Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne, Henryk Gorecki, Pierre Soulages, eine Klosterkirche in Conques, abgeleckte Würfelkapitelle, asketische Malerei, Bilder ohne Titel, der Gropius-Bau und mit einem halben Stollen nach Berlin

Pierre Soulages, Ausstellung im Gropius-Bau, Berlin, bis 17. Januar
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Zunächst eine gedenkende Minute für Henryk Gorecki. Nicht nur wegen seiner 3.Sinfonie, die am Beginn der neunziger Jahre die Aufnahme in die Charts der USA und Großbritannien bewältigte. Und das in originaler Version.
Dem Anfangsmotiv des „Zarathustra“ von Richard Strauss gelang der Einzug in die Hitparaden, das zentrale Brüllthema von Beethovens Satz 4 seiner Sinfonie 9 und Bachs Bourre aus einer Lautensuite wurden bearbeitet (Jehro Tull). Mussorgskis Ausstellungsbilder und sein nächtlicher Kahlberg erhielten eine zeitgemäße Behandlung ( Emerson, Lake…) und Tschaikowskis grauenvolles „Capriccio Italien“ wurde in einer Schlagerversion das Grauen an sich.
Also immer nur musikalische Mutationen, mehr oder weniger gelungen. Doch Goreckis Sinfonie von 1976, natürlich weit weg von seinen avantgardistische Anfängen („Scontri“, „Epitaphium“), errang volkstümliche Beachtung in ihrer ursprünglichen Fassung.
Ich habe die Aufnahme mit dem Polnischen Radio-Sinfonieorchester unter Antoni Wit und der Sopranistin Zofia Kilanowicz und bin durchaus zufrieden.

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Pierre Soulages
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Pierre Soulages
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Die Klosterkirche Sainte-Foy in Conques entfaltete sich bei unserer Frankreich-Tour kurz nach der Wende zu einem frühen Ziel meiner Sehnsucht. Denn meine Neigung zu romanischer Architektur heischte nach diesem „Abstecher“. Beängstigend sehenswert ist dabei das Tympanon mit Szenen des Jüngsten Gerichts.
Doch in ein Stadium trunkener Leidenschaft führte uns dann vor einigen Jahren die Expedition durch Burgund, vorrangig auf Nebenstraßen zu romanische Dorfkirchen.
Und wir erkannten die vortreffliche Strategie französischer Denkmalpflege, zwischen notwendiger Instandhaltung, sanfter Restaurierung und einem Respekt vor dieser mittelalterlichen Kunst, welcher auch den stolzen Verfall über Jahrhunderte akzeptiert.
Im deutschsprachigem Europa überwiegen nicht selten die steril abgeleckten Würfelkapitelle, bis zur Unansehnlichkeit geglättete Triumphkreuze, albern glänzendes Chorgestühl oder penetrant umsorgte Archivolten

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Pierre Soulages wurde in Aveyron geboren, also unweit von Conques und anderer romanischer Monumente.
Mein Kunstlehrer an der erweiterten Oberschule während der sechziger Jahre pflegte uns mit der Adjektivkette „wuchtig, trutzig, erdverbunden“ für romanische Architektur zu begeistern. Es gelang ihm.
Die törrichte Bezeichnung „Erweiterte Oberschule“ wurde in der DDR für das scheinbar bürgerliche „Gymnasium“ eingesetzt. Mein Gott, was hatten wir doch für Blödmänner in den entsprechenden Funktionen.

Jedenfalls wurden durch Soulages Faszination für die heimisch-romanische Kunst die Grundlagen seiner Bilder gelegt.
Soulages war weitgehend Autodidakt, pflegte Verbindungen zu Hartung, Picabia, de Kooning, Rothko und Sonja Delaunay-Terk. Die Bilder Robert Delaunays halte ich für wesentliche Erscheinungen des vergangenen Jahrhunderts.
Soulage zelebriert eine Malerei der Askese, kalligraphisch strukturiert und von magischer Gewalt.
Im Hintergrund von dominierender Monumentalität vibrieren dynamische Abläufe. Doch bleibt der Eindruck eines tektonischen Abschlusses, einer entgültigen Versiegelung. Und trotzdem würde ich Soulages durch seine unvergleichliche Fähigkeit, eine Fläche mit Farbe zu füllen, als Maler des Lichts bezeichnen, als Maler, der mit äußerster Reduzierung archaische Abläufe zum „Leuchten“ bringt.

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Schwarz dominiert, schwere dunkle Balken, später auch etwas Blau, Rot und Braun.
Soulages denkt nicht daran, seine Bilder mit Titeln zu schmücken und genehmigt sich lediglich den öffentlichen Hinweis auf die Entstehungszeit. Das ist bemerkenswert, er schürt dadurch keine blödsinnigen Interpretationsversuche durch die „Betrachter“ (Ich hasse dieses Doofwort, es erinnert mich penetrant an sozialistisch-dümmliche Deutungs-Exzesse) und verweist allein auf seine wundervollen Schwarz-Balken.
Die Diskussion um die Einordnung seiner Kunst zu Informel und Abstrakten Expressionismus ist mir sowas von ausufernd gleichgültig.
Sicherlich fehlt ihm deren entsprechende Spontanität, muss ja nicht sein.
Wir werden im Dezember einen halben Stollen einpacken und nach Berlin fahren, aber vor seinen Bildern nicht krümeln.
Danach vielleicht noch ein paar Worte in meinem gigantisch wichtigen Blog.

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November 13, 2010 Posted by | Kunst, Leipzig, Musik, Neben Leipzig, Verstreutes | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, der Abenteurer, Herbst in Kappadokien, das Land der schönen Pferde, 60 000 Menschen unter der Erde, drei Apsiden bei architektonischer Radikalreduzierung, die Kirchen von Göreme, Christus Pantokrator, ein grottenhässlicher Zwitter und die Tuffkegel im Mönchstal

Dattelpalmen in Kappadokien am 1. November 2010

Mit zwei Zelten und zwei, damals noch jugendlichen Familienmitgliedern bewältigten wir fünf Wochen im Leihwagen den südafrikanischen Winter, wenige Monate nach Beendigung der Apartheid. Bei -3 Grad auf irgendwelchen Zeltplätzen. Nashörner und Elefanten im Schnee und Kapstadt in der Sonne.
Später mit Rucksack und öffentlichen Verkehrsmitteln durch Yukatan im Transpirations-Koma in Palenque und einer Verbeugung in Chichen Itza.
Darauf im Zelt von San Franciscos Ostküste durch Kalifornien, Arizona, Nevada, Wyoming, Utah mit Schwindelgefühlen am Grand Canyon, glücklosem Spiel in Las Vegas und einer mühelosen Waagerechtstellung meiner zwei Zentner Körpergewicht im Salt Lake.
An der Ostküste der USA von New York über Boston nach Kanada und in Europa vom Nordkap nach Sizilien und von Portugal bis zur ukrainischen Grenze.
Immer eine Huldigung an den Individualtourismus. Geführte Reisen mit unentwegt plappernden Lästlingen in Bussen, Flugzeugen und an Speisetafeln, Abarbeitungshäkchen nach jeder „Sehenswürdigkeit“ und das gesellige Beisammensein am Abend erschienen mir weitgehend zuwider.
Doch schon im vergangenem Jahr wagten wir keine Individualaktion durch Vietnam und Kambodscha, mit Zelt, Fahrrad und 36 Grad morgens fünf Uhr und entschieden uns für eine organisierte Tour in gekühlten Bussen. Eine durchaus kluge Entscheidung. Mit tropenärztlicher Begleitung, wodurch ich die hypochondrische Beobachtung meiner fast sechzigjährigen Körpersignale auf ein erträgliches Maß reduzieren konnte.
Und auch für den Urlaub „zwischendurch“ zur diesjährigen Wende vom Oktober zum November im türkischem Kappadokien wählten wir diese Variante.

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Tuffsteine im Mönchstal, Kappadokien, Türkei

„Land der schönen Pferde“-die ursprüngliche Bedeutung für die Region Kappadokien im östlichen Inneranatolien. Außerdem ein Hinweis auf die eingewanderten Kappadoken, 700 v. Christi. Vor dreitausend Jahren von den Hethitern besiedelt. Ich hatte vor einigen Jahren mir eine Ausstellung u.a.mit glyptischer Kunst der Hethiter gegönnt. Vorzügliches Handwerk. In Kappadokien agierten Assyrer, Phryger, Lydier, Römer, Mongolen mit mehr und weniger friedfertigen Mitteln. Außerdem entwickelte sich diese Region schon frühzeitig zum Flucht-Terrain für verfolgte Christen. Also ein ethnischer Tummelplatz.

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Teil einer unterirdischen Stadt in Kappadokien (Özkonak),
Geschichte, Bedeutung, Funktion, Ausdehnung noch unvollständig geklärt. Sicherlich Schutzgebiet für Christengemeinschaften und als Bedrohungsabwehr überhaupt. Gegen eindringende Hunnen, Perser und Araber. 1972 entdeckt. Bislang drei Ebenen freigelegt. Womöglich fast zwanzig Stockwerke, im Alarmfall konnte man eine Aufnahme von 60 000 Menschen realisieren. Eine logistische Meisterleistung. Mit Ställen, Kornspeichern, Weinkellern. Einzelne Segmente dieser Labyrinthe wurden verschlossen, mit Mühlsteinen von 500 Kilogramm, von innen durch erträglichen Kraftaufwand beweglich, von außen nicht zu öffnen. Verirrte Feinde wurden dann von zwei verschlossenen Steinen flankiert und sehnten sich bis zur Verbleichung heftig nach Flüssigkeit. Geschätzt werden etwa fünfzig derartige Städte in dieser Region Kappadokiens.

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Özkonak

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Çavuçin in Kappadokien.
Höhlenwohnungen in Tuff-Felsen, sechzig Meter hoch, durch Erdbeben zerstört. Johanneskirche aus dem 5.Jh. nicht zugänglich. Ehemalige Sakralhöhlen werden als Taubenschläge genutzt.

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Basilius-Kapelle im Höhlenkirchental Göreme,
Hinten rechts der hlg. Georg.
Die Kirchen, in weichen, aber durchaus widerstandsfähigen Tuffstein geschlagen, schimmelten bis 1964 ziemlich gnadenlos vor sich hin, die Beschädigungen sind beträchtlich. Seit 1985 Weltkulturerbe der UNESCO.
Grundrisse von minimalen Ausdehnungen, aber dennoch weitgehend mit allen wichtigen architektonischen und liturgischen Elementen gebaut, z.B. mit Narthex und bis zu drei Apsiden. Notgedrungen eine improvisierte Architektur mit archaischem Gestaltungswillen und der Huldigung an einen festen Glauben.
Die Existenz der Lichtquelle kann man oft nur erahnen, eine kleine Öffnung vermittelt zur Außenwelt.

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Kreuzigung, Karanlık-Kirche (Dunkle Kirche), Fresken, frühes 13.Jahrhundert, Göreme,

Viersäulige Kreuzkuppelkirche, 12. Jahrhundert, von bemerkenswertem Erhaltungszustand. Begünstigt durch die Lichtaskese angesichts eines einzigen kleines Fensters und durch besonders günstige geologische und meteorologische Bedingungen.

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Christus Pantokrator, Karanlık-Kirche, Göreme
Christus als Weltenrichter. Ikonographisch häufige Christusdarstellung innerhalb der ostkirchlichen und byzantinischen Kunst. Rechte Hand segnet, linke Hand hält ein Buch.

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Geburt Christi, Karanlık-Kirche, Göreme

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Fassade, Karanlık-Kirche, Göreme

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Refektorium, Carıklı-Kirche, Göreme
In Stein gehauener Aufenthaltsort für die Abhaltung mönchischer Exzesse mit flüssigen und festen Grundnahrungsmitteln.

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Heiliger Onouphrios, Yılanı-Kirche, Göreme
Onouphrios soll eine Dame gewesen sein, die Penisträgern weitreichende Angebote sexuellen Zuschnitts unterbreitete. Dieser Dienstleistung überdrüssig, bat sie Gott um Schutz und Hilfe. Er ließ sie darauf zu einem grottenhässlichen Zwitter mutieren. Mit Bart und weiblichem Oberkörper.

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Mönchstal,Tuffkegel in Kappadokien

Landschaft von hoher Vulkandichte. Grundstrukturen wurden im Tertiär gelegt, vor etwa 50 Millionen Jahren. Gesättigt mit Kratern und kegeligen Vulkanmaterial. Durch wässrige und luftige Erosionen entstanden diese bizarren Tuffkegel-Arreale.

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Mönchstal

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Bizarres Tuffkegelpanorama mit integrierter Ansiedlung

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November 6, 2010 Posted by | Kunst, Neben Leipzig, Verstreutes | Hinterlasse einen Kommentar