Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne und die unregelmäßige Serie: „Kirchen, Schlösser, Herrenhäuser, Burgen rund um Leipzig“. ( Mit geografisch großzügig greifenden Koordinaten ) und Otterwisch, Güldengossa, Leuchtenburg, Wiprechtsburg, Pegau (März, April 2010), fragwürdige Denkmalpflege und abgeleckte Türklinken

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Schloss Otterwisch, Hofseite

Schloss Otterwisch in einem erfreulichen Stadium restauratorischer Aufmerksamkeit.
Dreiflügelbau, 1728/30. Man munkelt, dass Pöppelmann, seine Zwingerhände im Spiel hatte. Annäherungen an das Palais Vitzthum in Dresden (ich glaube, schon im 18.Jahrh. zu Asche mutiert) sind augenscheinlich. Doch der Nachweis der Mitarbeit Pöppelmanns oder seiner Schüler ist noch nicht recht gelungen.
Seit 1904 im Besitz der Familie von Arnim. Mir ist unbekannt, ob und wie ernsthafte genealogische Linien zu Achim führen. Um diesen Mißstand zu beseitigen, müsste ich mich entschließen, ein Bedürfnis dafür zu entwickeln. Es entwickelt sich aber nicht. Außerdem scheue ich den Zeitaufwand.
Mansarddach mit Gaupen, dreiachsiger Mittelrisalit mit Lisenen, an der elfachsigen Gartenfassade ähnlich ausgeführt. Dreieckgiebel mit Wappenkartusche. Die Details von eher vergröbertem Zuschnitt. Doch die einzelnen Baukörper sind durchaus edel geordnet.
Der Schlosspark, um 1750, soll Versaille nachempfunden sein. Etwas gewagt, doch als Molekülversion vielleicht erträglich. Später Anpflanzungen und Strukturen im englischen Gartenstil.
Eine bemerkenswerte Architektur und für Sachsens Barock die Einordnung in eine erhöhte Qualitätskategorie.

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Schloss Otterwisch, Gartenseite

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Otterwisch, Grabanlage / v.Arnim
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Wiprechtsburg in Groitzsch, Detail der Kapelle

1849 entdeckt, 1959/67 freigelegt. Sichtbar sind Abschnitte der Außenmauer eines Rundturms und der untere Teil der Rundkapelle. Wahrscheinlich die ältesten Zeugnisse steinerner Baukunst in Leipzigs erweitertem Umkreis.

Das Gebiet kam nach 1070 in den Besitz Wiprecht d.J., Diener von Heinrich IV., der Investitur-Heinrich, welcher Gregor VII. in Canossa an den Füßen genagt haben soll.
Ich flanierte vor einigen Jahren durch Canossas Burg. Der Bau wurde gerade touristisch und denkmalpflegerisch behandelt. Entwicklungen, die mitunter zu seltsam abgeleckten Ergebnissen führen können.

Die französische Denkmalpflege hat dabei Z.B. ein edles Maß zwischen Bewahrung und dezenter Rekonstruktion gefunden. Während einer mehrwöchigen Reise durch Burgund und nach einem Kniefall vor jeder wundervollen Dorfkirche der französischen Romanik wurde das augenfällig. Der Verfall seit dem Mittelalter wird akzeptiert, notwendige Behandlungen an der Architektur werden durchgeführt, aber nicht „originalgetreu“ verkleistert.
In manchem Schmuckstädtchen des deutschen Sprachraums ist man fast geneigt, sich zu entschuldigen, weil ein Molekül Schuhsohlenschmutz das Edel-Ambiente „perfekter “ Denkmalpflege verunreinigt hat. Auch der kraftvoller Druck auf eine denkmalgeschützte Türklinke könnte den metallischen Glanz trüben und das schlechte Gewissen aktivieren.
Hoffentlich wird Canossa nicht mit derartigen Entgleisungen behelligt. Bei Italiens Experten hege ich eine berechtigte Hoffnung

Von Canossa und Burgund zurück nach Groitzsch.
Wiprecht errichtete auf dem Gelände, vorgefunden als ältere Erdwallbefestigung, zwei Rundtürme und eine Kapelle mit hufeisenförmiger Apsis.
Er pflegte Beziehungen zu Böhmen, mit Heirat. Deshalb vielleicht die Wahl einer Rotunde als Burgkapelle, damals durchaus üblich für die böhmische Architektur.

Das Grabmal Wiprechts befindet sich in der Laurentiuskirche im nahem Pegau, ein Werk von kunsthistorisch höchster Bedeutung und einmalig für Sachsen.
Die Aufnahmen der Turmreste habe ich Dödel versehentlich gelöscht. Ein zweiter Turm, schriftlich überliefert, konnte bislang nicht nachgewiesen werden.

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Wiprechtsburg, Reste der Kapelle

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Pegau, Ev. Stadtkirche St.Laurentius

Um 1190 Stadtkirche in der Oberstadt, Vernichtung durch Brand 1382. Vollendung des Neubaus 1463 als dreischiffige Hallenkirche. Reste des Westwerkes der romanischen Vorgängerkirche wurden einbezogen.
Es gibt leider keine Aufnahmen vom Innenraum. Der Bau war verschlossen und die Suche nach kirchlichen Schlüsselverwaltern erschien mir zu mühselig. Ich bin recht gut vertraut mit der Innenarchitektur und der ansehnlichen Ausstattung.
Höhepunkt natürlich das Stiftergrabmal Wiprecht von Groitzschs, um 1230, etwa einhundert Jahre nach dessen Tod.

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Pegau, Rathaus, die Rumpelstilzchen-Version der Leipziger Ausgabe, Renaissancebau von 1559 nach Entwürfen von Hieronymus Lotter, der gleichfalls an der Leipziger Hütte beteiligt war (seit 1556). Bemerkenswerte Portale.

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Güldengossa, spätbarockes Herrenhaus, Gartenseite

1285 erste urkundliche Erwähnung, aktueller Bau um 1720. Mansarddach mit Gaupen.
Rückseite mit neoklassizistischer Erweiterung und Balkon.
Genutzt als Erholungsheim, Gewerkschaftschule, Lehrlingswohnheim.
Einweihung September 2008 nach Restaurierung.

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Güdengossa, Garten mit unansehnlicher Plastik

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Güldengossa, Herrenhaus, Hofseite

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Leuchtenburg / b. Kahla auf einem abfallenden Kalksteinmassiv, für das mittlere Saaletal bemerkenswert hoch. Mit romanischem Bergfried.

Um 1200 älteste Siedlungsreste , 1221 erste urkundliche Erwähnung, 1392 Erstürmung durch die Wettiner, 1724 – 1871 Zucht-,Armen-u.Irrenanstalt (ein außerordentlich vielversprechender Aufenthaltsort), 1920 Jugendherberge, eine der ersten in Deutschland.
Vorburg völlig verändert, Kernburg weitgehend erhalten. Vier Rundtürme ( Kleider-,Münz-,Schleier-u.Marterturm)

Museum Leuchtenburg, Zeugnisse der Kerker-Fron, Zwölf Stunden Zuarbeit für eine Spielzeugbude.

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Leuchtenburg, Architektur mit Bergfried und Marterturm

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Leuchtenburg, Museum, Heiliger Sebastian, nach 1500, Saalfelder Schule, Nothelfer gegen die Pest, 1506 während der Pestepedemie etwa 1500 Opfer in Saalfeld.

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Leuchtenburg im Frühling

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Am Fuß der Leuchtenburg im Frühling

Mai 15, 2010 Posted by | Kunst, Leipzig, Neben Leipzig, Verstreutes | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, Kevin Kuranyi, Rene Adler, Ernst Emu, journalistische Ejakulationen, Joachim Streich, Andreas Trautmann und verrottete Originalitätsbottiche

Ball

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Ich bin ein wackerer Radio-Hörer, ein passabler Zeitungsleser und ein weitgehend lausiger Fußballexperte.
Doch entging mir natürlich nicht, dass Rene Adler und Kevin Kuranyi hauptberuflich und ständig mit anderen Herren um einen Ball tänzeln und fighten.

Und als wackerer Radio-Hörer und passabler Zeitungsleser irritiert mich zunehmend diese Bildung einer journalistischer Einheitsfront, diese flächendeckende Aufnahme dürftiger Sprachspielchen in den eigenen, scheinbar verrotteten Originalitätsbottich.
Und eben auch bei Vertretern des geschriebenen und gesprochenen Wortes, denen ich bislang eine kultivierte Eigenständigkeit in kultivierter Anstellung zubilligte.

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Adler

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Der Adler fliegt nicht“ oder in einer prachtvollen Weiterentwicklung: „Der Adler fliegt nicht zur WM“ oder noch funkelnder: „Der Adler fliegt nicht nach Südafrika“ und die journalistische Ejakulation: „Der Adler fliegt nicht zur WM nach Südafrika.“
Durch endlose Wiederholungen mit trostlosen Varianten wird der Nichtteilnahme eines Torwarts namens Adler an der Fußball-WM in Südafrika gedacht.

„Kevin allein zu Haus“. Diese kecke Verknüpfung der Verbindungslinie von Kevin Kuranyis Ausmusterung und sein vermutlicher Aufenthalt zur WM mit dem Film „Kevin-Allein zu Haus“ scheint mir intellektuell etwas behäbig konstruiert.
Aber dennoch auch hier endlose Wiederholungen in allen Branchen der Informationsübermittlung, doch ohne Varianten, der Filmtitel ist nun einmal festgelegt.
Und ein „Kevin allein zu Haus während der WM in Südafrika“ wäre einfach zu blöd.

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Emu

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Und wenn nun Ernst Emu nach langen internen Karambolagen den Posten des Torwarts erhielte, an Stelle Adlers?
Ein markantes „Der Emu fliegt doch nach Südafrika“ würde auf ein Defizit zoologischer Grundkenntnisse deuten.
Und „Der Emu läuft doch nach Südafrika“ wäre zeittechnisch und bewegungshygienisch auch nicht gänzlich gefahrlos.
Ich bin kein Ignorant und derartige Flachsereien können ja auch einen folkloristischen Charme entfalten. Aber doch nicht fortwährend auf jedem Kanal, auf jeder bedruckten Seite immer der gleiche nachgesülzte, zermürbend originalitätsbereinigte Halbhumor.

Und jetzt meine Beiträge zu diesem ausgelassenen Sprach-Trubel:

Joachim Streich, ehemaliger DDR-Fußballer schießt vier Tore in einem Spiel.
Mein Kommentar: „Vier auf einen Streich

Andreas Trautmann, gleichfalls ehemaliger DDR-Fußballer, gelingt ein spektakuläres Tor.
Mein Kommentar: „Mann, der traut sich was .“

Und so weiter und so beknackt. Diesen epochalen Einwürfe gelangen mir während der vergangenen fünfundzwanzig Sekunden.

Mai 6, 2010 Posted by | Verstreutes | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, David Thomas, Pere Ubu, Morton Feldman, Alfred Jarry, deformierte Puzzles in futuristischen Industriearchitekturen und wundervoll abgelärmte Alltags-Dissonanzen

Neben dem alltäglichen Bedürfnis nach Musik bilden sich bei mir Begierden, die ich dann in musikalischen Spezialblöcken bis zum Exzess auslebe. In den vergangenen Wochen mussten diese Tortur Captain Beefheart, Richard Strauss, Morton Feldman und Erik Satie erleiden. Ich denke, in diesen Tagen werden sich Pere Ubu nicht entziehen können.

Mitte der siebziger Jahre in Cleveland, Ohio, gegründet hat sich Pere Ubu für eine Musik entschieden, die exzentrische Vokalartistik mit grotesk verklammerten Versatzstücken einzelner Instrumente und wundervoll abgelärmten Alltags-Dissonanzen unterlegt.

Irgendwie angelehnt an Iggy Pops Stooges und Velvet Underground mit Lou Reed, John Cale und Andy Warhols freundlicher Unterstützung. Wobei Pere Ubu und ihr dickleibiger Derwisch David Thomas sicherlich nicht deren intellektuelles Potential anbieten können und sich eher auf naive, doch keinesfalls populäre Ebenen festlegt haben.

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Mein derzeitiges Angebot von Tonträgern mit der Musik von Pere Ubu. Dazu die angemessene Verpflegung für die Bewältigung einer Scheibe

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Der Gruppenname bezieht sich auf eine Satire von Alfred Jarry am Ausgang des 19. Jahrhunderts. Ich habe das Stück nochmals gelesen und es nervt mich noch immer. Vielleicht bin ich noch nicht reif oder schon zu alt für diesen Banalbatzen. Wichtige Theoretiker würden mit geblähten Nüstern und knisternder Halsschlagader sicherlich Parallelen zwischen Literatur und Musik namens Pere Ubu herstellen, mit Begriffen wie „Antiheld“ brillieren und Verknüpfungen über den Dadaismus bis zur Gegenwart herstellen. Ich habe dazu momentan keine Lust und höre lieber die Musik.
Und bei ihr formiert sich ein schräges Mosaik, deren gesungene, getrommelte und gezupfte Einzelteile sich eigentlich nie im „Paradies“ traditioneller Hörgewohnheiten vereinigen und sich eher gegenseitig zänkisch, mitunter auch gewalttätig vom Tablett stoßen.
Eine rockige Spielart der Konkreten Musik, in die sich wiederum schon Stockhausen Mitte der fünfziger Jahre mit seinem „Gesang der Jünglinge“ einmischte.

David Thomas, in späteren Jahren

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Die Musik von Pere Ubu entwickelt eine unbeschreibliche Suggestion. Wie die Ersatz-Akustik inmitten einer futuristischen Industriearchitektur, deren Räume und Ebenen sich ständig verschieben, während technisch genormte Abläufe zu einem naiven, heillos deformierten Puzzle mutieren.
Eine Orientierung auf höhere Bereiche der gebräuchlichen Phon-Skala sollte erwogen werden. Es müssen ja nicht gleich die Papageien mit rostigen Schnäbeln und Tinitus von der Sprosse fallen. Aber etwas Krach muss sein. Eine Haydn-Sinfonie für Hörgeräte-Träger kann dann später folgen.
Ich empfehle als Einstieg auf YouTube unter Pere Ubu das erste Video („Breath“). Für diese Truppe ein außerordentlich konventionelles Stück. Auffällig das gewöhnungsbedürftige Ballett von David Thomas. Ich würde mich mit dem Gitarristen solidarisieren, wenn er sein Instrument mit kraftvollem Wurf in Richtung dieses hartnäckig nervenden Zudringlings schleudern würde.
Danach vielleicht Video 5 und „Come home“, gleichfalls konventionell, aber ebenfalls bemerkenswert und Video 3 („Birdies“), jetzt für anspruchsvolle und tolerante Hörer. Denn hier beginnt tatsächlich die „richtige“ Musik von Pere Ubu, die mein Motiv für ein kurzfristiges Pere-Ubu-Festival begründet.

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Nach „The Modern Dance“ (1978) die zweite Scheibe von überragender Qualität

juergenhennekunstkritik.wordpress.com

juergen-henne-leipzig@web.de

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Mai 2, 2010 Posted by | Musik | Hinterlasse einen Kommentar