Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne als Jäger und Sammler mit Pilzen, Elias Fries, Stillleben, christlicher Symbolik und einer detaillierten Standortbeschreibung eines Pilz-Dorados

 

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Ergebnis einer heiter-herbstlichen Euphorie-Attacke, welche das Edel-Gen aller Jäger und Sammler im Angesicht eines myzelgesättigten Waldabschnittes befiel

„In der Abenddämmerung meines Lebens denke ich daran, welch unendliche Freude mir das Studium der Pilze, das ich über fünfzig Jahre betrieben habe, stets bereitet hat. Allen Naturfreunden empfehle ich die Beschäftigung mit ihnen als unvergleichliche Quelle der Freude und Bewunderung der Weisheit, welche das ganze Universum leitet“ ( Elias Fries, 1794-1878. Pilzwissenschaftler, Uppsala, Schweden ).

Bei unseren Streifzügen vor einigen Jahren durch Schweden entzückten uns tatsächlich mehr Pilze als Mücken uns in Mecklenburg anöden.

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Der Pilz hat in der christlichen Symbolik traditionell eher einen räudigen Leumund, zumindest einen zwiespältigen, freundlich beurteilt. Deshalb dürfte Elisabet, die Mutter Johannes des Täufers, mit ihren Worten „Gebenedeit ist die Frucht Deines Körpers“ bei Marias Heimsuchung sicherlich nicht den Pilz gemeint haben. Es wäre eine Anmaßung gewesen, Marias Bauchinhalt diesen Sporenheinis zuzuordnen, die nicht gerade als Sympathieknaller fungieren. Zumal Pilze inzwischen aus dem Pflanzenreich verbannt wurden und sich zu einer eigenständigen Gruppierung formiert haben. Selbst die Nähe zu Insekten wurde diskutiert.

Erdbeeren symbolisieren Gerechtigkeit und den Zustand der Seligkeit, Kastanie die Keuchheit, mit einer Apfelbeigabe wird der Sünder markiert, die Distel verspricht Mühsal und Leid, Knoblauch dagegen Vitalität und Potenz (und sicherlich auch grüne Nasenschleimhäute der Mitmenschen). Legendär sind dann natürlich die Ähre als Brot und Leib Christi sowie Weintrauben als Ausgangsmaterial für dessen Blut. Nicht selten sind Pflanzen (auch Tiere) Träger einer ambivalenten Symbolik. So kann Oleander bei seiner Zuordnung schon einmal als Emblem zwischen Gefahr und Schutz, zwischen Unglück und Hoffnung pendeln.

Als Derwische aller Mehrdeutigkeiten könnten die „Schwammerlheiligen“ St.Veit (außerdem Nothelfer für Epilepsie) und Petrus durchgehen. Denn sie bieten den Pilz als Objekt für atemlose Reproduktion und gnadenlose Vergänglichkeit an. Eine lockere Mahlzeit könnte geradlinig in die Hölle oder in den Himmel führen, Dämonie oder Göttlichkeit als Reisebegleiter.

Im Volksglauben wird natürlich auch die phallusartige Grundform mancher Pilze zur Kenntnis genommen und deren Verwendung als großväterliche Viagra-Dosis in Erwägung gezogen. Richtige „Blair Witch Project“ – Stimmung entwickelt sich dann bei der Vorstellung von Blitzen unter der Erde, von Hexenwerk, welche die scheinbar panisch getriebene Anwesenheit und unkontrollierte Vergänglichkeit der Pilze beeinflussen.

Innerhalb der christlichen Ikonographie spielt die Darstellung des Pilzes eine eher untergeordnete Rolle. Es gibt Vanitas-Stillleben, Stillleben mit Austern und Schinkenstücken, Sillleben mit allerlei Gemüse und Früchten, mit Jagdtrophäen und einem breiten Angebot von Blumen. Nur Pilze fielen meist unter die Tische. Aus der Glanzzeit des Stilllebens im 17./18. Jahrhundert erinnere ich mich lediglich an Pilze zwischen Disteln in einem Bild P. Cattamaras und an ein Jagdstillleben von Desportes, in dem auch irgendwo Pilze herumlungern. In Italien und den Niederlanden entstand in dieser Zeit das „Dikichtstillleben“, sicherlich auch mit manchem Sporenträger. Ist mir aber nicht erinnerlich.

Wichtige Pilze: Schiefknolliger Egerling – Erdschieber – Geselliger Glöckchennabeling – Gelbstielige Keule – Krötenschwamm – Lilablättriger Mürbling – Leuchtender Ölbaumpilz – Geschundener Schirmpilz – Gedrungener Wülstling

Holzige Eingangsschneise zu dem Terrain, welches eine heiter-herbstliche Schwellung des Edel-Gens aller Jäger und Sammler bewirkte.

Standortbeschreibung: Am Ortsausgang Leipzigs hinter dem Haus mit den Fenstern rechts abbiegen, dann immer geradeaus, an der Pferdekoppel mit den Schafen vorbei, die Gaststätte, berühmt durch ihre Pellkartoffeln, links liegen lassen und wieder geradlinig vorbei an den Häusern mit den verschiedenartigen Namen auf den Türschildern. Die Kirche mit der Glocke umrunden und nach einigen Dutzend Klaftern den Rand des Waldes passieren. Der mittelbreite Weg, der zu dem Paradies für alle Jäger und Sammler führt, ist dann nicht zu übersehen.

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Oktober 27, 2008 Posted by | Leipzig, Neben Leipzig, Verstreutes | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne im Museum of Modern Art in New York und Max Beckmann, Cy Twombly, Mark Rothko, Barnett Newman, Willem de Kooning, Joseph Beuys, Kasimir Malewitsch, Piet Mondrian, Robert Indiana

Jürgen Henne, im Hintergrund, mittig links, kurz vor dem Erschöpfungskoma, aber beglückt nach einem fast fünfstündigen Rundgang durch das Museum of Modern Art in New York. Zwischen  plastischen Arbeiten von Calder und Barnett Newman.

Jürgen Henne einige Stunden nach dem Rundgang, in entpannter, ästhetisch wohlgeformter Körperhaltung auf Long Island. Um eine derartige Hütte bezahlen zu können, werden wir bis Weihnachten uns weitgehend von Moos ernähren, bei ausufernder Leichtsinnigkeit vielleicht mit einem halben Kümmelkorn verfeinert. 

Ausgewählte Beispiele im Museum of Modern Art

Cy Twombly – für Jürgen Henne sicherlich der bedeutendste, noch lebende Künstler. Für einfältige Geister bieten  sich die Bilder Twomblys zu tiefschürfenden Bemerkungen wie „dieses Gekragel kann meine fünfjährige Tochter auch“ an. Nein, das kann sie eben nicht. Und der Sohn auch nicht, geschweige die Eltern.

Mark Rothko, amerikanischer Maler mit russischer Herkunft –  ein Magier malerischer Transzendenz mit höchster Virtuosität bei der Farbgestaltung und deren meditativer Ausstrahlung. Ich durfte mich vor einigen Monaten in München bei einer Personalausstellung Rothkos vor seinen Bildern verneigen. Ich versäumte nicht, diese Dankbarkeitsgeste zu zelebrieren.

Barnett Newman, Amerikaner – radikale Reduzierung, aber genügend für außerordentliche Kunst. Wann hat man je ein derartiges Rot gesehen. Entstanden durch den Auftrag zahlreicher Farbschichten.

Willem de Kooning, Amerikaner, gebürtiger Holländer – neben Pollock der Gigant des Abstrakten Expressionismus New Yorker Prägung. Ekstatisch- eruptive Farbkaskaden, Malprozess mit selbstständigem Wert. Von gemalter Körperlichkeit zu farbdynamischen Abstraktionen. Das Bild widerspiegelt exakt meine Mimik, als mir gewahr wurde, dass sich unsere Koffer zunächst einem Weiterflug von Paris nach New York verweigert hatten. 

Joseph-Beuys-Saal –  ich achte Ihn weniger wegen seiner Aktionsmätzchen und seiner Fett-Filz-Lappen, doch war er ein grandioser Zeichner von höchster Subtilität. Seinen Spruch „Jeder Mensch ist ein Künstler“ fand ich schon immer ziemlich blöd. Doch er ist auf alle Fälle einer.

Max Beckmann, in Leipzig geboren, in New York gestorben – er verweigerte sich jeder Einordnung in das Labyrinth der „ismen“des vergangenen Jahrhunderts. Ein grandioser Einzelgängers, der Klaustrophoben in die Panik treibt. Der Maler einer kastenartig zusammengepferchten Enge, in der Schutzlosigkeit, Isolation und Verständigungsaskese die Menschen in ein gewaltbereites „Welttheater“ treiben. Er aktiviert die Möglichkeiten eines Triptychons und nutzt Elemente der traditionellen Ikonographie(Vanitas). Und selten war ein Künstler derartig von seinem eigenen Gesicht besessen und malte es in unzähligen Zuständen seiner Physiognomie.

Kasimir Malewitsch, Russe  – auf dem Weg zur radikalen Ungegenständlichkeit. Hauptvertreter des Suprematismus. Malte „Weißes Quadrat auf weißem Grund“ und „Schwarzes Quadrat auf weißem Grund“ und trieb  das konservative Kunstpublikum zu einem kollektiven Brechreiz. Feierte die zweckfreie Kunst und definierte seine Arbeiten als „befreites Nichts.“ Doch dieses „Nichts“ ist meisterhaft.

 

Piet Mondrian, Holländer, gestorben in New York – gründete  1917 mit Theo van Doesburg in Leiden die Gruppe „De Stijl“. Ausdruck des Universalen als Verschmelzung von Verschiedenartigkeit und Individualismus. Einheit als Abstraktion, als Gleichgewicht von Linie und Fläche. Konzentration auf die Grundfarben Rot, Gelb, Blau. Erfahrung nicht als körperlich-fassbares Ereignis, sondern als kosmische Abstraktion. Nach Mondrians Tod fand man die Gegenstände auf seinem Schreibtisch ähnlich geordnet vor wie die geometrische Anlage seiner Bilder.

Robert Indiana, Amerikaner – es fällt nicht schwer, dieses Wort in Kopf und Herz zu installieren, wenn man durch dieses Museum schwebt.

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Oktober 16, 2008 Posted by | Kunst, Neben Leipzig, Verstreutes | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und die Vereinigten Staaten von Amerika – zurück aus New York und Boston, von Long Island und den Niagara-Fällen

Jürgen Henne auf dem Weg nach Boston

Bei einem Gespräch im Giraffenhaus des Leipziger Tierparks verweigerte ich meine Teilnahme an der kollektiven Erzeugung von Ekelfontänen gegenüber  den Vereinigten Staaten, der Landmasse zwischen Atlantik und Pazifik. Die anschließenden Reaktionen mit hohem Phonfaktor, bei denen selbst die gestreiften Langhälse schrumpften und sich dem Erscheinungsbild eines Okapi näherten, gipfelten in der markigen Anklage: „Du bist wohl für Krieg?“ Ich beendete hochnäsig die Debatte, nuschelte mich mit einem „Jetzt wird es mir doch zu blöd“ aus dem Raum und suchte im Zoo die nordamerikanischen Stachelschweine.

Deshalb für H. ein fotografischer Nachtrag zu dem Gedankenaustausch und gleichfalls für alle Zeitgenossen, welche das Land zwischen Mexiko und Kanada als Ansammlung von Zombies, als Kloake mit verrotteter Kultur verabscheuen.

Meinen Elitekopf neben der amerikanische Flagge widme ich auch allen Fetichisten Michael Moores, welche dessen dümmliche Frontalpropaganda als entgültige Welterklärung feiern.

Die Fahne mit den fünfzig Sternen weht auf der Fähre zwischen den Städtchen Orient und New London auf unserem Weg von Long Island nach Boston auch für die beleidigend schlichten Gemüter, welche die möglichen Entgleisungen eines Präsidenten mit der Geschichte und Kultur eines Landes gleichsetzen.

Und ich singe eine Hymne auf Amerika, in der ich einen stabilen Unwillen bekunde, meine Liebe zu Literatur,  Musik und bildender Kunst dieses Landes, zum amerikanischen Film und meine Achtung für unzählige kluge Ideen, die in amerikanischen Köpfen reifen, spürbar zu reduzieren.

Nach fünf Wochen Westküste vor einigen Jahren und fast vier Wochen Ostküste im Frühherbst dieses Jahres habe ich sicherlich noch nicht an allen Nuancen amerikanischer Eigenheiten geschürft. Doch festigte sich meine Gewissheit, dass sich neben der legendären und tatsächlich gewöhnungsbedürftigen Weihnachtsbeleuchtung, die zahlreiche Mitmenschen mit besonders üppigen Defiziten bei Toleranz und intellektueller Grundausstattung als einziges Synonym für amerikanische  Lebensweise einsetzen, eine Kultur entwickelt hat, welche über die nationalen Grenzen hinaus die gesamte Welt positiv beleuchtet. Und nicht nur den Menschheitsrest mit Coca Cola abfüllt und Hot Dogs in den Hintern schiebt.

Und jetzt höre ich Steve Reich, „Einstein On The Beach“ von Philip Glass oder Morton Feldmans „For Samuel Beckett“. Vielleicht dröhne ich mir aber auch mit dem grandiosen „Licensed to ill“ der Beastie Boys die Ohren zu. Dazu vielleicht ein paar Seiten von Thomas Wolfe, Poe und Djuna Barnes. Oder ich blättere in einem Buch mit Arbeiten von Cy Twombly, Barnett Newman oder Basquiat. Auf alle Fälle wird es amerikanisch sein.
 
  juergen-henne-leipzig@web.de

Oktober 13, 2008 Posted by | Neben Leipzig, Verstreutes | Hinterlasse einen Kommentar