Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne und dreißig Tage in Dänemark

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Eine fotografische Sekunde aus einer dreistündigen Situation vor dem Küchenfenster unseres Ferienhauses in Sandager Naes

Wenn man ankündigt, sich einen Monat urlaubsbedingt in Dänemark aufhalten zu wollen, pendeln die Reaktionen zwischen unterdrücktem Heiterkeitsbrodeln, ungläubigem Winseln, mit einer Nuance Mitleid unterlegt, hysterisch ausgedrückten Zweifeln am Wohlbefinden des Ankünders und einer leicht aggressiv vorgetragenen Neugier, mit einem „Was willst Du denn dort“ umrahmt.

Nach über dreißig Jahren und zahlreichen Aufenthalten auf vier Kontinenten, ist es uns gelungen, unser nördliches Nachbarland einigermaßen umfassend zu besichtigen.

Mich treibt nicht die Begierde, hier eine mehrbändige Reisebeschreibung abzusetzen. Deshalb nur ein paar Bilder, angereichert mit einigen Kommentaren. Denn ein chinesisches Sprichwort formuliert schon weise, dass einmal selbst sehen, besser sei, als hundertmal hören (oder so ähnlich). Und ich würde auch „als lesen“ und „als Bildchen ansehen“ einschließen.

Natürlich ist Dänemark nicht so üppig mit Unesco-Welterbe-Nummern überzogen wie z.B. Italien, Frankreich, Spanien oder Deutschland, nicht nur wegen der begrenzten Quadratkilometer, auch spektakuläre Landschaftsformationen und geologische Phänomene bleiben eher überschaubar. Hier turnen nicht Millionen Zeitgenossen über „Sehenswürdigkeiten“ (ich hasse diese Bezeichnung), um sich mit Selfies abzulichten und gleichzeitig ihre Liste der Kategorie „Zwölf Orte, die man gesehen haben muss!“ mit einem weiteren Erledigt – Häkchen zu verzieren.

Dänemark ist eher ein Areal der leisen Töne. Wenn man sich ihm ausliefert, wird es unüberhörbar im Gedächtnis bleiben. Dänemark ist das Land der Fasane, die mit Blumen übersäte Feldraine durchmessen und das Land, in dem Hasen in den Gärten der Ferienhäuser herumfläzen bzw. Hirsche wiederkäuend ihre Verdauung forcieren (s.Bild oben). Und das Land der weiten Blicke, der Vogelbeersträucher, des Regens und des infernalischen Sturms, der auch Ferienhäuser ächzen, stöhnen, brüllen lässt und man sich des Nachts nicht wundern würde, wenn eine skandinavische Baba Jaga auf dem Dach das Kommando übernommen hat. Und Dänemark ist auch das Land, in dem das einheimische Bier besonders gut zu frisch geräuchertem Fisch schmeckt.

Aber auch das Land der spätgotischen Altäre, der Renaissance-Schlösser und klassizistischen Schloss-Anlagen, der wundervoll naiv-mittelalterlichen Wandbemalung in Dorfkirchen, natürlich auch die Geburtsstätten von Brahe, Kierkegaard, Thorvaldsen, Asta Nielsen, Asger Jorn, Niels Bohr, und Hans Christian Andersen, die europäische Astronomie, Philosophie, Kunst- u. Filmgeschichte, Physik und Literatur maßgeblich beeinflusst haben.

Außerdem ist Dänemark für das Rad, aber auch für das Auto ziemlich gut gewappnet.

Skulptur von Alberto Giacometti ( „Schreitender Mann“ ) im Museum Louisiana bei Helsingoer.

Museum Louisiana, Cèsar, „Le grande pouce“, 1968, Bronze

Museum Louisiana, Nobuo Sekine, „Phases of Nothingness“, 1970

Der Name dieses bedeutendsten Museums für die Kunst des 20./21. Jahrhunderts in Dänemark kann keineswegs von dem nordamerikanischen Südstaat abgeleitet werden. Der Besitzer der Urarchitektur während der Mitte des 19. Jahrh. heiratete drei Frauen (hintereinander), die sich Louise nannten.

Nur einige Namen, welche die Sammlung veredeln, hochgradig ungeordnet: H, Moore, Warhol, J. Albers, M. Rothko, L. Fontana, Asger Jorn, Rauschenberg, F. Bacon, Baselitz, Kiefer, Penck, C. Sherman, Dubuffet, El Lissitzky, Y. Klein, J. Pollock, Claes Oldenbourg, J. Meese, M. Louis, Moholy-Nagy, R.P. Lohse…..für Dänemark-Besucher, die nur vor der Meerjungfrau in Kopenhagen abknieen, wäre diese Aufzählung vielleicht nicht das sinnvollste Angebot.-

Roskilde, Dom St. Lucas, UNESCO-Welterbe, Vollendung der Kirche am Ende des 13.Jahr., ständige Veränderungen und Erweiterungen, seit über fünfhundert Jahren Grabstätte dänischer Könige.

Weitgehend von romanischem und gotischem Zuschnitt, aber auch z.B. mit Stilmitteln der Renaissance, des Barocks und mit klassizistischen Formen angereichert. Dreischiffige Basilika.

Bild oben: Mittelschiff nach Osten, Bild mittig: Flügelaltar aus einer Antwerpener Werkstatt(16.Jahrh.), Szenen von der Geburt bis zur Kreuzigung Christi. Ürsprünglich wurde als Standort die Schlosskirche Frederiksborg geplant. Bild unten: Kapelle der heiligen Brigitta von Vadstena, Wandmalerei, Beginn des 14.Jahrh., im schwedischen Vadstena gibt es ein Brigitta-Museum, Ziel zahlreicher Pilger, Vadstena wird auch als „Rom des Nordens gerühmt.

Kirche in Tuse

Tuse, Gewölbemalerei, 2.Hälfte des 15.Jahrh.Die drei Lebenden und die drei Toten“.

Eine Version des Totentanzes, die an das Bewußtsein vermittelt, daß Sterblichkeit unvermeidbar sein wird. In der Mitte drei berittene Krieger, rechts oben drei tote Könige (Licht steht in manchen Kirchen nur begrenzt zur Verfügung und den Einsatz von Blitzlicht schließe ich aus. Deshalb mitunter eine etwas verminderte Bildqualität)

Schloss Lerchenborg, 1745 vollendet, für General Christian Lerche.

Ansehnlicher Spät-Barock, dreiflügelig, als Gast im Haus agierte auch H.Chr. Andersen.

Etwa zweihundert Meter Luftlinie von Schloss Lerchenborg entfernt (oben), immitten einer feldartigen Landschaft, thront dieses faszinierende Industrie-Ensemble. Ich habe keine Ahnung, was in dieser technischen Anlage passiert, aber schön ist sie. Über zweihundertundfünfzig Jahre getrennt. Zwei ästhetische Sonderleistungen Dänemarks ihrer Zeit. das ist 2021 und so muss es sein.

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Hilleroed, Wasserschloss Frederiksborg im Stil der Renaissance.

Bild oben: Schloss Frederiksborg, Bild mittig: Schlosskapelle mit kostbarer Ausstattung, aber nicht unbedingt, wegen ästhtischer Bedenken, mein bevorzugter Aufenthaltsort, Bild unten: Tapete (Ausschnitt).

Silkeborg, Museum Asger Jorn

Im Hintergrund eine ausgreifende Arbeit von Asger Jorn, davor stehen Tische, schon mit Besteck gedeckt. Ich erinnere mich nicht, dass Jorn einem seiner Bilder Tische zugefügt. hat. Dieses Möbilar dient Veranstaltungen, während derer sich zahlende Besucher flüssiges und festes Nahrungs-Material in den Rachen schieben, um dabei spuckend und rülpsend über Kunst zu labern. Irgendwie wird dann der Raum gewechselt und die Teilnehmer wanken dann, weiterhin rülpsend, zu anderen Kunstwerken. Ob sie dabei die Tische mitnehmen, entzieht sich meiner Kenntnis.

Dieses Modell gehört nicht zu meinen favorisierten Möglichkeiten der Kunstaneignung, ist aber schon in Ordnung. Die Museen benötigen auch in Dänemark finanzielle Unterstützung. Die Hauptsache ist natürlich, die Anwesenden prüfen mit ihren fettigen Fingern nicht, ob die Farbe auf den Bildern schon getrocknet ist.

Silkeborg, Asger Jorn, „Aarstiderne III“, 1941.

Neben Per Kirkeby (1938-2018) hat zweifellos Asger Jorn (1914-1973) den wichtigsten Beitrag Dänemarks für die Geschichte der Malerei in Europa des 20. Jahrhunderts beigetragen.

Silkeborg, Asger Jorn, “ Svejter Garden„, 1953/54.

Odense, Dom, Kirche des hlg. Knud, Altar von Claus Berg, erstes Viertel d.16.Jahrh.

Königin Christine bestellte den Altar für eine königliche Grabkapelle. Im Zentrum gibt es die Kreuzigung, flankiert mit einer befriedigenden Anzahl von Heiligen. Die übrige Fläche belegen Szenen der Leidensgeschichte Christi, Marias Krönung, Anne selbdritt und die betende Königsfamilie.

Aarhus, Frauenkirche, Altar aus der Werkstatt Claus Bergs, erstes Drittel des 16.Jahrhunderts

Mittig leidet Christus am Kreuz mit entsprechendem Publikum. Auf den Seitenflügeln haben sich die zwölf Apostel, drei Dominikaner und der Heilige Nicolai postiert.

Aarhus, Dom, Altar von Bernt Notke (Detail), letztes Viertel des 15.Jahrhunderts.

Links der Heilige Clemens, Schutzpatron von Stadt und Kirche, mittig Anna selbdritt mit Anna, Maria und Kind, rechts Johannes d. Täufer, Schutzheiliger des Spenders.

Claus Berg und Bernt Notke (er malte auch) darf man getrost, ohne Widerspruch erwarten zu müssen, als wichtigste Bildschnitzer des nördlichen Europas am ausgehenden Mittelalter (Spätgotik) einordnen.

Undlose, Dorfkirche, 12. Jahrh., im 15.Jahrh. als Pilgerort für den Heiligen Laurentius beträchtlich erweitert und verändert. Gewölbemalerei mit Szenen aus Christi Leben und Tod sowie aus der Legende um den Heiligen Laurentius.Das ist der auf dem ziemlich warmen Eisenrost.

Undlose, Dorfkirche, Gewölbemalerei, um 1425, „Anbetung der Heiligen Drei Könige“.

Undlose, Dorfkirche, Innenraum mit Gewölbemalerei, um 1425, im Zentrum geradeaus „Ausgießung des Heiligen Geistes“

Auch z.B. Ledreborg, Tveje Merloese, Selsoe, Agerup, Kalundborg…. sind von erweiterter Ansehnlichkeit.

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Oktober 23, 2021 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar