Juergen Henne Kunstkritik

Jürgen Henne, eine Lanze für Aram Chatschaturian oder Chatschaturjan oder Chatschatrjan oder Khachaturian oder Xac´atryan, Gayaneh, Säbeltanz und Jägerchor, Love Sculpture, Synkopen und Ostinati, Weltraum-Odyssee mit Chatschaturjan, Giko, der Brandstifter, ein Tanz der Saporoscher (Saporoger), Robert Morley als Marginalie, Max Bruch und riechende Angehörige und Led Zeppelins Sargmusik

Chatschaturian oder Chatschaturjan oder Chatschatrjan oder Khachaturian oder Xac´ atryan in meiner Plattensammlung (links u. unten)

Es gibt auch Narine Khachatryan oder Chatschatrjan, Jahrgang 1979, gleichfalls aus Armenien. Vor einigen Jahren hörte ich von ihr ein Stück in Halle, aber ohne wesentlichen Eindruck.

Aram Chatschaturian oder Chatschaturjan oder Chatschatrjan oder Khachaturian oder Xac´atryan, 1903 in Tiflis (Tbilissi) geboren, verschieden 1978 in Moskau, wird ja ausschließlich mit diesem Säbelgehüpfe aus „Gayaneh“ verbunden. Auch wenn der Name Chatschaturian oder Chatschaturjan oder Chatschatrjan oder Khachaturian oder Xac´atryan nicht bekannt ist, diesen Hieb-u.- Stichwaffentanz von reichlich zwei Minuten kennt jeder. In musikalischen Wunschsendungen für schlichtere Zeitgenosen nudelt sich neben Freiheitsschor und Jägerchor (Verdi,Weber) auch der Säbeltanz regelmäßig in die guten Stuben.
So richtig saftig und gitarrenlastig dröhte der Titel dann aber als „Sabre Dance“ am Ausgang der sechziger Jahre durch die Röhren, von den Love Sculpture, in mindestens doppelter Länge. Das entsprach dann etwa unserer pubertären Schwellung im mittleren Körperbereich, als wir diesen Titel 25x hintereinander auflegten.

Und ich breche keinen Säbel, doch eine Lanze für Chatschaturjan und denke, dass es noch eine Reihe anderer Stücke aus seiner armenischen Feder gibt, die man ohne Bedenken und ohne sich anschließende Trommelfell-Fäulnis hören kann.
Natürlich wird es ihm musikhistorisch nicht gelingen, dass unbezwingbare russische, bzw. sowjetische Komponistenterzett aus Prokofjew, Strawinski und Schostakowitsch zu einem Quartett zu erweitern.
Dazu grub er zu eisern seine folkloristischen Wurzeln Armeniens aus, pflanzte sie zwischen seine Noten und wagte nur flüchtige Blicke kosmopolitischen Zuschnitts, die für Schostakowitsch und vor allem für Strawinski als wichtige Katalysatoren für deren Entwicklungen zu Komponisten mit Weltgeltung unverzichtbar waren.
Doch sollte die Freude an Chatschaturjans musikalischer Phantasie und den Reichtümern an Melodien, an den bunten Strauß von Synkopen und Ostinati nicht durch den gängigen Schmähruf „Provinzmusiker“ und „Estradenmusik“ gemindert werden.

Klavier-u.Violinenkonzert wurden immerhin in die zweite Garnitur regelmäßig gespielter Werke an den Musikhäusern aufgenommen.
Auch die Wiener Philharmoniker mussten nicht in ihre Posaunen und Trompeten kotzen und intonierten seine Stücke, unter der Aufsicht des Komponisten als Dirigent.
Gerhard Taschner und Heifetz geigten, Oistrach, Rostropowitsch, das grandiose Melos Quartett, Neeme Järvi und Roschdestwenski fidelten und dirigierten sich an diese Musik heran, Wilder und Kubrick vermischten sie in ihren Filmen, immerhin zwischen R.Strauss und Ligeti („2001:Odyssee im Weltraum“).
Und selbst André Rieu und das Johann Strauß Orchester haben ein Adagio Chatschaturjans einstudiert.

Sicherlich ist der Inhalt von „Gayaneh“ von strapazierender Schlichtheit.

Baumwollkolchose, 1941 in Armenien. Gajaneh arbeitet wie eine Blöde auf dem Feld, um ihr Land gegen die deutschen Henker zu verteidigen. Giko, ihr Mann füllt sich da lieber seine Rübe mit Wodka ab, kassiert böses Geld von bösen Spießgesellen und fackelt die Scheune der Kolchose ab. Gayaneh verrät ihn, Giko will sich mit dem gemeinsamen Kind im Feuer rösten. Mit Kasakow, dem Kolchosvorsitzenden naht die Rettung. Giko kommt in den Gulag, Gayaneh und Kasakow reiben sich ab sofort den Unterleib.
Bei der Feier zum Wiederaufbau der Scheune wird dann kollektiv gesoffen, gesungen und u.a.der Säbeltanz abgezuckt.
Kasakow zieht in den Krieg und Gayaneh arbeitet weiterhin wie eine Blöde auf dem Feld.
Und dazu gibt es eben Musik, z.B. einen Tanz der rosigen Jungfrauen oder die Volkstänze Lesginka und Gopak(Hopak)
Chatschaturjan unterstützt auch das Ballett „Spartacus“ u.a. mit einem Adagio für die Titelfigur und Phrygia. Klänge, nach denen auch Tschaikowskis Schwanenhälse hemmungslos rotieren würden.
Und die Schauspielmusik zur „Maskerade“ nach Lermontow vereinigt gleichfalls einige hörenswerte Stücke.
Die Pein mit Chatschaturjan besteht in dem durchaus hohen Bekanntheitsgrad eines Teils seiner Musik und der Unfähigkeit der Hörer für eine vorschriftsmäßige Zuordnung.
Ähnlich des Schicksals von Robert Morley, dessen kompakte Statur und einzigartige Mimik aus einem einzigartigen Gesicht jeder kennt, wobei der Name im öffentlichen Wissenspeicher aber nur als Marginalie gespeichert ist.
Ich werde vermutlich nicht anordnen, zum Volkstrauertag, anlässlich meines Kisten-Einstiegs, Musik von Chatschaturjan aufzulegen.
Ich glaube nicht, dass ich dadurch die Wanderung zu meinen ewigen Jagdgründen uneingeschränkt stimmungsvoll beginnen würde.

Auch keine Einwände gegen Mendelssohns Violinenkonzert als Trauertango oder gegen den Dauerkracher, mit dem das deutsche Volk besonders hingebungsvoll um ihre, inzwischen riechenden Anghörigen herumschnüffelt, Max Bruchs zweiter Satz des ersten Violinenkonzerts. Alles durchaus hörenswert.

Ich entscheide mich aber vielleicht für „In my time of drying“ von Led Zeppelin, Titel drei der Doppel-CD „Physical Graffiti“.
Länge etwa zwölf Minuten. Danach kann mein Fett im Feuer schmelzen.

Aber auch Chatschaturian sollte nicht vollständig vergessen werden.
Die musikalische Bindung an seine armenische Heimat könnte mit Grieg und Sibelius verglichen werden und deren norwegische, bzw. finnische Wurzelverarbeitung, zumindest etwas vergleichbar.

Zugabe
Gopak(Hopak) ist ein Tanz der Saporoscher (Saporoger). Deshalb unbedingt nochmals der Hinweis auf die Chemnitzer Kunstsammlungen und die Ausstellung der „Peredwischniki“, u.a. mit Repins Bild der Brief schreibenden Saporoscher (Saporoger) Kosaken.

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April 20, 2012 Posted by | Leipzig | Hinterlasse einen Kommentar