Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne, eine sitzende Alte, Ganymeds durchgestrichene Nudel, der durchgestrichene Canis lupus, eine expressionistische Brücke, HornRiebeckHellwig, vorn oder hinten, hinten oder vorn, das Wunder afrikanischer und ozeanischer Kunst und eine Ausstellung in den Kunstsammlungen der Hallenser Moritzburg.

Ernst Barlach, „Sitzende Alte“, Bronze, 1933, Sammlung Horn

Im Kunstmuseum der Hallenser Moritzburg wurde eine der auffälligsten und qualitativ hochwertigsten Ausstellungen der vergangenen Zeit in Mitteldeutschland zusammengestellt und öffnet nun seine Hallen bis 23. Juni 2024 für mögliche und hoffentlich zahlreiche Besucher zur optischen Huldigung bemerkenswerter Kunstwerke. Aber auch zur Bereitschaft, innere intellektuelle Scharmützel auszutragen, Kontroversen und jede Menge Unsicherheiten nicht zu scheuen.

Und genau hier liegt mein Problem bei der Herstellung eines Textes über diese Ausstellung. Aber nicht einer mich möglicherweise kennzeichnenden Dussligkeit wegen. Für die Aufnahme meiner Texte über expressionistische Kunst müsste eine eigene Bibliothek erbaut werden ( …etwas übertrieben…).

Doch der zweite Schwerpunkt dieser Hallenser Übersicht, der Umgang mit außereuropäischer Kunst in deutschen Museen oder Privatsammlungen, gleichgültig ob geschenkt, geraubt, gerettet…., die aktuelle Brisanz und außerordentliche Komplexität dieser kulturgeschichtlichen Abläufe, koloniale Vergangenheiten und Abhängigkeiten, aber auch z.B das spezielle Verhältnis expressionistischer Künstler, Sammler, Kunst-u- Kulturtheoretiker zu diesen Abläufen überfordern sicher die Ebene eines Blogs, der doch eher als gestraffte Beschreibung, Bewertung und Empfehlung kultureller Ereignisse angelegt ist. Mein Encephalon ist mit einem beträchtlichen Quantum kluger Gedanken zu diesem Sachverhalt belegt, ich müsste aber sicher eine Fortsetzungsserie planen. Doch dafür nehme ich aktuell bei mir keine Neigung wahr.

Und außerdem beherzige ich das chinesische Sprichwort: „Einmal sehen ist besser als hundertmal hören“. In diesem Fall würde ich „hören“ gern durch „lesen“ ersetzen.

Deshalb nur wenige, zwanglos vorgetragene Informationen und ein paar Bilder.

Otto Mueller, „Stehender Knabe und zwei Mädchen II (drei Akte)“, Lithographie und Aquarell, 1917, Sammlung Horn

Gezeigt werden in Halle zwei Restbestände von Sammlungen, die Ende des 19. Jahrhunderts in das Hallenser Museum aufgenommen wurden. Die Sammlung Hellwig mit melanesischem Kunstgewerbe und die Sammlung Riebeck, die ostasiatische, indische, afrikanische….. Volkskunst nach Deutschland überführte.

Im Katalog und anderen gedruckten Materialien wurde bei „Sammlung Hellwig“ das Wort „Sammlung“ durchgestrichen, weil Franz Emil Hellwig „mit eindeutig kommerziellen Vorsätzen und im Rahmen des deutschen Kolonialsystems sammelte“ (Flyer-Text). „Die Sammlung Riebeck“ kommt da besser weg, das Wort „Sammlung“ erhält nur Anführungszeichen, weil Emil Riebeck seine Objekte mit vorwiegend wissenschaftlichem Interesse zusammentrug, aber scheinbar trotzdem die Kolonialisierung verteidigte. Deshalb nur Anführungszeichen. Oh, der Glückliche.

Mein Gott, ist das alles von schlichtem Anspruch. Sicher muss man diese Zusammenhänge bearbeiten, doch mitnichten auf einem derartig unterirdisch infantilen Plateau. Die pinkelnde Nudel bei Rembrandts Ganymed in den Dresdner Kunstsammlungen wollte man auch schon durchstreichen, wegen der Darstellung körperlich – sexueller Misshandlung. Und der Umgang mit der Tierwelt in „Rotkäppchen“ und „Der Wolf und die sieben jungen Geißlein“ sei ohnehin problematisch und führe zu Erniedrigung und Demütigung von Canis lupus. Also irgendwie durchstreichen. Mir schwinden die Sinne.

Max Pechstein,“Zwiesprache“,Farbholzschnitt, 1920, Sammlung Horn

Den weitaus umfangreichsten Teil der Ausstellungsfläche belegt die Sammlung Horn (Rolf Horn 1912-1995 / Bettina Horn 1939 – ), seit 1988 als Dauerleihgabe in der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen in Schloss Gottorf in Schleswig aufbewahrt. Kunst des ersten Viertels des 20. Jahrhunderts (Expressionismus) sowie Arbeiten aus Papua – Neiguinea und verschiedenen Regionen Afrikas bilden den Kernbestand der Sammlung. Dabei wurden beim Erwerb expressionistischer Künstler die Mitglieder der Dresdner „Brücke“ bevorzugt (Kirchner, Pechstein, Heckel….., auch Nolde, der nur kurz dieser Truppe beitrat). Und auffällig innerhalb dieser Hallensere Ausstellung ist die Dominanz des graphischen Porträts, auch des Selbsporträts.

Aber auch Kunstschaffende, die etwa zwischen Expressionismus und Realismus schwingen, wurden von „den Horns“ nicht ignoriert (Kollwitz, Barlach), eine weise Entscheidung.

Emil Nolde, Prophet, Holzschnitt, 1912, Sammlung Horn.

Alexey von Jawlensky, „Mystischer Kopf: Asconeser Mädchen“, Öl auf Karton, 1918, Sammlung Horn

Graphikwand, Sammlung Horn, hier kann jeder seine kunsthistorische Kompetenz überfprüfen. Ich absolvierte die Prüfung fehlerlos, hatte ich nicht anders erwartet. Auf das größte Blatt wurde ein Selbstbildnis lithographiert, eigentlich unverkennbar, das kleinste wurde holzschnittig bearbeitet, keineswegs ein Selbstbildnis.

Zur Auswahl stehen z.B. Kirchner, Mueller, Heckel. Pechstein, Rohlfs……Rubens ist nicht dabei.

Und noch ein paar Beispiele aus der afrikanisch – ozeanischen Abteilung der Sammlung Horn (unten). Bei nicht wenigen Arbeiten der Klassischen Moderne, z.B. Expressionismus kann man des Künstlers Faszination an diesen fernen Regionen ablesen, auch durch ensprechende Aufenthalte in diesen Bezirken z.B Pechsteins zeitweilige Rast in Palau (Mikronesien) und die gemeinsame Reise von Macke, Klee und Moilliet bezeugen diese Zuneigung. Nach Louis Moilliet kräht aktuell kein Hahn, nur eine Henne und die bin ich, denn er war ein durchaus leistungsfähiger, feinsinniger Maler.

Sieben Monate des vergangenen Jahres wurde die Ausstellung im Kirchner Museum in Davos gezeigt, von Herbst 23 bis Winter 24 im Museum Ostwall im Dortmunder U. Nur Halles Moritzburg hat Werke dieser außereuropäischen Kulturen in ihr Programm aufgenommen. Wiederum eine weise Entscheidung. Der Katalog ist vorzüglich oder eben auch nicht ganz vorzüglich, denn er feiert ausschließlich die expressionistische Kunst und meidet die Beachtung der afrikanischen und ozeanischen Exponate, entspricht also eher den Angeboten in Davos und Dortmund. Ich glaube, die Gründe werden im Katalog beschrieben, ich habe sie ich aber noch nicht gelesen.

Von vorn oder von hinten, Sammlung Horn

Von hinten oder von vorn, Sammlung Horn

Sammlung Horn

Sammlung Horn

Musikalischer Tipp des Tages

Joan Tower, z.B. „In Memory“ für Streichquartett und „Big Sky“ für Violine, Cello und Klavier.

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April 12, 2024 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar