Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne und die täglichen Irritationen

In meiner Erinnerung begann es vor vielen Jahren.
Katarina Witt wurde zur Eis-Prinzessin, Reich Ranicki zum Literatur-Papst, Lagerfeld zum Mode-Zar…

Kann man ja einmal ertragen, sagte ich mir und lächelte milde.
Doch entwickelte sich der Einsatz dieser harmlosen, aber recht ärmlichen Späßchen zu journalistischen Exzessen mit Tendenzen zu einfältiger Frontal-Originalität, die nur schwer erträglich ist.
Jeden Tag, in jeder Zeitung plärrten und plärren diese öden, variationsreduzierten „Stilmittel“ aus dem Format.

Und genau dieser nervige Umstand, dass die selbst gewählten sprachlichen „Stilmittel“ schon zuvor von einer Million Textschreibern mit kargen Ansprüchen gleichfalls selbst gewählt wurden, die zur stetigen Nervungs-Stimulation der Leser beitrugen, entgeht diesen Ulk-Berserkern.

Der vorläufige Höhepunkt dieser sprachlich-journalistischen Verkümmerungen ereignete sich vor einigen Tagen in Leipzigs einziger Tageszeitung (LVZ).

Ein Sportreporter feierte in einer Kneipe die zwanzigjährige Zugehörigkeit zur Journalistenbrigade der LVZ.

Nun gehören die Seiten für nationale Körperertüchtigung nicht gerade zu meiner bevorzugten Frühstückslektüre und der Informationswert eines Textes über irgendwelche Jubiläen von Sportbeschreibern bleibt arg überschaubar, auch wenn über einen Guido geschrieben wird.

Doch aktivierte ich meine masochistischen Spurenelemente und las den Artikel, zumindest überflog ich ihn.

Und ich erstarrte, als ich die edle Zusammenstellung der Besucher-Kollektion wahrnahm.

Die Kneipe wurde natürlich in die Kategorie „Kultkneipen“ eingeordnet.
Und in dieser Kultkneipe wiegten sich zu diesem Guido-Jubiläum wohlig ein Star-Gastronom, eine Power-Frau und eine Bass-Ikone.

Aber besonders ein Beton-Kaiser und der Trockenbau-Tycoon, ein Fensterbau-König und der Stahlbau-Papst.

Mir schwanden die Sinne, kein Grundschullehrer, kein Holzfäller keine Supermarktkäseverkäuferin, nicht einmal Jürgen Henne, nur Ikonen, Stare, Power-Frauen, Kaiser, Tycoone, Könige und Päpste

Oh Gott, Stahlbau-Papst, Trockenbau-Tycoon, Fensterbau-König, Beton-Kaiser, eine derartig tumbe Originalitätswut mit vorgestanzten Klischees kann man einfach nicht erahnen.

Für die Bewältigung derartiger Texte sollten eine Tapferkeitsmedaille verliehen oder ein paar Stiegen Rotwein geliefert werden.
Als Hilfsmittel, um ähnliche Journalismus-Beiträge zukünftig ohne Typhus-Infizierungen aller Sinnesorgane durchstehen zu können.

Denn vielleicht gastiert zu Guidos nächstem Jubiläum auch ein Hundefutter-Herzog und der Zangen-Caesar, vielleicht auch der Karotten-Kardinal und ein Bratwurst-Bischof.

Oder man kann natürlich auch diesen Blödkram einfach meiden und eher mit anderen Lebewesen kommunizieren, siehe Bild unten, Mexiko, Chichén Itzá 2004.

Und außerdem gibt es ohnehin bedeutungsvollere Verrichtungen als bekloppte Zeitungstexte zu lesen, siehe Bild noch weiter unten, Vietnam, Hanoi, Volkskundemuseum, 2009.



Digital Camera P42001

Musiktipp anlässlich der Gohrischer Schostakowitsch-Tage, die in wenigen Tagen begonnen hätten, aber nicht beginnen werden.
Ich akzeptiere uneingeschränkt mit einer Träne auf meinem Keyboard diese Entscheidung.

Dmitri Schostakowitsch

„Lady Macbeth von Mzensk“

Eigentlich hat Schostakowitsch nur zwei „richtige“ Opern geschrieben, neben „Lady Macbeth…“ gibt es noch „Die Nase“ nach Gogol.
Der Rest ist verschollen oder unvollendet.

Ich vermute, Stalin musste sich nach dem Besuch einer Aufführung von „Lady Macbeth…“ übergeben.
Schostakowitsch entschärfte darauf das Stück und nannte es „Katerina Ismailowa“.
In dieser Version lief die Oper dann z.B. auch in der DDR.
Erst am Beginn der 80er Jahre gelangte die Urfassung wieder in die westlichen Kulturkreise.
Bei meiner Einspielung der Urfassung stellten sich die Opéra Bastille unter Myung-Whun Chung zur Verfügung (s.o).
Wird auch Chung Myung-whun geschrieben, keine Ahnung, welche Schreibung korrekt ist und meine südkoreanischen Sprachkenntnisse sind außerordentlich rudimentär ausgelegt.


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Juni 29, 2020 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und die eher unregelmäßig geführte Serie: „Kirchen, Burgen, Schlösser, Herrenhäuser…in Leipzig, um Leipzig und um Leipzig herum.“ Heute: Die drei Hohepriester im Juni

Leipzig in eine gebirgige Region einzuordnen, wäre kühn.
Denn die Stadt wurde bei 120 Metern festgezurrt, über dem Meeresspiegel.

Im Durchschnitt.

Und doch gibt es einige Hügel, etwas über 120 Meter, ab der Ostsee gemessen, letzte Ausläufer der Endmoränen.
Ich denke dabei zunächst natürlich immer an die Muräne, einer der wundervoll hässlichsten Tiere des Wassers, die immer irgendwie etwas bösartig auftritt.

Und auf diesen Endmoränen stehen mitunter in Leipzig und Umland auch Kirchen.
Zum Beispiel die „Drei Hohepriester“ (vielleicht auch nicht).

-Kirche Hohen-Thekla
-Dorfkirche Beucha
-Dorfkirche Panitzsch

Die Herkunft der Bezeichnung Hohepriester für dieses Kirchenterzett, deren personifizierte Ausprägung schon im Alten Ägypten zwischen den Pyramiden flanierte, wird unterschiedlich angegeben.
Vielleicht wegen des Alters der Gotteshütten oder wegen derer prägnanten Sichtbarkeit in der Landschaft.

Ich weiß es auch nicht zwingend, ist mir auch weitgehend pomade.

Kirche Hohen-Thekla
Ansicht von West

Turm mit Walmdach, Dachgaube mit Uhr und Klangarkaden.
Turmzugang vom Ende des 19.Jahrhunderts, gleichfalls Sakristei.

Sonst wurde Hohen-Thekla weitgehend im 12.Jahrh. erbaut, vorrangig aus Findlingen (Bruchstein), natürlich mit romanischer Grundstruktur, sicher als Nachfolger eines Holzbaus.
Zuvor diente die Anhöhe slawischen Völkern als Begräbnis-u.Kultstätte.

Und sie wurde vermutlich während der napoleonischen Kriege als Beobachtungsturm genutzt, drei eingemauerte Kanonenkugeln legen Zeugnis ab, z.B. rechts neben der rechten Klangarkade (Bild oben).

Irgendwelche Bodos zündeten 1959 die Kirche an und vernichteten Austattung und erhebliche Teile der architektonischen Substanz.
Nach der Wiederherstellung wurde die Kirche 1962 erneut geweiht.

Ansicht von Ost

Nordseite von Ost nach West

Südseite von West nach Ost

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Dorfkirche Beucha
Von unten

Diese durchaus beeindruckende Inszenierung zwische Natur und Architektur ist mitnichten eine schon früh geschaffene Gotteshuldigung.
Ursprünglich stand die Kirche auf gleicher Ebene mit den anliegenden Bodenschichten, nur geringfügig erhöht.

Aber die Hochwertigkeit des Beuchaer Granit-Porphyrs (Wetterbeständigkeit, Härte…) führte zu dessen Gewinnung schon im 15.Jahrhundert, wobei unmittelbar an der Kirche der Stein zerhackt wurde, fast senkrecht in die Tiefe.

Nach der Aufgabe des Abbaus (1954) konnte sich dieses „Naturwunder“ ungestört entfalten.

Auch das grauenhafte Leipziger Völkerschlachtdenkmal wurde aus diesem Material zusammengehämmert, gleichfalls dessen noch grauenhafteren Skulpturen, zumindest teilweise.
Die Dorfkirche wurde vor 1300 gebaut, um 1430 erhielt die Wehrkirche ein neues Schiff.
Denn Hussiten hatten zuvor das Bedürfnis, den Bau abzufackeln.

Und natürlich schlugen sich 1813 auch in Beucha die Truppenteile Napoleons und die Koalitionsheere aus Preussen, Russland, Schweden und Österreich die Rüben ein (Ich glaube, ein paar Engländer waren auch zugegen).
Dabei glaubten ein paar Kosaken, das gesamte Equipment der Kirche rauben zu dürfen, welches beim Ritus des Abendmahls benötigt wird.

Dorfkirche Beucha
Von oben
Ich bitte darum, der einzigen Mohnblume dieses Felsens (vorn am Abgrund) mit stiller Andacht zu huldigen.

Südseite von West nach Ost

Wandmalerei, Engel

Diese Bereiche müssen kunsthistorisch noch bearbeitet werden und sind der Öffentlichkeit nur begrenzt zugänglich.
Besonders für auffällig interessierte Besucher dreht sich der Schlüssel in der Zugangstür.
So die Erklärung der Schlüsselverwalterin an diesem Nachmittag.
Da wir uns scheinbar für eine besonders lästig-aufdringliche Variante der Bekundung unseres Interesses entschieden, standen wir unverzüglich in diesem kleinen Nebenraum.

Wandmalerei, ornamentales Detail

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Panitzsch, Dorfkirche hinter den Bäumen, um 1200.
Mit Satteldach und Westturm.
Ein Standort, den davor zwei Holzhütten beherrschten, 11./12.Jahrh.

Kunsthistorisch bemerkenswert sind Ritzzeichnungen auf Glocken, 14./15.Jahrh., habe ich aber selbst noch nicht gesehen.

Am Beginn des 18.Jahrhundert barock umgestaltet.

Fototechnisch ist dieser Bau nur schwer zu bewältigen, die wundervoll florale Dekoration hemmt beträchtlich die Auswahl der Perspektiven.
Aber man will ja nicht erst mit der Kettensäge für eine unmittelbare Sicht sorgen.

Westturm von der einen Seite

Westturm von der anderen Seite

Nordseite von Ost nach West

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Zugabe

Landschaftlicher Beobachtungspunkt nahe der Kirche, unbesetzt, eher weit.

Beobachtungspunkt, unbesetzt, eher nah.

Beobachtungspunkt, besetzt mit Interims-Ornithologen Jürgen Henne bei der optischen Fahndung nach Feld-u.Wiesenvögeln, eher weit.

Beobachtungspunkt, besetzt mit gleichem Interims-Ornithologen, eher näher.



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Juni 14, 2020 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar