Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne und der eher ungeordnete Versuch einer steiermärkischen Nachlese aus zwanzig Tagen zwischen Schöder und Bruck, zwischen St.Lambrecht und Admont, zwischen Virus und Eiskaffee (September/Oktober 2020, Teil 2 // Teil 1 am 11. Oktober nur hier in diesem Blog


Farrach, Schloss, 2.Hälfte d.17. Jahrh. mit Elementen der italienischen Renaissance. Auffällig und nicht alltäglich erscheint die Fassadendekoration mit Ziegelrest-u. Metallschlacke-Ornamentik.

Sicher wurde in Farrach keine Kunstgeschichte geschrieben, doch etwas wunderlich ist der Bau durchaus und der Bauherr war zumindest ein wenig exzentisch, vermute ich. Deshalb sollte ein Nebenweg nach Farrach erwogen werden.


Günstner Wasserfall bei Schöder (Bezirk Murau). Steiermarks höchstes Naturereignis dieser Ausformung (65 Meter) und für ältere Herren nicht immer leichtfüßig tänzelnd zu bewältigen.

Nach dieser körperlichen Ertüchtigung könnte man natürlich in Schöders Dorfkirche Mariä Geburt bei spätmittelalterlichen Fresken noch einen geistigen Ausgleich finden.

Göss (Ortsteil von Leoben), Stiftskirche, Langhaus, Schlingrippengewölbe im Mittelschiff. Nach einem Brand um 1340 Neubau der Kirche, die spätgotische Umgestaltung (1520) ist bis heute bestimmend für den Raumeindruck.


Seckau, Benediktinerabtei, Stiftskirche
Und noch ein Gewölbe. Man kann täglich gar nicht genug Gewölbe sehen.

Als Augustiner-Chorherrenstift Mitte des 12. Jahrhunderts gegründet. Ab Ende des 19.Jahrh. Benediktinerkloster, 1887 zur Abtei ernannt.

Mitte 12.Jahrh. Baubeginn der Kirche. Danach wie üblich ständige Veränderungen. Ursprünglich wurden Hauptschiff und Nebenschiffe mit flachen Holzdecken belegt.
Nach einem Brand, damals gleichfalls üblich, entschloss man sich Ende des 15.Jahrh., das Mittelschiff mit spätgotischen Sternrippen einzuwölben.


St. Oswald Möderbrugg, Pfarrkirche St. Oswald
Und erneut ein Gewölbe. Aber wie gesagt, man kann täglich…,s.o.
2.Hälfte des 15.Jahrh., spätgotisches Netzgewölbe.

Admont, Stifts-und Pfarrkirche St.Blasius, Mittelschiff nach Ost.
1869 als neugotischer Bau geweiht, mittelalterliche Fundamente wurden genutzt. Der Architekt orientierte sich am Regensburger Dom.

Als ich 1990 nur wenige Minuten nach der Ankunft und nur wenige Tage nach der Grenzöffnung in Wien Ferstels Votivkirche betrat, änderte sich mein Verhältnis zur Architektur des 19. Jahrhunderts beträchtlich.

Natürlich vertrat ich gleichfalls die Ansicht vom kunsthistorisch „verlorenem“ Europa im 19.Jahrh., ohne eigene Originaltät, schon gar nicht mit eigener Genialität.

Der architektonische Historismus zwischen Neoromanik und Neoklassizismus erhielt während dieses Jahrhunderts eine stabile Grundlage, die aber eine kunsthistorische Eigenständigkeit nicht anbieten konnte.
Sagt man.

Sagt man aber heute nicht mehr so gnadenlos abwertend wie vor Jahrzehnten.
Die Industriearchitektur z.B. erreichte damals beachtliche Leistungen.
Und die Zeche Zollverein in Essen wurde wie das Eisenwerk im saarländischen Völklingen zum UNESCO-Kulturerbe gekürt.

Natürlich bevorzuge ich es auch heute noch, z.B. in den romanischen Ruinen von Paulinzella zu stehen als vor der etwas bizarr anmutenden Garnisionskirche St. Martin in Chemnitz (Neoromanik, 19.Jahrh) und das gotische Münster in Bad Doberan ist mir bekömmlicher als Schinkels Friedrichswerdersche Kirche in Berlin (Neogotik, 19.Jahrh.).
Trotzdem, ignorieren sollte man die Architektur dieser Jahrzehnte keinesfalls.
Alles zu seiner Zeit.
Und in Leipzig steht ja unweit des Bayerischen Bahnhofs mit der Peterskirche auch ein passables Beispiel neogotischer Baukunst.


Und nun zwei Beispiele aus meiner beliebten und viel beachteten Serie „Heitere Ortsschilder“.

Etwas schlichte Zeitgenossen werden sich vielleicht bei St. Blasen vor Heiterkeit zumindest gebremst auf oder
zwischen die Schenkel schlagen. Ich bange dann allerdings um die Konsistenz ihrer Testikel .

Mich begeisterte eher der Ortsteil „Thajagraben-Drahtzug“.

Bleibt die Frage, in welcher Einöd man sich ansiedeln würde

Leoben, Hacklhaus
Erbaut im 16.Jahrh, Fassade später.

Seckau, Benediktinerabtei, Stiftskirche mit Portallöwen, 12.Jahrh.

Ähnelt eher Charles Laugthon als Pariser Notre-Dame-Angestellter nach zwei Stunden Glockenschleuderei, weniger einem Löwen

Admont, Benediktinerstift, Stiftsbibliothek, Bibliotheks-Saal, 70er Jahre des 18.Jahrh.

Länge: 70 Meter, Breite: 14 Meter, Höhe: 12 Meter.

Damit wurde dieser Raum zum größten Bibliotheks-Saal eines Klosters weltweit gekürt.
Aber nicht nur in ihren Ausdehnungen ist diese Hütte recht üppig angelegt, sie ist auch ziemlich ansehnlich.
Durch 60 Fenster wird eine überragende Raumkonstruktion bestrahlt, drei Räume in einem Raum sozusagen.

Und auch die reiche Ausstattung mit zahlreichen bildhauerischen Arbeiten und sieben Deckenfresken fügen sich mit erhöhter Qualität und durchaus unaufdringlich in diesen Büchersaal ein.

Während der Architekt sich schon wesentlich den dekorativ-eleganten Verfeinerungen des Rokoko genähert hat, ist die Bildhauerei noch robust im Barock verwurzelt (s. unten).

Admont, Bibliotheks-Saal.
Bildhauerei von Josef Stammel
Aus „Die vier letzten Dinge“
Der Tod

Admont, Bibliotheks-Saal.
Bildhauerei von Josef Stammel
Aus „Die vier letzten Dinge“
Die Hölle
Bei extrem entwickelter Sehfähigkeit und Beobachtungsgabe könnte man hier und da, mitunter auch da und hier ein paar Minimalköpfe erkennen, die z.B die Trägheit (mit Schlafmütze) oder die Eitelkeit (mit Pfauenkappe) symbolisieren.
Der Schwierigkeitsgrad dieses Suchbildes ist natürlich eine fast ausufernde Herausforderung

Admont, Bibliotheks-Saal des Benediktinerstifts.
Fußboden

Murau, Stadtpfarrkirche St. Matthäus.
Wandmalerei im südlichen Querhaus, Mitte 12.Jahrh.
Schwarzes Schwein als Detail mit geschorenem Fellstreifen und der Antoniusglocke neben der Darstellung des hl. Antonius des Einsiedlers.


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Oktober 30, 2020 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und des Spiegels Beitrag über das „Malergenie“ Joseph Beuys („Der Spiegel“, 17.Oktober 2020)

Man könnte Joseph Beuys als Zeichnergenie feiern, auch als Kulturtheoretikergenie, gleichfalls als Gesamtkunstwerkgenie und Aktionskünstlergenie und als Fluxusgenie und als Objektkunstgenie und als Bäumepflanzungsgenie und als Fetteckengenie und als Installationsgenie und als Performancegenie und als Totehasenherumträgergenie und als Rudolfsteinerinterpretationsgenie und als Bildhauergenie und als Sozialplastikergenie und als Filzgenie und als Happeninggenie und als Erdklaviergenie und als Multiplesgenie und als……..mir würden sicher noch einige weitere „Berufsbezeichnungen“ einfallen.

Aber mitnichten „Malergenie“. Nein, nicht als „Malergenie“ (s.links). Einfach aus der simplen Überlegung heraus, dass Malerei für Beuys selbst und auch in der öffentlichen Wahrnehmung eine Bedeutung hatte und immer noch hat, die stabil gegen Null tendiert. Da wäre die Kennzeichnung von z.B. Degas als Bildhauergenie noch erträglicher, auch Schönberg als Malergenie oder H.Hesse als Aquarellmalergenie. Natürlich alles auch eine beknackte Einordnung, doch nicht ganz so beknackt wie Beuys als Malergenie. Am besten man betitelt John Cage gleich als Mykologiegenie und Messiaen als Ornithologiegenie.

Eigentlich nur ein kleiner Lapsus im Inhaltsverzeichnis, den man überlesen könnte, aber als erste journalistische Grundinformation doch außerordentlich gewichtig zur Charakterisierung von Joseph Beuys mutiert er zum Synonym für die schleichende, aber kontinuierliche Verelendung des Anspruchs und der Kompetenz in den Schreibstuben dieser Wochenpostille. Für mich inzwischen unlesbar.

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Dazu passen natürlich vorzüglich diese einfältig pubertären Leserbriefe mit einer auffälligen Genügsamkeit der Schreiber bei ihren ironischen, satirischen, humoristischen und vor allem intellektuellen Ansprüchen (gleichfalls „Der Spiegel“, 17.Oktober 2020)

Ich vermute einmal, dass die Zermürbungsverfasserin (links) sich rund um die Uhr zermürbt, um überhaupt irgendwie für irgendetwas treffende Worte finden zu können.

Und der Altpapiertonnenbegeher „guckt schon gar nicht mehr drauf“, ich vermute auf die Titelseite, reißt eben diese Titelseite sofort weg und „haut Trump in die Tonne.“ Aber wenn er schon gar nicht mehr draufguckt auf die Titelseite, weiß er doch nicht, ob dann tatsächlich Trump in der Tonne liegt. Vielleicht ist auch einmal sein eigener Kopf auf dieser Seite.

Irgenwie ist das einfach alles zu blöd.

New York, Museum of Modern Art, Joseph-Beuys-Saal, 2008., mit „The Sled“ (vorn links und „Felt Suit“ (hinten rechts)

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Oktober 20, 2020 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und zwanzig Tage mit mittelalterlicher Wandmalerei in der Steiermark. Eine Auswahl





St.Georgen bei Judenburg, Pfarrkirche St.Georgen

Gewölbemalerei, im Zentrum die Darstellung der Ecclesia mit Lammmedaillon.
Von Aposteln und Propheten umrundet.
Mitte des 13. Jahrh. An der Schnittstelle von später Romanik und Frühgotik.

St. Georgen bei Judenburg, Pfarrkirche St. Georgen

Der heilige Georg und seine Begleiter reiten in den Kampf.
Der Georgenzyklus in der Kirche besteht aus 18 Szenen.
In dieser umfangreichen Anlage sicher das früheste Beispiel einer Wiedergabe der Georgslegende.

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Anders als für Tirol, Wien oder auch Kärnten und Salzburg, deren Landschaften alljährlich von Myriaden ausländischer Zeitgenossen mit oder ohne Wintersportgeräte heimgesucht werden, kann man die Steiermark eher im Mittelfeld des touristischen Interesses für Österreich einordnen.

Doch nach einem mehrwöchigen Aufenthalt, zumeißt auf Steiermarks westlichen und mittleren Koordinaten, bin ich motiviert, für dieses Bundesland unserer Nachbarn zu werben.

Denn neben der ansehnlichen Fauna und Flora, neben einem stilvollen Oberflächenprofil mit markanten, doch heiteren Gebirgspässen und weiten Tälern ohne bergige Bedrohungen, natürlich auch mit der Möglichkeit, flächendeckend seine tägliche Nahrungsaufnahme durch herausragende Eiskaffees zu dekorieren, ist es die bemerkenswerte Kunstgeschichte, die sich z.B. in zahlreichen Wandmalereien mittelalterlichen Zuschnitts zwischen höchsten Ansprüchen und regionalen Arbeiten mit eher naiver aber gleichfalls spannungsvoller Ausführung anbietet.

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Pürgg, Johanneskapelle.

Drittes Viertel des 12. Jahrh. Während der 70er Jahre des 19. Jahrh. entdeckt und bald darauf nach heutigen Kenntnissen verheerend restauriert.
In der 30/40er Jahren des vergangenen Jahrh. wieder ansprechend „zurückrestauriert“ .
Doch konnten größere Bildabschnitte nicht mehr gerettet werden.

Pürgg, Johanneskapelle

Speisung der Fünftausend mit Brot und Fischen
Pürgg, Johanneskapelle

Geburt Christi, Detail.
Die zoologische Einordnung dieses Wesens kann ja jeder für sich vornehmen.
Ich entscheide mich für eine Mischung von Alligator und Eichelhäher

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St. Peter am Kammersberg, Pfarrkirche zum hl. Petrus.

Ankunft der hl. drei Könige und Anbetung des Kindes.
Geamtansicht über zwei Joche.
Entstanden um die Mitte des 15. Jahrh., Maria, Joseph, Kind später, um 1500, (sieht man doch sofort), 1938 aufgefunden.

St. Peter am Kammersberg, Detail.

Im Fußvolk der drei Könige befindet sich das ganze Repertoire zeitgenössischer Figuren. Während der türkischen Überfälle wurde dieser Bau zu einer Wehrkirche erweitert.

In diesem Gefolge marschiert aber nun auch ein Muslim (mit Halbmondfahne).
Der jüdische Abgesande ist leicht durch seine Kopfbedeckung zu erkennen. Der Bereich um den Kammersberg unterstand während dieser Zeiten dem Bischoff von Freising.
Diese kirchliche Macht schickte gleichfalls einen Abgeordneten, als Träger der Freisinger Mohrenfahne sichtbar.
Und auch ein dunkelhäutiger Kollege mit ausländischen Wurzeln hat sich der Truppe angeschlossen.

Zwei Köpfe in einer Öffnung des Stadttores beobachten die Huldigung. Die Spekulationen über deren Status könnten sich in zahlreiche Richtungen ausbreiten.
Vielleicht Lotte und Walter Ulbricht.
Der letzte König wendet sich um und weist mit der linken Hand auf Jens Jesus.

St. Peter am Kammersberg

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Bruck an der Mur, Kirche St. Ruprecht.
Weltgerichtsfresko, Beginn 15. Jahrh., Gesamtansicht.
Ziemlich quirlige Party zwischen Himmel und Hölle.

Oben thront Christus im Viernageltypus. Es gibt also vier Wundmale, er wurde mit gespreizten Beinen gekreuzigt. Ab der Gotik bevorzugte man den Dreinageltypus, also ein Nagel für zwei Füße.
Ziemlich anachronistisch.
Dabei spricht man von einer regionalen Verschiebung.

Außerhalb der Macht-u.Kulturzentren verharrte man noch Jahrzehnte, mitunter auch Jahrhunderte auf gewohnte, festgezurrte Normen.

Unterhalb seitlich von Christus füllen dann Maria und Lieblingsjünger Johannes das Format.
Allerlei Heilige und Engel mit der Leidensgerätschaft (Kreuz, Geiselsäule) bevölkern die Szenerie.
Im unteren Bereich tänzeln links die Seligen in Richtung Himmelsportal, rechts schlurfen die Verdammten, sichtlich etwas unzufrieden und verbunden mit einem blutigen Seil zum Höllenschlund, versinnbildlicht durch einen gefräßigen Lindwurmrachen.
Dieses Fresko ist noch vorzüglich erhalten und gilt flächenmäßig als größtes Zeugnis mittelalterlicher Wandmalerei in der Steiermark.
Bruck an der Mur, Kirche St. Ruprecht.
Weltgerichtsfresko.
Thronender Christus.
Die folgenden Fotos sind gleichfalls Details dieser Wandmalerei.

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Murau, St. Matthäus.
Grablegung Christi, Fresko, zweite Hälfte des 14. Jahrh.

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Oktober 11, 2020 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar