Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne, zwei aktuelle Filme mit meinen, eher reduzierten Einordnungen, Denzel Washington und Frances McDormand als herausragende Darsteller, außerdem Pink Floyd mit Liverpooler Fußball-Gesängen und andere Musik als hörenswerte Alternative

Film I:

The Tragedy of Macbeth„. Ein Film mit Denzel Washington und Frances McDormand.

Der durchschnittlich aufnahmebereite Zeitgenosse wird bei „Macbeth“ zunächst an Shakespeares Tragödie und an mitunter quälende Schulstunden denken. Bei Vertretern mit eher ausgeprägten Zuneigungen zu kulturellen Verschlingungen könnte Verdis opernhafte Bearbeitung in der Ohr-Muschel rotieren.

Doch die Story um Macbeth, der etwas schwächelnde und etwas infantile Königsmörder mit erfreulichen Skrupeln und seinem Feldwebel des Unheils, der bestechend machtgierigen, ausladend psychopatischen Lady Macbeth animierte auch andere Komponisten und Filmregisseure sich dieser schottisch-mittelalterlichen Meuchelei hinzugeben.

Innerhalb der bildenden Kunst fällt mir spontan natürlich nur der Schweizer Füßli ein, Häuptling aller Alptraumgeplagten, der malerisch und graphisch diese verruchten Abläufe zelebrierte.


Macbeth, Teil meines befriedigend üppigen Richard-Strauss-Angebots, eine seiner frühesten Tondichtungen (Ende d.80er Jahre d.19. Jahrh.) mit Rudolf Kempe und der Staatskapelle Dresden.

Ich erlebte Kempe im Dresdner Kulturpalast etwa um 1975, kurz vor seinem Ableben. Er dirigierte u.a. „Tod und Verklärung“, gleichfalls von Strauss.

Lady Macbeth of Mtsensk, (auch Mzensk), Teil meines gleichfalls befriedigend üppigen Schostakowitsch-Angebots, nach einer Erzählung von N. Leskow. 1932/33 beendete Schostakowitsch die Oper, sie wurde umgehend zu einem globalen Ereignis.

Bald aber nicht mehr in der Sowjetunion, nachdem Stalin einer Aufführung beiwohnte und sich vielleicht übergeben musste. Er verbot dann einen der Höhepunkte der Opernliteratur des 20. Jahrh.

Schostakowitsch veränderte später die Urfassung und übergab das Ergebnis an die sozialistischen Kulturpolitiker. In dieser Version wurde die Oper als „Katerina Ismailowa“ auch auf den Bühnen der DDR akzeptiert. Auf den weltweiten Spielplänen dominiert aktuell wieder die Urfassung. Ich hoffe, das bleibt so, sonst Boykott.

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Und es gibt Filme, z.B. von Polanski und Orson Welles, welche die Massakrierung von Duncan, Banquo und Macduffs Frau und Kindern beschreiben. Aber auch eine fernöstliche Version vom Japaner Kurosawa, das ist der von „Rashomon“ und die „Sieben Samurai“ („Das Schloss im Spinnwebwald“)

Eben in diesen Tagen werden die öffentlichen Leinwände durch die “ The Tragedy of Macbeth“ von Joel Coen veredelt, der mit seinem Bruder Ethan bemerkenswerte Filme wie „No Country for Old Men“, „Big Lebowski“, „Barton Fink“ und „True Grit“ ablieferte.

Man muss sicher nicht über umfangreiche filmhistorische Kenntnis verfügen, um Coens gnadenlose, leidenschaftliche und liebevolle Hinwendung zum expressionistischen Film in Deutschland der 20er Jahre zu diagnostizieren. Das“Cabinet des Dr. Caligari“, „Der Golem, wie er in die Welt kam“ oder „Nosferatu, eine Symphonie des Grauens“ würden sich dabei z.B. als Orientierungs-Stränge anbieten.

„The Tragedy of Macbeth“ wurde ausschließlich im Studio abgefilmt, im Grunde als Theaterstück. Beängstigend irrationale Perspektiven in geschliffenem Schwarz-Weiß, die Dominanz geometrischer Kontraste, der brutale Detailverzicht in diesen Räumlichkeiten des Grauens, in denen das Grauen nicht plakativ sichtbar angeboten, mitunter nur von Schatten strukturiert wird und der Wille nach Abstraktion ohne misslungene Verfremdungsversuche führen diesen Film in eine Kategorie höchster optischer Ästhetik und inhaltlicher Präzision.

Und zwischen dieser Zusammenballung filmischer Höchstleistungen fügen sich die Hauptdarsteller Denzel Washington und Frances McDormand, einschließlich des gesamten Ensembles, bruchlos ein. Allein die unerträglichen Verschlingungen von Kathryn Hunter als Hexe könnten zu einem mehrmaligen Kinobesuch anspornen.

Die Regisseure werden sich im Restjahr quälen müssen, um diese Qualitätskategorie zu erklimmen.

Man munkelt, Denzel Washington gehört zur ersten Wahl bei der Oscar-Verleihung.

Film II

À la Carte – Freiheit geht durch den Magen.

Von den unablässigen Strapazen (positiv gedacht), die Coen für seine Filmbesucher zelebriert hat (s.o.), wird man bei Eric Besnards Streifen erlöst und kann sich entspannt in den Kinosessel fläzen. Ein Koch (Grégory Gadebois) mit Kochstatur, zumindest dem Klischee nach, belegt die Tische des Herzogs und der Gäste, deren Kommunikations-Strategie sich weitgehend auf dümmliches Heiterkeitsgeplänkel beschränkt, mit auserlesenen Köstlichkeiten, die auf den zahlreichen Quadratmetern Fressplatte wie ein gigantisches Stillleben verteilt werden. Als er Kartoffeln serviert, fällt er in Ungnade, denn Früchte unter der Erde fressen nur Schweine, wie ein anwesender Geistlicher tiefschürfend in die Fressrunde labert. Der stolze Koch entschuldigt sich nicht und verläßt das herzögliche Areal.

Nun gibt es verschiedene Aktionen mit Koch, Frauen, Sohn, Vater auf einer ehemaligen Poststation mit französisch ländlichem Zuschnitt in einer Zeit nur wenig vor dem 14.Juli 1789. Am Ende hat der Koch das erste Restaurant Frankreichs gegründet, in einer ehemaligen Poststation in ländlicher Umgebung. Und dem Herzog, der dieses erste Restaurant Frankreichs in ländlicher Umgebung besucht, wird die Perücke vom Kopf gerissen und zum absoluten Bodo gemacht, denn eine neue Zeit ist angebrochen, eben am 14.Juli 1789.

Besnard mischt kompetent und freundlich einige Genres des Films zu einem unbedingt bekömmlichen Konglomerat aus Historienfilmen, Komödien mit tragischen Nebenwegen, Filmen von auffällig botanischer Schönheit und politisch motivierten Seitwärts-Akzenten sowie orgiastischen Streifen für Fanatiker einer anspruchsvollen, aber sicher gnadenlos gesundheitsschädigenden Nahrungsaufnahme.

Ich zumindest habe leichtfüßig heiter das Kino verlassen.

Musiktipps der Woche

I. Kammermusik von Matthias Pintscher

II. Trompetenmusik von Arve Henriksen

III. Musik von Osvaldo Golijov

IV. Kammermusik aus Afrika, Kronos- Quartett. Besonders bei Escalay („Waterwheel“) des Ägypters Hamza El Din falle ich aus dem Sessel.

V. Alles von Pere Ubu

VI. Pink Floyd, „Meddle“, mit Liverpooler Gesängen in „Fearles“

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Februar 23, 2022 Posted by | Leipzig | 2 Kommentare

Jürgen Henne (71) und John Adams (75)

The Death of Klinghoffer, Opernorchester Lyon unter Kent Nagano.

Aus meinem kleinen John-Adams-Angebot.

Mein Kulturtipp, denn diese Oper komponierte John Adams, der heute vor fünfundsiebzig Jahren erstmalig neuenglische Luft inhalierte ( Massachusetts). Denn während der alltäglichen Abende zwischen den vierundzwanzigsten, einundfünfzigsten…… Wiederholungen von beknackten Tatorten des 17. Jahrhunderts, zwischen dümmlichen Krankenhaus-Serien, unerträglichen Gesprächsrunden, Florian Silbereisen und Helga Hahnemann könnte sich dieser Opernabend als feine Alternative etablieren. Natürlich böte sich z.B. auch Adams Oper „Nixon in China“ an.

Auf tiefschürfende Analysen der musikhistorischen Bedeutung von John Adams, einschließlich seiner Opern, spüre ich momentan keine Begierde, obwohl ich dazu natürlich fähig wäre. Wikipedia und andere Einrichtungen bieten dazu sicher reichlich Material. Ich gehe jetzt mit Nixon auf die fiktive Reise nach China, aktuell ein spannendes Unternehmen, allerdings sind meine alpinen Fähigkeiten nur bedingt einsatzbereit.

Februar 15, 2022 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar