Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne und 1:0

LVZ, 30. August 2021

Wenn ich in meinem sprachlichen Gedächtnis spontan nach Synonymen bzw. synonymartigen Bezeichnungen für „Pleite“ fahnde, füllt sich eine Liste mit……Debakel, Fiasko, Katastrophe, Desaster, ……, also ein markiger Vorgang, der auch existentielle Probleme bereithalten könnte.

Außerdem wird in meinen Aufmerksamkeits-Genen für die Geschichte und Gegenwart des Fußballspiels ein ähnliches Interesse entwickelt wie für den aktuellen Qualitätsstand des Eishockey-Teams der Elfenbeinküste.

Aber dennoch treibt es mich zu der Überlegung, weshalb ein Fußballspiel, welches bei einem Tabellenführer mit dem knappsten aller Resultate verloren wurde, in den zerstörerischen Rang einer Pleite für die unterlegene Truppe eingeordnet wird. Verstehe ich nicht. Die Charakterisierung dieses Ergebnisses mit z.B. Niederlage beim Tabellenführer, Reinfall beim Tabellenführer, Misserfolg beim Tabellenführer, Abfuhr beim Tabellenführer….könnte ich mir als ausreichende Bewertung vorstellen.

Die Wörter verlieren ihre präzise Bedeutung, nicht nur bei der Ballklopperei. Jede gelungene Darmblähung wird als historische Leistung einsortiert. Auf unserer Erde brodelt es vor Ikonen, Helden, Giganten und Milliarden von Zeitgenossen mit Kult-Status.

Nur ich bleibe der Jürgen.

Wenn Abläufe, Situationen, Erscheinungen, Ergebnisse… innerhalb der zukünftigen Kommunikationsformen verstärkt mit derartig ungerechtfertigten Zuspitzungen, einfältiger Maßlosigkeit und absichlich oder unabsichtlich zelebrierter Kompetenzlosigkeit beschrieben werden, wird man sich eher nur noch bedingt an einer Verständigung mit anspruchsvollen und differenziert formulierten Erkenntnissen erfreuen können.

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August 31, 2021 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, Charlie Watts und Gerhard Schröder

Ich habe die „Rolling Stones“ erstmalig 1964 im dreizehnten Lebensjahr akustisch wahrgenommen. Auf einem lähmend alten Rundfunkempfänger, vermutlich aus der Erbmasse von Robin Hood, drangen mir, unterlegt mit Mittel-u. Kurzwellen-Gequietsche und Gequieke vielleicht „Tell Me“ oder „Pain in my Heart“ oder „Heart of Stone“ oder „Under the Boardwalk“. . . in die Ohren. Gleichfalls 1964 ging mit „Last Time“ die Post dann richtig ab, mit „Get Off of My Cloud“ und „19the Nervous Breaktown“ wurde ich etwas später (1965/66) abhängig.

Doch habe ich mich der aktuellen Zelebration um Charlie Watts weitgehend entzogen, zumindest in der gegenwärtig bevorzugten Art und Weise.

Denn diese bombastischen Gesänge gehen mir nicht unheftig auf die Mittelschnalle, wenn Watts z.B. von jedem Seppl, der Mick Jagger nicht von Roland Kaiser unterscheiden kann, zum größten Schlagzeuger des Rock/Pop gekürt wird oder zum genialsten Schlagzeuger aller Zeiten. Mein Gott, kann man sich nicht einmal um normale, angemessene Würdigungen bemühen. Und nicht nur in Gurkensendern mit einer erfrischenden Tendenz zum galoppierendem Infantilismus, auch bei sogenannten soliden Funkstationen werden diese leichtfüßig zu bewältigenden, völlig überhitzten „Festellungen“ abgelabert.

Doch ähnlich wie Ringo Starr kann auch Charlie Watts mitnichten in die absolute Elite der Knüppler im Hintergrund der Bühnen aufgenommen werden.

Ich werde jetzt keineswegs eine Hitparade der edelsten Schlagzeuger erstellen, das wäre mir zu törricht.

Aber dennoch möchte ich gern z.B. an Keith Moon (Who) erinnern oder an Ginger Baker (Cream, Blind Faith), und natürlich an John Bonham (Led Zeppelin), die unseren Charlie locker in die Pauke geschoben hätten. Und das ist keine Geschmacksache, sondern eine Tatsache. Die zahlreichen Musikkonserven dienen dabei als eindeutiges Beweismaterial, man muss es nur hören.

Dabei sind meine Erinnerungen noch nicht erschöpft. Denn es gab und gibt auch noch Mitch Mitchel von der Hendrix-Truppe und Jabo Stark, der den göttlichen James Brown bei seinem wundervollen Gekreische begleitete, auch Bill Bruford von King Crimson und Carmine Appice, der 1967 mit Vanilla Fudge die unvergessliche Version des Supremes-Songs „You Keep Me Hanging`On ablieferte, nicht ganz selbsverständlich für diese Zeit und dieses Jahr.

Schlagzeuger, die, so vermute ich, den Vergleich mit Charlie Watts wegen eines deprimierenden Ergebnisses nicht scheuen bräuchten.

Aber im Grunde ist mir das ausufernd pomade und selbstverständlich war unser Charlie ein herausragender Schlagzeuger. Doch wie sagte schon Gerhard Schröder innerhalb einer Diskussionsrunde, nachdem er die Wahl verloren hatte und eine Koalition zwischen CDU und SPD mit Angela Merkel als Kanzlerin zur Debatte stand:“ Also, wir wollen doch die Kirche mal im Dorf lassen…“

Zugabe

Meine ersten Rolling Stones – Scheiben

Für achtzig DDR-Mark Mitte der 70er Jahre erworben. Danach musste ich mich eine Woche mit Moos und Gänseblümchen ernähren.
Im DDR-Handel 1982 für reichlich 16 DDR-Mark erworben
Geschenk von einer Budapest-Reisenden des Jahres 1982

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August 28, 2021 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, weitgehend unaufdringlich vorgetragene Reminiszenzen aus der Kindheit, eine Reise in die Urzeit, ein Reise in die Urwelt, der tschechoslowakische Paläologe Josef Augusta und Mot, Run, Bug, Chen, Lar, Sim….

DVD, vor wenigen Tagen erhalten

Als Zeitgenosse mit einer stabilen Zuneigung zu gefilmten Endprodukten, die sich aber keineswegs in schlichten Exzessen der Verklärung beim Auftritt der bevorzugten Schauspielerin oder des bevorzugten Schauspielers äußert, neige ich mitunter bei entsprechenden Anlässen auch zu filmhistorischen Überlegungen.

Und ich habe mir überlegt, weshalb diesen tschechoslowakischem Film von Karel Zeman des Jahres 1955 in der Auflage von 2004 (s.o.) sein makelloser Originaltitel „Reise in die Urzeit“ gestrichen wird, um zu einer inhaltlich und sprachästhetisch unsauberen „Reise in die Urwelt“ vermüllt zu werden. Denn die jungen Akteure legen bei ihrer Exkursion einen erhöhten Wert auf das Wissen um die Abfolge der Erdepochen und nicht allein auf irgedeine „Urwelt“. Aber wem interessiert das schon.

Die Kinder beginnen ihren Ausflug in der Eiszeit. Dann hört man vom Tertiär, sieht Szenen aus dem Silur, aus Trias, Kreide, Jura, Karbon……vielleicht auch noch aus anderen Erdepochen, ist mir aber nicht mehr erinnerlich.

Natürlich entsprechen die fachlichen Einordnungen und die theoretischen Erziehungs-Ambitionen des Films dem Kenntnisstand vor fast siebzig Jahren.

Durch die einzelnen Erdalter wütet sich dann der Smilodon (Säbelzahntiger), dreschen sich mit abschließenden Blutausflüssen Tyrannosaurus (im Brustbereich) und Stegosaurus (im Halsbereich), etwas ruhiger gebärden sich Wollhaarmammute, Wollnashörner und Brontosaurus, bei Angriffen von Flugsauriern auf die pubertierenden Ersatz-Livingstones wird die Aktion wieder etwas deftiger und im Karbon vor etwa 350 Millionen Jahren flattern dann Libellen mit Flügellängen von scheinbar bis zu einem Meter durch die Landschaft, während Triboliten, die bis heute legendären Gliederfüßer, kriechend oder schwimmend durch die Ozeane gurken.

Jurassic Park-Euphoriker würden diesen Film sicher nur mit einer Pulle Wodka ertragen.

Aber dennoch sollte man mitunter auch Uralt-Versionen verteidigen.

Denn es gibt es z.B. bei den gefühlt 2 Milliarden Cover-Ausgaben von King Kong keinen Streifen, der Gefahr und Bedrohung, flankiert von mystischen, magischen, unfassbaren Urängsten, optisch und akustisch derartig zwingend anbietet wie wie das Original von 1933, insbesondere innerhalb der nicht wenigen Minuten zwischen der Insel-Annäherung des Schiffes und dem rüpeligen Hervorbrechen des Äffchens.

Josef Augusta, „An den Lagerfeuern der Altsteinzeit“, „Verwehtes Leben“, „Versteinerte Welt“, “ Große Entdeckungen“, erschienen Anfang bis Mitte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts im deutschen, demokratisch republikanischem Urania-Verlag, zuständig für populärwissenschaftliche Wissensvermittlung

Die überraschendste, im Grund aber eher nebensächliche Information fand ich im Vor-bzw. Nachspann der „Reise in die Urzeit“, in denen auf Josef Augusta als fachlicher Berater verwiesen wird.

Und flugs überzogen meine optischen Sensoren die Bücherschränke. Und ich fand sie auffallend zügig, die vier Bücher von dem tschechoslowakischen Paläologen Josef Augusta, dich mich um 1962/64 zu Geburtstagags – u. Weihnachts-Euphorien motivierten (s. Bild oben).

Augusta nutzte in seinen populärwissenschaftlichen Geschichten z.B. Ausgrabugen, um deren Funde mit fiktiven Abläufen zu begründen. Die Höhlenmalereien in Altamira werden dabei ähnlich bearbeitet wie die tierischen Reste eines Lagerplatzes in Taubach, ein Ortsteil Weimars Und auch schon damals wurde integriert, wurden menschenähnliche, menschlich fortgeschrittene oder tierische Schädel aller Gattungen demoliert.

,So konstruiert Augusta z.B. eine Story um Mot, dessen Schicksal vom alten Jäger Run am steinzeitlichem Lagerfeuer erzählt wird. Denn Mot, dessen bevorzugte Kollegin von einem Urlöwen zerlegt wurde, lebt als altsteinzeitlicher Eremit, der nur an Rache denkt. Bald treten auch Bug, Sol, Chen, Lar, Sim…. in die Handlung ein.

Aber besonders werden die Triumphe und Niederlagen einzelner Vertreter der Fauna während verschiedener Erdalter beschrieben, natürlich gleichfalls fiktiv. Denn wer weiß schon genau, wie sich vor einer Million, vor hundert Millionen Jahren die Tiere gebärdeten. Sie flohen vor Vulkanausbrüchen, vor Überschwemmungen, sie stürzten, von tierischen „Bestien“ verfolgt, Steilhänge hinab und versanken, gleichfalls als Opfer von Verfolgungen, im Moor. Und ausgegrabene Funde zeugen von den Schicksalen.

Ich habe nun vor fast sechzig Jahren die Bücher von Josef Augusta mit ausladender Verzückung gelesen, Doch wird es aus heutiger Sicht recht beschwerlich sein, dieser Literatur eine ählich ausladende Bekömmlichkeit zu bescheinigen. Mir ist auch nicht erinnerlich, Nachauflagen während der vergangenen fünfzig Jahre wahrgenommen zu haben.

Denn diese aufdringliche Vermittlung moralischer Werte, auch in den Vorworten, die Darbringung frontalhumanistischer Meinungen und die fast schon satirisch schwülstige Naturverklärung gehen mir im fortgeschrittenem Alter doch recht heftig auf die Mitteldrüsen.

Auch die Beurteilung der einzelnen Urviecher ist schon bemerkenswert. So gibt es hässliche, scheußliche, blutrünstige, bösartige, verschlagene Kreaturen, dem gegenüber auch niedliche, schöne, gutmütige, hilfsbereite Exemplare.

Dem Urschwein werden ein unansehnlicher Körper, Unverträglichkeit und blutunterlaufene Augen zugeordnet. Auch Elasmosaurus und Tylosaurus schienen nach Augustas Erkenntnissen unter „bösen“ Augen gelitten zu haben, als schreckliche und monströse Erscheinungen. Und aus den Augen des wilden, grausamen Simocyon sprühte grenzenloser Hass, während ein Mitglied der Machairodus falsch, listig und widerlich in die Wildnis heult.

Erstaunlich ist auch der abschließende Satz, mit dem Augusta die Nahrungsaufnahme von einigen Hyaenictis kommentiert: „…dann tönte in die nächtliche Stille nur das scheußliche Klappern der Kiefer ihrer hungrigen Rachen als schauerliches Lied widerwärtiger Nachtgeister.“ Im Grunde unerträglich.

Aber es gibt bei ihm natürlich auch Elefanten im Jungtier-Stadium, die drollig ihre Rüsselchen heben. Oder eine Antilope, die mit weichem Mäulchen lustig herumhüpft. Gleichzeitig auch Pferdeantilopen als Schmuck der Steppe mit feinen Köpfen, zarten Mäulern, herrlich anzusehen. Und niedliche Äffchen ohnehin. Gleichfalls unerträglich.

Aktuell wird man diese Tabelle tierischer Charaktere nicht mehr anbieten können.

Aber dennoch bin ich dankbar für die Bücher, stellten sie doch wichtige Weichen für meinen Drang, unaufhörlich Wissen zu erwerben, nicht als Pflicht, eher als Bedürfnis, bis zum heutigen Tag. Ich glaube, mich korrekt daran zu erinnern, dass man mir z.B. nach den Augusta-Lektüren die „Entdeckungsfahrt mit der Beagle“ unter den Weihnachtsbaum legte. Storys um Jean Baptiste de Lamarck, Ernst Haeckel, Charles Darwin…und ich war erneut euphorisiert.

Ein paar Illustrationen zu Büchern Josef Augustas

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August 20, 2021 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar