Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne, journalistische Dümmlichkeiten im Schnee und die Frage nach der Tränungsbereitschaft von Stefan Aust

Leipziger Volkszeitung, 24./25. Juli, sonntägliche Extraseiten

Es gibt ja nun journalistische Fragen, welche durch ihre, im Grunde schon brillante Dümmlichkeit den Leser, Hörer, Zuschauer fassungslos zurücklassen.

So frug z.B. vor ein paar Monaten der Fernseh-Reporter innerhalb einer skispringerischen Auseinandersetzung einen Schnee-Athleten, ob er erfreut wäre, den zweiten Sprung erheblich länger und mit erhöhter Punktebewertung im Vergleich zum ersten Durchgang bewältigt zu haben.

Wann entschließt sich endlich ein Skispringer, einfach nur mit einem markanten „Nein“ zu antworten oder bei ähnlichen Blöd-Fragen das Mikrofon zwischen die Fichten zu feuern, um dann rülpsend von dannen zu schreiten.

Aber auch diese journalistische Intimitäten-Geilheit empfinde ich unerträglich und animiert mich zur Fremdscham (s.o.) : „Wann haben Sie zuletzt geweint.“

Wann findet sich endlich ein Interview-Opfer, welches mit „Das geht Dich eine feuchte Unterhose an“ reagiert, das Mikrofon in Richtung Interviewraumdeckenleuchter pfeffert und gleichfalls rülpsend von dannen schreitet.

Ich habe letztmalig heute geweint….und gestern und vorgestern und vorvorgestern und täglich zwischen etwa 1960 und dem Tag vor vorvorgestern, korrekt in den Augenblicken, als ich diese Zeitung in den Händen hielt.

Ergänzung: Ich habe das Interview nicht gelesen, denn schon bei derartigen Überschriften melden meine Speiungs-Rezeptoren recht zügig erhöhte Aktionsbedürfnisse an.

juergenhennekunstkritik.wordpress.com
juergen-henne-leipzig@web.de
ILEFLoffsen2005198309092012dorHH

Juli 27, 2021 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und NeoromantikNeuromantikNeoromanikNeuromanikNeoromantikNeuromantik…….

Leipziger Volkszeitung, 10/11. Juli 2021, Titelseite der Verbleichungsinserate, Detail

Detail vom Detail

Ich besuchte diesen Friedhof in Dresden-Striesen während studentischer Zeiten in den siebziger Jahren, seitdem nie wieder. Ich erinnere mich eher nur grobschlächtig an Einzelheiten. Doch scheint mir die Grobschlächtigkeit vielleicht doch nicht so grob angelegt zu sein, denn ich bezweifle, in dieser Anlage neoromantische Architektur-Tendenzen wahrgenommen zu haben, auch mitnichten neuromantische.

Auf diesem Friedhof gibt es keine neoromantische Architektur, auch keine neuromantische Architektur, ihr Pfeifen, auf diesem Friedhof wurde eine neoromanische Architektur errichtet, jawohl, eine neoromanische Architektur, auch als neuromanische Architektur bekannt, ihr kunsthistorischen Einzeller.

Wenn Ihr Architektur-Erstklässler schon irgendwo abschreibt, dann schreibt zumindest korrekt ab und verzichtet doch in diesem Fall wenigstens auf das „t“.

Und die Wiederholung des „t“ im anschließendem Text erhöht nicht die Wahrheit der Ausage, denn es gibt eine Romanik in der Architektur, aber keine Epoche der Romantik, aber eben eine Epoche der Romanik, wie es auch kunsthistorische Epochen der Gotik, der Renaissance und des Barock gibt und im 19. Jahrhundert Phasen von Neuromanik bzw. Neoromanik, Neugotik bzw. Neogotik, Neurenaissance bzw. Neorenaissance, Neubarock bzw. Neobarock, mitunter auch Neubyzantinismus bzw. Neobyzantinismus, die selbst in durchschnittlich intelligenten Kreisen als Historismus zusammengefasst werden, das weiß doch jede Sau.

Und Neuromantik gibt es auch, aber eben nur in der Literatur, in einer Zeit um 1900 herum, als Gegenbewegung zum Naturalismus. Einzelne Abschnitte der Dichtungen Hoffmannsthals, R. Huchs und St. Georges könnte man z.B. darin einordnen, wäre mir aber mitunter fragwürdig, wie die Kategorie „Neuromantik“ in der Literatur überhaupt.

Also wenn in Bälde in dieser Zeitung ein Beitrag über die Neoromantik in der Literatur geschrieben werden sollte, muss konsequent das „t“ beachtet werden. Denn die Katalogisierung der Arbeiten von Hoffmannsthal, Huch, George u.a. in die Kategorie „Neoromanik“ könnte bei literaturhistorisch gebildeten Fachleuten Irritationen auslösen.

juergenhennekunstkritik.wordpress.com
juergen-henne-leipzig@web.de
ILEFLoffsen2005198309092012dorHH

Juli 11, 2021 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne und eine kurze, unaufdringliche Nachlese zu den 12. Schostakowitsch-Tagen Gohrisch in Hellerau 2021


Titelblatt des Programms der diesjährigen Schostakowitsch-Tage in Hellerau.

Der ursprüngliche Standort, die Gohrischer Konzertscheune, konnte infolge der aktuellen Seuchenlage nicht genutzt werden.

Gohrisch, im Hintergrund das Gebäude-Ensemble. Die Musikscheune ( massiver Bau, links) fungiert an Tagen ohne weitgehend osteuropäische Musik als Aufbewahrungshalle für aggrarische Erzeugnisse. Die etwas labilere Zeltkonstruktion (recht daneben) beherbergt die Station für mögliche Nahrungsaufnahmen, Zellen zur Vollendung des Stoffwechsels und Büchertische. Aufnahme vom Juni 2016.

Großer Saal des Festspielhauses in Hellerau, zentraler Ort der ersten Gartenstadt Deutschland, mit aktuell angeseuchter Sitzordnung.

Das gesamte Haus wurde seit 1945 von der sowjetischen Armee für militärische und medizinische Zwecke genutzt, dieser Saal diente als Turnhalle, na klasse.

Mein Stuhl für sieben Konzerte an vier Tagen, von vorn

Mich beschenkte man mit dem Privileg einer Sitzgelegenheit mit herausragender Beinfreiheit auf der Kühle des Bodens, ohne die Tortur, rücksichtlose Knoblauchgeruchsverteiler erleiden zu müssen und konnte bei altersgemäßen Harndrang unkompliziert und unauffällig den Marsch zum Festival-Abort antreten, nicht ganz unwichtig.

Zugegeben, so richtig zur Fläzerei eignete sich dieses Modell nicht und nach jedem Konzert schmerzte dieser und jener Gesäß-Muskel. Doch sollte während dieser Stunden ohnehin keine Fläzerei vollzogen, sondern konzentriert Musik gehört werden. Und in Kirchen muss man sich ja auch seit Jahrhunderten auf Hartholz – Gestühl anketten lassen, um mit wachen Sinnen und zumindest mittelmäßigen Schmerzen den atemberaubenden Ausführungen des Pfarrers zu folgen.

Mein Stuhl für sieben Konzerte an vier Tagen, von hinten

Die zeitlichen Abmessungen der Konzerte wurden seuchentauglich auf maximal achtzig Minuten festgelegt, ohne Pause. Traditionell werden die Streichquartette Schostakowitschs im Zentrum dieser erweiterten Wochenenden stationiert. Die Organisatoren mit Tobias Niederschlag als künstlerischem Leiter fanden keine Begründung, diesen Ritus bei den 12. Schostakowitsch-Tagen abzusetzen. Also strichen auch in diesem Jahr die Musiker bei fünf Stücken dieser wichtigen kammermusikalischen Gattung mit ihren Bögen über Violinen, Viola und Cello (Schostakowitch, Streichquartette Nr. 1..2..5..11..12 ).

Quatuor Danel und wie gewohnt das Borodin-Quartett bewältigten diese auch athletisch anspruchsvollen Stücke ohne Makel. Doch regt sich nach diesen Streicher-Orgien nicht selten eine milde Sehnsucht, es möge ein anderer Klang in diese gestrichene Euphorie endringen (Natürlich gibt es immer wieder einmal Pizzicato-Einwürfe).

Doch entwickelte sich während der Tage nie die Furcht, die Gehörgänge würden sich zum Design eines Streichquartett-Cellos umformen.

Denn obwohl natürlich die fünfzehn Streichquartette innerhalb seiner Kammermusik eine zentrale Bedeutung haben und in den globalen Konzertprogrammen dominieren, hat Schostakowitsch z.B. auch die Klaviertasten und die menschliche Stimme zur Erweiterung seines Angebots genutzt.

Für die diesjährigen Tage in Hellerau wählte man z.B. Fugen für Klavier, die Klaviersonate Nr.1, Romanzen für Klaviertrio und Sopran nach Gedichten von Alexander Blok, Schostakowitschs Bearbeitungen von Liedern Mussorgskys, Rossinis, Bizets u.a. für Konzerte an der Leningrader Front……., von Dmitry Masleev, Julia Sitkovetsky, Anna Kudriashova-Stepanetz u.a. würdig und souverän interpretiert.

Im Nebenzentrum der Schostakowitsch-Tage wird seit geraumer Zeit eine erkleckliche Auswahl von musikalischen Stücken eines Komponisten präsentiert, den bis vor ein paar Jahren nur eine arg überschaubare Zahl russischer und polnischer Fachleute zur Kenntnis genommen hatte. Diese Vernachlässigung wurde aber inzwischen vehement aufgehoben.

Doch Mieczyslaw Weinberg konnte sich nicht mehr an der rasanten Bedeutungserweiterung bei Musikwissenschaftlern und dem „normalen“ Publikum erfreuen, er verabschiedete sich 1996 vom Diesseits.

Während langer Zeiträume seines Lebens blieb Weinberg mit Schostakowitsch in enger Vertrautheit verbunden, wodurch sich auch eine gegenseitige Beeinflussung auf musikalischem Terrain ergab. Dennoch scheute Weinberg weitgehend die öffentliche Anteilnahme und setzte sich in sein Komponierhäuschen (vielleicht ähnlich wie Gustav Mahler in Maiernig am Wörthersee) und schrieb Musik von teils erlesener Qualität.

Er ignorierte gleichfalls die neuere bzw. zeitgenössische Musik, auch die Arbeiten seiner polnischen Kollegen wie Penderecki, Lutoslawski, Szymanowski….und verwies merkwürdigerweise auf Stanislaw Moniuszko, von dessen Musik ich ausschließlich und unter größter Anstrengung die Oper „Halka“ aus meinem Gedächtnis abrufen kann.

Doch trotz dieser Verweigerungen scheint Weinberg ein erstaunliches OEuvre komponiert zu haben, das sicher noch bislang unbekannte Werke und neue Rätsel bereithalten dürfte.

Innerhalb der Schostakowitsch-Tage 2021 wurden z.B. sein Klavierquintett op.18, die Sonatine op. 49, die 2. Symphonie für Streichorchester mit Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle Dresden zum Klingen gebracht. Und zum Abschlusskonzert Sonaten für zwei Violinen, bzw. Violine und Klavier, für die dann auch Gidon Kremer die Bühne betrat.

Wasseranlage im Park eines ehemaligen Kurhauses der DDR in Gohrisch

Man munkelt, dass am Rande dieser Pfütze Schostakowitsch das 8. Streichquartett geschrieben hat.

Das Eröffnungskonzert der Messiaen-Tage in Görlitz wird seit Jahren mit „Quator pour la fin du temps“ eröffnet, für mich stets unvergessliche fünfzig Minuten. Messiaen schrieb das Stück für Violine, Cello, Klarinette und Klavier 1941 als Kriegsgefangener in Görlitz.

Vielleicht könnte man auch für Gohrisch eine ähnliche Dramaturgie entwickeln, die eindeutig auf den Sinn der Geschehnisse verweist. Als feste Größe sozusagen, da weiß man, was man hat, sozusagen. Denn in dieser sächsischen Provinz schrieb Schostakowitsch als Kurgast 1960 sein achtes Streichquartett, eines der wesentlichsten kammermusikalischen Teile des 20. Jahrhundert.

Aber mich fragt ja ohnehin keine Sau.

juergenhennekunstkritik.wordpress.com
juergen-henne-leipzig@web.de
ILEFLoffsen2005198309092012dorHH

Juli 6, 2021 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar