Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne, ein Weihnachtsei, Ergießung des heiligen Ochsenschweißes, Caspars Familie, Kommet, ihr Hirten und die Besänftigung cholerischer Gene

Ouvertüre zum vierundzwanzigsten Dezember. Noch im prachtvollen Nachtgewand wollte ich den Tag mit der perfekten Zubereitung eines Frühstückseies eröffnen. Der Aggregatzustand und der ästhetische Befund dieser glibbrigen Hühnerpampe, das Ergebnis meiner unkontrollierten Handgestik, erwies sich aber als ungeeignet, die morgentliche Mahlzeit kultiviert zu ergänzen.
Doch gelang es mir, meine cholerischen Gene zu besänftigen und die restlichen Eier werden unbeschadet den heiligen Abend überstehen.
Doch vielleicht zwang mich auch mein Körper, schon die Brücke zur kommenden, christlichen Performance im April zu schlagen.
Und sicher kündigt sich dann auch das Pfingstfest schon zuvor in Form einer Ergießung des heiligen Ochsenschweißes an.

Unsere Weihnachtsgäste für die kulturelle Umrahmung, Frau und Tochter von Caspar, dem Haupthändler der Firma Werner Weihrauch.
Ich muss Ihnen nur noch verständlich machen, dass sie ihr Tänzchen z.B nach „Kommet, ihr Hirten“ bewältigen müssen, meine weihnachtliche Lieblingsweise.
Die Kleidungsordnung bräuchten sie aber nicht zu verändern.

Dezember 24, 2011 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, Weihnachten mit Hitler, Hans Stuck, Gorecki, Celan, Vitali Klitschkos Aufmerksamkeit, eine ukrainische Niederlage, mein klammheimliches Manöver, „So war er eben“, zum Fettgansbauch die Todesfuge und ein Schrei in Stucks Grab


Ich bin nun nicht gerade der zuverlässige Enthusiast des Automobilsports. Ich kenne auch nicht die gesundheitlichen Konsequenzen, die sich nach einem Aufenthalt rund um die Uhr und über zahlreiche Jahre in einer engen Metalltonne mit einem Quartett rotierender Räder herausschälen.
Ich antwortete einmal auf die Frage eines Halbfreundes nach meiner Einstellung gegenüber dieser Motorenhatz, dass mich das Autorunden-Geknorple ähnlich interessiert wie die Frettchenzucht am Michigansee.
Seitdem hat er erhöhte Schwierigkeiten, mich in die Kategorie Mensch einzuordnen.
Ich vermeide Churchills Bonmot und bekenne, dass eine hochrangige Leichtathletik-Veranstaltung mein ästhetisch empfindsames Gemüt noch immer positiv aktiviert .
Auch einem ordentlichen Fußballspiel bin ich durchaus zugeneigt.
Ich hatte die Freude, zur Fußball-WM 2006 das Terrain der Vip-Loungue im Leipziger Stadion zu betreten, für das Spiel Spanien – Ukraine, nur wenige Plätze entfernt von Spaniens Felipe und Letizia, sowie in Tuchfühlung zu Vitali Klitschko.
Spanien gewann 4:0 und ich versuchte Klitschkos Blicken auszuweichen, vermied eine jubelnde Geste und manövrierte mich klammheimlich aus seiner Nähe.

Für kunsthistorische Ermittlungen von globaler Bedeutung näherte ich mich vor einigen Tagen zufällig auch einer Seite der Zeitschrift Quick aus den siebziger Jahren mit Leserbeiträgen, die scheinbar eine Serie über Hitler beurteilten (oben). Auch Rennfahrer Hans Stuck trommelte seinen gesamten Intellekt zur Abrufung von Höchsleistungen herbei.
Das Ergebnis ist bemerkenswert.
Als Vielleser, Vielhörer, Vielseher und Vielschreiber bin ich ja durchaus gewappnet gegenüber ekliger Gedankensülze, doch diese Erinnerungen erzeugten zumindest eine mittlere Gänsehaut.
Ich weiß um Stucks Existenz als Rennfahrer, Details seiner Vita blieben mir, Gott sei Dank, bislang verborgen.

Besonders der abschließende Extrakt seines Beitrages „So war er eben“ trieb mich kurzfristig in das Stadium gehobener Vestörtheit.
So könnte man sich meines Onkels Karl erinnern, ein polternder, mitunter jähzorniger Landarbeiter von großer Güte. „Ja, so war er eben.“
Oder Fleischermeister Heinrich, der vor Jahren jedem Kind ein kostenloses Stück Jagdwurst oder Kochsalami für den Heimweg verpackte. „Ja, so war er eben.“

Und dann Rennfahrer Stuck über Hitler: Ja, so war er eben.“

Über verminderte Denk-und Sprachfähigkeit kann ich nicht klagen. Doch diese wenigen Sätze stürzten mich in die Unerträglichkeit einer steinernen Artikulationsunfähigkeit.
Ich könnte jetzt Liebermanns bekanntestes Bonmot zitieren. Doch das wäre zu harmlos.

Es ist ja nun wieder die Zeit der Geschenkegrapscherei und der Fettgansvertilgung, nichts dagegen einzuwenden.

Doch könnte man sich gerade während der Weihnachtstage, meinetwegen auch mit einem voluminösen Fettgansbauch, Goreckis dritte Sinfonie anhören, besonders Satz zwei. Auch Celan lesen oder akustisch wahrnehmen.
Ich empfehle dazu das Hörbuch „Ich hörte sagen“, von Celan selbst gelesen. Und keinesfalls nach der „Todesfuge“ abschalten.

Diese geschriebenen und komponierten Erinnerungen sollte man dann in Stucks Grab einbrennen und ein infernalisches „So war er eben“ nachbrüllen.


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Dezember 20, 2011 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und Bauer Dirk mit Herzdame, Heuschober-Petting, Landarbeiter-Orgasmen, Sonne über dem Schweinekoben, Mark Rothko, Basquiat und Cy Twombly

Als Plattform, die notwendig ist, um ansprechende Mails zu versenden, hat web.de natürlich immer wieder einmal launig vorgetragene Geschichten aus dem volkstümlichen Alltagsleben anzubieten.
Heute gibt es eine Überschrift:

Bauer Dirk fühlt sich verraten.
„BsF“-Herzdame empfindet nichts für den lieben Lausitzer.

Der Einladung „mehr“-bin ich dann doch nicht gefolgt und ich denke „BsF“ steht für „Bauer sucht Frau.“
Sind wir denn alle wirklich so bekloppt, dass man uns mit einer derartigen Infantilsprache malträtiert.
Ich entziehe mich diesen Angeboten, habe noch keine Sekunde des Heuschober-Pettings gesehen und bin dennoch gut über die Abläufe informiert. Denn irgendwie kann man den Behelligungen doch nicht entgehen. Denn alle medialen Kanäle werden mit Werbung, neuen „Tatsachenberichten“ und möglichen Entwicklungen bei diesen kollektiven Landarbeiter-Orgasmen gepflastert.
Ich gönne jedem seine Sendung, auch jederzeit einen feuchten Schritt vor dem Bildschirm, bei untergehender Sonne über dem Schweinekoben.
Auch bei Veranstaltungen, in denen überraschungsbefreit und improvisationsgereinigt bis auf den letzten Stuhlgang wirklich alles durchorganisiert ist.
Doch bei mir bitte ich um Schonung.

Bauer Dirk, der liebe Lausitzer und die „BsF“-Herzdame —-Meine Sinnesorgane nähern sich der Ausstrahlung vorkomatöser Signale.

Dann doch eher wenige Sekunden…

für Mark Rothko, oder…..


für Basquiat, oder….



für Cy Twombly, als mit ewigen Stunden dieser läppischen Euter-Balzerei die eigene Sensibilität zu verölen.

Filmtipp: „Gott des Gemetzels“, mit einem überragenden
Darstellerquartett.

Und am Abend: „Neues aus der Anstalt“

Dezember 13, 2011 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, Brian Ferrys Hemd zu 9.95 Euro, Zähne im Dübel, Gottschalks Gummiratten, Maulwürfe am Südpol, Schöbel und Lacasa als musikalisches Folter-Duett, ein Biss in den Weihnachtsbaum, Humble Pie, Erik Satie und Morton Feldman, Kammermusik für dreihundertundsechzig Minuten und vielleicht doch „Stille Nacht, heilige Nacht.“


Brian Ferry. Waagerecht, mittig rechts. Senkrecht, im goldenen Schnitt, unten

Brian Ferry, etwas näher

Brian Ferry, noch näher



Brian Ferry, nah

Brian Ferry singt

Seit 1972, als Roxy Musics „Virginia Plain“ auf Mittel-u.Kurzwelle durch mein ostdeutsches Mono-Kofferradio dröhnte, ich bei dem Titel die Dübel mit den Zähnen aus der Wand riss, von meteorologisch-atmosphärischen und parteigelenkten Empfangsstörungen widerwärtig begleitet, gönne ich dieser Truppe und den Projekten der einzelnen Mitglieder eine recht wachsames Augenmerk.
Scheiben wie „Roxy Music“, „Stranded“ „Country Life“ und „Your Pleasure“ sind bei mir nie in hintere Regalteile gedrängt wurden. Wobei ich „Your Pleasure“ von 1973 durchaus mit einer Extra-Wurst versorge, wie meine selige Großmutter volkstümlich formulieren würde.
Der Eingangstitel „Do the Strand“ eignet sich dabei vorzüglich als Offerte, um den CD-Player weiterhin auf Betriebstemperatur zu halten.
Und die Bedeutung von Brian Eno für die zeitgenössische Kultur sollte ohnehin nicht angezweifelt werden. Er beendete aber nach „Your Pleasure“ seine Anwesenheit bei Roxy Music.

Jedenfalls kaspert Brian Ferry zur Zeit als Werbeträger für irgendeine Bekleidungsbude durch Leipzigs Zentrum, für ein Hemd zu 9.95 Euro, dessen bösartige Unansehnlichkeit Textilgeschichte schreiben könnte.
Brian Ferry hat also einen Hemdlappen für 9.95 Euro über seinen Ranzen geschnürt. Brian Ferry, der immer mit einer souveränen Geschmackssicherheit seine Kleidung wählt und sicher auch schon einmal für die vier Löcher eines Hemdknopfes 9.95 Euro inverstierte.
Ein Journalist war einst der Meinung, er habe noch nie einen Menschen gesehen, der stilvoller an einer Säule lehnte und sich langweilte.
Sicher nicht in einem Hemd zu 9.95 Euro.
Derartige Nebengleise sind vielleicht nicht nötig, doch seine Musik werde ich dennoch nicht ächten.
Denn eher ein Hemd zu 9.95 Euro und die Musik von Brian Ferry als mit Gottschalks Gummiratten die Speiseröhre verstopfen oder sich von Nowitzkis Dibadubidibubu-Bude über den Löffel barbieren zu lassen.
Ich habe Brian Ferry in zwei Konzerten erlebt, in Berlin und Dresden, zunächst mit seiner ehemaligen Truppe, doch ohne Brian Eno und später als Solist.
Allerdings ohne ein Hemd zu 9.95 Euro.

Humble Pie, links Steve Marriott (Small Faces), dann Greg Ridley (Spooky Tooth), Peter Frampton (Herd), später auch Clem Clepson.(Colosseum).

Musik der Woche I

Humble Pie, Live-Mitschnitt vom 6. Mai 1971 im Winterland Theater in San Francisco.

Es beginnt mit „Up your Sleeves“ und „4 day creep“, dann eine Version von „Honky Tonk Woman“ bis zu „30 Days in the Hole“
Hier wird nicht lange gefackelt, sondern kurz gebrüllt und ran an die Gitarren, bis die Tapete abfällt.
Also handgemachte Musik, wie man so schön zu sagen pflegt.
Die Saiteninstrumente kreischen, der Schlagezeuger drischt auf die Tonnen, Steve Marriott kräht, dass die Maulwürfe sich bis zum Südpol graben.
Als Live-Band unvergesslich.

Der Zeit entsprechend könnte man dann nach Humble Pie ein Weihnachtslied nachlegen, doch möglichst nicht mit Frank Schöbel und Aurora Lacasa, die scheinbar mit ihrer unsäglichen Weihnachts-Tournee und unerträglich blöden Gesängen danach trachten, Menschen und Landschaften im Osten Deutschlands zu beschädigen.
Zumindest bei mir entwickelt sich bei diesem Duett ein aggressiver Augen-Ohren-u.Nerven-Plaque. Und wenn dann Schöbel noch „Wie ein Stern“ abnudelt, beiße ich in den Weihnachtsbaum.

Ich empfehle dann doch Orffs Weihnachtsgeschichte. Wobei ich vor wenigen Tagen irritiert zur Kenntnis nehmen musste, bei einer Aufführung in unserer regionalen Kirche, dass Orff mitnichten die Musik komponierte. Er schrieb den Text, Gunhild Keetman lieferte die Noten.

Erik Satie

Musik der Woche II

Grossienne 4-6 für Klavier von Erik Satie

Satie klimperte sich bisher als Komponist von Revue-Musik, als Cabaret-Narr, doch auch als Interpret der Welten Toulouse-Lautrecs durch mein musikalisches Gedächtnis. Sicherlich zum Teil eine angemessene Reaktion.
Eine recht gängige, auch einprägsame, doch nie simple Musik.
Doch hörte ich vor wenigen Wochen Ausschnitte der „Vexation“, etwa mit Erniedrigung zu übersetzen und erweiterte meinen Blick auf Satie.
Hier werden überraschende Akzente gesetzt, die erbarmungslos in die Tiefe des 20. Jahrhunderts strahlen. Kein Zufall, dass er auch mit Picasso, Cocteau und Djagilew arbeitete
Das Stück ist bis zu einer Länge von zwanzig Stunden angelegt und gilt in seiner Anlage als wichtiges Ausgangsmaterial für Minimal und serielle Musik, wodurch sich natürlich mein Herz öffnet.

Rechts: Morton Feldman, mittig: keine Ahnung, links: John Cage

Im Zusammenhang mit den Ausdehnungen bei Saties „Vexation“ erinnere ich mich gerührt an ein Kammerkonzert für drei Instrumente von Morton Feldman, u.a. mit Steffen Schleiermacher am Klavier.
Eine Dauer von etwa sechs Stunden wurde angekündigt.
Schleiermacher versprach auch, nicht zu zürnen, wenn wir uns zwischendurch als Entspannung einen kleinen Weg über den Augustusplatz gönnen, mit Picknick.
Die Solisten spielten sechs Stunden, ohne Unterbrechung.
Nach fünfzehn Minuten entwickelte sich zunächst meine Überzeugung, dieses Teil niemals durchstehen zu können.
Beim nahenden Ende barmte ich zu Aoide, dass diese Musik nie enden möge.
Dieser Minimalismus, der teils bis zum Exzess getrieben wird, bei dem auch die Pausen vibrieren, entfaltet eine suggestive Wirkung, der man sich nicht entwinden kann.
Für Weihnachten aber nicht vordergründig geeignet.
Dann also doch wieder Orff, doch keinesfalls Schöbel und Lacasa.
Vielleicht auch Weihnachtslieder von Slade und John Lennon, oder doch nur „Stille Nacht, heilige Nacht.“
Ist doch auch gar nicht so schlecht.

juergenhennekunstkritik.wordpress.com

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Dezember 8, 2011 Posted by | Leipzig, Musik, Verstreutes | Hinterlasse einen Kommentar