Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne, eine Sammlung gotischer Skulpturen im Chemnitzer Schlossbergmuseum, Hans Witten, Meister H.W., Peter Breuer, heilige Gräber, der rastende Christus, Anna Selbdritt, vierzehn Nothelfer, eine fehlende Kreuzigung und ein Wolfgang im Salzkammergut

Chemnitz, Schlossbergmuseum, Gotische Skulptur in Sachsen, Schmerzensmutter, Meister H.W. ( Hans Witten ? ), oder vielleicht auch Hans Witten ( Meister H.W. ? ) Laubholz, Beginn 16.Jahrh., Reste der originalen Farbfassung noch sichtbar. Vemutlich ein Teil des Hochaltars der Chemnitzer Jakobikirche. Der Blick nach oben deutet auf eine Position unter dem Kruxifx mit dem gekreuzigtem Jesus. Eine bemerkenswert hohe Qualität.

Über den neusten Forschungsstand um Hans Witten und dem Meister mit dem Notnamen H.W. habe ich mich nicht informiert. Seit langer Zeit wird sich kunstwissenschaftlich um diesen Bildhauer geprügelt. Dabei steht die Frage nach der Identität von Meister H.W. und Hans Witten im Zentrum. Aber ob Hans Witten oder Meister H.W. oder umgedreht, einige dieser Werke können getrost in das Elite-Sortiment spätgotischer Bildhauerei aufgenommen werden.

H.W. ist im Grunde eine Notname, im engeren Sinn aber ein Monogrammist, dessen Initiale überliefert sind, die bei klassischen Vertretern der Notnamenträger bislang verborgen bleiben. Ein bestimmtes Werk dient deshalb zu deren Individualisierung. Mögliche weitere Werke könnten durch Stilvergleiche ermittelt werden. Bekannte Beispiele wären dabei z.B. Meister der Darmstädter Passion, Meister der Manesse-Handschrift und natürlich der Naumburger Meister.

Hans Witten / H.W. werkelte in einer Zeit am Ausgang des Mittelalters, am Schnittpunkt von Gotik und Renaissance, als Spätgotiker sozusagen. Es waren die Zeiten als z.B. Bernt Notke, Syrlin d.Ä. + Syrlin d.J., Hans Leinberger, Adam Kraft, Gregor Erhart….und vor allem die Giganten Tilman Riemenschneider und Veit Stoß die Bildhauerei in deutschen Landschaften dominierten.

Vor einigen Jahren hatten wir in fränkischen Arealen eine Tilman-Riemenschneider-Tour zelebriert, Würzburg, Münnerstadt, Creglingen, Detwang, Maidbronn, Rothenburg, Sternstunden des Lebens.

Und nach der Wahrnehmung des Namens Veit Stoß konnte ich im Gegenteil keine Ausstrahlungen einer Sternstunde spüren. Als ich mich bei meinem Besuch der Krakauer Marienkirche (1970) dem Altar von Veit Stoß nähern wollte, wurde ich abgewiesen. Während einer rumänischen Reisegruppe freundlich diese weiteren Schritte erlaubt wurden, hatte meine deutsche Sprache einen Mauerbau zwischen mir und Veit Stoß bewirkt. Aber ich besaß schon die Bildung, neben Ärger auch Verständnis zu entwickeln.

Der Meister H.W. ( Hans Witten ? ) oder Hans Witten ( Meister H.W. ? ) agiert zumindest auf einem qualitativ hochwertigen Ausläufer dieser Zeit. Neben seiner Schmerzensmutter in Chemnitz (oben) muss man unbedingt die Geiselsäule in der Chemnitzer Schlosskirche, den Marienaltar in Bornas Stadtkirche und natürlich die unvergleichliche Tulpenkanzel in Freibergs Dom preisen.

Ich werde mich hüten, mich hier mit einer Darstellung der bildhauerischen Gotik-Epoche, insbesondere der bildhauerischen Spätgotik-Epoche aufzudrängen. Mit den literarischen Erzeugnissen über diese herausragende Ära der Kunstgeschichte könnte man ohne Beschwerden das Leipziger RB-Stadion bis zu den Flutlichtern füllen.

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Heiliges Grab, um 1500, Laubholz, aus der Chemnitzer Jakobikirche.

Auch Scheingrab oder Kenotaph im kunstwissenschaftlichen Sound. Begräbnisstätte ohne Inhalt. Nachbildung des Heiligen Grabes in Jerusalem. Weitere Exemplare gibt es z.B. in Zwickau, Görlitz und Salzburg ( Bürgerspitalkirche), das in Zusammenhang mit einer Sonderausstellung zu Heiligen Gräbern im Chemnitzer Schlossmuseum bis Januar festgezurrt wurde.

Bis auf wenige Ausnahmen (Thronende Madonna um 1160, Wasserbecken 12 Jahrh.) bietet diese Sammlung Bildhauerkunst des 15 Jahrhundert bis zum Beginn des 16.Jahrh., also das klassische Zeit-Terrain der Spätgotik ( etwa 1350 – etwa 1530, dabei ergeben sich einerseits natürlich Überschneidungen der einzelnen Phasen dieser Kunstepoche, aber auch regional bedingte Verzögerungen der stilistischen Entwicklungen).

Der aktuelle Status quo dieser Präsentation gotischer Bildhauerkunst Sachsens resultiert aus der Zusammenführung von Teilen des eigenen Bestandes im Chemnitzer Schlossmuseum und Dauerleihgaben aus der Dresdner Sammlung, die bis 2009 in der Meißner Albrechtsburg dargeboten wurden. Die Räume der Albrechtsburg sollten dann anderen Zwecken dienen und in Dresden fehlten Räume.

Damit erhielt Chemnitz innerhalb von drei Jahren, 2007/2009, eine Sammlung der klassischen Moderne von europäischem Rang (Gunzenhauser) und eine erstrangige Kollektion mittelalterlicher Skulpturen. Und Leipzig glotzte wieder einmal in die Röhre. Leipzig hatte eben keine Ingrid Mössinger, aber Chemnitz durchaus.

Im ehemaligen Benediktinerkloster stehen und hängen nun plastische Werke z.B. aus der Nikolaikirche Grimma, der Nikolaikirche Geyer, aus Marbach bei Roßwein, aus Gersdorf bei Döbeln, aus Blankenstein bei Dresden und aus Zwickau, aus der Michaeliskirche in Zeitz und der Jakobikirche Chemnitz……u.s.w. und so wunderbar.

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Christus in der Rast, Beginn des 16.Jahrh., Lindenholz, von Peter Breuer (?)

Kenntnisse der Arbeiten von Riemenschneider und Michael Erhart sollte man vermuten. Weitere Werke gibt es von Breuer z.B. in Zwickau (Marienkirche) und im Leipziger Grassimuseum.

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Teil eines Altars, Heiliger Wolfgang, Maria mit Kind, Heiliger Sebastian, Papst (von rechts), 2.Hälfte des 15.Jahrh. originale Farbfassung, Laubholz, Nadelholz.

Bei der Figur des hlg. Wolfgang, vor über 1000 Jahren Bischof in Regensburg, aktiviere ich grundsätzlich meine Erinnerung an St. Wolfgang im Salzkammergut und den Besuch der Wolfgangskirche mit den Altar von Michael Pacher, einem großartigen Vertreter der österreichischen Spätgotik.

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Heiliger Sebastian, etwa erstes Jahrzehnt des 16.Jahrh., Lindenholz, Teil eines Altars.

Als beschützender Diener des römischen Kaisers Diokletian zelebrierte er bald das Christentum und wurde mit Pfeilschüssen harsch eingenebelt, die er jedoch überlebte, aber später mit Schlagwerkzeugen entleibt.

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Links: Heiliger Valentin, mittig: Heilige Katharina, rechts: Anna Selbdritt (also Anna+Maria+Kind), Beginn des 16. Jahrh., original polychrome Fassung, zumindest weitgehend, Linde.

Zu Füßen Valentins (links) liegt eine Figur mit etwas merkwürdiger Physiognomie, die auf seine Funktion als Beschützer von z.B Epilektikern verweist . Gleichfalls gilt Valentin als Motiv für die Etablierung des gleichnamigen Tages für weibliche und männliche Zeitgenossen, die sich zunächst nicht unbedingt hassen. Er agiert als eine Art Nothelfer, die sich den unterschiedlichsten Bevölkerungs – u. Berufsschichten und den unterschiedlichsten Leiden dieser Bevölkerungsschichten widmen und Trost spenden, z.B. Vitus, Barbara, Christophorus……, natürlich alle mit dem Status der Heiligkeit geschmückt. Valentin wurde in die Hitparade der vierzehn Nothelfer nicht aufgenommen, aber es gibt ja noch im regionalen Bereich gefühlt Milliarden ähnlicher Kämpfer.

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Altarretabel, 1500, Laub-u. Nadelholz., mittig die Mondsichelmadonna.

Die seitlichen Tafelbilder und die Predella zeigen Passionsszenen, z.B Kreuzabnahme, Verspottung Christi, Christus am Ölberg,…,die Kreuzigung selbst fehlt, keine Ahnung weshalb.

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Thronende Madonna (Detail), Ende 15.Jahrh. weitgehend originale Farbigkeit, Laubholz, Detail, Links und rechts gotische Fialen.

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Trauernde Muttergottes, um 1500, Linde, originale Bemalung

Natürlich bieten nicht alle Arbeiten eine überwätigende Qualität, es gibt also nicht nur Vorzeige-Ware, die in kunstwissenschaftlichen Schwarten gewürdigt wird. Aber auch die wundervollen Nebenwege, auch die Unzulänglichkeiten im bildhauerischem Handwerk, meinetwegen auch das oft reginal bedingte Unvermögen, beschenken diese Epoche mit einem unvergleichlichen Glanz.

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Oktober 29, 2023 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, Michelangelo Merisi, auch als Caravaggio bekannt und frühbarocke Gesichtsbackendurchstöße, der Schatten von Papst Paul, Caravaggio als Goliath, Max Schreck an der Reling und das Evangelium ist hier

Jürgen H un Cara

Aus meiner Bücherregal-Ecke mit Caravaggio-Literatur. Detail aus „Amor als Sieger“, Öl/Lw. von 1601/02. Das Original wird in der Berliner Gemäldegalerie angeboten.

Kurz vor dem Abspann des Films „Der Schatten von Caravaggio“ (Regie: Michele Placido), der aktuell in den Kinos abgespult wird, trifft der titelgebende Maler im Gefängnis auf Giordano Bruno, der wie Kinski in seinen geräuschvollsten Zeiten agiert. Eine etwas albernes, lärmend theatralisches Intermezzo, das sich so richtig nervend dazwischendrängt, sich seiner Überflüssigkeit scheinbar bewusst. Bruno wurde bald darauf, im Winter 1600, auf dem Campo de` Fiori in Rom abgefackelt. Im Film wird zwar diese Körpererwärmung Brunos nicht gezeigt, doch darum herum pulsiert das volle Leben eben um 1600.

Caravaggio, der Jahrtausendmaler, lärmt, vögelt, säuft, würfelt, mordet, pöpelt sich durch die Jahre und durch Neapel, Rom, Malta und wird verfolgt vom „Schatten“, einem Schnüffler des Papstes, der nach dessen Urteil entscheiden wird, ob Carsten Caravaggio begnadigt oder um die Maße seines Kopfes verkürzt wird.

Und diese schnüfflige, zu Fleisch gewordene Empathielosigkeit mit der Mimik von Max Schreck in einer filmischen Schiffs-Reling des Jahres 1922 operiert zumindest hintergründig als zentrale und interessanteste Figur, welche die Ereignisse dieser verfilmten Story fast geräuschlos zur Kulmination treibt. Während Caravaggio eher plakativ und mitunter als rasender Derwisch das Evangelium in den Gossen verkeimter Armenviertel findet, kämpft der „Schatten“ um die Bewältigung des Ausgleichs zwischen seiner fanatischen Unterwürfigkeit gegenüber päpstlichen Befehlen und seiner Bewunderung und Akzeptanz der Kunst Caravaggios.

Der Film beginnt mit einer deftigen Frühbarock-Drescherei, bei der Caravaggio ein spitzes Objekt durch die Gesichtsbacke gezogen wird. Zuvor hatte er ausgiebig in der städtischen Bevölkerung ein Modell für den Goliath in seinem aktuellen Bild gesucht. Er sieht innerhalb der Quacksalber-Behandlung seine Grimasse im Spiegel, windet sich und brüllt hysterisch, daß er das Modell für Goliath gefunden hat. Schon diese Szene kündet von seiner aggressiven Getriebenheit, von der unablässig zelebrierten Verkündung, dass nur der unerreichbare Caravaggio die Kunst revolutioniert und auf alle Konventionen speien darf.

Sicherlich hatte er recht, die Kunstgeschichte hat es bewiesen.

Caravaggio rüpelt sich durch sein soziales Umfeld, sortiert seine malenden Kollegen in die Kategorie „Schmierfinken“ ein und wird von Frauen und dem „niederen“ Volk geliebt.“ Und genau in diesem Teil des Volkes, im Regiment der Elenden, der Diebe, Bettler und Huren, der Hoffnungslosen und Hungernden findet Caravaggio die menschlichen Vorlagen für seine bildnerischen Darstellungen der Heiligen in der heiligen Kirche. Zitat vom Film-Caravaggio: „Das Evangelium ist hier“. Und nur deshalb jagt Arbeitgeber ( Papst Paul V.) seinen zelotischen Lakaien in die Spuren, die Caravaggio hinterlassen hat. Caravaggios exzessiver Lebensentwurf zwischen Dauervögelei, Dauerpöbelei, Dauerdrescherei…….interessiert ihn einen feuchten Beichtstuhl. Den Papst interessiert seine Dauermalerei, ihn interessiert Caravaggios gemalte Verbindung von profanem Elend und religiöser Heiligkeit, von religiös heiliger Unantastbarkeit und einem Milieu erbärmlicher Existenzen, von Not und Drangsal. Und das geht dem Papst ziemlich gnadenlos auf den Pileolus.

Den Film „Der Schatten von Caravaggio“ würde ich natürlich mitnichten in die vorderen Front meiner ewige Film-Charts aufnehmen, dabei ist er doch etwas zu konventionell, fast zu bieder, ein stabiles Mittelfeld wäre aber möglich. An der schauspielerischen Kunst gibt es wenig zu mäkeln, nur der Papst ist eine cineastische Fehlbesetzung. Meine hochverehrte Isabelle Huppert inszeniert sich recht zurückhaltend, abgesehen von der Stöpselei mit Caravaggio. Aber auch bei einer zurückgehaltenen Inszenierung sehe ich sie gern.

Mitunter nervt der etwas plakative Einsatz der Hell-Dunkel-Ästhetik im Film, das „Markenzeichen“ der Kunst Caravaggios.

Aber ich empfehle den Film dennoch, die Handlung ist klar strukturiert, die Abläufe versteht jeder, im besten Sinn also ein ordentlicher Unterhaltungsfilm und man kann, wie mir passiert, für zwei Minuten ein kleines Schläfchen machen.

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Oktober 20, 2023 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, eine heute-show, Strawalde aus Strahwalde, japanische Thaterkimonos und eine Nelke im Gebälke

Fernsehprogramm

Nach anfänglich durchaus wohlwollender Beurteilung von Oliver Welkes „heute-show“ vor fast fünfzehn Jahren reduzierte sich mein Bedürfnis, Zeuge dieser Sendung zu sein, über die Zeiten hinweg doch eher auf der Ebene erhöhter Distanz und kulminierte schließlich in einer Konstellation, in welcher der Bildschirm meines Empfängers während der Oliver – Minuten seine blasse Grundierung nicht veränderte.

Vor wenigen Tagen wagte ich nun wieder einen Versuch, die Erträglichkeit der „heute-show“ zu überprüfen und musste feststellen, dass meine Quantum-Tüte an Erträglichkeit für den 30 – bis – 45 – Minuten – Welke nicht für die gesamte Spieldauer genügte und gab deshalb dem Bildschirm meines Empfängers zügig seine blasse Grundierung zurück.

Ich kann diesen Banal-Kram nicht ertragen, diesen Knecht, der mit einem gerüttelt Maß an Unterwürfigkeits-Gelee im Rucksack die geforderten und erwarteten Dogmen der regierenden Politiker-Brigaden mit einer nur dürftig humoristischen Aufheizung anreichert.

Ich beendete meinen Gastbesuch in dieser intellektuellen Amöben-Vorstellung nach Welkes infantiler Heiterkeit, als er glaubte, die polnische PiS- Partei mit Piss-Partei oder Pisse-Partei charkterisieren zu müssen.

Mir geht es dabei nicht um politische Standpunkte und Wertungen, da habe ich für mich weite Grenzen gesteckt, hochwertige Satire, Ironie, meinetwegen auch Zynismus sind unverzichtbar. Aber der sprachliche Schritt von PiS zu Pisse irritiert durch eine unfassbar dürftige Bereitschaft für intellektuell einermaßen akzeptable Ansprüche. Welke welkt wie eine Nelke, wodurch es knistert im Gebälke….., um bei diesem Niveau zu bleiben.

Das war`s

Und als Ausgleich für diese Piss-Sendung bemerkenswert anspruchsvolle Kunst.

Malblech

Die Bilder sind von Strawalde, als Jürgen Böttcher in Frankenberg/Sa. geboren, aufgewachsen in Strahwalde, Ortsteil von Herrnhut. Mitglied der Elite-Einheit deutscher Kunst der vergangenen siebzig Jahre. Strawalde ist 92 und hält sein Künstler-Werkzeug noch fest in der Hand.

Ausgestellt werden die Arbeiten in Born, eine Bodden-Gemeinde auf dem Darß, Südstraße 22 (Galerie BORN a. Darss), Mi-So 11-17 Uhr, bis 29. Oktober.

März Collage, japanische Theaterkimonos

Punktum

Ode XI

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Oktober 2, 2023 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar