Jürgen Henne und Peter Matzke, Leipziger Volkszeitung und Fußball-EM – Neues aus dem Papiermüll
Ich entsorgte meinen wöchentlichen Papiermüll und fixierte argwöhnisch das oberste Blatt im Zeitungsberg des Containers: „Einwurf aus dem Abseits“. Nicht überragend diese Überschrift, dachte ich, doch durchaus ordentlich. Ich lese die mittlere Passage des Textes der LVZ (Leipziger Volkszeitung), auf dem schon Gurkenschalen ihren wässrigen Feldzug gegen bedrucktes Papier vorantrieben und beginne meinen Veitstanz.
Denn der Begeisterung für Fußball, in diesen Tagen von angemessenenen Ausdehnungen, wird ein markiger Appell zur kollektiven Besinnung entgegengeschleudert. Intellektuelle werden angezetert, diesen rundledernen Spuk zu beenden, diese neunzig Minuten des Teufels. Denn “ Werden sie aus ihren Häusern kommen und sich umarmen, wenn eines Tages der Hunger in Afrika besiegt ist ? „
Der Autor ist Peter Matzke und seine geschriebenen Infantil-Vulkane sind an Dürftigkeit bei der Bewertung kausaler Zusammenhänge nicht zu toppen. Matzke ist der Gutbold, der entscheidet, wie sich Deutschland und Europa während einer Fußball-EM zu verhalten haben. Der Besuch eines Leipziger Provinzkabaretts während der Stunden des Endspiels wären für ihn sicher eine wegweisende Entscheidung. Ich bin kein Fußball-Eiferer, dessen Kopf und dessen Hodensack zu einem Fußball mutiert sind, der für ein Freundschaftsspiel von Berchtesgaden nach Flensburg rotiert. Doch akzeptiere ich die Tradition und auch die Schönheit dieses Spiels und genieße deren Höhepunkte (WM,EM,Europapokal).
Doch Matzke ist nicht nur der Gigant der reinen Moral, er beschämt auch den dumpfen Fußballdödel mit seinem prächtigen Vermögen, Kunst-u.Kulturgeschichte in seine Texte einzuweben. Er rezitiert forsch das lateinische „Inter arma silent musae“, rezitiert und intoniert heroisch „was die Mode streng geteilt“, begeistert uns durch seine kunsthistorischen Kenntnisse (sterbende Krieger am Berliner Zeughaus) und brilliert durch globalökonomische Insiderkenntnisse ( die Fahnen an den Autos sind „Made in China“). Und das alles im Zeichen des Kampfes gegen unheilvolle Volksvergnügungen. Mein Gott, Matzke, was wissen Sie von der lateinischen Sprache, von Schiller/Beethoven und Schlüter. Behelligen Sie uns doch nicht mit diesem einfältig hingerotzten 1/4-Wissen.
Ich könnte jetzt prahlen und das legendäre Zitat Liebermanns anführen ( kein Bildhauer, sondern vorrangig Maler, Matzke ). Ich meine den Spruch mit dem Kotzen, Matzke. Doch will ich Sie nicht überfordern. Und mein Speikübel ist für Ihren Text ohnehin zu klein. Ich werde morgen das Endspiel sehen, mit einer Pulle Bier in der Hand und danach vielleicht in meinem Band mit der Kunst Andreas Schlüters blättern, unterlegt mit einem Streichquartett Beethovens. Denn ich verstehe etwas davon, wenn Sie wissen, was ich meine, Matzke. Und vielleicht werde ich bei einem Tor auch „TOR“ brüllen. Da können mir Peter Matzke, alle elitär labernden Simpelheinis und Interims-Intellektuellen mit kraftvoll pulsierender Nasenmuskulatur im Schritt riechen.
Jürgen Henne und Otto Niemeyer-Holstein auf Usedom. Die Kirchen von Mellenthin und Koserow
Garten zum Atelier Otto Niemeyer-Holsteins – Koserow/Lüttenort
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Eingang zum Atelier Otto Niemeyer-Holsteins
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Otto Niemeyer-Holstein ( 1996 – 1984) verbannte romantische Weltfluchten und sehnsuchtsvolle Wehleidigkeit aus seinen Bildern. Bei aller Naturverbundenheit beharrte er auf rational nachvollziehbare Beobachtungen, vermied er, die Abläufe der Natur in vordergründig bombastische und philosophisch durchwachsene „Weltbewegungen“ einzuordnen. Er entsagte einer idyllisch-nervenden Harmoniewut und zelebrierte nicht selten unspektakuläre „Strandstücke“. Analog zur „Schule von Barbizon“ mit ihren „paysages intime“ (Millet, Corot, Daubigny).
Nach dem 1.Weltkrieg war er Stammgast in Ascona, wo auch Mühsam, Lasker-Schüler, Hesse, Arp und Jawlensky ihre Kreise zogen, genießt deren Weltoffenheit und versucht bald, die Faszination des südlichen Lichts mit der nördlichen Unterkühlung zu verbinden.
Mit einem ausrangierten S-Bahnwagen zieht er 1933 nach Koserow an die schmalste Stelle zwischen Bodden und Meer, nennt sie Lüttenort und lebt bis 1945 in weitgehender Abgeschiedenheit. Am Höhepunkt der Formalismusdebatte 1953 werden zur 3.Deutschen Kunstausstellung in Dresden alle Arbeiten abgelehnt und eine offizielle Zustimmung zum Einmarsch in die CSSR 1968 lehnt er ab. Doch inzwischen von den kulturpolitischen Deppen der ehemaligen DDR geduldet , erhält er den Nationalpreis, den Professorentitel und Ausstellungen in der Berliner Nationalgalerie und im Albertinum Dresden.
Niemeyer-Holstein war sicher kein Rebell, der traditionelle Kunstformen einäscherte. Doch hat er vielleicht mehr bewirkt als viele wichtige „Starktöner“, welche mit dilletantischem Klamauk die Dürftigkeit ihrer künstlerischen Qualität tarnen wollen. Er blieb Traditionalist, orientierte sich früh am Expressionismus der Fauves und ignorierte auch nicht die impressionistische Malkultur. Niemeyer -Holstein verfeinerte kontinuierlich die Beschreibung der Küstenlandschaft und ihre jahreszeitlich bedingten Veränderungen. Dabei verzichtet er auf lineare Abgrenzungen, auf eine zeichnerische Betonung. Die Flüchtigkeit der Wasserbewegungen, die subtilen Veränderungen des Lichts treiben Niemeyer-Holstein zu Bildern von höchster Farbkultur. Beerdigt wurde er auf den Friedhof in Benz/Usedom, in unmittelbarer Nähe zum Grab Rolf Ludwigs, der Soldat im DEFA- Film „Das Feuerzeug“ von 1958.( „Eins,zwei, Eins,zwei, so zieh ich in die Welt, eins,zwei, eins,zwei, wohin es mir gefällt. Ich diente einst dem König treu und glaubte, dass er gnädig sei….“ – Wanderarie am Beginn des Filmes ) Auch Carola Stern schlummert in Benz in die Ewigkeit.
Das Museum wird professionell geführt. Der Garten kann besichtigt werden, mit wunderbar skurrilen Quadratmetern. Atelier und Wohnräume nur mit Führung. Ständiges Abspulen eines ruhigen,schönen Filmes über Niemeyer-Holstein ( „….und der Strand ist meine große Geliebte“ – ein außerordentlich alberner Titel) und ständige Wechselausstellungen. Bis 16.Dezember das Frühwerk von Otto NHS. Kein großer Knaller, aber durchaus ansehnlich.
15.April – 15.Oktober täglich 10 – 18 Uhr
16. Oktober – 14. April Mi/Do, Sa/So 10 – 16 Uhr
Neue Galerie und Garten 3 Euro
Eintritt mit Führung 7 Euro
Koserow/Lüttenort – Atelier Otto Niemeyer-Holsteins – Bildhauerei im Ateliergarten. Beachtlich die Aggressivität der Pflanze am Bein des Athleten, ein Laokoon-Solist von Usedom
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Mellenthin (Usedom)- Spätgotische Backsteinkirche mit Kreuzrippengewölbe und gemalten Torturen des Jüngsten Gerichts im Chor. Fotografischer Blick von romantischer Bescheidenheit ohne kunsttheoretisches Diskussionsangebot.
Koserow (Usedom) – Feldsteinkirche um 1300 mit unergiebigen Öffnungszeiten am Freitag (bis 16 Uhr). Jürgen musste deshalb mürrisch von dannen ziehn, getrieben von der heimtückischen Vorstellung einer Hinterkopfverformung beim Pfarrer durch den Glockenklöppel bei einer Hörprobe in Nahdistanz.
Jürgen Henne und die grünen Schilder von Usedom, Jürgen Henne als Bockwurst-Fetischist und als vierter Waffenbruder
Anton von Werner (1843 – 1915) malte historisch-heroische Edelgurken von markant nationaler Grundausstattung und monumentalen Ausdehnungen ( “ Die Eröffnung des Reichtags durch Wilhelm II“ – etwa 4 mal 6 Meter ). Trotz bemerkenswert hoher Fähigkeiten im handwerklichem Bereich und einer soliden Malkultur weitgehend grauenhaft. Mit Menzel befreundet, bei diesen Qualitätsunterschieden gleichfalls bemerkenswert. Vielleicht hat Menzel mit seinen kleinen Körper ganz bewusst auch nur den unteren Rahmen dieser Bilder zur Kenntnis genommen. Sonst hätte sich sein 1.40 M.-Leib sicherlich auf noch kürzere Maße geschaudert.
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Imbiss-Werkhalle-Kraftwerk-Peenemünde-Usedom-v.l.n.r.: Bockwurst, Kopf von Jürgen Henne, Fanta ( auf stählernem Tischtuch), im Hintergrund Kraftwerkstechnik
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„Waffenbrüderschaft“ von Rommel, natürlich nicht der Rommel, sondern Gerhard Rommel, der Plätze
und Parks der ehemaligen DDR mit herzig-folkloristischer Bildhauerei überzogen hat.
V.l.n.r.: Baltische Rotbannerflotte der UdSSR, Polnische Seekriegsflotte, Jürgen Henne(verängstigt),Volksmarine der DDR
Peenemünde, Usedom
juergen-henne-leipzig@webde
Jürgen Henne und Klaus Kinski in „Jesus Christus Erlöser“
Den Film „Jesus Christus Erlöser“, Kinskis Pöbelorgie, habe ich bewältigt und fühle mich nicht getrieben, auch nur ein Morphem (kleinste bedeutungstragende Einheit der Sprache) meines Textes vom 16. Mai in diesem Blog zu ändern. Erschüttert war ich eher durch die inhaltliche Banalität des Vortrags von Kinski, eine zuweilen schier unerträgliche Mischung biblischer Storys und zeitgenössischer Abläufe.
Jetzt werden wieder Interimshistoriker brüllen, dass eben der Zeitbezug erkannt werden muss, um ein Verständnis zu entwickeln. Ich erkenne ja, erkenne ja und ich entwickle ja, entwickle ja. Zeitbezüge sind ja durchaus notwendig, doch nicht von derartiger Belanglosigkeit. Wenn z.B. in zeitlosen, griechischen Stücken (Sophokles,Euripides,Aristophanes) unverblümt und mit dümmlicher Eindeutigkeit historische Figuren wie Stalin, Mielke oder Pinochet aufmarschieren, entwickelt sich bei mir ein voluminöser, gehaltvoller Würfelhusten. Etwas mehr Verfremdung sollte es schon sein.
Kinski rülpste sich über die Bühne, taumelte von einer Intoleranz zur nächsten Ignoranz. Eigentlich Wesenszüge, denen er abhold sein wollte. Mit geradliniger Penetranz feierte er bei sich selbst Eigenschaften, die er gerade in diesem Text missbilligt hatte. Er riss Besuchern, etwas unbeherrscht, das Mikrofon aus der Hand und jaulte manchem Rufer aus dem Publikum seine Kenntnisse über grunzende Vertreter der Tierwelt zurück.
Das ist alles durchaus unterhaltsam. Doch wenn das gesamte Kino nur nach den „du alte Sau“ oder „halt du deine Schnauze“ – Stellen hechelt, erscheint mir das etwas wenig. Und ein mittleres Maß an Verunsicherung und Skepsis entwickelt sich bei der Beobachtung, dass Kinski diesen Kameraheinis, die wahrlich gnadenlos alle Gesichtsfurchen, jeden Nasenrotz und jede Augenfeuchtigkeit abgelichtet haben, gönnerhaft gewähren lässt. Das irritiert doch erheblich. Denn eigentlich hätte man bei dem Reifegrad seiner Exzesse an diesem Abend erwarten können, dass er wenigstens dem Filmteam mit seinen Schuhen die Nasenlöcher erweitert, unterlegt mit dem entsprechenden Vokabular.
Doch Kinski pflegt seine Positionen, erstarrt, kreicht, immer sorgfältig ausgeleuchtet. Vielleicht war doch nur alles kalkuliert, wie die Rufer aus der Zuhörermeute, alles nur kalkuliert und wirkungsmächtig durchgezogen. Doch unterhaltsam war es unbedingt. Wenn der Text den willigen Besuchern nur nicht so heftig mit seinen Belanglosigkeiten geknechtet hätte, ohne einen Hauch von intellektueller Steuerung durch Klaus Kinski.
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