Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne und eine Überschrift

LVZ, 24.März 2021, S.11, Literaturkritik

Der im Artikel als Randthema angesprochene Roman „Hymne an die Nacht“ wird man in meinem Bücherbord vergeblich suchen. Den Grund kann man ohne ausufernde Problemanalyse leicht herleiten. Denn mir ist diese Autorin gänzlich unbekannt ( Sylvia Madsack). Und wenn ich zur Kenntnis nehme, das sie ihre speziellen, schriftstellerischen Neigungen bisher auf Vampirthemen ausgebreitet hat, entwickeln sich bei mir doch erhebliche Zweifel, dass ich ihr aktuelles Buch frenetisch feiern werde („Enriettas Vermächtnis„).

Obwohl mir natürlich bei diesem Vampir-Gefletsche nicht grundsätzlich die Eckzähne ausfallen. Ich denke an Filme wie „Nosferatu“, „Dracula“, „Tanz der Vampire“ (Polanski), „From Dusk Till Down“ (Tarantino), „Only Lovers Left Alive“ von Jim Jarmusch. Damit kann ich mich abends hin und wieder mit einer Zahnbürste in Reichweite vorzüglich unterhalten.

Bei „Hymne an die Nacht“ von Sylvia Madsack, vor fünf Jahren veröffentlicht, hätte mich aber schon der Buchtitel verstimmt. Denn die „Hymnen an die Nacht“ von Novalis belegen in meinem Regal in der Romantik-Abteilung eine dominierende Position. Sylvie Madsacks Beitrag zur Literaturgeschichte werde ich sicher nicht danebenstellen. Doch muss ich natürlich zugeben, ihre Romane nicht gelesen zu haben und bin mir meiner Ignoranz bewusst, schäme mich aber nur begrenzt. Außerdem erinnere ich mich, während der Zeit meiner Beethoven-Exzesse, also kurz nach dem Prager Fenstersturz, eine „Hymne an die Nacht“ des Bonner Noten-Notierers wahrgenommen zu haben. Ich glaube, für Chorstimmen komponiert.

Und nun möchte mir eine Zeitung die neueste Schrift Sylvia Madsacks zur Bekömmlichkeit verhelfen („Enriettas Vermächtnis“), mir also ein Buch mit großen Worten anbieten, das scheinbar ohne vordergründiges Vampir-Geschlürfe zweihundertsechsundachtzig Seiten füllt.

Und wählt als Überschrift, eigentlich mit der Aufgabe ausgestattet, als Einstiegsdroge zu wirken, eine sprachlich ungenießbare Klischee-Zusammenrottung.

„Traumzartes Gefühlskino in Moll“(s.o.). Meine aufnahmebereiten Sinnesorgane und deren sensiblen Nervenstränge beginnen hier zu verschleimen. Da haucht sich also eine traumzarte Basis -Stimmung durch die Kapitel, versinkt man gefühlskinoangemessen in einer Kummuluswolke vertränter und verrotzter Zellstoff-Tücher, alles in Moll unterfüttert.

Hier hat sich ja ein gerüttelt Maß an überzuckertem Sirup über des Journalisten Tastatur geschliert. Wenn man unbedingt ein derartig pubertäres Poesiealbum-Vokabular bevorzugt und einsetzen will, hätten vielleicht auch „traumzart“ oder das „Gefühlskino“ oder „Moll“ alleinstehen können, als schlichter Akzent in einem „normalen“ Satz sozusagen, doch diese Zusammenführung auf vier Worte erweist sich als Lesehölle.

Und in dieser Sirup-Lache soll ich mich jetzt lesend suhlen. Das werde ich nicht.

Aber vielleicht ist das Buch lesbarer, als diese Überschrift ankündigt. Ich weiß es nicht. Ich habe mich auch entschlossen, nach dieser traumzarten, kinogefühligen, vermollten Zumutung den nachfolgenden Text weitgehend zu ignorieren. Denn ich würde mich sicher weiterhin darüber zumindest leicht erzürnen. Aber selbst eine zusätzlich leichte Erzürnung wäre keine empfehlenswerte Beschäftigung in Zeiten der Seuche.

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März 26, 2021 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, ein LVZ-Autor, eine sozialistische Kranführerin, vergammelte Gründerzeit-Architektur und ein Frettchen bei der Fußpflege

LVZ, 19 März 2021, Seite 11, Kritik zu einer Ausstellung mit DDR-Fotografien im Museum der Bildenden Künste Leipzig

Bei trübem Herbswetter trotten zwei Jungen mit Fußballfahnen die Haydnstraße entlang, links verfallene Gründerzeithäuser, auf der anderen Seite gesichtslose Plattenbauten. Das Bild drückt Tristesse aus, ohne eine politische Aussage zu haben.“(Zitat zu dem Foto unten),

Aber unbedingt haben verfallene Gründerzeithäuser und gesichtslose Plattenbauten eine politische Aussage, auch wenn zwischen Ihnen Fußballfahnen entlangtrotten. Die Aussage in diesem Bild ist im hohen Maße politisch akzentuiert.

Auch von trottenden Fahnen zwischen vorbildlich restaurierten Gründerzeithäusern und Plattenbauten mit heiterem Gesicht kann unbestreitbar ein politisches Anliegen abgeleitet werden. Wenn ich während der 60er und 70er und 80er Jahre in Leipzig durch Straßen mit verfallenen Gründerzeithäusern und gesichtslosen Plattenbauten trottete, ohne Fußballfahne, entwickelte ich hochgradig politische Gedanken. Bei dem Vokabular, dass ich dabei in meiner Vorstellung entwickelte, hätte Knigge sicherlich eifrig abgekotzt. Von meiner Reaktion bei der Verwesung von kunsthistorischer Edel-Architektur ganz zu schweigen.

Natürlich muss man Fotografen, die z.B. Elche beim Beischlaf oder Frettchen bei der Fußpflege ablichten, vielleicht eine gedankliche Verquickung mit politischen Abläufen nicht zwingend zugestehen.

Aber um politische Botschaften zu verstreuen, ist kein vordergründiges Spektakel notwendig, wie z.B auf lästigen, lärmenden, einfältigen Fotos von DDR- Mai-Demonstrationen mit Thälmann/Ulbricht Plakaten oder mit musizierenden Jugendlichen im FDJ-Hemd bei Hausgemeinschaftsfesten.

Evelyn Richter, die Fotografin des Bildes, irritiert diese öffentlich vorgetragene Plakativität, misstraut dem dröhnenden Optimismus und dessen fotografischer Widergabe. Sie wählt eher die zurückgenommene, unspektakuläre Sicht, vertraut melancholischen Färbungen, ohne dabei Steigerungen zu Einsamkeit und Verlorenheit, zu Resignation und sozialen Konflikten auszugrenzen. Eher ein stiller Protest, aber mit politischer Substanz.

Der Fotografin Evelyn Richter zum Neunzigsten

Zu diesem Foto schreibt der Texter: „Eine junge Kranführerin scheint dem ideologischen Ideal des Arbeiter-und Bauernstaates zu entsprechen.“

Aber nicht doch, Herr Texter, diese junge Kranführerin entspricht keineswegs dem ideologischen Ideal des Arbeiter-und Bauerstaates und keineswegs scheint es auch so. Ich denke, dass dieses Arbeiterinnen-Porträt sich nicht als Masturbations-Anheizer für Partei-Ideologen im Arbeiter-und Bauernstaat eignete.

In einer Kranbude ist es natürlich eng, doch die Betonug des Platzmangels (Ein Teil des Kopfes und Teile der Beine wurden „abgeschnitten“), die etwas betrübt-teilnahmslose, distanzierte, fehlende, aber gewünschte DDR-Arbeiterinnen-Euphorie-Gestik, der auffällige, ziemlich unentspannte Kontakt zwischen den oberen Extremitäten, kündet nimmer von einem gewünschten Ideal des Arbeiter-und Bauerstaates.

Das man Ihnen aber auch immer alles erklären muss, Herr Texter.

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März 23, 2021 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und zwei spontan empfohlene Hörfunk-Tipps zur Unterstützung der Seuchen-Verarbeitung

Deutschlandfunk am 20. März 2021

23:05 Uhr – 02:00 Uhr. Die lange Nacht im Deutschlandfunk. Thema: Franz Kafka, „Ich bin Ende oder Anfang.“

Zuvor ab 22:05 im Atelier neuer Musik: Paul Heinz Dittrich, Schüler von Wagner-Régeny und ein qualitativ hochwertiger Vertreter der zeitgenössischen Musik in der DDR, er vertonte u.a. Kafkas „Verwandlung“ (s.o.).

Ein feines Abendprogramm als Alternative zu Stefanie Hertel, Bernhard Brink und zu einem spätgotischen „Tatort“ des 15. Jahrhunderts.

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März 20, 2021 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und die Frauen – die Wiedergabe eines Dialogs mit aktueller Wertigkeit

Gespräch (Telefon) nach meiner öffentlich zugänglichen, zugegeben etwas herben, aber fairen Kritik zu den Gedichten von N. (weiblich) mit einem Angehörigen meines sozialen Umfelds. Keine lückenlos wörtliche Wiedergabe, aber fast.

ER: „Du gehörst wohl zu den Frauenhassern?“

Ich: „Aber mitnichten hasse ich Frauen, man nennt mich schon den „Jan Kiepura von Gohlis“ („Ob blond, ob braun…“). Nur eine menschliche Erscheinung mit der Struktur eines Pantoffeltierchens könnte die weibliche Gleichberechtigung auf allen Ebenen einer funktionierenden Zivilisation ablehnen.

Er: „Das sehe ich aber bei Deinem Gehetze über die Gedichte von N. ganz anders.“

Ich: „Was siehst Du ganz anders?“

Er: „Du hast über die Gedichte von N. gehetzt, weil sie eine Frau ist.“

Ich: „Aber nicht doch, ich habe keineswegs gehetzt, weil sie eine Frau ist, nur die Gedichte von N. kritisch, zugegeben mit einer markigen Polemik beurteilt“

Er: „Aber Frauen dürfen doch auch Gedichte schreiben, oder?“

Ich: „Aber sicher dürfen Frauen Gedichte schreiben, sie dürfen nicht nur, sie müssen Gedichte schreiben. Denke an die großartige Lyrik von Marina Zwetajewa, Sylvia Plath, Else Lasker-Schüler, Ingeborg Bachmann, Anna Achmatowa.“ (Mir schien, mein Gesprächspartner wirkte jetzt etwas ahnungslos und ich hätte sicher auch Laura Dahlmeier für herausragende Literatur weiblichen Ursprungs anführen können)

Er: „Aber wenn diese Gedichte ein Mann geschrieben hätte, hättest Du nicht so gehetzt.“

Ich: „Aber ich habe doch nicht gehetzt.“

Er: „Was hast Du dann“.

Ich: „Ich habe die Gedichte von N. nach meinen Maßstäben für sprachästhetisch und intellektuell hochwertige Lyrik beurteilt.“

Er: „Aber Dir ist es doch nicht egal, ob es sich um männliche oder weiblicher Dichter handelt, sonst würdest Du über N. nicht so hetzen.“

Ich: “ Aber ich habe doch nicht über N. gehetzt. Bei meiner Beurteilung von Literatur ist es mir völlig gleichgültig, ob Gedichte von Frauen oder Männern geschrieben werden. Ich lese auch Novellen von Spitzmaulnashörnern oder Breitmaulnashörnern, auch Gedichte von Zebra-Muränen oder Frau Holle und Täve Schur, nur gut müssen sie sein.“

Er: „Wieso Spitzmaulnashörner, verstehe ich nicht!“

Ich: „Ja“

Er: „Ich glaube, mit Dir kann man nicht über diese Dinge diskutieren.“

Ich: Ja ja, Nein nein, ? ?

Eine andere Kontaktaufnahme mit mir begann z.B. mit: „Was bist Du doch für eine Drecksau“. Dagegen ist ja das zitierte Gespräch (oben) ein kommunikativer Kuraufenthalt.

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März 17, 2021 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, der 70-jährige und Heinz Mack, der 90-jährige

Text zur Ausstellung mit Arbeiten von Heinz Mack im Fühjahr 1994 im Altenburger Lindenau-Museum, oben (LVZ, 20.Mai 1994). Noch weiter oben das Bild zum Text der Ausstellung mit Arbeiten von Heinz Mack im Frühjahr 1994 im Altenburger Lindenau-Museum (LVZ, 20 Mai 1994).

Nach fast dreißig Jahren ist das Papier natürlich zerschlissen, farblich mutiert, befindet sich zumindest in einem vorgekeimten Zustand und kann mit meinem, eher schlichten Fotografen-Werkzeug nur wenig verheißungsvoll behandelt werden.

Ich schrieb für das Leipziger Blatt (s.o.) die Ausstellungskritik, meine freudige Hinwendung zur Kunst der Gruppe „Zero“ hatte sich schon Jahre zuvor gefestigt (Neben Mack noch Günther Uecker und Otto Piene).

Heinz Mack beging im März 1994 seinen 63.Geburtstag, heute wirde er 90. Deshalb kramte ich das Zeugnis meiner Sicht auf dessen Kunst vor genau 27 Jahren wieder hervor.

Wenige Tage nach der Veröffentlichung des Artikels stand die Christel von der Post vor der Tür und überreichte mir ein Paket mit drei Katalogen von Ausstellungen Macks und dem freundlichen Hinweis seiner Kunst-Agenten, dass er sich an meinem Text außerordentlich erfreut habe.

Weniger erfreut war ich aber über die redaktionellen Veränderungen meiner Ur-Texte, die ich ständig erleiden musste und die ausnahmslos infolge der erschütternden Talentlosigkeit der Bearbeiter zu einer Verminderung der inhaltlichen und sprachästhetischen Qualitäten führten

Deshalb auch im gedruckten Zeitungsartikel meine Kennzeichnung der grobschlächtigsten Umformungen, 1994 spontan und sicherlich mit grünen Augenblitzen und einer Machete in Erwartungshaltung zwischen die Zeilen notiert.

Mein Urtext hätte Heinz Mack sicherlich noch ergiebiger erfreut.

Nach einer leidenschaftlichen, aufopferungsvollen, später erbitterten Fahndung nach den Katalogen, die am Ende fast zu einer ungezügelt enthemmten Raserei ausartete, musste ich ganz entspannt zur Kenntnis nehmen, die Ausstellungs-Bände über Heinz Mack in meinem Rumpelschuppen nicht gefunden zu haben. Aber sie sind in der Wohnung, irgendwo, doch wer weiß das schon.

Ich wünsche Heinz Mack altersmäßig eine markante Dreistelligkeit, er hat es verdient, Leni R. z.B. keineswegs. Und immer ein gerüttelt Maß Licht unter der Hand.

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März 8, 2021 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar