Jürgen Henne, existenzielle Magie einer Twitter-Runde, Sprache unterm Hakenkreuz, Farben und Fotzen in Curt Querners Tagebüchern, orangene Feuerwölkchen, eine saftige, soßige, prachtvolle Bathseba und Querner zwischen den Mauern der Hallischen Spätgotik
Hunde, sich neckend
Texte aus einer Twitter-Aktion mit verschiedenen Teilnehmern
Ich habe einmal versucht, die sprachliche und inhaltliche Wucht, die existenzielle Magie dieser unbeschreiblich komplexen Konversation nach traditionellen Vorgaben zu gliedern.
Exposition
Beitrag 1…ein riesiger, stark nach hund riechender hund liegt auf meinem linken fuss
2——-Das ist etwas Gutes!
3—— ich glaub, er mag Dich.
4——-Ich würde durchdrehen…
5——-Ein Hund, der nach Hund riecht? Na bravo.Nach was soll er denn bitte riechen?
Peripetie/Klimax
6——- ich sage mir: demut! demut!
7——- Nicht bewegen! Er will nur spielen!
8——- Ich kann in sehr vielen Situationen demütig sein, wenn es die Situation erfordert. Situationen mit Hunden gehören nicht dazu.
9——- der beste freund des menschen.
Katastrophe
10—— der glückliche
Ende und Applaus
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Nach dieser intellektuellen Kolossal-Verhandlung sollte man keinesfalls zur HB greifen, eher zu folgenden Büchern:
Schlosser, Horst Dieter: Sprache unterm Hakenkreuz (rechts)
Sicherlich bleibt die Kenntniserweiterung nach der letzten Seite dieses Buches überschaubar. Auch für mich. Doch die drei „Kritiken“ bei Amazon geben ein gerüttelt Maß an Hybris wider, wenn von „Schwachsinn“ gesprochen und messerscharf analysiert wird, daß der Band selbst für Laien nicht empfehlenswert erscheint.
Und durch Verweise auf Klemperer wirken die Schreiber auch nicht tiefschürfender und klüger.
Dieses Buch ist mitunter einschläfernd, auch sprachlich manchmal grenzwertig, doch auch durch viele gelungene Abschnitte und vor allem durch die stattliche Menge von Beispielen und Zitaten im Originalton lesbar.
Besonders für Laien und ich erfuhr durch Herrn Schlosser, dass z.B.der weibliche Vorname „Hitlerike“ genehmigt wurde…. würg.
Curt Querner: Tagebücher (links)
Querner gehörte der ASSO an (1928-33) und damit zur Gilde der Assoziation revolutionärer bildender Künstler. Für mich nicht ganz so der optische und intellektuelle Knaller.
Die Bilder der ASSO-Mitglieder Hans und Lea Grundig, Bergander, Eva Schulze Knabe, auch der überwiegende Teil von Wilhelm Lachnit sind z.B. unerträglich.
Daneben werkelten in dieser Truppe aber auch Theo Balden, Otto Nagel, Willy Wolf, Karl v. Appen, Georg Grosz und Hans Jüchser, den ich noch Mitte der siebziger Jahre kennenlernte.
Und diese Herren boten doch eine ordentliche Kunst, natürlich mit Einschränkungen.
Und eben auch Kurt Querner gelang es, sich qualitativ in diese zweite Formation einzuordnen. In der Regel wird er der Neuen Sachlichkeit unterstellt und politisch kommt er traditionell auf das Tablett der proletarisch-revolutionär-realistischen Künstlerschaft. Dussliges Gequarke
Seine Tagebücher sind ein Exzess mit den Schwerpunkten Frauen, Farben und Selbstzweifel.
Hier wenige Auszüge (1951-1966)
„Vor einem Druck Cezannes, Selbstbildnis darstellend…..Da wirkt meine Arbeit wie Dreck dagegen…“
„Ein prachtvoller Morgen mit orangenen Feuerwölkchen, rotviolettem Dunst am Morgenhimmel. Schwarzgraue Ruinen davor, schwarze Figuren auf grauem Grund…..Kirchenruine im Hintergrund. Jetzt wird unten, hinter dem Ruinengrau ein rotcarminer Streifen sichtbar-die Sonne naht. Schwarzgrau der Kleidung der Figuren dominiert. Krähen schwingen. Tatsächlich, man muß die Figuren als Sillhouette auf dem hellgrauen Grund sehen. Jetzt kommt glühend hinter den Ruinen die Sonne hervor, oranger Ball, im grauvioletten Grund. Vorne Blau-und Rotgrau der Ruinen. Die Welt als Ruinenlandschaft, eine Vorstellung.“
„Wenn ich auf einen ganzen Teil meiner Ölschinken blicke, dann schreie ich nach dem Messer. Aber es blieb bis jetzt nur beim Schrei, beim Flüstern und wurde niemals Tat. Diese Momente vergehen, wie Blitze im Nu weg.Übrig bleiben die Öldinger.“
„Die Wand der Baumkronen wird langsam goldgelb, dem Herbste zu. Vorgestern abend. Der Himmel giftiges Messinggrüngelb. Orangefeurige Wölkchen schwimmen leicht. Scharf stößt die messingne Kante des Himmels auf die dunkle Erdenkontur des Horizonts. Darunter breitet sich dunkel graugrün die Erde aus. Mondsichel über Wiesen, hoch über violetter Wolke, schwarz die Kante des Dorfes. Schwarz die Masse der Bäume. Bleichviolett der Schieferdächer. Schön in den Farben die gelben Bälle der Georginen.“
„…Der unheimlich große Rubens! Da die Blonde, Saftige, Soßige, prachtvoll, die Bathseba am Brunnen. Die Malerei der Locken, des Fleiches, der Triumph des Fleisches. Triumph der zusammengeklemmten prächtigsten Schenkel.“
„…so ein Weiberkörper muß wie ein Sommerabend sein. Warm, weich, reich.“
„…..Das Tollste die Schenkel der Bathseba! Die Faust aufs Auge der Ästheten!! Naturbrünstig. So etwas von Weiberfleisch kaum je wieder erreicht. Ärsche, Bäuche. Vor allem fröhliches Fleisch! Wie von Stallknechten gesehen, empfunden.“
„Toll, grausam, Geschlechtsteile, aber fabelhaft gezeichnet. Toll, solche Nuttenkörper…..Bordellszene, toll, scharfe, fette Fotzen. Fabelhafte Aktzeichnung.
(über George Grosz)
Querner findet auch Worte zu fragwürdigen Vehältnissen in der damaligen Ekel-DDR. Nicht aggressiv und anklagend, doch immerhin. Er beschreibt seine Künstlerexistenz, keine Farben, keine Verkäufe und doziert knapp und treffend über die Kunstgeschichte, von Giorgione bis Picasso, Beckmann und Kokoschka.
Doch niemals ohne Humor und Ironie, über 230 Seiten.
Und wenn er tatsächlich einmal auf dem Pflaster kroch, erschauerte er glücklich bei orangenen Feuerwölkchen und bleichvioletten Schieferdächern und malte prachtvolle Weiberschenkel und scharfe, fette Fotzen.
Keine schlechte Alternative.
Ich sah vor einigen Jahren in der Moritzburg eine Ausstellung Querners und habe danach das Burgtor mit freudigen Erinnerungen durchmessen.
Die Tagebücher Curt Querners 1937-1976 wurden als Sonderausgabe der „Dresdner Hefte“ 1996 als Jahresgabe des Dresdner Geschichtsvereins e.V. veröffentlicht.
2004 erschien die 2.Auflage
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Jürgen Henne und „Die zwölf Geschworenen“
Lee J. Cobb
Heute, 23.September, 20.15 Uhr, Arte
„Die zwölf Geschworenen“
Ich denke, ein Dutzend mal sechsundneunzig, also reichlich eintausendeinhundert Minuten habe ich diesem Film schon mit aller Hingabe „geopfert“ und bin aber immer noch opferbereit.
Ich liebe diesen Streifen, meine Kritikquote tendiert heftig gegen Null.
Lumet hat einfach eine Dramatik in dieses Ein-Raum-Stück gelegt, eine Sprache und brillante Personenführung, Licht und Schatten, Besinnung und Entgleisungen, Akzente von erschreckenden, auch glücklichen Handlungs-Katalysatoren in einen Rahmen höchster Ethik und Humanität gepackt, wodurch dieser Film, etwas infantil informiert, locker in die Top Ten meiner Filmgeschichte aufgenommen wird.
Die Rollen sind ausnahmslos vorzüglich besetzt und von einem Individualismus geprägt, dass einem die Sinne schwinden.
Natürlich mit Henry Fonda und vor allem auch mit Lee J.Cobb, den eigentlich jeder kennt, nur der Name bleibt nicht selten verborgen, ähnlich wie bei Robert Morley.
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Jürgen Henne und die unregelmäßig bearbeitete Serie: „Geschichten, die das Jürgen schreibt.“ Heute: Bekloppte Wahlwerbung, Teil II (Teil I am 24.08), die Pillendreher, Stüler in Berlin, Roebling in New York, der Mond in Südafrika, Joy Division, Schostakowitsch und der rote Osten
Klar, dass ich Rot wähle? So klar ist das mitnichten. Ich wohne zwar tatsächlich im Osten. Doch eher etwas im westlichen Osten. Leipzig liegt natürlich nicht so westlich wie Eisenach und Nordhausen. Denn das ist wahrlich westlichster Osten. Johann Sebastian hätte noch mit Nabelschnur in den Westen wandern können.
Ich lebe eher in der Mitte des Ostens, mit einer kleinen westlichen Tendenz. Etwa in ähnlicher Linie mit Rostock und Dessau.
Also auch in ähnlicher Linie mit dem Bauhaus, das erfreut mich. Also müssten Rostock und Dessau auch Rot wählen, gleichfalls das Bauhaus. Na klar!
Feininger, Schlemmer, Kandinsky würden ihre Meisterhäuser abfackeln.
Und Mühlhausen im Osten, doch mit kraftvoll westlicher Neigung. Stüler ging dann nicht weiter westwärts, eher ostwärts, Richtung Kleiner Wannsee zum Grab Kleists und auf die Museumsinsel, von Thüringen nach Preußen sozusagen. Roebling dagegen mied den Osten und schwamm gleich zum East River.
Und Müntzers Kopf rollte sicherlich weder nach Osten noch nach Westen und blieb einfach im Topf liegen.
Und die Bewohner Schwedts und Eisenhüttenstadts? Na, klar! Oder Frankfurt/Oder. Oder nicht? Kleist hätte es 1811 gar nicht so weit gehabt, bis zum Kleinen Wannsee, von seinem Geburtsort.
Denn die Schwedter (nicht mit den Schweden verwechseln) und Eisenhüttenstädter leben ja nun so richtig im Osten vom Osten und müssten dann ja richtig Rot wählen, so richtig hochrot, vielleicht ein richtiges Purpurrot. Das wäre dann richtig klar.
Oder man ignoriert die Himmelsrichtungen, rollt die Himmelsrichtungsplakate zu straffen Rohren, schiebt sie in den Analgang des ersten Mammuts, dessen Weg man kreuzt, wählt, na klar, nicht Rot und empfindet diesen viereckigen Modder als Anmaßung gegenüber Mitmenschen, bei denen sich vierzig Jahre Roter Dreckstall noch heute wie Füsslis Nachtmahr um die alternde Brust schnüren. Klar.
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Plakat
Bei dem obigen „Klar“-Plakat wäre zumindest ein Wort entbehrlich, nämlich „Klar“.
Bei dem Lappen oben, aber nicht ganz oben, vermisse ich dagegen ein Wort, weniger „Klar“, denn „Aller guten Dinge Klar drei“ klingt sprachlich etwas ungeschickt. Doch ein Verb könnte dieses Bonmot durchaus vertragen, z.B. „Aller guten Dinge sind drei.“
Bin, bist, ist, sind, seid, sind. Kein schönes, doch ein notwendiges Wort.
Oder muss ich mich jetzt in einem Stadium wähnen, in dem mir jedes Gespür für „feinsinnige“ Sprachexperimente abhold ist.
Oder sind diese Dilettanten nicht in der Lage, einen schlichten Satz zu formulieren. Vielleicht gab es auch keine anderen Plakatformate. Zack, ein Wort weniger, dann passt es.
Ich vermute einmal, dass die Redewendung zu eimem christlich-religiösen Ursprung führt. Heilige drei Könige, Dreifaltigkeit und ähnliche Späßchen. Das macht diesen sprachlichen Schließmuskel-Pickel noch etwas pikanter.
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Aus dem Leben eines Pillendrehers
Es gibt Meldungen, in die man sich sofort verliebt. Das Wissenschaftsmagazin eines Hörfunksenders erläuterte die Arbeit von Käferexperten in Südafrika. Die Opfer waren dabei die Pillendreher (Skarabäus), Tiere mit hoher mythologischer Bedeutung, die ihre Orientierung nach dem Mond organisieren.
Um dieses Phänomen noch tiefschürfender zu erfassen, wurden die Käfer mit einer kleinen Ausrüstung beladen, die den Blick zum Mond behindert.
Und ich stelle mir dann Pillendreher mit Scheuklappen vor oder entsprechenden Hüten oder Brillen. Doch wo die Brille befestigen, ohne Ohren? Ohne Käferohren.
Allein schon die handwerkliche Meisterleistung dieser zoologisch geschulten Feinstmechaniker, den Blatthornkäfern eine derartig Apparatur aufzubürden, fasziniert mich.
Ich hoffe natürlich, dass kein Tier zu Schaden kam.
Bei einem Darmauswurf des Elefanten können sich bis zu 8000 Pillendreher sammeln. Und dann gibt es bald 8000 Elefantendarmauswurfkugeln mit einem mehrfachen Volumen der Elefantendarmauswurfkugelgestalter.
Und dazwischen Jürgen und der Elefant trompetet. Es wäre ein großes Erlebnis.
Bei meinem Durchmarsch im südafrikanischem Krüger-Park habe ich eine endlose Kette von Darmauswürfen der Elefanten gesehen. Doch keinen einzigen Pillendreher. Finde ich gemein.
Musik der Woche
Joy Division —- Closer
Schostakowitsch—- Lady Macbeth von Mzensk
Ich empfehle diese erste Version. „Katerina Ismailowa“ wurde dann doch arg verändert,weil die sowjetischen Kulturfunktionäre vielleicht damals eine Balalaika und einen sterbenden Schwan vermissten.
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Ich habe für Dich, mein lieber Sohn, „A Day in the Live“ und „Across the universe“ aufgelegt. Gib auch der Amsel Bescheid.
Doch lass ihr Zeit. Du hörst sie ja im Laub.
Sie wird Dich dann wieder zurück zwischen das Korn begleiten.
Die neunundzwanzig Sandkörner von Kapstadt habe ich aufbewahrt.
Und vergiss nicht, den sauren Dorn zu pflücken, mit Fisch an der langen Brücke schmeckt er besonders gut.
In genau einem Jahr pflanzen wir den Rötelritterling, die Initiale M+V in die violetten Lamellen eingefurcht.
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