Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne und Björk bei „MELT!“ in Ferropolis


Björk – hinten, mittig.

 

Meine klaustrophobischen Grundanlagen verhinderten eine weitere Annäherung. Dabei Erinnerungen an das erste Rolling Stones – Konzert ( 1990),  noch mit Bill Wyman, im ehemaligen Ostberlin am gefühlt heißesten Sommertag seit 752 v.Chr. Jürgen in der vierten Reihe, ich wollte den Achselschweiß Mick Jaggers riechen, hinter mir nicht nur gefühlte, sondern tatsächlich vorhandene, einhunderttausend kreischende Mitmenschen. Das berüchtigte Ambiente in einer Sardinen-Dose könnte gegenüber meiner Situation als befreiter, atmungsaktiver Ablauf in den weiten Steppen der Mongolei durchgehen. Doch  die ersten Töne von „Start me up“, dem Eröffnungs-Song, ließen alle Pein zur Nichtigkeit verblassen.


Ferropolis bei Nacht

Ferropolis am Abend


Ferropolis am Abend

Ferropolis     Bagger

Da sich meine siebenundfünfzigjährigen Ohren seit fünfundvierzig Jahren gnadenlos und weitgehend ohne Rücksicht auf die Nervenzellen zwischen Ohrmuschel, eustachischer Röhre, Amboss, Hammer und Gehörschnecke durch die Musik aller Zeiten und Koordinaten unserer Erde durchgeknüppelt haben, weitgehend bei aufgestocktem Phonpegel und ich eine erhöhte Abneigung empfinde, Tinnitus als Begleiter für meine altersgemäße Verwrackung zu begrüßen, habe ich mich bei „MELT!“ in Ferropolis nur für die sonntäglichen Abendstunden entschieden.

Mein Allgemeinwissen und meine stürmische Hinwendung zu zeitgenössischer Kunst und Kultur wurden durch das Angebot der Teilnehmer an „MELT! “ erheblich überfordert. Bei „Notwist“, „Franz Ferdinand“ und „dEus“ gäbe es ja noch Verständigungsebenen. Doch was weiß ich von „Neon Neon“, „Cobblestone Jazz“ oder Mathias Kaden.

Aber natürlich Björk. Für eine tiefschürfende Konzertkritik fehlen mir dann doch die subtilen Einblicke in Ihre Weltsicht, in Ihre musikalischen Motivationen und isländischen Traditionen.Und wenn man von Dingen nur eine begrenzte Ahnung hat, sollte man schweigen, den Stift in der Schublade belassen und die Tastatur des Computers nicht beschmutzen. Der Umfang geschriebener Erzeugnisse in dieser Welt würde sich sicherlich auf die Hälfte reduzieren. Doch gelingt dieser individuelle Eignungstest nur wenigen.

Jedenfalls vermisste ich bei Björks Konzert zwischen der großartig dargebotenen musikalischen Weichmasse und dem heftigen Technoterror, gleichfalls großartig, die „Mittel-Titel“. Also Musik wie „earth intruders“ von „Volta“, der neuen CD von Björk Guomundsdottir. Oder „5 Years“; Alarm Call“ und „Pluto“ aus ihrem Album „Homogenic“. Also eine etwas sparsame, aber treibende Instrumentation, veredelt mit den wundervoll schrägen Kapriolen von Björks Gesang.

Richtig fuchsteufelswild werde ich aber, wenn bei der akustischen Qualität rationiert wird, wenn die instrumentalen Eigenheiten nicht messerscharf getrennt sind. Und manchmal rumpelte auch bei Björk die Akustik durcheinander, konnte ihre Stimme die Ausgeglichenheit nicht herstellen. Ich kann aber die Anforderungen an ein Live-Konzert nicht einschätzen, denn mein technisches Verständnis reduziert sich auf den Wechsel  einer Batterie der Taschenlampe.

Durch die unerträglichste Klangpampe habe ich mich am Beginn der 90-Jahre bei einem Konzert Eric Burdons in der Easy Schorre von Halle quälen müssen. Damals noch mit dem bemerkenswerten Brian Auger, der mit Julie Driscoll die grandiosen Titel  „This Wheels on Fire“ und „Road to Kairo“ einspielte. Bei dieser Veranstaltung war weitgehend unklar, ob Burdon „Good Times“, Spill the wine“ oder Frank Schöbels „Wie ein Stern“ vor sich hin laberte.

juergen-henne-leipzig@web.de

Juli 23, 2008 Posted by | Leipzig, Musik, Neben Leipzig, Verstreutes | 1 Kommentar

Jürgen Henne und Einfachbegabungen,Doppelbegabungen,Mehrfachbegabungen und Grass, Dylan, Lindenberg, Lüpertz……

Jürgen Henne bei der schwermütigen Analyse seiner Begabungen          

 Ahrenshoop/Darß

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Die Sonne versinket rotgold im Meer,
der Mond, er legt ab sein Gewand,
die Schiffe, sie liegen im Hafen schwarzschwer,
ganz leise wispert der Sand.
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Wenn ein Maler dieses lyrische Brechmittel schreiben würde, könnten Kritiker von einer grandiosen Doppelbegabung schwärmen, in der Tradition bester deutscher Naturgedichte.

Wenn ein Musiker am Bahnsteig dreizehn des Leipziger Hauptbahnhofes neben einer Streichholzschachtel mit abgebrannten Hölzern und einer grün-fauligen Sülzwurst zerfledderte Bände von Sartre oder Camus platziert und sich selbst daneben, in der Nase popelnd und im Kopfstand, zur Geltung brächte, wäre die Huldigung für einen Musiker mit der Doppelbegabung als genialer Aktionskünstler mit antiexistenzialistischen Gesten bald journalistische Selbstverständlichkeit.

 Und wenn ein Schauspieler das Grundthema von „Baby Come Back“ der Equals fehlerlos über die Runden zupft, wäre der gemeine Journalist genötigt, von einer Doppelbegabung als Gitarrenvirtuose in der Tradition Rory Gallaghers zu sprechen.

Es ist schon bemerkenswert, wie leichtfüßig, und sorglos, mit welch penetranter Oberflächlichkeit oder anbiederndem Vokabular Tätigkeitsfelder beurteilt werden. So kann man sich schon einmal mit Zeitungsinformationen zu Ausstellungen mit Grafiken von Günter Grass quälen, in denen des Schriftstellers Blätter qualitativ gleichrangig neben seinen Büchern eingeordnet werden. Die „Blechtrommel“, eines der wesentlichen Werke der deutschen Literatur des vergangenen Jahrhunderts und eine Kollektion biederer, handwerklich einigermaßen solider Radierungen mit Tendenzen zum Kunsthandwerk –  von gleichem Anspruch?  Ähnlich törichte Gutachten gibt es auch über Bob Dylan, bei dessen „Like a Rolling Stone“ sich bei mir auch nach vierundvierzig Jahren eine starkhügelige Gänsehautkultur entwickelt, während meine Anteilnahme für seine Bildchen eher in reduzierten Pickelchen vertrocknet. Oder Udo Lindenberg, dessen Bedeutung für die deutschsprachige Rockmusik ebenso unstreitig sein sollte wie die Banalität seiner Bilder.

Nichts gegen die einfältigen Aquarelle von Herman Hesse oder den exzessiv vorgetragene Amateurstatus bei Schönbergs Malerei. Auch Ausstellungen darüber sind notwendig und können z.B. Fragen  der Synästhesie klären

Doch müsste man die Wertigkeit angemessen einordnen – als liebenswerte Marotten, als dilettantische Versuche, sich künstlerische Nebengleise zu schaffen, aus welche Gründen auch immer, aus physischen oder psychischen Notwendigkeiten. Der Kritiker sollte aber eine ärgerliche Unterwürfigkeit unter den Klang des Namens scheuen. Denn die Namen Dylan, Grass, Lindenberg, Hesse und Schönberg werden auch ohne inkompetente oder berechnende Ergebenheitsfloskeln überleben.

Und auch Markus Lüpertz bleibt ein akzeptabler Maler,Grafiker und Bildhauer, aber ein lausiger Pianist. Trotz der lächerlichen Ovationen seines Hofstaats, wie bei einem Konzert in Leipzig.

Auch innerhalb der regional-aktuellen Kritik werden Diffenzierungen nicht selten durch populistisches Geschwätz ersetzt. Denn wenn ein Maler über einen Kollegen schreibt. dass „xy besser ist als früher, er aber zukünftig noch besser werden muss“, wird er als tiefschürfender Essayist mit kulursoziologischem Hintergrund gefeiert, also eine Doppelbegabung. Und ein Kritiker, welcher der „Neuen Leipziger Schule“ einen allmählich sinkenden Wert auf dem Kunstmarkt prophezeit (ein völlig normaler Vorgang), hat sich bald den Status eines messerscharf analysierenden Wirtschaftsstrategen erkämpft, also eine Doppelbegabung.

Individuelle Abhängigkeiten, eine rasant ausgelebte Demutsmentalität und die Furcht, sein angestrebtes Ewigkeitsterrain zu verlieren, prägen das trübe Bild gegenwärtiger Kunstkritik.

Und es agieren Journalisten mit der intellektuellen Grundausstattung eines Tapirs, die heute über eine Kunstausstellung und morgen über die Ernte genmanipulierter Stachelbeeren in Döbsen oder über die Beschädigung einer Wippe auf dem Kinderspielplatz in Gräblitz berichten dürfen. Das ist dann aber tatsächlich eine marktstrategische Frage.

Kompetenz, Leidenschaft und Risikobereitschaft gegenüber offiziellen Stadarts scheinen ähnlich entbehrlich wie ein Kängurubeutel bei der südgambischen Wummelwespe.

Ich habe vor vielen Jahren versucht, das Spiel der Gitarre, der Mundharmonika und des Schlagzeugs zu beherrschen. Für „Pictures of Matchstick Men“  von Status Quo reicht es , Saiten zerrend, auch heute noch. Mehr nicht. Für melodisch erkennbare Intonationen mit der Mundharmonika bin ich selbst bei simplen Schlafliedchen zu blöd, geschweige bei dem Versuch, Passagen Bob Dylans, Neil Youngs oder Canned Heats nachzuäffen.

Ich besitze Farben und eine Staffelei und könnte sicher ein Bild malen. vielleicht im Stil Paul Klees und Pollocks, vielleicht auch Twomblys, nur abgrundtief schlechter.

Ich bleibe bei meiner Einfach-Begabung. Denn wenn im Synonym-Wörterbuch hinter „Begabung“ und „begabt“ gleißende Eigenschaften wie „talentiert, genial, begnadet“ vorgeschlagen werden, bin ich mit meiner Einfach-Begabung, einigermaßen hochwertig schreiben zu können, recht zufrieden.

Ich bitte um verheerende Reaktionen !

***** Diesen dümmlichen Vierzeiler am Beginn des Textes habe ich vor wenigen Minuten in wenigen Sekunden   geschrieben. Für viele Mitmenschen wäre dieser Müll der Anfang für eine Doppelbegabung.

Ich verweise auf meinen Text in diesem Blog  vom 21.10.2007 über die „Neue Leipziger Schule“

juergen-henne-leipzig@web.de

Juli 10, 2008 Posted by | Leipzig, Neben Leipzig, Verstreutes | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, Horst Janssen und Werner Tübke in Bad Frankenhausen

Horst Janssen in Leipzig-Gohlis. Plakat zu einer Ausstellung in Bad Frankenhausen (Thüringen).   Bis 28. September

Ein bemerkenswert misslungenes Foto (von mir).

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Selbstporträt Horst Janssens. Eine Besprechung auf diesem Blog ist angedacht (Was für ein beknackter, aufdringlich abgesülzter und heftig  benutzter Ausdruck).

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Horst Janssen als Doppelbegabung. Über den inflationären Gebrauch dieses Geschenks in Bälde wichtige Gedanken von der Monobegabung Jürgen Henne. Der Hinweis auf die Lesung erfolgt vielleicht etwas spät!

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Eingangsbereich zum Museum. Weitgehend hässlicher Steinhaufen mit Reminiszensen an eine Architektur, bei deren Anblick mein Magen seinen Inhalt ziemlich rabiat herausschleudert. Den Tübke-Palast habe ich nach etwa siebenunddreißig Sekunden schluchzend verlassen. Mir sind derartige Monumental-Entgleisungen mit sieben Millionen Zitaten der Kunst-u.Kulturgeschichte hochgradig zuwider.

Aber ich bin ja auch ausschließlich wegen Horst Janssen, dem begnadeten Zeichner, zu dieser architektonischen Landschafts-Apokalypse gekommen. Tübke gibt es in Leipzig genug.

 

juergen-henne-leipzig@web.de

Juli 5, 2008 Posted by | Kunst, Leipzig, Neben Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar