Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne,“Tabula Smaragdina“, Tübke und Triegel in Leipzig, Modigliani und Vlaminck in Potsdam. Qualität, Bevorzugungen und Geschmacksachen, Wunder in irdischen Sphären und Grauen in irdischen Sphären und meine Bevorzugung von Macke und Schiele.

Leipziger Volkszeitung, 16./17. März, S. 12

Diesem Bild wurde der Titel „Tabula Smaragdina“ verliehen (1.50 x 2.50), gemalt hat es Michael Triegel. Und nun wurde es als Dekorations-Segment an eine Wand des Leipziger Bildermuseums genagelt. Der Artikelschreiber windet sich schwärmerich vor diesem mischtechnischen Viereck und preist es als „Osterwunder“.

Die Beurteilung der künstlerischen Qualität ist keine Frage des Geschmacks, man kann einen Maler, eine Epoche, eine graphische Technik favorisieren, bevorzugen, doch den individuell empfundenen Geschmack sollte man nicht mit der qualitativen Ebene verramschen.

So favorisiere ich z.B. August Mackes Schöpfungen bei meinem Verständnis für überragende Kunst mit stabiler Eindeutigkeit vor den Bildern Franz Marcs und ich bevorzuge gegenüber Klimts Oevre das Werk Egon Schieles mit ähnlicher Eindeutigkeit. Doch werde ich niemals das künstlerische Vermögen von Marc und Klimt anzweifeln. Denn individuelle Favorisierungs-u. Bevorzugungsaktionen gelten durchaus als Geschmacksache, doch keineswegs als Qualitätskriterium.

Doch maße ich mir an, die Kunst Michael Triegels nicht nur unter der Rubrik „Geschmacksache“, sondern auch mit qualitativen Maßstäben zu werten und muss verkünden, dass mich diese Bilder, deren nervige, seelenlos sterile Feinpinselei, diese Symbolverwendungsexzesse zu den Anfangssymptomen von Augen-Scharlach führen.

Auch dieses einfältige Vorgelabere, Gelabere und Nachgelabere über Triegels Verbindung zu Renaissance und altmeisterlicher Kunst drangsaliert meine intellektuellen Ansprüche. Triegel mag durchaus meisterlich sein Handwerk beherrschen. Doch aus einer meisterlichen Beherrschung des künstlerischen Handwerks entsteht noch keine große Kunst, keine altmeisterliche, keine mittelmeisterliche und schon gar keine neumeisterliche. Mein Schuster in den 50er Jahren hatte gleichfalls altmeisterliche Fähigkeiten.

Das Bild wurde mit Hilfe der Taler eines inzwischen verstorbenen Ehepaares erworben, die übrigen 400 000 müssen, so die Bedingung der Spender, für den Kauf von Arbeiten Tübkes, Zanders und Triegels genutzt werden. Mir schwinden die Sinne.

Bei diesen Aktionen, gepaart mit den Gedanken an den Museums-Bestand von Kunst des 20./21. Jahrhunderts, bzw. an den Mangel von meisterlichen, vortrefflichen Arbeiten dieser Zeit bleibt nur eine heftige Irritation.

Aber der Textautor des Zeitungsartikels huldigt diese Ereignisse als „Glücksfall“ und labert: „Manchmal geschehen Wunder auch ganz in der Sphäre des Irdischen“. So, und das kann man dann wieder nachlabern, s.o.

Vielleicht bleiben auch noch ein paar Taler übrig, dann könnte man noch einige bemalte Leinwände z.B. von Falkenthal und Bruno Griesel dazwischenschieben. Die Glücksfälle und Wunder würden nie enden.

Doch rotieren natürlich neben den Wundern auch ganz in der Sphäre des Irdischen (s.o.) die unterschiedlichen Versionen des Grauens auch ganz in der Sphäre des Irdichen. Mir scheint, das Leipziger Museum beherbergt dafür fähige Organisatoren.

Aber was bedeutet das schon, die Hauptsache ist doch, es gibt während der folgenden Tage 2500 Lesungen an 300 Orten, nur den Jürgen wird man vermissen.

Potsdam lädt also übers Jahr zu Ausstellungen mit der Kunst von Modigliani und Maurice de Vlaminck, Leipzig zu Tübke und Triegel, vielleicht komme ich für ein paar Wochen bei Günther Jauch unter.

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März 20, 2024 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, zwei Nachträge zu „Jürgen Henne, Jugendstil, Art déco…..“ vom 14. März 2024 und eine Güterlok aus Jüterbog und ein Modigliani und ein Vlaminck

Nachtrag I

Neben Jugendstil und Art déco werden anlässlich der Leipziger Buchmesse auch wenige Kinderbücher aus niederländischen Verlagen ausgestellt, deren Qualität mich aber nur kurzfristig animierte, den Rundgang durch das Grassimuseum zu bremsen

„Die Güterlok aus Jüterbog“, aus meiner kleinen Kinderbuchsammlung

Aber es animierte mich durchaus, meine Gewissheit zu bekräftigen, dass „Die Güterlok aus Jüterbog“ für mich auch noch heute, nach einigen Jahrzehnten, eines der hochwertigsten Kinderbücher innerhalb meiner Kinderbuch-Zuneigung bedeutet.

Kinderbuchverlag, Berlin 1978. Text: Walther Petri, Illustrationen: G.Ruth Mossner-

Nachtrag II

Der Ausstellung mit Bildern Edvard Munchs ( bis 1. April ), für mein Verständnis ein weitgehend überbewerteter Künstler, folgen im Potsdamer Museum Barberini eine Auswahl der Arbeiten von Amedeo Modigliani, in der Kunnstgeschichtsschreibung angemessen gewürdigt ( 27.April – 18. August ) und Bilder Maurice de Vlamincks, aktuell eher unterbewertet ( 14. September – 12. Januar 2025 ).

Eine gute Zeit für Potsdam.

Fotografierte ich vor vielen Jahren in Venedig

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März 15, 2024 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar

Jürgen Henne, Jugendstil, Art déco und eine „So fabelhaft schönen Raum sah man nie“ – Pfeilerhalle im Leipziger Grassimuseum

Vase, Art déco

Schale, Art déco

Art déco (oben) und Jugendstil (unten) gibt es bis 7.4., bzw. 6. 10. 2024 im Leipziger Grassimuseum, in einem der wesentlichsten Art déco-Architekturen Deutschlands.

Die Pfeilerhalle (letztes Bild, leider ein Nuance zu dunkel) sollte qualitativ in europäischen Dimensionen beurteilt werden.

Die folgenden Aufnahmen bieten Gegenstände mit unzweifelhaft jugendstiliger Grundierung.

Kerzenleuchter

Es war einmal…, es war einmal vor alten Zeiten, als Wünschen noch geholfen hat…., etwa vor fünfundfünfzig Jahren, als ich mir wünschte, dass mit jugendstiligen Artikeln unser gesamter Himmelskörper zugehängt, zugestellt, also bis zum Erdmittelpunkt zugepflastert sein möge.

Vergelt`s Gott, schon damals hatte sich keine Sau für meine Wünsche interessiert, auch nicht Märchentanten und Märchenonkels.

Natürlich hat sich meine exzessive Zuneigung zu dieser Kunst, die um 1900 und bis heute die europäische Kultur beträchtlich beeinflusste, spürbar gelockert, doch würde ich lügen, wenn ich behaupte, dass auch aktuell mir deren Aura nicht eine beständige Freude bereitet.

Jetzt eine extrem sparsame Auflistung von kunsthistorischen Ereignissen und ihrer Vertreter, deren inhalt-u. handwerkliche Besonderheiten mich durchaus eindringlich im spätpubertären Lebensabschnitt begeisterten und welche die Spur zum Jugendstil formten.

Mit erhöhter Waghalsigkeit könnte man die ersten Quellen für den Jugendstil, eher Rinnsale, am Beginn des 19 Jahrhunderts bei den Nazarenern finden. Also die Truppe um Overbeck, Pforr, Cornelius, Fohr J. S. v. Carolsfeld, die sich vor 220 Jahren zunächst in Wien verbündete und kurz darauf in Rom mit personeller Verstärkung ihre malerischen, zeichnerischen und graphischen Kreise zog.

Fussnote

Schnorr von Carolsfeld wurde in Leipzig geboren, aber auch z.B. C. G. Carus, Max Beckmann, Hans Hartung, Max Klinger, Oscar Zwintscher, Max Schwimmer, Th.Th. Heine…..also gar kein so schlechtes Traditionsgefüge. Aber auch Michael Leckebusch kreischte sich in Leipzig auf die Welt, „Erfinder“ und Produzent des Bremer Beatclubs.

Wenn man nach der beruflichen, bzw. bevorzugten Tätigkeit seinen Familiennamen erhielte, würde ich statt Schuster, Bauer, Schlosser, Fleischer, Maurer doch eher Beatclub-Michaels Namen bevorzugen. Und was soll ich eigentlich mit Henne anfangen. Und dann noch Jürgen, eine Nebenform des Drachenklatschers Georg. Also ein Drachenklatscher der Henne heißt, irgendwie albern, aber auch wunderbar

Ende der Fußnote

Entscheidend sichtbarer für die Entstehung des Jugendstils entfaltete sich einige Jahrzehnte später die britische „Art and Crafts Movement“, die das Handwerk, die Ästhetik des Materials, auch im Zusammenhang mit Architektur und sozialen Veränderungen zelebrierte (William Morris, John Ruskin) und die ihr durchaus nahe stehende Vereinigung der Präraffaeliten und deren Sympathisanten (Rosetti-Brüder, Millais, Hunt, Burne-Jones, F.M.Brown.

Das popularitätsmäßig überragend Bild der Präraffaeliten dürfte „Ophelia“ von Millais sein, ich vermute, dass auch Nick Cave für sein Video zu „Where the Wild Roses Grow“ sich präraffaelitisch beeindrucken ließ.

Es gab natürlich auch die Künstlerkolonnen, die dann zumeißt unter „Symbolismus“ zusammengefasst werden, die während der zweiten Hälfte des 19.Jahrh. das Formenvokabular des Jugendstils vorbereiteten, andeuteten, vollendeten, nachbereiteten, z. B. das spätimpressionistische Ensemble der „Nabis“ mit ihrer Neigung zu japanischer Graphik oder die Beuroner Kunstschule, deren Kämpfer sich in die Fußabdrücke der Nazarener stellten.

Und es formierte sich eine kompakte Herde von Einzelstreitern, auf deren Wegen und Nebenwegen der Jugendstil seine stimulierenden Elemente suchte und fand, ich denke dabei nach kurzen, eher bedächtigen Überlegungenn z.B. an Segantini, Moreau, de Chavannes, Ciurlionis….

Alle Recken, die vor 1900 und um 1900 herum ihre Spitz-Rund-Breit-Flach-Schräg-Pinsel oder ihr zeichnerisches oder graphisches Besteck bereithielten, vereinte die individuelle Wahrnehmung, dass die akademische Kunst dieser Zeit ihnen ziemich heftig auf die Mittelschwellung ging.

Tasse

Gewürzständer

Schale

Likörkaraffe mit drei Gläsern

Tee-Set

Grassimuseum, Pfeilerhalle

„So fabelhaft schönen Raum sah man nie“, Zitat der Berliner Volkszeitung 1927.

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März 14, 2024 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar