Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne und Werner Kopfmüllers Musikwelten

Leipziger Plakat

Ich kann diese tölpelige Kumpanei nur schwer ertragen, diese Vertrautheit, die mit der Reduzierung auf Vornamen eingeschmiert werden soll.

Schon vor Kristjan Järvis Ankunft beim MDR-Sinfonierorchester (2012) wurde man mit einfältiger Vertraulichkeit behelligt, durch ein Plakat und „Kristjan kommt.“

Es gab auch z.B plakatierte Wahlwerbung zu Gysi („Gregor kommt“).

Diese ganze Hysterie in Presse, Rundfunk… um Andris Nelsons verströmmt eine derartig billige Geschäftigkeit bei im Grunde genormten Nebenaktionen.
Doch geht es eigentlich um Musik und man sollte sich eher befleißigen, die Bewohner Leipzigs zu motivieren, auch Nelsons` Konzerte zu besuchen, auf deren Programmzetteln man vergeblich die Namen Beethoven, Brahms, Mendelssohn, Schumann…sucht.

Doch wenn ich die „Kritik“ Werner Kopfmüllers über ein Konzert der Berliner Philharmoniker im Leipziger Gewandhaus lese (LVZ,20.Februar), schaue ich in eine unerfreuliche Zukunft.
Franz Schubert wurde gegeben, dazu Schönberg und Ravel.

Kopfmüller charakerisiert forsch das herausragende Violinkonzert Schönbergs (op.36) als kühl konstruiert, sperrig und unzugänglich, mit wenigen bis keinen erinnerbaren Gestalten(?), mit nur flüchtigen Gesten, die durch den Orchestersatz spuken und sich ausschließlich dem Expertenhörer als sinnstiftendes Ganzes offenbaren.
Er bezeichnet das Konzert feingeistig als konzertantes Ungetüm und monströs schwer spielbar mit garstigen Doppel-und Trippelgriffen…und endet mit dem Fazit: „Nur etwas für Spezialisten.“

Endlich einmal eine anspruchsvolle Hilfestellung, unerfahrenen Konzertbesuchern auch Musik des 20.Jahrhunderts nahe zu bringen.

Mir kommt das große, ausgedehnte, flächendeckende Speien.

Schönberg nur für Experten und Spezialisten?
Mir schwinden die Sinne.
Kühl konstruiert, sperrig, unzugänglich, flüchtige Gesten, Spuk, für den „normlen Konzertgänger“ sinnloses Zeug, Ungetüm, monströs, garstig?

Also hinein in den Kübel für entartete Musik, als Ersatz gäbe es ja z.B. neun Beethoven-Sinfonien, vier Brahms-Sinfonien….

Schönberg musste 1933 emigrieren, als Jude und als Komponist.
Mir scheint, auch Kopfmüller strebt nach „Ordnung“ im Leipziger Musikleben, ohne Schönberg, aber mit Kopfmüller.

Meine Nasenhaare werden geruchsintensiv durch Kopfmüllers „Konzertkritik“ durchfeuchtet.

Ravels „La Valse“ auf einem etwas älteren Tonträger

Aber es geht ja noch weiter.
Selbst bei Ravel ist Kopfmüller überfordert.
Er beschreibt „La Valse“ als überdrehte, selbstzerstörerische Musik, als „Tanz auf dem Vulkan“(was für ein dussliges Klischee-Gesülze), als Inferno, als Chaos….
Diese Aufzählung wäre ja an sich noch keine negativ-abwertende Kritik.

Doch schließt sich folgende Erkenntnis Kopfmüllers an:

„Erfreulicherweise konnte Ravel aber auch anders. Die 2.Orchestersuite aus „Daphnis et Chloé“, zehn Jahre früher entstanden, beweist es. Ballettmusik nach antiker Schäferdichtung. Ein locus amoenus wird hier in ein berückend schönes Farbenspiel umgesetzt, mit gleißendem Licht und kühlendem Schatten. Von Ferne tönen bukolische Holzbläser…“ (LVZ, 20.Februar 2018)

Was Sie, Kopfmüller, als „Erfreulicherweise“ benennen, sollte eigentlich keine Sau interessieren, schon gar nicht bei musikalischen Fragen.

Mein Gott, Kopfmüller, Ravels „La Valse“ kann man inzwischen in die Kategorie Mainstream einordnen.

Aber dann legen sie sich doch auf antike Schäferwiesen zwischen ein berückend schönes Farbenspiel, zwischen gleißendes Licht und kühlen Schatten, vielleicht gemeinsam mit Schamhaar-Ziegler und hören sie doch bukolische Holzbläser, natürlich nur von fern.
Oder vertiefen Sie sich in ihre Lehar-Sammlung oder gehen Sie im Traum mit Künneke und Benatzky zum Vetter aus Dingsda ins weiße Rößl. Vielleicht liegt dort schon ein armer Wandersgesell auf der anliegenden Schäferwiese und nuckelt zusammen mit antiken Hirten an bukolischen Holzblasinstrumenten.

Aber foltern Sie nicht Andris Nelsons, mich und viele andere mit Ihren einfältigen, schnarchnasigen Musikinterpretationen.

Auswahl meiner Schönberg-Musik auf etwas älteren Tonträgern

Ich widme den heutigen Tag der Musik von Arnold Schönberg.


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Februar 26, 2018 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und die verlorene Welt zwischen historisch unfassbaren Sensationen und blamabel desaströsen Katastrophen

Heimatlicher Fernseher, Biathlon (liegend)

Heimatlicher Fernseher, Biathlon (stehend)

Phantastisch
Unglaublich
Sensationell
Historisch
Unvorstellbar
Überragend
Ausgezeichnet
Brillant
Super
Pulverisierend
Klasse
Unfassbar
Perfekt
Wahnsinn
Großartig
Grandios

Bei dieser Aufzählung könnte man vermuten, mit seiner Nase in einem Synonymwörterbuch zu stecken.
Aber mitnichten, etwa dreißig Minuten einer Reportage im deutschen Fernsehen über die Disziplin Massenstart innerhalb des olypischen Biathlons in diesen Tagen habe ich in Stichworten notiert.
Einzelne Begriffe hymnischen Zuschnitts wurden mehrmals in den Äther gekräht.


Sprachlicher Ablauf der Reportage (Fiktiv, doch recht nah an des Reporters Vokabular)

Vier Schussserien eines deutschen Athleten, zweimal liegend und zweimal stehend zu jeweils fünf Schüssen, bedeutet viermal, nach jeweils fünf Schüssen: „Unvorstellbar, unglaublich, überragend…..“

Fünfmaliges Schießen eines deutschen Athleten bedeutet bei vier Schussserien zwanzig Schüsse und zwanzigmal „Wahnsinn, grandios, phantastisch….“

Vier Schussserien bei vier deutschen Athleten als vier Teilnehmer dieses Wettkampfes, zweimal liegend und zweimal stehend zu je fünf Schüssen, bedeutet sechzehnmal, nach jeweils fünf Schüssen: „Brillant, super, sensationell…“

Vier deutsche Athleten als vier Teilnehmer dieses Wettkampfes schießen bei einem Wettkampf mit vier Schussserien zu jeweils fünf Schüssen insgesamt achtzig Schüsse.
Also achtzigmal: „Unglaublich, sensationell, historisch, unfassbar….“

Beispiel der spachlichen Beschreibung eines Schießblocks mit fünf Schüssen, stehend oder liegend (Fiktiv, doch recht nah an des Reporters Sprache).

Erster Schuss: „Perfekt“
Zweiter Schuss:„Großartig“
Dritter Schuss:„Unvorstellbar“
Vierter Schuss:„Sensationell“
Fünfter Schuss:„Historisch“

Und es bleibt natürlich noch die Laufzeit mit zahlreichen Zeitmessungen auf der Strecke.
Also genug Möglichkeiten für eine reichhaltige Anwendung von: „Überragend, Wahnsinn, sensationell….“

Wenn eine Fußball-Mannschaft gegen ein Team von ählicher Qualität in dessen Stadion mit 1:2 verliert, spricht und schreibt man in der Regel von einem Desaster, von einer Pleite oder einem Fiasko. Auch die Blamage, das Debakel, der Flop und die Katastrophe werden zur Beschreibung einer Niederlage von 1:2 gegen eine gleichwertige Mannschaft in deren Stadion eingesetzt.
Feingeister nutzen auch den Begriff der Tragödie.

Es wird nur noch gekreischt, gelärmt, krakeelt.

Der Verlust der Zwischentöne, die Verschüttung der Mittelwege, der Abstufungen und Nuancierungen zwischen sprachlich mutierten Brachial-Blöcken, der mangelnde Einsatz von sensibel formulierter Wertigkeit treibt die emotionalen und rationalen Ebenen einer sinnvollen Kommunikation in die unzivilisierten Niederungen primitiver, infantiler Brunst-Schreie.
Der Wegfall dieser Welt reicher Schattierungen zwischen „überragend, perfekt, grandios“ und „desaströs, katastrophal, blamabel“ führt zu unsäglich vergröberten Denk-u.Beurteilungsstrukturen.

Und wie wird man die Forschungergebnisse benennen, welche z.B. die Krankheiten Krebs und Aids aus der künftigen Menschheitsgeschichte tilgen würden, wenn die Begriffe „sensationell“ oder „historisch“ schon für die hundertprozentige Trefferquote bei einer Schussserie innerhalb eines Biathlon-Wettkampfes vergeben sind, liegend oder stehend?

Oder wie wird man künftig Sophie Scholl, Dietrich Bonhoeffer, Janos Korczak beurteilen, wenn der Begriff „Held“ schon einem Fußballer verliehen wird, der während eines Meisterschaftsspiels aus vierzig Metern den Ball im Tor versenkt?

Oder wie soll man z.B. Attila und Robin Hood einordnen oder Störtebeker und Vlad III.Draculea, wenn der Begriff „Legende“ schon für einen Boxer verwendet wird, der seinen Gegener derartig malträtierte, dass er abschließend nur noch als roher Fleisch-Klops aus dem Ring gerollt werden konnte?

Fragen über Fragen.
Doch wer weiß das schon.
Denn es ist ein weites Feld (Fontane)


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Februar 21, 2018 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und die eher unregelmäßig bearbeitete Serie: „Jürgen Henne und die Verstreuungen des Alltags.“

Schkeuditz, Art Kapella, ehemalige Friedhofskapelle

Verstreuung I

„Cluster und Linien“

Ausstellung in der Art Kapella Schkeuditz.

Freya Richter, Rauminstallation
Anja Kleinmichel, Klavier, Musik von Galina Ustwolskaja







In einem Begleittext zur Ausstellung wird von Freya Richters „Raummalerei“ geschrieben, die sie seit 2004 in zahlreichen Umgebungen zelebriert.
Von einer festgelegten Sammlung unterschiedlicher Gegenstände, die den Raum „immer wieder anders befragt“, begleitet von der Musik G. Ustwolskajas.
Raummalerei und Musik entwickeln, entsprechend verbunden mit dem jeweiligen Umfeld, neue und unverwechselbare Dimensionen.

Klingt ziemlich wichtig, ist nicht ausufernd originell und ich konnte diese Wirkung nicht nachvollziehen.
Denn bei meinem Besuch in Schkeuditz lagen, standen, schwebten Kleidungsstücke, Taschen, Brotbüchsen, Getränkebehälter,….zwischen Freya Richters Raummalerei.
Auch G.Ustwolskajas Musik vermisste ich schmerzlich.

An einem Tisch im Zentrum der ehemaligen Friedhofskapelle saßen die Eigentümer von Kleidungsstücken, Taschen, Brotbüchsen, Getränkebehältern,…. eine Formation malender, zeichnender Zeitgenossen, die altersmäßig weitgehend in der zweiten Hälfte der Jahreszahlen zwischen 1.u.100 angesiedelt waren.
Ein wunderbarer Anblick.
Doch eine konzentrierte Ausstellungsbegehung war dadurch nicht möglich.

Als eine Teilnehmerin den Grund meines Besuches zur Kenntnis nahm und etwas genervt, vielleicht auch etwas spöttisch, ein wissendes „Sowas nennt man heute Kunst!“ formulierte, prophezeite ich mir selbst einige unterhaltsame Minuten.

Ich versuchte, mimisch meine Distanz zu diesem unreflektierten Verhältnis gegenüber zeitgenössischer Kunst auszudrücken, worauf ein stattlicher Mann mich etwas herrisch aufforderte: „Nun erklären sie uns doch diese Kunst!“

Meine Antwort reduzierte sich auf die lakonisch vorgetragene, natürlich etwas überspitzte Feststellung: „Kann ich nicht, will ich nicht, interessiert mich auch nicht“ und vertiefte diese Selbsteinschätzung mit dem Hinweis, dass mich spontan abgespulte, nervig dahin gelaberte Frontal-Interpretationen von Kunstwerken erstklassig anöden.

Es folgte ein kollektives Lächeln der Hobby-Künstler, scheinbar unterlegt mit der Gewissheit, irgendeinen Blödmann vor sich zu haben, der nur im Wege herumsteht.

Ich begann darauf inständig zu mahnen, sich mit zeitgenössischer Kunst einzulassen (auch mit Musik, Literatur…) und bat darum, Linien zeitgenössischer Kunst zu den gegenwärtigen Ebenen und Verhältnissen sich gnadenlos wandelnder Gesellschaften zu ziehen.
Und nun folgte das gesamte Angebot von Klischees, dem ich mich seit meinem 20.Lebensjahr stelle, also seit Ende des dreißigjährigen Krieges: „Derartige Kunst kann ich auch“, „Das kann mein fünfjähriger Urenkel besser“, „Früher konnten sie wenigstens noch richtig malen“, …..
Ich redete dann von der Notwendigkeit zeitgemäßer Kunst, von der Überflüssigkeit kollektiver Interpretationen und von individuellen Bereichen der Kunstherstellung, auch der Kunstverarbeitung, rühmte die emotionale Wucht farblicher Kontraste, die Feinheit von Strukturen, die Schönheit „inhaltsfreier“ Kompositionen in einer gegenstandslosen Kunst und wagte auch einzelne Abstecher zur Ikonographie in den Zeiten des Mittelalters, der Renaissance…und besonders des 21.Jahrhunderts.

Es blieb viel Skepsis.
Doch verließ diese Unterhaltung nie das Level der Lockerheit und endete ohne aggressive Nuancen.
Da gab es z.B. nach der Aufstellung der Beethoven-Skulptur vor dem Bilder-Museum (Lüpertz) oder innerhalb der Reaktionen auf die Perspektiven, die Andris Nelsons als künftiger Gewandhaus-Kapellmeister ankündigte, bemerkenswert streitsüchtigere, zänkische, bornierte Beiträge („Das wird sich Leipzig nicht bieten lassen“, zu Nelsons).
Eine dümmliche Anmaßung von einem gesamten Leipzig zu sprechen.

Auch ich quälte mich nicht selten durch Dispute, besonders in privatem Bereich, innerhalb derer mir schien, als würden die Arme meiner Gesprächspartner, hinter dem Rücken verschränkt, eine Kalaschnikow formen.
Auch die Aufbewahrung zeitgenössischer Künstler in Arbeitslagern wurde gefordert, Komponisten und Schriftsteller eingeschlossen.

Natürlich hat dabei auch die hiesige Presse ein gerüttelt Maß Verantwortung zu tragen.
Denn man schreibt dann doch eher leichtfüßig über irgendeinen „Vetter aus Dingsda“, beschreibt in einem hochgradig entbehrlichen Text einen singenden Partei-Agitator aus unsäglichen DDR-Zeiten, feiert auf zentralen Seiten irgendwelche Jubiläen von einhundertjährigen Sängern und preist die Neuveröffentlichung von schlechten DDR-Filmen.
Beiträge über Konzerte mit zeitgenössischer Musik werden dann neben eine Pudding-Werbung von Lidl eingeordnet.

Öffnungszeiten der Art Kapella

Di, Mi, Sa, So 13-17 Uhr, bis 18. Februar.
Bis gestern wurde auf der Homepage noch die Ausstellungsdauer 21.Januar – 28. Februar angegeben.

Während der Öffnungszeiten am 17.2 u. 18.2. spielt Anja Kleinmichel Klaviermusik von Galina Ustwolskaja.


Verstreung II

Ein Kultursender beschreibt Rod Stewart u.a. als Mitglied der Small Faces.
Aber nicht doch!
Rod Stewart war nie Musiker der Small Faces, er trat 1969 den Faces bei, nachdem Steve Marriott, Sänger und Zentrum der Small Faces diese Band verließ und die Faces als deren Nachfolge agierten, aufgefüllt mit Musikern anderer Bands.

Verstreung III

Ein Kultursender spielte eine eher mäßige Cover-Version von „What a Wonderful World“ und datierte dann mit dem Gefühl musikhistorischer Faktensicherheit das Original in das Jahr 1986, ohne dessen Interpreten zu nennen.
Aber nicht doch!
Der Song wurde 1968 veröffentlicht und von Louis Armstrong gesungen.

Ich vermute, derartige Fehlgriffe werden inzwischen als Normalität akzeptiert und Berichtigungen als überflüssige Anstrengung bewertet.



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Februar 16, 2018 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar