Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne, Max Uhlig und die Ignoranz der Woche

Max Uhlig, Porträt Dmitri Schostakowitsch. Die Graphik wurde vor einigen Jahren zu den Gohrischer Schostakowitsch-Tagen angeboten.

Gestern wurde Max Uhlig 85, einer der herausragendsten Maler und Grafiker der DDR. Innerhalb des Stumpfsinns der damaligen Kulturpolitik missachtete man ihn zwar nicht vollständig, er wurde aber weitgehend an die Peripherie offizieller Aufmerksamkeiten und Würdigungen transportiert.

Nach 1989 entfaltete sich dann doch noch eine gesteigerte öffentlichen Wertschätzung und er agierte z. B. ab 1995 in Dresden als Professor an der Hochschule für Bildende Künste.

Während der MDR die notwendige Ehrung Max Uhligs in sein gestriges Tagesprogramm einbezog, ignorierte Leipzigs Volkszeitung diese Notwendigkeit. Auch in der heutigen Ausgabe hätte man ja noch die Möglichkeit gehabt, diese Unachtsamkeit, bzw. Inkompetenz mit einem Geburtstags-Nachruf für Lebende regulieren können. Aber mitnichten wurde reguliert.

Ich bin aber sicher, dass z.B. Norbert Wehrstedt, Fachmann für Erinnerungs-Exzesse an kulturelle Abläufe der DDR (z.B. an „Heißer Sommer“, diese unsäglich infantile Film-Sülze) die Geburtstage von Chris Doerk, Frank Schöbel, Ute Freudenberg……mindestens bis zum 120sten „journalistisch“ frenetisch feiern wird.

Ich kann da nur einen Grund vermuten, die Schlagertexte kann er intellektuell verarbeiten, bei der Bildsprache von Max Uhlig werden sich für ihn unüberwindbare Hürden auftürmen.

Vielleicht sehe ich Max Uhlig in wenigen Tagen in Gohrisch.

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Juni 24, 2022 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und vier Wochen im Friaul zwischen Venzone und Aquileia, zwischen San Vito al Tagliamento und Cividale

Udine, Palazzo Patriarcale, „Laban sucht nach den Götterbildern“, Fresko von Giovanni Battista Tiepolo

Tiepolo beschreibt eine Story aus dem Alten Testament, die man sicherlich irgendwo nachlesen kann. Ich habe aktuell keine Lust, Storys aus dem Alten Testament zu erläutern, aus dem Neuen Testament schon gar nicht.

Friaul-Julisch Venetien, die nordöstliche Region Italiens, dürfte auf dem touristischen Wunschzettel von Euphorikern der geografisch-geologischen Fußbekleidung Europas nicht gerade an dominierender Stelle glühen. Toskana, Umbrien, Sizilien, aber auch Ligurien, Piemont, Abruzzen sind sicherlich sichtbarer angeordnet.

Kann man so akzeptieren, doch als Käfig für graue Mäuse auf dem italienische Territorium eignet sich das Friaul keineswegs, es belegt 90% der Region Friaul-Julisch Venetien. Überhaupt gibt es in Italien keine grauen Mäuse außerhalb der Zoologie, Abteilung Rodentia.

Schon um 180 v. Chr. wüteten sich die Kelten durch friaulische Gebiete, doch fand man auch Zeugnisse steinzeitlicher Höhlenbewohner und von Architekten früher Pfahlbauten. Nach den Kelten folgten Römer, Westgoten, Ostgoten, Hunnen, Langobarden, Franken, Slawen, Türken. Julius Cäsar besuchte mehrmals Aquileia, Kaiser Konstantin gleichfalls und auch Franken-Matador Karl der Große tourte irgendwo durch das Friaul, es war schon was los in der Gegend. Habsburg, Venedig, Frankreich, Italien, Jugoslawien verkündeten ihre Ansprüche, 2008 öffnete sich die Grenze zu Slowenien, seither ist das Friaul in der historischen Formation wieder begehbar.

Auch für die Kunstgeschichte wurden Pflöcke mit europäisch höchstem Stellenwert in den friaulischen Boden getrieben.

So z.B die Basilika in Aquileia mit ihren unvergleichlichen Reichtum frühchristlicher Mosaiken (Bild unten), Welterbe der UNESCO. Oder Cividale mit einer beispiellosen Häufung langobardischer Kunstzeugnisse, z.B. der Tempietto Longobardo, gleichfalls UNESCO-Erbe, auf Grund denkmalpflegerischer Arbeiten zur Zeit aber fast unsichtbar. Aber auch Grado und die kulturhistorische Spuren der Völkerwanderung sowie Udine, die Stadt der Renaissance und des Barock/Rokoko sind mit einem Status von hohem europäischen Rang ausgestattet (Bild unten). Im Palazzo Patriarcale gibt es z.B. ein bemerkenswertes Angebot von Fresken Tiepolos ( auch Würzburger Residenz), Bild oben.

Aber es stimmt schon, eine derartige Konzentration von wegweisender Kunst, wie sie sich z.B. auf toskanischen und umbrischen Arealen entfaltete, ist auf Friauls Flächen nicht zu finden (Florenz, Siena, Pisa, Lucca, Assisi, Urbino, Perugia….)

So wird man z.B. die Grandiosität der Künstler am Ausgang des Mittelalters (Spätgotik) und beginnender Neuzeit (Frührenaissance), welche, ausgehend von den geistigen Zentren Italiens, die gesamte Kultur Europas bis heute beeinflusste, in Friaul weitgehend vergeblich suchen (Brunelleschi, Donatello, Ghiberti, Cimabue, Giotto, Pierro della Francesca, Fra Angelico…..)

Aber trotzdem sind vier Wochen Friaul eine sinnvoll ausgegebene Spanne von Lebenszeit. Denn ich liebe die Kunst an der Peripherie der Edelangebote, abseits der Eliteeinheiten in der Kunstgeschichte. Da fällt bei Wandmalereien die Gewichtung der Fläche schon mal nach unten oder nach oben oder nach hinten und die menschlichen Körper, die Glieder werden absurd deformiert, werden überdehnt oder verkürzt und könnten in der Realität nicht überleben. Das ist keine vollendete, makellose Kunst, doch eine spannende Illustrierung des Lebens, des Glaubens vor Jahrhunderten.

Später zelebrierten ja die Maler des Manierismus bewusst und mit beträchtlicher Meisterschaft diese Deformationen als Mittel zum Zweck (etwa 1530 bis zum Beginn des 17.Jahrh.)

Villa Manin, bei Passariano, ab Mitte d. 17.Jahrh. erbaut, Landsitz des letzten Dogen Venedigs.

Familie Manin stammt aus der Toskana und wurde im späten 13.Jahrh. in Udine ansässig. Napoleon wählte 1797 diese Villa als Hauptquartier nach dem Waffenstillstand und während der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Campoformio zwischen Österreich und Frankreich. Er war der Meinung, das Anwesen sei zu groß für einen Grafen , doch zu klein für einen König. Er selbst agierte in diesem Jahr als Oberbefehlshaber der französischen Italienarmee. Er wurde 1804 Kaiser von Frankreich und 1805 König von Italien. Ob er jemals die Villa Manin erneut aufgesucht hat, entzieht sich meiner Kenntnis.

Udine, Piazza Libertà, Loggia del Lionello, ab Mitte des 15. Jahrh. erbaut.

Provesano, San Leonard, Fresken im Presbyterium, Ende des 15.Jahrh., von Gianfrancesco Tolmezzo

Die Kreuzigung belegt das Zentrum dieser Fresken, die Gewölbekappen wurden mit Abbildern von Propheten und Kirchenvätern bemalt, außerdem gibt es Szenen der Passion Christi, Hölle, Paradies…., aber auch z.B. die beiden Heiligen Sebastian und Rochus werden vorgestellt. Rochus, der mitunter in der Garde der Nothelfer Einlass findet, als Patron gegen die Pest agiert, nicht selten in der Kunstgeschichte seine Oberschenkel freilegt, um auf die vor sich hin faulenden Pestbatzen zu weisen.

Basilika in Aquileia mit Mosaiken aus der Zeit des frühen Christentums, 4.Jahrh. n Chr.

Garten in Versuta neben der Kirche Sant Antonio.

Hier könnte Pier Paolo Pasolini, der während des zweiten Weltkrigs in dem Dörfchen als Lehrer arbeitete, seine Griechisch-Stunden abgehalten haben, mutmaßt mancher Reisender.

Gemona, Dom Santa Maria Assunta

Fassade um 1300, Veränderungen in der ersten Hälfte des 19.Jahrh. Auffällig und etwas irritierend , zumindest innerhalb der italienischen Architektur, erweist sich die Galerie oberhalb des Portals am Mittelschiff, eine gebräuchliche Fassaden-Dekoration innerhalb der französischen Baukunst. Dargestellt wird die Anbetung der Könige. Die linke Fassadenfläche wurde u.a. mit dem thronendem Christus und der thronenden Maria veredelt.

Rechts natürlich der heilige Christophorus (s.unten). Aber während Rochus (s. oben) eher als Ersatzpatron eingesetzt wird, gehört Christophorus zur Kernelite der vierzehn Nothelfer und hilft in allen Gefahrensituationen, welche die Welt so anbietet. Er wird als Schutzpatron bei Unwetter angerufen, Reisende geben sich in seine Obhut und neuerdings suchen auch Autofahrer, einschließlich Taxifahrer seine Hilfe.

Überwiegend wird Christophorus als Riese mit üppiger Körpermasse wiedergegeben, der den faulen Jesus-Lümmel auf der Schulter über den Fluss trägt. Der hätte ja auch einmal versuchen können, den Fluss schwimmend zu bewältigen. Denn über Wasser zu tänzeln, beherrschte er später ja recht eindrucksvoll.

Der Christophorus von Gemona ragt sieben Meter in die Höhe und wurde um 1330 aufgestellt.

Gemona, Dom Santa Maria Assunta, heiliger Christophorus

Gemona wurde 1976 durch zwei Erdbeben in weiten Teilen zerstört. In einer ständigen Ausstellung unweit des Doms werden Zeugnisse dieses Elends gezeigt.

San Daniele, Sant´Antonio Abate, Freskenzyklus von Pellegrini da San Daniele, um 1495 – 1520

Die Apsis wird von der Kreuzigung dominiert, an den Triumphbogenwänden gibt es links oben die Anbetung der Hirten, von Engeln und Heiligen unterhalb begleitet und rechts oben die Anbetung der Könige, darunter der heilige Sebastian mit Pfeil im Oberschenkel, der heilige Rochus mit Pestpickeln auf dem Oberschenkel und Hiob neigt sich zu dem Heiligen ohne Pestpickel, den Pfeil kann er ertragen.

San Daniele, Sant´Antonio Abate, optisch etwas anderes nuanciert.

San Daniele, Sant´Antonio Abate, Sebastian, Hiob, Rochus (v. links), ganz rechts der unvermeidliche Christophorus, der den faulen Jesus-Lümmel…u.s.w. (s.o.)

Friaulisches Idyll, Dom Santa Maria Assunta in Spilimbergo

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Juni 16, 2022 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar