Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne, der Schlüssel von Gerlamoos, Fresken Thomas von Villachs und das Martyrium des heiligen Georg (dt.Jürgen) – eine Bilder-Novelle aus Kärnten

In einem anständig geschriebenen Kulturführer über Kärnten las ich den Hinweis auf eine Kirche in Gerlamoos, unweit von Spittal, nahe der italienische Grenze, geschmückt mit Wandfresken von Thomas v. Villach.
(Und gleichzeitig gab das Buch die Hilfestellung für den Erwerb des Kirchenschlüssels.)
Die Existenz eines spätgotischen Malers Thomas v.Villach war mir bekannt, doch nur am kaum wahrnehmbaren Rand meiner Kenntnisse.
Bei gotisch/spätgotischer Kunst (15.Jahrh.) schwelgte ich eher bei Michael Pacher, gleichfalls Österreicher (Altar in St.Wolfgang), bei Hans Multscher (Wurzacher Altar, Berlin), Lucas Moser (Tiefenbronner Altar) und den „alten“ Italienern, doch besonders bei den Niederländern des 15.Jahrhunderts (v.d. Weyden, v.d. Goes, Memling und Bouts).

Wir fuhren also zügig nach Gerlamoos, erreichten das „Kirchenschlüsselhaus“ Nr.15, wie im Text angegeben (oben)…

…und lasen am „kleinen Brunnen“ (siehe Text)…

….die veränderten Modalitäten für die Entgegennahme des Schlüssels.
Also „Kirchenschlüsselhaus“ Nr.10….

….und folgten einer weiteren Wegmarkierung. Ich fühlte mich inzwischen in Gerlamoos ausgesprochen wohl.

Wir erreichten „Kirchenschlüsselhaus“ Nr.10 und sahen des Schlüssels Aufbewahrungskiste.

….und darin den Schlüssel, tatsächlich mit recht recht bemerkenswerten Ausdehnungen…

…und begannen den Aufstieg, selbst für Rentner-Organismen nur geringfügig anstrengend

Rechts zwei Unpaarhufer…

…links zwei Unpaarhufer.

Rechts ein paar Blümchen…

…links ein Steinchen.

Der Weg führt weiterhin aufwärts, doch noch immer für eine Rentner-Muskulatur zügig zu bewältigen.
Der gewichtige Kirchenschlüssel drückte aber zunehmend auf meinen Schritt-Inhalt.

Wir nähern uns der St.Georgs-Kirche in Gerlamoos…

…und öffnen die Tür.

Meine „Aneignung“ eines kirchlichen Innenraums beginnt zumeißt mit dem Blick in die Gewölbe, wichtige Elemente der räumlichen Strukturierung.
Und es gibt Sterngewölbe, Tonnengewölbe, Rippengewölbe, Netzgewölbe, Fächergewölbe, Zellengewölbe…., mit teils ziemlich krasser Ausformung.

Ich denke da spontan an das Kapitelhaus der Kathedrale in Wells und an die Kreuzganggewölbe in Gloucester.
Oder die unvergessliche Schönheit des Schlingrippengewölbes der Annenkirche in Annaberg-Buchholz.
Und natürlich das Netzgewölbe der Marienkirche in Pirna mit wundervoll grotesken Hobelspan-u. Astrippen.
Es gibt viel zu sehen.

Allerdings nicht bei der hölzernen Flachdecke der Georgs-Kirche in Gerlamoos (Mitte des 13.Jahrh.)
Bei Kärntens romanischer Architektur (wie in Gerlamoos) bestand man scheinbar recht lange auf der Flachbedeckung, obwohl sich während dieses kunsthistorischen Abschnitts weitgehend das Tonnengewölbe durchsetzte.
Aber auch dieser Bau blieb von Eingriffen nicht verschont.
So wich z.B.die romanische Apsis einem gotischen Chor.
Und es folgten die gotischen Fresken und Teile der Renaissance und des Barock (Hauptaltar).
Ich zwang also meinen Blick an die Nordwand der einschiffigen Kirche und erstarrte.

Ich sah dreißig Bilder von Thomas von Villach.
Szenen des Martyriums des hlg. Georgs (obere Reihe) und aus dem Leben Christi (zwei untere Reihen), um 1470 auf die Wand aufgetragen.

Georg, römischer Offizier, Drachentöter und Mitglied der Truppe der vierzehn Nothelfer, zuständig u.a. bei Kriegswirren und Pest, wurde am Beginn des 4.Jahrh. nach einer Reihe wenig sensibler Behandlungen enthauptet.
Es war die Zeit des letzten Abschnitts der Christenverfolgung im Römischen Reich.
Und während dieser abschließenden Etappe wurde unter Diokletian besonders gnadenlos auf Christen eingehackt.
Nur wenige Jahre danach, um 325 n.Chr., entwickelte sich das Christentum zur offiziellen Staatsreligion, unter der toleranten Oberaufsicht von Konstantin.

Thomas von Villach zelebriert nun mit einem ungewohnt drastisch geführten Pinsel, auch mit auffälliger Zuneigung zum Detail, die Sonderbehandlung Georgs durch die römischen Folterer.
Da wird zunächst, noch ziemlich feinsinnig, der Giftbecher gereicht, ohne Ergebnis, Georg überlebt.
Doch bald nutzt man das gesamte grobschlächtige Material, welches in dieser Zeit sich so anbot.
Georg wird ein Zentnerstein auf die Brust gelegt, im siedenden Kessel gekocht und in einer Nageltonne bewegt. Geschmolzenes Blei wird in Mundhöhle gegossen, Nägel durchdringen seinen Kopf, eine glühende Rüstung wird ihm angepasst sowie Arme und Beine abgehackt.

Kommentarlos einige Bilder



Natürlich blieb Thomas von Villach weitgehend seiner provinziellen Umgebung verhaftet.
Mit viel Optimismus und Gutmütigkeit könnte man auch Hinweise auf italienische, niederländische Anregungen erkennen und selbst die grotesken, karrikierenden Überzeichnungen eines Hans Multschers oder Hans Hirtz blieben für Thomas v. Villach nicht ganz wirkunglos.
Ob er dieser Malerei tatsächlich vor Ort begegnete, entzieht sich aber meiner Kenntnis.
Doch genügen Vergleiche z.B. mit italienischen Künstlern, die Jahre vor ihm geboren wurden, um die regionale Verklammerung Thomas v.Villachs in mittelalterlichen Ebenen zu beweisen.
Seine Lebensdaten pegeln etwa zwischen 1440 bis 1525.
Für die damaligen Jahrhunderte ein Schildkrötenalter und er näherte sich dem Zeitalter der Hochrenaissance.
Doch bestätigen eben diese Gegenüberstellungen mit Arbeiten seiner italienischen Zeitgenossen des 15.Jahrh. z.B. Mantegna, G.Bellini, Masaccio, Uccello, Ghirlandaio, dass Thomas v.Villach gnadenlos maltechnisch und intellektuell in spätgotischen Formen festklemmte.
Ihm gelang es nur selten, das neue Menschenbild, die Veränderungen bei religiösen Abhängigkeiten und die Durchbrüche bei malerischen Konstruktionen (Zentralperspektive) aufzunehmen, die eben schon zu seiner Zeit die europäische Geschichte beeinflussten.
Also eine regionale Zeitverschiebung, normale Abläufe in der Kunstgeschichte.

Ändert natürlich nichts an dem hohen Wert seiner Fresken.
Und ich liebe diese regional-provinzielle Malerei mit ihren nicht immer souverän ausgeführten Ecken und Kanten.

Und noch eine Szene zur Passionsgeschichte.

Verspottung Jesu.
Man beachte den heraushängenden Mundhöhlenlappen bei diesem Vortänzer.
Nurejew hätte ihn zweifellos als gleichwertigen Partner geschätzt.

Auf Grund des hohen Symphatie-Faktors noch eine unaufdringliche Vergrößerung.


In Kärnten zelebrierten wir dann zwei weitere Besuche vor Fresken Thomas v. Villachs

I.
Pfarrkirche St. Andrä, Thörl-Maglern, u.a mit Fresken an der Nordwand und im Gewölbe.

Thörl-Maglern
Detail, Fußwaschung.
Jesus mit Schürze, man kann am verlängerten Hintern die Verknotung erkennen.
Ikonographisch ausgesprochen selten, so locker kann Religion sein.
Hoch lebe Thomas v.Villach.
Eine Runde Pilsner Urquell für Thomas aus Villach

II.
Stift St.Paul, Lavanttal, unweit der slowenischen Grenze

Stifterfresko mit Kielbogen-Architektur von Thomas v. Villach.
Links u.a. das Wappen von Kärnten mit stehendem Engel, ganz links unten kniet ein Abt, Auftraggeber dieser Malerei (neben seinem Wappen).
Rechts vermutlich das Stifterehepaar, behütet von der hlg. Katharina mit dem Rad als Folterinstrument und dem hlg. Benedikt.

Stift St.Paul, Lavanttal

Hlg. Petrus und hlg. Paulus.
Auf der rechten Zierleiste vermutlich ein Selbstporträt Thomas v.Villachs.

Die Lichtverhältnisse in den Kirchen zwischen den Kärntner Bergen sind eher von mäßiger Qualität und Apparaturen, die nach dem Einwurf einiger Cent für ein paar Minuten künstliches Licht spenden, werden nur vereinzelt angeboten.
Aber Blitzlicht geht gar nicht, das wäre im Angesicht derartiger Malereien die achte Todsünde.

Also:

Hochmut
Völlerei
Wolllust
Neid
Faulheit
Geiz
Jähzorn
Fotografieren mit Blitzlicht in Räumen mit Malerei von Thomasv.Villach

Die Reihenfolge ist theologisch sicher nicht korrekt.

Und nach diesem alten Zeug geht es zügig nach Kassel.
Eben alles zu seiner Zeit.
Und auf dem Weg nach Hessen mehrmals Led Zeppelin und „Whole Lotta Love“ (LP-Version) hören


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Juni 4, 2017 - Posted by | Leipzig

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