Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne, ein Louis-Malle-Festival bei gefühlt dreiundachtzig Grad, mit Maurice Ronet im Fahrstuhl und einem Revolver im Campingbeutel, mit Wallys Fragen und Andrés Antworten, mit Einhörnern, Lilys und der Freude am morgendlichen Kaffee

Cover der Louis-Malle-Kasette mit neun DVD`s
„Fahrstuhl zum Schafott“, Jeanne Moreau.

Bei dem Klima der vergangenen Wochen bevorzuge ich, eher weniger zu agieren und ausgiebiger zu konsumieren.
Ich zelebriere den Müßiggang, fläze liegend, halbliegend, halbsitzend, sitzend, mitunter auch stehend oder halbstehend bei gefühlt dreiundachtzig Grad Raumtemperatur und in der Regel mit ein paar Eiswürfeln im Schritt, auf oder neben dem entsprechenden Möbilar, flankiert von Getränken unterschiedlichster Gärung, eingehüllt von Büchern, CD´S, DVD´s aus der Rubrik….„Was ich schon immer wieder einmal lesen, hören, sehen wollte….!“
Nicht weit entfernt ein Notizblock, um meine tägliches Quantum Weltliteratur zu schreiben.
Also agiere ich doch ein wenig.

Filmtitel der Louis-Malle-Kasette.

Filme von Louis Malle wollte ich schon immer wieder einmal sehen.
Nicht unbedingt „Fahrstuhl zum Schafott“, sein erster Film, der mich vor über fünfzig Jahren in Füsslis Alb-Nächte trieb, sich aber heute eher zu einer soliden Nachmittags-Unterhaltung eignet.
Doch wegen der musikalischen Begleitung durch Miles Davis könnte sich der Film endlos abspulen.

Und „Zazie“ nervte mich schon immer etwas.
Natürlich entwickeln sich wieder Erinnerungen an die cineastischen Faustkeilträger Méliès und Sennett, an Stop-Motion und Slapstick.
Auch wenn Chaplin, Ionesco, Truffaut den Film heftig bejubelten (lt. Wikipedia), dominierte bei mir nach wenigen Minuten erneut ein gerüttelt Maß an Gleichgültigkeit.

Zu aufdringlich formen sich diese filmhistorischen Rückgriffe zu einem plakativ vorgetragenen Nummernprogramm, ohne sicht-u.hörbare Bearbeitungen des Regisseurs.
Ob Hitlerparodien, Chaplin-Gestus, Küchenschlachten im Stummfilm-Modus, Malle vergisst in diesem Streifen seinen eigenen, unbestreitbar vorhandenen Abdruck in der Filmgeschichte zu installieren.
In diesem Fall dann doch lieber Filme Chaplins, Absurdes Theater von Ionesco und Truffauts Filme.

Meine Malle-Kasette bot mir dann z.B. noch „Lacombe Lucien“, ein früher Versuch, der französischen Bevölkerung eine Debatte über das diffizile Problem der Kollaboration mit der deutschen Besatzung während des 2.Weltkriegs anzubieten.
Malle agiert dabei weitgehend als neutraler Beobachter, der auch der Résistance keine Lorbeer-Kränze knüpft.
Ohne Polemik, nüchtern, lakonisch werden Abläufe geschildert, bei denen man eigentlich einen emotionalen, auch pathetischen Rahmen erwartet.
Und diese Sachlichkeit auch bei eher unpolitischen, aber grauenvollen Abläufen (Tierjagden, Zerstörung eines Schiff-Modells)) entwickelt eine Intensität, bei der die Gänsehaut der Anteilnahme sich zu üppigen Hügelketten erweitert.
Zu Recht wurde der Film für den Auslands-Oscar nominiert.
Mit Therese Giehse.
Der Laiendarsteller Pierre Blais (Hauptrolle), von Beruf Holzfäller, starb ein Jahr später bei einem Motorrad-Unfall in der Nähe von Moissac, eine Kleinstadt mit einer einzigartigen Benediktiner-Abtei und dem vielleicht schönsten Kreuzgang der europäischen Kunstgeschichte.

(Wegen des Besuchs dieses Kreuzganges zwang ich meine Familie vor sechsundzwanzig Jahren zu einem Umweg von dreihundert Kilometern über französische Landstraßen während der Erntezeit).
Mein Gott, war ich ein Sack.

In „Black Moon“, gleichfalls mit Therese Giehse, zelebriert Malle einen surrealistische Reigen von mitunter etwas schlichtem Zuschnitt.
Schlangen kriechen unter weibliche Nachtgewänder, ein Einhorn nölt durch die Gegend, nackte Kinder wuseln mit einem Schwein durch die Landschaft, eine alte Frau spricht mit einer voluminösen Ratte und die Hauptakteurin, ein Nebendarsteller, der Richard-Wagner-Arien kräht und dessen Schwester heißen alle Lily.
Der Weg zu Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ ist natürlich nicht weit, doch entbehrt Malles Film weitgehend einer intellektuellen Unterfütterung.
Aber es bleiben berauschende Bilder, immerhin.

Neben „Verhängnis“, ein Psychogramm familiärer Zersetzung, dekoriert mit erotomanischen Exzessen, die vaginal, oral,…ausgiebig in zahlreichen Szenen abgerüttelt werden und mit einem herausragenden Jeremy Irons besetzt, den ich erstmalig in „Mission“(1986) zur Kenntnis nahm, flimmerte während dieser Tage bei inzwischen gefühlt siebenundachtzig Grad Zimmertemperatur auch „Eine Komödie im Mai“ durch mein heimisches Kultur-Areal.
Eine Komödie mit Michel Piccoli, die eine Beerdigung in der französischen Provinz während der 68er Dreschereien schildert und der Akt der Körperversenkung durch den Streik der Totengräber erschwert wurde.
Durchaus feinsinnig, hintergründig und selbst Cohn Bendit spielt, zumindest in den Gesprächen, eine Rolle.

Cover von Malles „Das Irrlicht“.
Maurice Ronet als Alain Leroy, er spielte auch die Hauptrolle im „Fahrstuhl zum Schafott“.

Ich küre aber „Das Irrlicht“ und „Mein Essen mit André“ zu den Glanznummern meines privaten Louis-Malle-Festivals.

In „Das Irrlicht“, nach einem Roman von Pierre Drieu la Rochelle, der sich selbst zu einer Kollaboration mit dem Nazis entschloss und mit Maurice Ronet („Fahrstuhl zum Schafott“) in der Hauptrolle wird ein Alkoholiker (Alain Leroy), der als geheilt gilt, von den Ärzten aufgefordert, die Klinik zu verlassen.
Nur widerwillig folgt er den Anweisungen, löst sich von seinem Refugium des Schutzes, der Regelmäßigeit, der Zuflucht und Ruhe mit einem Revolver im Campingbeutel, durchstreift Paris und sucht bei ehemaligen Bekannten und Freunden einen Sinn für die weitgehend kampflose Abwendung von der Klinik.

Leroy erkennt aber zügig, dass alle Ideale und progressiven Lebensentwürfe, die ihm mit seinen damaligen Freunden verbanden, in Genügsamkeit bürgerlicher Mittelmäßigkeit verrotteten.
Er beginnt bald seine Verachtung gegen deren Materialismus und Empathielosigkeit, gegen Selbstgefälligkeit und pseudointellektuelles, belangloses Geschwätz zu zelebrieren.
Er verweigert sich kompromisslos und zieht entsprechende Konsequenzen, dazu hatte er ja auch die Kurzlauf-Waffe im Handgepäck.
Ziemlich verstörend und durchaus geeignet, die private Lebenssituation zu überprüfen.
Die Musik Eric Saties begleitet diese grundsätzliche Privat-Diagnose.
Eine feine Entscheidung.

Cover von Malles „Mein Essen mit André“.
Wallace Shawn als Wally.

Weniger verstörend, ohne Satie und Miles Davis, doch im Grunde von ähnlicher Anlage, das Gespräch endet aber weniger dramatisch, drehte Malle „Mein Essen mit Andre“.
Der Filmtitel kann aber nicht so recht die prickelnde Spannung erzeugen

Zwei ehemalige Freunde aus der Theaterbranche treffen sich nach Jahren in einem französischen Restaurant New Yorks.
Und an diesem Tisch spielen sich fast die gesamten einhundertundzehn Minuten des Films ab, selbst die Toiletten werden gemieden.
Nur ein Bissen der Mahlzeit wird hin und wieder mechanisch und nebensächlich in die Mundhöhle geschoben.
Und sie reden über das Leben.
Auch diese Information steigert nicht gerade die Begierde nach diesem Film.

Doch sind es die vielen klugen Sätze von André (Andre Gregory), die Fragen und wenigen, aber ebenso klugen Sätze von Wally (Wallace Shawn) und die offenen, bereitwilligen Gesten Andrés und Wallys, die mich veranlassen, dieses gefilmte Essen in meine Rubrik „Unvergessliches“ einzuordnen.
Im Grunde spricht nur André, Wally hört zu und fragt, André spricht, Wally hört zu und fragt, André spricht, Wally hört zu und fragt…..

André spricht über sein Leben, über seine oft etwas schrägen, religiös-spirituellen, gelegentlich auch esoterischen Aktionen in Montauk, in Wüsten und polnischen Wäldern, im schottischen Findhorn.
Und Wally hört zu.
Nur am Ende der Mahlzeit entschließt er sich zu einem kleinen, charmanten, unaggressiv vorgetragenen Protest, bezweifelt den Sinn von Andrés Lebensläufen und feiert die Genügsamkeit und Schönheit alltäglicher Abläufe.
Der Kaffee am Morgen, seine Familie…

Diese Gegenüberstellungen, diese Kontraste sind so alt wie die menschliche Fähigkeit, die eigene Existenz philosophisch zu erklären und mitnichten ein originärer Beitrag Malles.

Doch diese Fragen und Antworten, diese klugen Sätze von André und Wally, die offenen und bereitwilligen Gesten…., ich würde sie gern zu einem Essen im Terzett einladen.

Auch der „Spiegel“ schrieb damals:

„Eines der kleinen, heimlichen Kino-Erlebnisse dieses Jahres – macht nicht satt, will es auch nicht, deshalb ist es ein Film.
Im Leben kann man leicht jeden Tag mit zwei langweiligeren und dümmeren Menschen essen gehen.“

Könnte von mir sein.


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August 28, 2018 Posted by | Leipzig | 1 Kommentar

Jürgen Henne, ein Hippie mit Schutzhelm, ein dickköpfiger Rebell in der Einsamkeit der Baggerkanzel, Gundermanns Wesen und seine Equus-Philosophie

Filmplakat zu „Gundermann“ von Andreas Dresen.

Ich will hier nicht die DDR-Biografie Gundermanns beurteilen, auch nicht dessen Musik und schon gar nicht seine Texte.
Bei dem gegewärtigen Klima bevorzuge ich Tage ohne Intermezzi zusätzlicher Übelkeit.

Meine Tonträger-Regale sind frei von Gundermann-Scheiben, in meinem Bücherbord wird man Drucksachen von ihm nicht finden.
Ich werde mir den Film nicht ansehen und in den Andreas-Dresen-Fanclub bin ich ohnehin nicht eingetreten.
Kann ja alles passieren und ist legitim.

Natürlich sollte ich betonen, dass sich meine Zuneigung für deratige, Gitarren zupfende, säuselnde Zeitgenossen regional-proletarischer Ausprägung mit eher schlichter Weltsicht und innerlich durchaus aggresiv gelagerter Dogmatik seit jeher nur behäbig entwickelte.

Eine vollendete Abneigung hege ich aber gegenüber Schreibern, welche diese Zupfer mit penetranten und schonungslos einfältigen Charakterisierungsketten überziehen.

LVZ vor einigen Tagen über den Liedermacher Gerhard Gundermann:

„Ein trotziger Widersprecher. Ein wütender Weltverbesserer. Ein bohrender Wahrheitssager. Ein nervender Idealist, ein Hippie mit Schutzhelm und ein dickköpfiger Rebell in der Einsamkeit der Baggerkanzel.“

Diese pubertäre Zusammenstellung „revolutionärer“ Einordnungs-Klischees, der ich mich als 15-jähriger Animals/Yardbirds/Stones/Byrds/Cream-Fan bediente, kann man einigermaßen gebildeten Zeitgenossen einfach nicht mehr vorlegen, zumal auch für den Verfasser dieser sprachlichen Pollutionen altersgemäß sicherlich schon die Ouvertüre zur Mumifizierung geschrieben wurde.

Dann wird noch etwas Gundermanns Equus-Philosophie nachgeschoben:
„Ich gehöre zu den Verlierern. Ich habe aufs richtige Pferd gesetzt, aber es hat nicht gewonnen“

Mein Gott, das ist ja erschütternd dürftig.
Außerdem hat er, nach meinem historischen Verständnis, auf ein Scheißpferd gesetzt, das zurecht verlor.

Man benötigt schon ein gerüttelt Maß an Gutherzigkeit, um diesen Text ohne Alkohol durchzustehen.

Auch am Schluss des Beitrags, als der Autor dem Film huldigt, weil im Konkreten das Allgemeine entdeckt wird, weil er nichts beweisen, sondern nur erzählen will, mit Herzblut und realistische Atem.
(Tatsächlich nicht zu ertragen)

Und dem Hauptdarsteller bejubelt er als „Gundermann aus dem Bilderbuch-von der Erscheinung bis zum Wesen“ und schlussfolgert, dass nur so „Charaktere mit Unwegbarkeiten, Untiefen, Abgründen und Geheimnissen entstehen können.“

Das liest sich wie die Aufzeichnung eines DDR-Oberschülers während einer FDJ-Veranstaltung zum Thema „Unser sozialistisches Heimatland – Unsere Kultur“.

Und außerdem ist das Nonens.

Denn mit einem Hauptdarsteller, welcher der Vorlage scheinbar penetrant ähnelt, wird man niemals das Wesen erfassen, die Erscheinung sicherlich, auch jeden Pickel auf dem Nasenflügel, aber keinesfalls das Wesen und deren „Untiefen und Abgründe“.

Und auch mit einem „realistischen Atem“ (s.o.) kann nur die Oberfläche angehaucht, nicht das Allgemeine im Konkreten entdeckt werden, denn es mangelt an allen spezifischen Mitteln, welche ein Kunstwerk bestimmen sollten, gleichgültig ob Literatur, Film, bildende Kunst…,z.B. Verfremdungen, die sich, eben allein auf künstlerischen Wegen vom konkreten Individuum lösen und übergreifende Zusammenhänge freilegen.
Vielleicht auch mit imaginären Schüben, um den Zuschauer nicht mit groben Realismen zu behelligen, dazu könnten sich eher misslungene Dokumentationen und Reportagen eignen.

Man müsste diesen unfeinen, quasselig-pathetischen Text einmal richtig auseinandernehmen, es wäre die Hölle.
Ich habe aber keine Lust dazu.

Und ich nutze die „Gundermann-Filmzeit“ z.B. für die Musik von Jackson C. Frank und Gareth Liddiard. Dabei erschließen sich mir Abgründe, Untiefen, Unwegbarkeiten, Geheimnisse (s.o.).


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August 11, 2018 Posted by | Leipzig | 1 Kommentar