alles besser war“, eile ich zum Kühlschrank, klaube mir eine Flasche mit erhöhter Drehzahl aus dem Getränkeregal, um die kommenden Minuten seelisch und intellektuell unverletzt bewältigen zu können. Meinen Gesprächspartnern entgeht diese Abwesenheit ohnhin, weil sie pausenlos, sich auf dem Boden krümmend, mit nostalgisch triefender Gestik und weinerlichem Sprech-Timbre…..
Dieses triebhafte Ablecken der Vergangenheit, damit natürlich eingeschlossen die Erniedrigung der eigenen Gegenwarts-Existenz, ist mir weitgehend zuwider.
Doch manchmal wäre ich gleichfalls zu einer Kurzkrümmung bereit.
Denn ein extrem oberflächliches Studium des Katalogs „20 40 60 – Kunst in Leipzig seit 1949“ könnte mich in diese Körperhaltung treiben.

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Auszug aus dem Literaturverzeichnis des Katalogs.

Meine Diplomarbeit von 1987 wurde mit meinem korrekten Namen aufgeführt. Ich jubilierte.
Der Jubel mutierte bald zu einer bösartigen, gewaltbereiten Maulerei. Denn meinen Text im Katalog zur 9. Leipziger Jahresausstellung 2002 gönnte man leichtfüßig „Peter Henne“. Dieser Zweitname wäre mir nach fast 60 Jahren sicherlich aufgefallen. Und eine Namensänderung zwischen 1987 und 2002 ist mir nicht erinnerlich.

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Zitat im Katalogartikel des Museumchefs Hans Werner Schmidt aus dem Text von „Peter Henne.“ Diesmal allerdings korrekt Jürgen Henne, dem wahren Genius dieses Artikels zugeordnet.
Das Zitat wurde durch zwei Fehler stranguliert, durch eine Wortmutation und mit der Zusammenführung weit auseinanderliegender Textstellen, vom Pausen-Schelm Schmidt mit heiterem Gemüt einfach durch ein Komma getrennt. Die Zwischensätze landeten kommentarlos in der Tonne.
Also drei Missgeschicke bei meiner kleinen Kataloganwesenheit. Erscheint mir etwas reichlich.
Außerdem wird mir durch eine entsprechende Zeichensetzung das Wort „Inhaltismus“ aufgeschwatzt. Eine derartige Grottensprache ist sicher für Hans Werner Schmidt eine alltägliche Durchnittsleistung. Bei mir verformt sich nach der Kenntnisnahme dieser Wortsülze die Netzhaut.
Ich scheue mich noch vor einem Gesamtstudium des Katalogs, denn ich denke, dass nur die Getränke-Regale in einem Kühlschrank für Godzillas Dimensionen die entsprechenden Umdrehungen bereithalten können, um diese gedruckte Zumutung zu überstehen.

Trotzdem war früher nicht alles besser, vielleich neigte man nur etwas auffälliger zu erhöhter Sorgfalt und selbstverständlicher Präzision.

November 15, 2009 Posted by | Kunst, Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne gestern in Hellerau und Anne Teresa de Keersmaeker, Rosas, Webern, das Völkerschlachtdenkmal, Chiharu Shiota und mein eher schlichtes Verhältnis zum Ballett

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Festspielhaus Hellerau, gestern, um 20 Uhr.

Als überwältigend herzliche Einladungsbeleuchtung empfinde ich die Bestrahlung eigentlich nicht. Denn ich ängstige mich nicht unwesentlich vor derartigen Inszenierungen. Ähnliche Abläufe an diesem entsetzlichen Leipziger Völkerschlachtdenkmal hatten zu DDR-Zeiten eine regelrechte Phobie bei mir angeregt.
Widerwärtige Dogmenreden, der pathetisch angeleuchtete Ewigkeitsfelsen, tausende Menschen mit heldenhaft blauen FDJ-Fetzen an den Leibern und Fackeln in den erhobenen Händen, die heldenhafte Lieder gröhlten, trieben mir eine ganze Meute Albs über den Rücken.

Das eher sanfte Licht in Hellerau ist damit natürlich nicht zu vergleichen. Ein kleiner Rest weitläufig verteilter Gänsehauthügelchen bleibt aber dennoch.

Heinrich Tessenow erbaute 1910 des Festspielhaus, zunächst für eine „Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus“. Ab 1939 Polizeischule, nach dem 2.Weltkrieg russisches Lazarett und Kaserne, auch Sporthalle. Seit 1994 Instandsetzung. Neueröffnung im September 2006.
Über stadtarchitektonische, kunsthistorische, kulturelle und politische Bedeutsamkeiten des Dresdner Stadtteils Hellerau und dessen Festpielhaus wurde üppig geschrieben und Wikipedia bietet einen ordentlichen Einstieg.

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Wandbild im Treppenhaus des Festpielhauses aus Zeiten, in denen die Russen hier sicherlich mietfrei vor sich hin wüteten und ihre großen Kultur-Traditionen missachteten und erniedrigten. Denn nur wenige Jahrzehnte zuvor bestimmten z.B.suprematistische und konstruktivistische Wunderkinder wie Malewitsch, El Lissitzky, Rodtschenko, Tatlin u.a. in hohem Maß die europäische Kunst. Von den Titanen der Musik dieser Zeit ganz zu schweigen,

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Festspielsaal vor dem Tanz, ohne Tänzer

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Festspielsaal nach dem Tanz, mit Tänzern

Den Festspielsaal mit tanzenden Tänzern habe ich nicht fotografiert. Ich wollte Publikum und Tänzer nicht mit meinem dilettantischen Knipsereien behelligen.
Dekor und Innenarchitektur veränderten sich ohnehin nur wenig. Die Abbildungen zeigen die dominierende Ansicht des betanzten Raumes. Nur dezente Lichtveränderungen unterstützten die Dominanz des Körpers.

Denn die Choreografin Anne Teresa de Keersmaeker vermied radikal überflüssigen Klamauk auf optischen und akustischen Ebenen. Und die acht Tänzer der Truppe „Rosas“ dankten es ihr mit einer fast schmerzhaften Präsenz ihrer Körper. Zahlreiche Solo-Parts, scheinbar ungeordnete Kollektiv-Aktionen, die sich bald zu geometrischen Ordnungen formten und Duette mit getanzter Fleischlichkeit von Transpiration anregender Erotik verbanden sich zu einer ästhetisch hochwertigen Diskrepanz zwischen Ebenmaß und Konflikt, Ideal und dessen Desillusionierung, Optimismus und Resignation.

Die Musik vom Band und z.T. mit Alain Franco am Klavier pegelte zwischen Bach und Webern. Außerdem glaubte ich, auch Klangstrukturen von Richard Strauss zu vernehmen. Einigermaßen kenntnissicher bei dessen Musik konnte ich diese Stücke nicht einordnen, was mich etwas irritierte. Das papierne Programm geht auf das Musikangebot nicht ein. Ich werde mit Hellerau telefonieren.

Ich bin sicherlich kein Ballett-Fanatiker und zu erstklassigen Interpretationen nicht fähig. Ist mir allerdings auch ziemlich gleichgültig. Das Stück heißt „Zeitung“ , keine Ahnung, weshalb. Aber es war ein großartiger Abend. Und die Frage: „Was will der Künstler uns damit sagen“, ist mir ohnehin zuwider.

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Eine Stunde vor „Zeitung“ wurde die Ausstellung „Trauma/Alltag“ eröffnet. Mit Arbeiten von Chiharu Shiota aus Osaka, die in Japan, Australien und Deutschland studierte.

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Installationen mit schwarzen Fäden, deren handwerkliche Bewältigung mir unklar ist. Eine massive Vermittlung von Uneindeutigkeiten und Furcht bringen diese Kunst in Dimensionen fiebriger Träume, in Kokons versponnen.

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Natürlich frage ich mich, wo sich der ehemalige Benutzer dieses Stuhls befindet.

Chiharu Shiota hat sich mit dem Raumkozept, dem Bühnenbild an der Hellerauer Aufführung von Strawinskys „Oedipus Rex“ mit der Dresdner Philharmonie beteiligt.
18.11. – 21.11., 20 Uhr

Ich denke, mein nächster Besuch in Hellerau ist geregelt, nicht nur wegen Chiharu Shiota, denn man sollte mindestens 1+ täglich Strawinsky hören.

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November 7, 2009 Posted by | Kunst, Leipzig, Musik, Neben Leipzig, Verstreutes | Hinterlasse einen Kommentar