Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne, Puccini, Netrebko, Villazon,“La Boheme“ und Winter in Paris

Denkmal für Puccini in seiner Geburtsstadt Lucca, Frühjahr 2005.

Eigentlich tendiert meine tägliche Musikgier eher nach den Noten der klassischen Moderne des vergangenen Jahrhunderts, der Begriff ist in der Musik eher unüblich, und nach zeitgenössischer Tonkunst, also zwischen Strawinsky, Schostakowitsch, Bartok und Schönberg bis zu Rihm, Henze, Tavener, Philip Glass, Pärt, Kantscheli, Feldman, Xenakis Sofia Gubaidulina, Berio und Berd Alois Zimmermann. Natürlich gibt es dann auch noch u.a. die wundervolle Musik von Debussy und Mahler, die unbeschreiblichen „Vier letzten Lieder“ von R.Strauss, dessen „Salome“ und „Elektra“ und Alban Bergs „Woyzeck“.

Und dann gibt es noch Puccini, der 1904 „Madama Butterfly“ schrieb, nur ein Jahr vor „Salome“ (Strauss) und in einem überschaubaren Zeitabstand z.B. zu Strawinskys „Feuervogel“ (1910) und „Frühlingsopfer“ (1913), für mein eher schlichtes Musikgemüt markant unterschiedliche Welten.
Obwohl ich mich Nietzsches „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“ ohne Gewissensbisse anschließen würde, habe ich mich bei musiktheoretischen Fragen nur unwesentlich vom Status einer tauben Nuss entfernt.
Bei einer Umfrage vor einigen Jahren unter Musikwissenschaftlern nach den bedeutendsten Komponisten der Musikgeschichte trällerte sich Mozart an die Spitze, gefolgt von Bach und Schubert, Beethoven erklomm Rang vier, Haydn, Wagner, Händel, Verdi verteilten sich auf die folgenden Plätze, Monteverdi war, so glaube ich, auch dabei. Und gleichfalls in der Top Ten eben auch Puccini, für mich eine verwegene Entscheidung.
Derartige Listen haben ja grundsätzlich etwas Blödsinniges an sich. Die Umfrage vor einiger Zeit nach den größten Deutschen vereinte dann schon einmal Gutenberg und Adenauer, Marx und Boris Becker unter einem Hut.

Ein kompetenter Musikwissenschaftler, der über Puccini promovierte und leider seit Jahren seine Wissensperlen und sprachlichen Fähigkeiten bei einer einfältigen Tageszeitung Leipzigs vor die legendären Rüsseltiere wirft, erklärte mir einmal die progressiven Tugenden Puccinis.
Ich versuchte zu verstehen, es gelang mir nur mäßig.

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Mimi (Anna Netrebko) kurz vor der Verbleichung

Jedenfalls zelebrierte ich am vergangenen Freitag bei einer Pulle Wein und Weihnachtsgebäck die ZDF-Ausstrahlung von „La Boheme“, ein deutsch-österreichischer Film mit Anna Netrebko und Rolando Villazon.
Und ich ließ mich wieder bis in die letzten Ecken meiner Tränensäcke faszinieren.
Netrebko und Villazon sind natürlich keine großen Schauspieler und manche Einstellung wirkte deshalb bemerkenswert albern. Opern gehören eben auf die Bühne und gelingen nur selten als verfilmte Naheinstellungen. Aber die Musik war wiederum göttlich.
Aber Puccini auf Position 10…. vor Mahler und Brahms, vor Strawinsky und Schostakowitsch, vor Schönberg und Bruckner. Aber ich bin eben musiktheoretisch doch nur ein blindes Huhn.

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Mimi, noch näher an der Verbleichung. Rodolfo brüllt ihr ins Gesicht und scheinbar den letzten Lebenswillen aus dem Leib.

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Mimi und Rodolfo im Pariser Schnee, ein Bild aus besseren Tagen

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……und ewig brüllt Rodolfo, sicherlich mit Schneekristall im Karies-Gebiss

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Dezember 21, 2009 Posted by | Leipzig | 1 Kommentar

Jürgen Henne, New York, Woody Allen, „Whatever Works“, Larry David und ein hässliches Entlein

Woody Allen

Als ich „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nie zu fragen wagten“ intellektuell und filmästhtisch zur Kenntnis nehmen wollte, brüllte ich nach wenigen Minuten Wort-Torpedos wie Einfältigkeit und Dümmlichkeit zwischen die Wände und mied dann viele Jahre die Filme Woody Allens. Streifen wie „Der Stadtneurotiker“, „Manhattan“, „Mach´s noch einmal, Sam“ oder „Hannah und ihre Schwestern“ sind für mich cineastische Wüsten.
Erst mit „Cassandras Traum“(2007) und „Vicky Cristina Barcelona“(2008) begann ich einen erneuten Versuch und konnte eine sanfte Schwellung meiner Zuneigungs-Gene nicht vermeiden

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Und gestern nun „Whatever Works“, Woody Allen im Jahr 2009.
Die nervende Kotztüte Boris Yellnikoff (Larry David), potentieller Nobelpreisträger, vereinsamt und am Rande der Asozialität, rüpelt sich durch die Welt, deren Bewohner er weitgehend in die Kategorien Kretin, Hohlkopf, Spulwurm….einordnet.
Dieser cholerische, notorisch missmutige Halbneurotiker versucht, Kindern Schach zu lehren, deren Selbstbewusstsein er gleichzeitig durch kontinuirlich dargebotene Beleidigungsexzesse knebelt. Er lamentiert über die Unsinnigkeit automatischer Toilettenspülkästen und nervt seine Umgebung mit der schonungslosen Darstellung seiner intellektuellen Sonderstellung.
Doch ist auch er nicht vor archaischen Gefühlen gefeit und verliebt sich in eine ansehnliche Frau (Evan Rachel Wood), einer Vagabundin, die aus den Südstaaten und ihren Eltern entflohen ist, abgefüllt mit Naivität und beängstigenden Wissensdefiziten. Dennoch schreitet dieses Kontrastduett nach Turbulenzen der unterschiedlichsten Phonstärke zur Trauung, Yellnikoff grundsätzlich humpelnd, nach einem misslungenen Suizid
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Larry David als Boris Yellnikoff

Doch beendet er auch jetzt nicht seine Nölereien. Seiner Frau Melodie bescheinigt er weiterhin konsequent eine ausufernde Unbedarftheit und deren getrennten Eltern, die ihrer Tochter aufdringlich nachreisten und die bei der Kenntnisnahme dieser Verbindung kurz vor dem Koma standen, die borniert dogmatischen Denkmuster des gemeinen Südstaatlers mit christlichem Weltbild

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Woody Allen und Larry David

Doch dann ist natürlich noch New York, dieser zu Stein und Mensch gewordene Urschrei, diese heiße, röchelnde, kreischende Mutationshölle, diese Lustposaune für alle unerledigten Wünsche.

Melodies miefiger Vater (Ed Begley Jr.) bekennt sich nun zu seiner schwulen Grundkonstellation.
Melodies miefige Mutter flippt vor sich hin, suhlt sich in der New Yorker Kunstszene und eröffnet ihre Ausstellung mit „schweinischen“ Bildern.
Melodie löst sich von Boris, findet einen gleichaltrigen Schönbatzen und faselt so wundervoll altklug und immer noch ohne tiefere Kenntnis die Fundamentalsätze Yellnikoffs in die Menge, der seinerseits nach einem erneuten Suizidversuch nicht auf dem Asphalt, aber auf einer Hellseherin landet und diese ehelicht.

Jeder wandelt sich, meuchelt seinen Alp, der ihm bislang die Luft nur in Portionen zum Überleben anbot und lässt, mit der Hilfe New Yorks, eben die unerledigten Sehnsüchte herausfluten.
Der Film ist eine auserlesene Melange tiefschürfender Weisheiten, plakativer Einschübe, feinsinniger Dialoge und einer bestechenden Situationskomik.
Der jüdische Humor in seinen politisch-philosophischen Dimensionen, bitter, krass, schneidend und mit der heiteren, manchmal unfassbaren Verarbeitung von Leid und Trauer hüllt diese Komödie in eine große Ernsthaftigkeit. Vorzügliche Schauspieler bis in die letzte Reihe und eine prägnant schnörkellose Sprache mit ironisch-zynischer Sonderdekoration erheben diesen Streifen zu einem bedeutsamen Ereignis des auslaufenden Jahres.
In der Schlusssequenz finden sich alle zur Sylvesterumarmung unter der Maxime: „Wenn es funktioniert, dann ist es eben gut“. Scheinbar das Leitthema in Allens Filmoevre. Sagte man mir. Ich kann es nicht beurteilen, ich habe Woody Allen ja bisher ignoriert.
Ich denke, dass wird sich ändern.
Ich bin selten reif für die Insel, nach der sich Peter Cornelius vor fast dreißig Jahren sehnte. Für New York hat sich aber bei mir wieder ein Reifegrad entwickelt, der mich dazu treibt, ältere Aufnahmen auf meinen Nachttisch zu legen.

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Brooklyn Bridge

Alle Bilder, New York, Früherbst 2008

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Chrysler Building mit benachbarter Architektur

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Denkmal Hans Christian Andersen mit meiner wundervollen Frau, Central Park. Allerdings frage ich mich nach der Verbindung des Dänen zu New York. Man übersehe nicht die alberne Ente, links

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Hohe Hochhäuser und kleine Kirche

Auf dem Empire State Building

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Verneigung vor John Lennon, Central Park

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Dezember 9, 2009 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, die alltägliche Mühsal und Mürbchen, Schweinsohren, Frettchen, Elche, Doppelstockbusse

Jürgen Henne auf der Suche nach einem Bäcker, bei dem man unbehelligt ein Mürbchen und ein Schweinsohr kaufen kann.

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Bei einem Gohliser Bäcker bitte ich um ein Mürbchen und ein Schweinsohr, ohne Schokolade, um als Zuckerasket meinen notwendigen Grundbedarf an diesem Stoff abzudecken. Routiniert mit der Kuchenzange vom Mürbchenturm und vom Schweinsohrentablett gehoben, sorgfältig verpackt, erhalte ich Mürbchen und Schweinsohr mit der bäckrigen Empfehlung: „Na, dazu vielleicht noch Brote und Brötchen?“

Ich erstarrte. Ich wollte nur sanft ein Mürbchen und ein Schweinsohr zwischen meinen Zähnen zerbröseln, um meinen Zuckerspiegel zu normalisieren. Und nun vielleicht noch Brote und Brötchen? Nicht sanft zerbröseln, sondern aggressiv in der Mundhöhle zerkneten? Nicht etwa: „Na, vielleicht noch ein kleines halbes Vollkornbrot und zwei Sesambrötchen, auch ein Kümmelbrötchen hätten wir noch.“ Nein, sie sprach von Broten und Brötchen.
Ich schaute etwas skeptisch auf Mürbchen und Schweinsohr und verließ den Laden. Habe ich die Statur von Godzilla?

Vielleicht in Bälde bei einem Fleischer nach der Bitte um 150 Gramm Hausmacher-Leberwurst: „Na, dazu vielleicht noch Elche und Frettchen ?“

Oder ich kaufe ein Rad und muss vernehmen: „Na, dazu vielleicht noch einen Panzer und ein paar Doppelstockbusse?“

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Dezember 2, 2009 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar