Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne, Vorschläge für die akustische und optische Dekoration bei einem Aufenthalt in der vereisten Badewanne, eisige Kindheitserinnerungen, Wunschlandschaften im Juli 2010 und Pink Taxi, Judas Priest, Thomas Bernhard, Van Morrison, Coetzee, natürlich Philip Glass, ein Eiswürfel für vierzig Pfennige und die Pein bei ranziger Butter

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Meine gegenwärtige Wunschlandschaft für ein kurzes Intermezzo im Juli 2010, Leipzig/Gohlis, Januar, 2010

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wie oben
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Weil Wunschlandschaften nur selten realisiert werden können, wäre für die unterkühlte Badewanne zur Stabilisierung der menschlichen, allmählich versiegenden Spannkraft aktuell der Einsatz eines „Eismanns“ sinnvoll, dessen Aktionen ich noch als Kind bewunderte, in einer Zeit, als Kühlschränke sich noch nicht selbstverständlich in die Küchenensembles eingliederten und der Eisschrank gehegt wurde.
Der Eisschrank als Küchenmöbel mit Metallbehälter im kleinen Innenraum, gefüllt mit „echtem“ Eis, ohne Geschmack, welches dann allmählich schmolz, doch die Lebensmittel leidlich kühlte.
Im Endstadium schwappte dann nur noch eine lauwarme Brühe vor sich hin.
An der nahen Hauptstraße parkte während der Sommermonate zweimal wöchentlich des Eismanns Lastkraftwagen im Intervall von 200-300 Metern, dessen Fahrer die harrende Umgebung durch einen gellenden Luftsog in die Trillerpfeife erlöste, Haustüren öffnete und manche Phlegmatiker zu Armin-Harry-Sprints trieb.
Ich hastete mit dem weißen Eissack zum Eismann-Standort, reihte mich in die Warteschlange von schon beträchtlichen Ausmaßen ein und hoffte, einen Barren Eis zu erhalten, durchaus keine Selbstverständlichkeit.
Der Retter unserer Lebensmittel mit monumentaler Lederschürze holte mit einem langen Metallgreifer die Eisblöcke aus der Tiefe des Wagens nach vorn. Sie glitten geräusch-u.schwerelos auf der Ladefläche, damals für mich ein wundervoller Anblick und die Einsicht in eine außerordentliche Materialästhetik.
Er riss die Blöcke mit spitzem Werkzeug in jeweils sechs Würfel zu 20, 40, und 60 Pfennigen.
Familie Henne bevorzugten die Mittelklasse zu 40 Pfennigen, gemäß der Ausdehnung des Behälters in unserem Eisschrank.
Der kalte Klotz rutschte in den Eissack, ich zahlte passend, die Münzen wurden schon Stunden vorher bereitgelegt und hastete zurück in die heimatliche Küche, damit das Eis zügig seine Wirkung entfalte, um z.b. die Haltbarkeit von Butter zu verlängern.
Die Vorstellung von deren Ranzigkeit könnte bei mir auch heute noch deftige Kotzorgien auslösen.
Wenn es den Eismann heute noch gäbe, müsste für die Füllung unserer Badewanne das Volumen des kleinen weißen Eissacks beträchtlich erweitert werden, die Mitmenschen in der Warteschlange würden sicher frenetisch nach dem metallischen Greifer rufen, um mir die Zahnlücken zu erweitern.
Also belassen wir es bei kalten Kindheitserinnerungen an heißen Tagen.

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Meine angekündigten Vorschläge:

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—Pink Taxi
Ein unaufgeregter Film mit volksnahem Humor, periodischer Sauferei, einer
Verneigung vor der Würde von Frauen und mit einem Respekt vor
weiblichen Entscheidungen, die in Russland als
gewöhnungsbedürftig gelten.
Frauen als Taxifahrerinen in Moskau. In dieser Stadt gibt es 3.Mill. Autos, 100 000 Taxis, einige mit Frauen am Steuer.

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Judas Priest mit „Pain Killer“, und „British Steel
Da krümmt sich das Trommelfell.
Bei entsprechender Stimmungslage könnte man dann „Licensed to ill“ der Beastie Boys und „Never Mind the Bollocks“ der Sex Pistols nachschieben. Dann fällt das gekrümmte Trommelfell in die Badewanne. Doch lieber gekrümmte Trommelfelle in der Badewanne als auf diese Musik zu verzichten.

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John Taverner mit„Eternity`s Sunrise
Zeitgenössische Musik von trefflichster Beschaffenheit aus England.

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Thomas Bernhard mit „Holzfällen.Eine Erregung“
Bernhard ätzt wundervoll gegen die Wiener Gesellschaft, besonders gegen das „Künstlerische Abendessen“ des Ehepaars Auersberger.

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Van Morrison mit „Astral Weeks“
Unübertroffen. Bei einem Konzert vor dem Belvedere in Weimar vor einigen Jahren beendete Morrison nach etwa fünfundsiebzig Minuten seine Vorstellung. Der Beifall wollte nicht enden, seine Abwesenheit allerdings auch nicht, also keine Zugabe, geschweige zwei.
Bald wurde ohne Ankündigung das Licht gelöscht und wir verließen in der Dunkelheit den Park. Aber man weiß ja um seinen Status als Sonderrüpel. Also keine Überraschung.

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—John M. Coetzee mit „Leben und Zeit des Michael K.“
Diesen Band legt man nicht wieder aus der Hand.

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Sidney Lumet mit „Die zwölf Geschworenen“
Wenn ich mich dieser dussligen Mode anschließen würde, alles in Top 10`s oder Top 100´s oder Top 1000`s zu packen, dieser Streifen würde wacker die Top 10 stürmen. Eine Wundertüte der Filmgeschichte.

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—C. Debussy mit „Prelude a l´apres-midi d´un faune“
Da schwült und dampft es bis zur faunischen Ejakulation.

Da fehlen noch zwei accent grave und ein accent aigu, doch dazu bin tastaturtechnisch momentan zu blöd.

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Hartmut Lange mit „Italienische Novellen“
Außerordentlich verstörend, diesen Schriftsteller kennt aber leider keine Sau. Hauptsache Ingo Schulze, Tellkamp und diese ganze Grottenliteratur wird gelesen.

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—Philip Glass mit „Einstein on the Beach“ und dem Violinkonzert.
Nach meiner Begegnung mit Glass vor einigen Wochen in Stresa ist bei mir eine renaissance-artige Hinwendung zu dieser Musik gereift.

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Juli 22, 2010 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne (noch keine 75) und Donald Sutherland (75)

Donald Sutherland
Sein äußeres Erscheinungsbild konnte im Alter nur gewinnen und es ist ihm vortrefflich gelungen

Diese Blume, einschließlich Hummel, sende ich aus Leipzig/Gohlis, vorbei an zahlreichen Drehorten dieser Welt, vorbei an Schottland, den Koordinaten seiner Ahnen bis nach Kanada, in die Heimat Donald Sutherlands, der heute 75 wird, der Nothelfer für alle Allergiker mit heftig geröteten Augen.
Die Ausdehnungen der Halde mit Film-Müll, auf der er seine Kunst verscherbelte, ist beträchtlich.

Doch „Das dreckige Dutzend“ und „Die Nadel“, „Klute“, „Die Körperfresser kommen“ (Den letzten Urschrei vergisst man nicht), „Johnny zieht in den Krieg“ „Der große Eisenbahnraub“ und selbstredend Bertoluccis „1900“ mit der wippenden Mistgabel im Oberschenkel, der explodierenden Katze an der Mauer und De Niros und Depardieus Masturbationsduett mit der Hilfestellung einer fingerfertigen Veitstänzerin sollten in die private Filmothek eingeordnet werden.

Selbst in „Outbreak“, ein durchaus fesselnder, aber weitgehend belangloser Streifen, doch immerhin mit Dustin Hoffman und Kevin Spacey, unterhält er vorzüglich als nervender und ewig genervter, cholerisch veranlagter General.
Und natürlich die Trauergondeln in Venedig. Ein Film, den scheinbar keiner so richtig verstanden hat, doch das auf höchstem Niveau.
Und ich kann nicht verhehlen, dass es mir nicht gelang, bei unseren nächtlichen Stromereien vor einigen Jahren durch Venedig, die Schlussequenz des Films vollständig aus meinem Erinnerungsfundus zu verbannen.
Diese Filme müssten genügen, um Sutherland im Lexikon auch die Bewältigung des nächsten Urknalls zu zu ermöglichen.

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Juli 17, 2010 Posted by | Film, Leipzig, Neben Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, „Leipzig malt“ in der Leipziger Volkszeitung, der Kümmel im Käse, der Papst und meine Großmutter, silbenstechende Unholde, die Penetranz schreibender Einfaltspinsel, ein unbedarfter Debil-Derwisch und die Diskuswerferin Doris Drehung

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„Leipzig malt: Die Bildhauerin Elisabeth Howey….“
Zitat, Leipziger Volkszeitung, 8.Juli, Kulturseite, s.o.

„Man will ja nicht päpstlicher sein als der Papst“, wie meine selige Großmutter zu sagen pflegte, auch nicht pingelig und schon gar nicht den Kümmel im Käse suchen.
Gleichfalls sollte die Zuordnung von spitzfindigen, wortklauberischen Kleinkrämern und Haarspaltern in den vorderen Bereich der individuell angelegten Rangordnung von Zeitgenossen mit charakterlichen Besonderheiten nicht bevorzugt werden. Und auch Wortfuchser und silbenstechende Unholde werden nicht gerade als begnadete Symphatieträger umworben und weitgehend mit Ignoranz und Distanz beschenkt.
Doch bin ich ein penibler, pedantischer, kleinkarierter Faxenmacher, ein unflexibler, unbeweglicher, krähenwinkliger, muffiger, banausischer, unbedarfter Debil-Derwisch, wenn mich aktueller Journalismus-Müll nervt?
Seit Jahren gibt es in der Leipziger Volkszeitung die Rubrik „Leipzig malt“. Entstanden mit dem Triumph der sogenannten „Neuen Leipziger Schule.“ Und ich denke, dass mein ausgeprägter Intellekt relativ sorgenfrei und zielsicher eine Malerei von anderen Möglichkeiten künstlerischer Arbeit trennen kann.
Und wenn nun seit Jahren, mit einer penetranten Lästigkeit, unter „Leipzig malt“ auch Architekten, Bildhauer, Graphiker, Installations-u. Performance-Künstler vorgestellt werden, ist das zunächst sicher nur eine nebensächlich-formale Blödsinnigkeit, aber eben über die Jahre irrwitzig nervend.
Bemerkenswert, dass dieser Klamauk, eben wiederum über Jahre, die schreibenden Einfaltspinsel der einzigen Leipziger Tagezeitung nicht im Ansatz anficht. Es kann doch nicht so schweißtreibend sein und es bedarf sicher auch keinesfalls ganzer Legionen von Journalisten, eine angemessene und einladende Parole für diese Artikel zu finden.

Denn so schlafraubend und wahnwitzig originell erscheint mir der Slogan „Leipzig malt“ auch nicht und die Bewahrung als Teil des journalistischen Welterbes, trotz des veränderten Textinhaltes, scheint nicht zwingend notwendig.
Natürlich könnte man in Bälde noch Eiskunstläufer und Kunsthonighersteller in die Serie „Leipzig malt“ aufnehmen. Oder Kunstdenkmäler und Verfechter von Kunstpausen. Vielleicht auch die Träger eines Kunstdarms.
Malerei kennt keine Grenzen und die Kunst schon gar nicht.

Und dann bald auf der Sportseite in der Rubrik Leichtathletik unter „Leipzig läuft“, eigentlich eine Würdigung von Sportlern laufender Disziplinen, auch ein Beitrag über die leichtathletische Diskuswerferin Doris Drehung.

Die Bildhauerei von Elisabeth Howey, nicht die Malerei, bietet sich übrigens in einer recht erstaunlichen Qualität an.

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Juli 9, 2010 Posted by | Kunst, Leipzig, Presse | 1 Kommentar

Jürgen Henne im Kunstverein Leipzig, die „Künstlerresidenz Blumen“ Haus am Gern und Ochsenkopftapete im Leipziger Kolonnadenviertel, Nächte ohne Heavy Metal, Lesungen neben der Tischtennisplatte, erzwungene Solidarität, die Zähne von Jimi Hendrix und eine Stoffschraube

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Ochsenkopftapete
Kunstverein Leipzig, Ausstellung von „Haus am Gern“ im Rahmen des Festivals „Platte, Schraube, Fuge“.
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http://www.hausamgern.ch

Eine Würdigung tausender Handwerker, die antennenartige Ungetüme schufen, um den Strahlen des „Westfernsehens“ vom fränkischen Ochsenkopf den Eintritt in die Oststuben zu erleichtern, mich u.a. mit dem „Beat-Club“ beschenkten und als pubertierenden Knaben wundervoll an den Rand des physisch-euphorischen Zusammenbruchs führten, als Jimi Hendrix bei „Hey Joe“ mit seinen Zähnen die Gitarren-Saiten quälte.
Ich verneige mich vor den Handwerkern und vor Jimi Hendrix

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Ochsenkopftapete, Detail

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Das Kolonnadenviertel, unweit von Leipzigs Zentrum, ist mitnichten ein Terrain, auf dem sich bei nächtlichen Events der Asphalt wölbt, Heavy Metal durch die Ziegel dröhnt und neue Kategorien ausufernder Amüsements-Seeligkeit geprägt werden.
Zu ekligen DDR-Zeiten feierte man hier die Kreation einer sogenannten „Experimentellen Architektur“, die Zusammenführung von Gründerzeitgurken mit sozialistischen Bauversuchen. Es gab sicher üblere Lösungen, doch DDR und Architektur als Experiment schlossen sich eigentlich grundsätzlich aus.
Nach der Wende siedelte sich hier irgendwann der Kunstverein Leipzig an, es folgte die „Künstlerresidenz Blumen“, die Gästen, u.a. aus Mexiko, Kroatien, Irland ermöglichte, ihre Kunst fern von heimatlicher Gewöhnung in anderen ethnischen Milieus vielleicht neu zu strukturieren.
Jetzt gab es das Festival „Platte, Schraube, Fuge“ mit Ausstellungen, Performances, Lesungen, Diskussionsrunden. An allen Ecken funkelte Kunst. Videoinstallationen in Plattenwohnungen und Lesungen im öffentlichem Raum neben der steinernen Tischtennisplatte.Es wurden keine Einschränkungen akzeptiert und die Frage gestellt, ob Kunst in einem derartigen Umfeld von gepflegter Normalität und traditionell zelebrierter Spießigkeit gewinnbringend funktionieren kann.
Als leckere Nebenpointe darf nicht verschwiegen werden, dass nach der Neugestaltung des Kolonnadenviertels in den 80er Jahren sich als Bewohner vorwiegend Zeitgenossen mit herausragend ekliger Staats-u.Parteinähe vereinigten.


Herstellung eines Grills .
Aus der Trommel einer Waschmaschine. Symbol der gnadenlos durchgezogenen Improvisationswut.

Bis 1.August zeigt der Ausstellungsraum des Kunstvereins Leipzig im Rahmen dieses Festivals eine Installation von Rudolf Steiner und Barbara Meyer Cesta aus der Schweiz, die gemeinsam unter „Haus am Gern“ agieren.
Ohne schwerlastigen Bedeutungslärm bieten sie ihre Sicht auf alltägliche Abläufe in der verrotteten DDR an. Als ehemaliges Mitglied dieses verblichenen Landes könnte ich zwar manchmal bei derartigen Erinnerungen würgen, doch besänftigt mich die wundervoll ironische Sicht ohne dümmliche Verharmlosung, denn ohne Ironie, die auch bis zu verletzenden Sarkasmen führen sollten, können diese vierzig Jahre nicht bewältigt werden.

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Stoffschraube

„Haus am Gern“ installiert Beiträge zu Legenden menschlicher Eigenschaften wie Solidarität, Erfindungsreichtum, grenzenlose Flexibilität und handwerkliche Vortrefflichkeit, welche auch heute noch von Mitmenschen, die sich scheinbar mit vororgastischen Krümmungen in dieser Zeit suhlen, als prachtvolle Selbstverständlichkeit für die vier Jahrzehnte DDR gerühmt werden.
Dabei waren diese Abläufe aufgezwungen, von einem infantilen System des Mangels, der Oberflächlichkeit, der Nötigung und des Zwangs und sollten deshalb nicht mit einer positiven Wertigkeit, sondern vorrangig mit demaskierender Ironie belegt werden. In dieser Übersicht vorzüglich gelöst.

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„Na, noch da?“
Lichtinstallation. Skeptisch-humoristische und etwas verständnislose Frage an einen Mitmenschen im Zeichen des stetig anschwellenden Ausreisesogs.

Neben dem Angebot, historisch präzise Beschreibungungen zu prüfen und Künstler zur Verarbeitung von Mechanismen zu animieren, die sich aus deren Sicht in unfreundlichen Sektoren abspulten, fordert die Ausstellung auch zur Einsichtnahme in die eigene Biographie, zur Bewertung von Courage, Toleranz und gegenwärtigem Lebensentwurf.
Ein bemerkenswerter Beitrag.

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Mauer-Irritationen

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„Ein Theaterstück für eine Schraube, eine Platte und eine Fuge“.
Klingt nach nervenzertrümmernder und schweißtreibender Spannung.

Kolonnadenstraße 6, ab 8.Juli Do-Fr 16-20 Uhr und Sa-So 14-18 Uhr, bis 1.August

http://www.hausamgern.ch

juergenhennekunstkritik.wordpress.com

juergen-henne-leipzig@web.de

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Juli 4, 2010 Posted by | Kunst, Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar