Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne, die Leipziger Buchmesse, Helene Hegemann, Georg Klein, eine Jury mit Entscheidungszwergen und die Entsorgung von polemischen Restmüll


Jürgen Henne auf der Flucht vor der Leipziger Buchmesse – Chichen Itza/Mexiko

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Viele Wochen wurde um Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“ gelärmt. Es gab kluge Texte, Äußerungen der Besorgnis und eine reife Zahl dümmlicher Beiträge. Die Nominierung für den Preis der Leipziger Buchmesse war konsequent.
Kurz vor der Preisverleihung meldeten sich einige Halb-Mumien in der „Leipziger Erklärung“ und forderten die Ächtung dieses Buches und eine Verweigerung der Jury gegenüber „Axolotl Roadkill“ (Grass, Loest, Chr. Wolf).
Die Jury reagierte, leckte die Rentnerfüße, schob Hegemann in die Tonne und vergab den Preis an Georg Klein.
Brechreiz bei derartig ausgeprägter Feigheit, bei einem Opportunismus, der Fassungslosigkeit erzeugt, wäre eine höfliche Reaktion.

Hegemanns Buch ist lausig.
Doch darum geht es nicht. Hätte die Jury sich auf ihr Buch geeinigt, könnte man die Aura der Unabhängigkeit spüren, den Willen, das „Ding durchzuziehen“. Eine Widerborstigkeit gegenüber dieser schreibenden Alt-Liga, gegenüber der ständig ebenmäßigen und konflikfreien Belanglosigkeit bei Preisverteilungen und ähnlichen Veranstaltungen hätte wenigstens zu einem markigen Intermezzo geführt. Die Qualität hätte sicher nicht gesiegt. Doch dieser Wunsch gehört ohnehin in die wöchentliche Rubrik der ZEIT : „Ich habe einen Traum“.

Doch entschieden sich diese Stromschwimmer, diese uniformierten Kleingeister wieder schlotternd für den Weg mit der Schleimspur. Denn bei Klein konnte man nichts falsch machen.

Faktor kam nicht in Frage. Er verkörpert die Bewahrung von Qualität. Da hätte man die unüberschaubare Herde der Mittelmäßigen verärgert. Seiler räumt seit Jahren alle Preise ab, da musste man vorsichtig sein.
Also der Preis für Georg Klein.
Die Auszeichnung der Leipziger Buchmesse verlottert zu einer unanständigen und lächerlichen Farce mit lächerlich angepassten Entscheidungszwergen (unter Anleitung der unsäglichen Verena Auffermann).

Sicherlich sollte das gesamte Konzept der Leipziger Buchmesse durchdacht werden. Dieses Event, bei dem ausschließlich die Zahlen der Teilnehmer, der Lesungen, der Lesungsorte, der Besucher als Gradmesser für dessen Notwendigkeit gelten dürfen. Sicherlich auch der Bockwurstverkauf.
Die im Grunde so unendlich langweilige Literatur-Hybris, bei der die Schulklassen durch die Verlagsstände geknüppelt werden, wie zu DDR-Zeiten das Forstarbeiter-Kollektiv durch die Kunstausstellung, ist kein Literaturfest, wie so oft gepriesen. Sie dröhnt als kommerzialisierte Oberflächlichkeit, als Festival der Beliebigkeit mit Besuchern als Statistik-Vieh. Ein Nummernprogramm ohne Vertiefung und keinen wirklichen Huldigungen des Buches und der Literatur. Ein Häppchen Poesie zwischen Abort und Gulaschsuppe.

Derweil werden Fragen und Forderungen nach Qualität als polemischer Restmüll entsorgt.
Wobei ich natürlich keinesfalls verhehlen möchte, dass eine ganze Reihe vorzüglicher Lesungen angekündigt wurden. Ich hoffe, dass sie nicht zwischen den literarischen Zumutungen von z.B. Rainer Süß, Hera Lind, Bernd Lutz Lange oder Else Buschheuer ungehört verscherbelt wird

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März 19, 2010 Posted by | Leipzig, Literatur | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, Richard Strauss, Don Juan, Arnold Schönberg, Rudolf Kempe, die Galle Hans Eislers und meine Erinnerung an Kalaschnikow-Wochen mit einem wundervollen Horn-Bläser

Jürgen Henne im Abendlicht. Im akustischem Gedächtnis das letzte Lied der „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss, nach Eichendorffs Gedicht „Abendrot“.

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Während der entbehrlichen Militärausbildung, eine Zwangsvollstreckung von vielleicht 4-6 Wochen für jeden Studenten zu trüben DDR-Zeiten, bewohnte ich die Kasernenstube gemeinsam mit Komilitonen der Dresdner Musikhochschule.

Durchgehend wundervolle Zeitgenossen mit einem akzeptablen Maß an Arroganz und einer befriedigenden Bildung, die aber ihr Fachwissen permanent auch zwischen Stacheldraht, Sturmbahn und Waffenkammer anpreisen wollten

An irgendeinem Abend am Beginn diese soldatischen Unfugs, kurz vor Mitternacht, plärrte in unserem dunklen Kasernenraum ein Musikstück aus dem minderwertigen Kofferradio. Die Musikstudenten postierten sich, waren sofort hellwach, um lässig ihre Meinung anzubieten.
Doch verdünnte sich zunehmend ihr Selbstbewusstsein, denn sie hatten keine Ahnung.
Ich räkelte mich betont geräuschvoll und jauchzte: „Tod und Verklärung von Richard Strauss, ist doch klar“, zwischen die verstörten Musikköpfe. Ich glaubte, eine kollektive Erstarrung zu spüren und sagte natürlich nicht, dass ich gerade einen mehrwöchigen Exzess mit der Musik von Strauss bewältigt hatte.

Mit großem Respekt wurde ich gebeten, einen musikalischen Wunsch vorzutragen. Alle hatten ihre eigenen Instrument mitgebracht, also Flöte, Geige, auch ein Fagott war dabei, nur der Pianist hatte Probleme. In der Kaserne gab es kein Klavier. Und die Unterbringung seiner privaten Tastenkiste stieß dann doch auf wesentliche Gegenreaktionen.

Ich wählte mir von einem Studenten des Horns das Hauptthema aus „Don Juan“ von Richard Strauss.
Ich denke, eigentlich für Holzbläser geschrieben, doch ein Blechhorn kann das auch bewältigen. Und der Hornbläser erweiterte meinen Wunsch und blies göttlich diese Noten jeden Tag, abends und am Morgen in den Militärhimmel. Über viele Tage wurden diese zwei mal dreißig Sekunden zu einem gesellschaftlichen Ereignis.
Hauptfeldwebel, Leutnant, Major glaubten zwar, die Posaunen von Jerichow dröhnen um ihre Köpfe, doch ließen sie es mit einfältiger Gestik gelten. Sie aktivierten in ihrer Vorstellung die Panzerlärm-Akustik und die Blicke verklärten sich.

Eterna-Serie mit etwas merkwürdigem Design, Mitte der 70er Jahre. Den Hüllentext zu allen Scheiben dieser Strauss-Reihe schrieb Ernst Krause, dessen Opernbuch ich bis heute zu den wesentlichsten und tiefschürfendsten Produkten dieser Branche halte.
Staatskapelle Dresden mit Rudolf Kempe.

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Einige Monate nach diesen einfältigen Kalaschnikow-Wochen hörte ich im Dresdner Kulturpalast „Tod und Verklärung“ mit der Staatskapelle unter Rudolf Kempe, ein alter Strauss-Stratege, der bald nach dem Konzert starb. Ich habe euphorisch Beifall gezollt, an mir kann seine relativ frühe Verbleichung nicht gelegen haben. Daneben dirigierte er noch das b-Moll-Klavierkonzert Tschaikowskis, von mir in der Vorpubertät bejubelt.
Auch mein Besuch der Premiere von Schönbergs „Moses und Aron “ in Dresden fiel in diese Zeit, außerordentlich bewegend, auch wegen der beiden nackten Damen auf der Bühne.
Meine Schönberg-Euphorie ist nie abgeklungen. Man sollte einfach nur die Gurre-Lieder, Pierrot Lunaire und die Kanmmersinfonie für fünfzehn Soloinstrumente hören. Bei der Promenade über den Wiener Zentralfriedhof trug ich zwei Blumen in der Hand und hatte ein klares Ziel, ich veredelte damit die Gräber von Franz Schubert und Arnold Schönberg.

Doch jetzt bin ich nach vielen Jahren wieder einmal im Stadium einer ausgeprägten Richard-Strauss-Gier
Natürlich „Elektra“, „Salome“, „Ariadne auf Naxos“, auch den „Rosenkavalier“ sollte man nicht abwertend belächeln. Hans Eisler trieb es zwar bei dem Walzer, nach eigener Aussage, den Gallensaft aus dem Schlund, bei mir bleibt diese Brühe aber am traditionellen Standort.

Illustration von Aubrey Beardsley, einer meiner Giganten der frühen Jahre

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Und die sinfonischen Dichtungen: „Zarathustra“, „Heldenleben“, „Tod und Verklärung“, „Don Juan“, „Till Ulenspiegel“, „Don Quixote“. Die „Alpensinfonie“ muss nicht sein.
Vielleicht noch etwas Oboen-u. Violinenmusik.

Historische Aufnahme, Sommer 1944

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Dazu die unvergleichlichen „Metamorphosen“ von 1945 und natürlich die „Vier letzten Lieder“ (1948), ein Jahr vor seinem Tod. Ich bevorzuge nach wie vor die Aufnahme mit Jessye Norman und Kurt Masurs Gewandhausorchester.
Ich knie bei jedem dieser Lieder ab, doch Nummer vier, nach Eichendorffs Gedichten, treibt mich nach einem doppelten Rittberger grundsätzlich in die stabile Waagerechte.
Denn eine derartige Schönheit kann man stehend eigentlich nicht ertragen. Da stört mich dann auch nicht das alberne Vogelgezwitschere zwischen den Noten. Am Ende zitiert Strauss sein eigenes Motiv aus „Tod und Verklärung“.

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Doch danach müssen aber wieder die Sex Pistols ran, oder Led Zeppelin, Captain Beefheart und Pere Ubu.
Aber auch Morton Feldman, Steve Reich und Stockhausen könnten mich wieder ins Gleichgewicht bringen.

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März 13, 2010 Posted by | Musik, Neben Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, Clemens Meyer………lange Pause………und Else Buschheuer, Bernd-Lutz Lange, Andreas Reimann, eine Leipziger Zeitung und der unsägliche Triumph der Mittelmäßigkeit

Andreas Reimann–Clemens Meyer–Else Buschheuer–Bernd-Lutz Lange

„Heeme ist`s am schönsten. Was genau ist zu Hause? Und wo? Was macht es aus?“
( Zitate aus der Leipziger Volkszeitung, 6./7. März über eine Lesung in der LVZ-Baracke)

Ich schrie verzückt auf. Endlich einmal ein mitreißendes Thema, intelligent und sprachlich souverän formuliert….“Was genau ist zu Hause? Und wo? Was macht es aus?“….. Das sind die wegweisenden Originalitätstornados, die ich bislang vermisste. Diese seltenen Vorstöße in Bereiche, die sonst furchtsam gemieden werden.
Noch nie darüber gelesen, noch nie etwas gehört über:….“Was genau ist zu Hause? Und wo? Was macht es aus?“…. Es sind die Sternstunden zwingend vorgetragener Denk-u.Geprächsangebote.—–„Was genau ist zu Hause? Und wo? Was macht es aus?“
Genial !

Genug gescherzt!

Was ist nur los mit Deutschlands Kultur. Da veranstaltet eine Leipziger Gurkenzeitung für besonders Genügsame eine Banal-Session über ein Thema, welches überragend geeignet ist, die Müdigkeitsgene anzuspornen und der Vorlesungs-Bunker ist scheinbar flächendeckend mit Besuchern besetzt.
Und bei Lesungen mit Autoren, deren Gedanken und sprachliche Werte tatsächlich neue Dimensionen öffnen, schlurfen nur drei Besoffene mit Hund über das Parkett, auf der Suche nach Getränken mit erweiterter Umdrehungszahl.

Ich bin ja durchaus geneigt, mich auch dem Koplex „Heimat“ zu stellen. Doch wenn ein Stoff zum belanglosen, alltäglichen Ritus mutiert, greife ich zu Kettenhemd und Kopfhörer.
Und wenn ich dann die Asthmatruppe zur Kenntnis nehme, welche die Kühnheit entwickelt hat, im LVZ-Tunnel ihre heimatlichen Dürftigkeits-Bonmots zwischen die Zuhörer zu quetschen, meditiere ich lieber einsam….

….im benachbartem Rosental bei frühabendlicher Stimmung über meine Heimat, oder….

….gemeinsam mit einem rattenartigen Nage-Unhold an einem der zahlreichen Flussläufe meiner Heimat

Denn warum muss Leipzig immer von den gleichen Zombies behelligt werden, die schon mit Robin Hood gelesen haben und erbarmungslos auf ihrem ärmlichen Niveau verharren.

Ich habe das Buch „Gebrauchsanweisung für Leipzig“ von Bernd-Lutz Lange „quer“gelesen. Es „gerade“zu lesen, überforderte meine Kräfte. Ein derartiger Rausch bieder belangloser Privatpositionen, diese einfältigen Kalauer von bemerkenswerter Humor-Abstinenz, schon tausend mal gelesen und gehört, sind kaum zu ertragen.

Und Else Buschheuer mit dem Antlitz einer Schneekönigin, ich denke da an die russische Zeichentrick-Version der 50er Jahre, brachte dann sicherlich Beiträge mit einem philosophisch-kristallinen Grundgestus zum Vortrag, der jeder durchschnittlichen Begabung schmerzvoll die Grenzen markiert, wie z.B.:

“ Noch ein Wunsch?“, fragt die Kassiererin kaugummikauend. „Ja“, sage ich, aus fernen Gedankenwelten auftauchend, „ich wäre so gerne ein besserer Mensch.“

Bei einer derartigen Keuscheit gegenüber sprachlichen und intellektuellen Ansprüchen faltet sich mein Gehirn zu einem Radieschen.
Andreas Reimann ist auch nicht viel besser, vielleicht ein wenig.

Eine eindeutige Fehlbesetzung zwischen diesen literarischen Faxenmachern ist natürlich Clemens Meyer, dessen Buch „Als wir träumten“ ich „gerade“ und nicht nur „quer“ gelesen habe. Ein Werk voller Aufrichtigkeit. Er müsste eigentlich bei den ersten Halbsätzen seiner Lesepartner transpirierend aus dem Saal toben, laut klagend über die veranstalterische Anmaßung, ihn mit dem Rest-Terzett zu einer Lesung verführt zu haben.

Doch vertraut man weitgehend Lange, Reimann, Buschheuer und den anderen Bannerträgern des unteren Mittelmaßes. Keine Experimente bei den Veranstaltern. Nur der Kniefall vor der Mittelmäßigkeit wird als gymnastisch vorgetragene Anbiederung genehmigt. Man muss Mittelmaß anbieten, ein wenig darunter darf es auch sein, um zu dominieren. Erhöhte Qualität wird ausgegrenzt und gemieden. Es sind meine Erfahrungen mit zahlreichen Malern, Graphikern und Dichtern. Die Mittelmäßigkeit kotzt ihre Ergebnisse aus. Das Publikum kotzt seinen Beifall zurück. Und Veranstalter, Juroren, Journalisten und Verlagsleiter kotzen genau dazwischen.

Und die Schreiberin dieser LVZ-„Kritik“ labert und labert, auch nicht von der geringsten Ahnung bedrängt, dass sich zwischen diesen „Perlen“ der Literaturwelt vielleicht auch ein kleines Kügelchen Modermasse von garstig dilettantischer Fasson gebildet hat, die man auch so benennen sollte.

Und warum eigentlich „Heeme ist`s am schönsten“? Wenn schon diese affige Inszenierung der sächsischen Sprache, `dann sollte man durch „Heeme ist`s am scheensten“ wenigstens Konsequenz bevorzugen.
Doch das ist im Grunde bei diesem Blatt auch schon egal.

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März 7, 2010 Posted by | Leipzig, Literatur, Presse | 1 Kommentar